Schreibstube: Die Grundformen einer Geschichte

Immer wieder hört man, dass es nur eine beschränkte Zahl von Geschichten gibt, die man erzählen könne.

Da es nur eine endliche Zahl von Kombinationen gibt, ist das gar nicht überraschend. Zumal es weder in der Musik schadet, dass AC/DC und Beethoven nur dieselben sehr überschaubare Zahl von Tönen zur Verfügung haben, und letztlich alle Köche – von der Burger-Bude bis zum 3-Sterne-Koch – nur mit Wasser und Salz kochen. Angesichts der Fülle von Details und Deko ist das auch keinesfalls eine überzeugende Entschuldigung für Plagiatoren, sondern vielmehr ein Ansporn, kreativ zu sein.

Speziell für Autoren ist es deshalb aber sehr interessant, sich Gedanken darüber zu machen, welche Art von Geschichte sie eigentlich erzählen. Welche berühmten Vorbilder sich mit ihren Bücher die Grundform teilen. Und wo Ähnlichkeiten erwünscht, unerwünscht oder unvermeidlich sind.

Deshalb also eine sehr kurzweilige Reise in unsere Schreibstube:

 

Die Grundform einer Geschichte 

Und wenn noch so viel erzählt wird:  Man kann trefflich darüber streiten, wie viele Geschichten es gibt.

Die radikalste Theorie sagt, es gibt nur 2, nämlich „Wird die Lesererwartung erfüllt oder nicht?“ Das hat schon Aristoteles so ähnlich vertreten, der meinte, alles sei entweder eine Tragödie oder eine Komödie. Wobei wir dann wissen wollen, was eine Tragikomödie ist?

Andere zählen bis drei, „es geht gut aus, es geht schlecht aus, der Ausgang bleibt offen“.

Ab dann wird es etwas unübersichtlich, kanadische Wissenschaftler wollen 6 sogenannte „Masterplots“ erkannt haben, die sie anhand des dramaturgischen Verlaufs des Spannungsbogens unterscheiden.  Beliebt  sind die 20 Masterplots, die R. Tobias zählt. Dann gibt es den oft zitierten Katalog von George Polti, der mit immerhin 36 dramatischen Situationen, also nach dem inhaltlichen Grobthema differenzierten Grundformen arbeitet. Das geht dann unter ganz unterschiedlichen Aspekten hinauf bis zu 99 Formen.

Und worauf kommt es an?

Unklar bleibt dabei für uns, worin zum Teil die Unterschiede im Plot bestehen, denn häufig sind es eher Details und Stilmittel einer an sich identischen Handlung, aber hier erlauben wir uns kein (abschließendes) Urteil. So wird hier gerne auch Blake Snyder aufgeführt, doch dessen Tipps sind weniger an der Struktur als an der Art der Erzählung festgemacht und daran, ob man zum Beispiel bei einem Krimi den Fokus auf die Täterjagd (Whodunnit) oder die Motivforschung (Whydunnit) legt.

Letztlich ist es auch nicht so wichtig, denn eines ist gewiss:

[bctt tweet=“Die Zahl von Masterplots ist angesichts der Vielzahl von Geschichten, die erzählt werden, sehr überschaubar.“ username=““]

Also alles alter Wein in neuen Schläuchen? Ja und nein. Denn es erlaubt uns, das Augenmerk auf die Details zu legen.

Der Masterplot ist der Grundriss der Geschichte, doch alles andere hat der Gestalter in der Hand. Bekanntes stört nicht. Weder beim Schreiben noch beim Lesen. Und weil der Leser in der Regel auch nicht weiß, welchen der Masterplots der Autor seiner Geschichte zugrunde legt, bleibt es auch noch spannend. Jede Geschichte ist, wenn sie nicht komplett abgeschrieben ist, auf ihre Weise einzigartig. Von daher sind all diese Theorien zu den Grundformen einer Geschichte sicherlich ein hilfreiches Instrument für Autoren, sich mit dem Verbesserungspotential ihrer Geschichten auseinanderzusetzen. Mehr aber auch nicht.

Auch hier gilt:

[bctt tweet=“Oberste Schreibregel: Lesefreude vor Regeltreue“ username=““]

 

Was bringen die Grundformen einer Geschichte dem Autor?

Wer gefährdet ist, seine Geschichten zu überfrachten, hat mit den Grundformen ein gutes Gerüst an der Hand, das Fragen erlaubt, ob der neueste tolle Einfall nicht besser in einem eigenen Buch verarbeitet werden sollte.  Überlegt, zu welcher Grundform eure Geschichte am ehesten gehört und fragt danach konsequent, ob alles, was nicht diesem Grundgerüst dient, in die Geschichte hineingehört.

Es ist am Ende ein Gerüst, keine detaillierte Handlungsanweisung. Menschen haben alle ziemlich identische Knochen. Trotzdem sehen sie verschieden aus. Natürlich ist ein gewisser Innovativ-Teil unverzichtbar. Fragt euch also auch: Was ist an meiner Geschichte anders als an anderen? Und das sollte nicht nur die Augenfarbe des Prinzen sein. 🙂

Einsatz in allen Abschnitten 

Natürlich sind diese Grundformen nicht nur für den Hauptplot geeignet. Sie funktionieren wunderbar, um den Aufbau einer Nebenhandlung oder einer großen Szene zu überprüfen (darum mag ich auch Poltis „dramatische Situationen“ vom Begriff her so gern. Er trifft, dass es auch nur eine Szene sein kann, die man so aufbaut). Letztlich ist jedes Kapitel oder allgemeiner jeder Buchabschnitt dramaturgisch ansprechend aufzubauen. Hierzu haben wir uns auch schon einmal in einem eigenen Artikel Gedanken gemacht (weiterlesen).

Bitte beachtet, dass die vorgestellten Systeme sehr unterschiedlich an eine Geschichte anknüpfen. Während Polti tatsächlich die Dramaturgie einer Situation untersucht, und daraus ableitet, wie Spannung entsteht und wieder aufgelöst werden kann, interessieren andere Wissenschaftler nur die groben Konzepte. Eine Grundform ist also das unter einem Plot, der sie ausschmückt, liegende Element der Geschichte. Der Plot selbst – so betont auch Tobias in seinem Buch – ist ein Prozess, der auf mehreren Ebenen der Geschichte wirkt.

Grundformen als Diagnose-Tool

Wer sich sklavisch an solche Ratgeber hält, wird kein kreatives Werk zaubern. Als Studienaufgabe mag es hilfreich sein, aber nicht für die Veröffentlichung. Wo diese Theorien zur Grundform jedoch unschätzbare Dienste leisten, ist wenn man sich selbst fragt, warum die Geschichte nicht zieht. Wenn man das Gefühl hat, dass etwas fehlt, dass es langweilig ist, obwohl viel passiert … Dann sind solche Raster tolle Arbeitshilfen, um Fehler zu entdecken.

 

Die Theorien zu den Grundformen einer Geschichte im Einzelnen

Die Heldenreise

Der Plot am Schicksal seines Helden in 17 Schritten zum Finale. Diese von ihrem Erfinder J. Campbell als „Monomythos“ bezeichnete Grundform wird meist „Heldenreise“ genannt, und ist auch in der Disney oder Pixar zugeschriebenen Light-Version mit 12 Abschnitten im Netz zu finden.

Mit der Heldenreise setzen wir uns in der Schreibstube in einem eigenen Artikel auseinander (weiterlesen). Für uns ist das aber weniger eine Frage der Art des Plots, als vielmehr seiner linearen Betrachtung in mehreren Stufen. Doch die helfen, die einmal gewählte Grundform erzählerisch zu strukturieren.

Die 5 dramaturgischen Grundformen:

Mit diesen Grundformen einer Geschichte kommen wir tatsächlich an unterschiedliche Erzählstrukturen, die sich auch anhand des Spannungsbogens in ihren Unterschieden darstellen lassen.

  1. Cinderella
    auch „Rags to Riches“ – steigend positive Entwicklung.
  2. Tragödie
    auch „Riches to Rags“ – es fängt gut an und endet schlimm.
  3. Prüfung
    auch „Man in a Hole“ – Der Held stürzt, aber er kann sich retten.
  4. Icarus 
    Der Held steigt auf und fällt
  5. Phoenix
    Der Held muss um das gerade gewonnene Glück kämpfen und hat Erfolg dabei.
 

14 Grundformen zwischen Figur und Handlung

Etwas feiner strukturiert dieses System Norman Friedman in seinem zumindest unter englischsprachigen Autoren oft zitierten Werk „Forms of Plot“. Er unterscheidet zwischen 14 Formen, da er diese dramaturgischen Grundformen noch in eine naheliegende Wechselbeziehung zum Protagonisten setzt. Es ist ja ein Unterschied, ob ein schwacher Charakter scheitert und damit seine gerechte Strafe erhält, oder ob es ein starker Typ, der an der Ungerechtigkeit der Welt zerbricht.

Dabei unterscheidet er noch nach dem Fokus, unter dem die Geschichte erzählt wird, zwischen Schicksalserzählung, Charakterstudie oder Moralbetrachtung:

  • Schicksale

    • Action – Held kämpft sich durch Auf und Ab, was zählt ist die nächste Aufgabe, die nächste Szene …
    • Pathos  – Schwacher Charakter scheitert
    • Tragödie  – Held hat Pech
    • Gerechtigkeit – Bösewicht erhält seine Strafe
    • Mitgefühl – Schwacher Charakter wächst
    • Heldengeburt – Einfache Figur setzt sich durch
  • Charakterstudien

    • Entwicklung – Der Held verändert sich und reift
    • Rückkehr – Der gestürzte Held kämpft sich in seine Position zurück
    • Prüfung – Der Held wird äußersten Bewährungsproben unterzogen
    • Verfall – Der Held stürzt ab
  • Moralbetrachtung

    • Erziehung –  Der Held erhält eine wichtige Lehre
    • Enthüllung – Der Held reift an einer enthüllten Wahrheit
    • Dilemma – Der Held ist gefangen zwischen Kopf und Herz/Verstand und Gefühl
    • Desillusionierung – Der Held verliert den Glauben an sich u./o. seine Ideale

.

Bildergebnis für tobias masterplots

Die 20 Masterplots nach Ronald B. Tobias 

Die Masterplots von Tobias erfreuen sich derzeit großer Beliebtheit bei den Schreibcoaches.

Speziell das Buch, das viel mehr als nur die Plots bietet, ist wirklich interessant und inspirierend zu lesen. Denn man bekommt ein gutes Gefühl dafür, wie die Grundstruktur einer/jeder Geschichte ist, wo man ausscheren kann, und wo man es warum besser lassen sollte. Wir haben diese Grundformen, die sich an der Handlung und ihrem Fokus entlang hangeln, und sich in Grundformen mit Varianten unterteilen lassen, einen eigenen Beitrag gewidmet (weiterlesen).

.
.

36 Grundformen nach der vorherrschenden Situation, die eine Geschichte erzählt

Wenn man nach Grundformen von Geschichten forscht, landet man über kurz oder lang auch bei den dramatischen Situationen, von denen es, nach George Polti einem amerikanisch/französischen Schriftsteller (geb.1867), „nur“ 36 geben soll.  Sie findet man auch unter der Bezeichnung Masterplots, die jedoch mehrheitlich die Liste von Tobias meint. Polti stellt dabei auf die Beziehung der Figuren zueinander ab und untersucht, wer warum wie die Handlung antreibt.

Auch diese sehr spannende Herangehensweise haben wir euch in einem eigenen Artikel zusammengefasst (weiterlesen).

 

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert