20 Masterplots

Skoutz-Schreibstube: Die Masterplots nach R. Tobias

Die „20 Master Plots“ von Ronald. B. Tobias (1993) zählen zu den heute mit am meisten zitierten Systemen, mit denen die Grundformen einer Geschichte beschrieben werden sollen. Es ist sehr interessant, wie unterschiedliche Bücher im Prinzip demselben Masterplot folgen. Das Buch selbst ist in jedem Fall für angehende Autoren und alle, die sich mit der Anatomie einer Geschichte befassen wollen, eine absolut empfehlenswerte Lektüre.

Anders als andere Literaturtheoretiker, die sich mit der Grundstruktur von Erzählungen befasst haben, stellt Tobias bei seiner Einteilung im Wesentlichen auf den Handlungsverlauf ab, wenngleich er das leider nicht immer konsequent durchhält.

Ob es wirklich 20 Masterplots sind, kann man daher kritisch hinterfragen. Uns ist schon beim Versuch, die Unterschiede herauszuarbeiten, aufgefallen, dass manchmal die Überschneidungen deutlich prominenter sind. Aber eigentlich ist das auch egal, denn informativ, unterhaltsam und lehrreich sollte, die folgende Aufstellung in jedem Fall sein.

Ronald Tobias 20 Masterplots 

1. Die Suche

Sind wir nicht alle Suchende? Einen Partner fürs Leben, unseren Platz in der Welt, den Mörder, einen Schatz, unsere Ruhe?

Das Motiv ist so alt wie die Menschheit und wird seit tausenden von Jahren immer wieder erzählt. Anders als beim Abenteuer steht hier die innere Handlung im Vordergrund, also die Frage, was diese Suche mit dem Menschen macht, weniger was auf der Suche passiert. Ein echter Masterplot, der seit Jahrtausenden seine Leser fesselt.

Beispiele:  Don Quijote, Gilgamesch, Indiana Jones.
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2. Das Abenteuer

Ist eine Suche nicht irgendwie auch ein Abenteuer?

Sonst wäre das entsprechende Buch auch langweilig. Klar. Insofern ist der Titel vielleicht etwas unglücklich. Friedman spricht in seiner Liste von „Action“ und das ist besser, weil deutlich wird, um was es eigentlich geht. Um die Handlung und deren Ort, um das, was da draußen geschieht und wie es geschieht. Die psychologische Komponente steht nicht im Vordergrund.

Beispiele:  Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, 20.000 Meilen unter dem Meer, Robinson Crusoe, Per Anhalter durch die Galaxis, Der Wind in den Weiden
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Wenn man Abenteuer und Suche vergleicht, dann ist es wahrscheinlicher, dass ein Abenteuer von Hollywood verfilmt wird und eine Suche in Deutschland. 🙂 Im Prinzip sind diese Masterplots sich aber ziemlich ähnlich.
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3. Die Verfolgung

Unsere ersten Spiele haben etwas mit Aufstöbern, Entdecken und Fangen zu tun. Diese Leidenschaft lässt uns ein Leben lang nicht mehr los und darum sind dramatische Verfolgungsjagden fester Bestandteil vieler Geschichten. Sie sind oft irgendwie auch ein Abenteuer und sicherlich zumeist ein Action-Plot.

Dabei ist es völlig egal, ob man auf Seiten des Jägers oder des Gejagten steht. Spannend ist es allemal. Bedarf es dafür aber einer eigenen Grundform? Gibt es die reine Verfolgungsgeschichte? Sagen wir es so: Die Verfolgung ist öfter Beilage als Hauptgericht. Aber es gibt sie, speziell im Horror-Fach sogar nicht mal so selten.

Beispiele: Moby Dick,  Jagd auf Roter Oktober, 10 kleine Negerlein.
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4. Die Rettung

Auch die Rettung ist nach Tobias ein Action-Plot, bei dem es anders als bei der Verfolgung nicht so sehr um den Verlauf des Rennens geht, sondern mehr um das Aufbrechen der Beziehung zwischen den Konkurrenten. Der Protagonist will zurückbekommen, was er verloren hat: Seine Freiheit, sein Vermögen, seine Liebe … Hier wird also der Focus aus dem äußeren Verlauf auf eine zusätzliche innere Komponente gelenkt.

Beispiele: Rapunzel, Der Sandmann, Die Braut des Prinzen.
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5. Die Flucht

Auch der Flucht-Plot ist ein Action-Plot: Die Geschichte konzentriert sich auf die Mechanismen von Gefangennahme und Flucht. Sie ist fester Bestandteil vieler Horror-Szenarien und auch in Märchen sehr beliebt.

Sicherlich ein Masterplot, der mit Rennen und Rettung eng verwoben und häufig nur schwer zu differenzieren sein dürfte.

Beispiele: Hänsel und Gretel, Die Schöne und das Biest, Der Vorfall an der Owl Creek Brücke.
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6. Die Rache

Was würde nur aus Horror und Thriller, wenn es die Rächer nicht gäbe? Aber auch in anderen Genres finden sich reichlich Geschichten mit dieser Grundform. Rache ist ein Thema, das uns fast so sehr interessiert, wie Liebe.

Rache kann Ausdruck von (ausgleichender Gerechtigkeit) ebenso wie von fürchterlichem Unrecht sein. Sie ist zutiefst emotional besetzt und fesselt allein durch die schwierig zu fassende moralische Komponente, die zumeist außerhalb der vom Gesetz vorgegebenen Grenzen behandelt wird. Damit hat sie sowohl Action- als auch psychologische und moralische Komponenten.

Beispiele: Hamlet, Der Graf von Monte Christo, Der Besuch der alten Dame, Frankenstein
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7. Das Rätsel

Rätselromane sind die Domäne der Krimis, doch natürlich gibt es auch in anderen Genres genug zum Rätseln, den ein anständiger Protagonist hat entweder selbst Geheimnisse, oder er trifft auf welche, die er mit seinem Leser lösen will.

Die Schwierigkeit bei dieser Grundform einer Geschichte besteht tatsächlich für den Autor darin, seine Hinweise wohldosiert zu geben. Zu leichte Aufgaben sind dem literarischem Ruhm ebenso schädlich wie zu schwierige.

Beispiele: Das Fräulein von Scuderi, Mord im Orient Express, der Chtullhu-Zyklus, Das Schloss von Otranto
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8. Die Rivalität

Was passiert, wenn zwei Naturgewalten aufeinander treffen? Kaum eine Frage bietet eine bessere Grundlage für eine spannende Geschichte. Mindestens genauso spannend ist die Frage, wer das Rennen macht, wenn zwei dasselbe wollen.

Schon Luzifer hat Gott herausgefordert. Dabei ist es nicht erforderlich, dass zwei Rivalen identisch ausgerüstet sind. So die berühmte Frage, ob sich Verstand gegen Kraft durchsetzt, wie wir es aus der Geschichte von Hase und Igel kennen. Wobei an dieser Stelle die Grenzen zum Masterplot „Underdog“ schnell verwischen.

Beispiele: Hase und Igel, Kain und Abel aus der Bibel, Der Alte Mann und das Meer, Game of Thrones, Herr der Fliegen, Ben Hur.

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9. Der Underdog

Und wieder eine Variante der vorangegangenen. Während bei den Rivalen die Gegner einander auf Augenhöhe begegnen ist es beim Underdog so, dass sich der Kleine versucht gegen den Großen zu behaupten.

Beispiele: Aesops Fabel von der Maus und dem Löwen zum Beispiel, oder Davids Kampf gegen Goliath, der sprichwörtlich geworden ist. Natürlich lebt auch Harry Potter davon, dass wir ihm gegen Voldemort alle Daumen drücken. Das muss nicht immer gut ausgehen, wie man bei Kafkas Erzählungen wie „Das Schloss“ sieht.

 

10. Die Versuchung

Wir alle haben den Kampf gegen den inneren Schweinehund schon verloren und wir alle waren schon zu schwach für unsere Vorsätze.

Natürlich leidet man also mit Figuren, die in Versuchung geführt werden und gegen die Verlockungen kämpfen. Natürlich will man wissen, ob sie es irgendwie wieder hinbiegen, wenn sie versagt haben, oder ob sie belohnt werden, wenn sie standhaft bleiben.

Beispiele: Eva, die der Schlange erliegt, Frau Lot, die sich umdreht und zur Salzsäule erstarrt, Die Heinzelmännchen, Goethes Faust – doch viele Geschichten nutzen Versuchungen auch, um die Handlung innerhalb eines anderen Plots voranzutreiben, z.B. bei Fehltritten in Liebesgeschichten, wo es nach der Krise (Fehltritt) darum geht, Verzeihung zu erlangen.

 

11. Die Metamorphose

Der Metamorphose-Plot ist märchenhaft (oft: Science Fiction oder Fantasy), doch die Geschichten handeln immer von uns Menschen: Sie enthüllen eine Wahrheit, die man sonst schwer erkennt.

Der Plot handelt von einer stofflichen Veränderung, die symbolhaft auch für die emotionale Entwicklung steht. Die bekannteste dürfte „Die Verwandlung“ von Franz Kafka sein, wo der Protagonist zu seinem eigenen Erstaunen und ohne Angabe von Gründen morgens als großer Käfer erwacht.

Beispiele: Die Schöne und das Biest, der Froschkönig, Pygmalion
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12. Die Verwandlung

Anders als bei der Metamorphose geht es bei der Verwandlung um die Weiterentwicklung/Veränderung eines Menschen. Es geht um Anpassung an konkrete (meist gesellschaftliche) Anforderungen. Es geht um „Damaskus-Erlebnisse“, nach denen der Held für immer verändert ist, wie hier sprichwörtlich der Sünder Saulus zum großen Kirchenvater Paulus wurde.

Beispiele: Dickens Weihnachtsgeschichte, Der Fänger im Roggen, Dr. Jeckyll und Mr. Hide, Robinson Crusoe, Parzifal.
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13. Die Reifung

Für meinen Geschmack zu kleinteilig wird hier noch eine dritte Metamorphosen-Variante eingeführt, die Fälle betrifft, wenn die sich verändernde Figur ein Jugendlicher ist, der an der Schwelle zum Erwachsenen steht und auf diesem Schritt begleitet wird. Die deutsche Literaturwissenschaft spricht hier von „Entwicklungsroman“.

Beispiele: Das hässliche Entchen, Die Verwirrungen des Zöglings Törless, Huckleberry Finn, König Drosselbart.

Ich denke, man könnte hier tatsächlich Metamorphose, Verwandlung und Reifung unter Entwicklung zusammenfassen.
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14. Die Liebe

Das ist DAS Thema der Menschheit. Von ungebrochener Faszination sind die Geschichten über die Liebe, wer mit wem, warum und warum nicht mehr …

Kein anderes Genre erreicht diese Auflagen und kein anderes Genre, das sich nicht der Plot-Elemente Liebe und ihre Hindernisse an irgendeiner Stelle bedient. Schaut ruhig, die Bücher, in denen Liebe gar keine Rolle spielt, sind herzlich selten. Das Grundthema des Liebes-Plots ist denkbar simpel, „Es wäre alles perfekt, wenn da nicht …“

Beispiele: Die Geschichte des Prinzen Genji (der älteste  Roman überhaupt). Orpheus und Eurydike, Sturmhöhe, Samson und Deliah aus der Bibel, Effie Briest, die kleine Meerjungfrau, Vom Winde verweht, Liebe in den Zeiten der Cholera …

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15. Die verbotene Liebe

Konsequent könnte man das die Liebe betreffende Verbot wunderbar unter das „aber“/“wenn da nicht …“ fassen. Man kann es natürlich auch als eigene Klasse fassen, wenn die Liebe nicht an Problemen geprüft wird, die sich das Paar selbst schafft, sondern an solchen, die von außen kommen.

Beispiele: Romeo und Julia, Die Leiden des jungen Werther, Der Glöckner von Notre Dame, Ödipus, Tod in Venedig

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16. Das Opfer

Das Opfer würde ich persönlich lieber mit Dilemma übersetzen. Denn es geht hier in den meisten Fällen nicht darum, dass man sich selbst oder etwas wertvolles für eine höhere Sache opfert (so wie Abraham seinen Sohn Isaak oder Spartacus sich selbst an den Thermophylen), sondern darum, dass man in eine „Entweder oder Situation“ gerät und daran zerbricht.

Wobei es besonders tragisch ist, wenn das Gute dann nicht für den Helden bereitsteht, sondern für einen anderen. Wenn man auf seinen Lebenstraum verzichtet, um für andere da zu sein …

Beispiele: Hagen im Nibelungenlied, Casablanca, die Falkennovelle, das Geschenk der Weisen

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17. Die Entdeckung

Menschen sind typischerweise neugierig. Darum lesen wir im Grunde ja auch. Und besonders spannend ist Neuland.

Das kann in einen Rätsel-Plot auf der Jagd nach Geheimnissen münden, aber auch in einen Abenteuer-Plot, weil man die Eroberung eines neuen Kontinents verfolgt. Es kann – und darum geht es weit häufiger – auch um eine innere Entdeckung gehen. Neue Seiten an sich, Erschütterungen, die unser bisheriges Verhalten in Frage stellen etc. Wer sind wir, was wollen wir sein? Oder eben die Figuren in der Geschichte. Letztlich fällt hier auch die Abgrenzung zur Verwandlung schwer, da diese die logische Konsequenz der Entdeckung ist.

Beispiele:  Oedipus, Hamlet, Tod eines Handlungsreisenden, Vom Winde verweht
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18. Die Grenzerfahrung

Man werfe eine Figur in eine Situation, die sie überfordert und sehe, was passiert. Um das geht es in diesem Plot, der seine Spannung daraus zieht, dass man sich automatisch fragt, was man selbst wohl machen würde. Das kann Zeitreise, ein Kulturschock, eine Naturkatastrophe, die Begegnung mit einem Vampir oder auch nur ein Unfall oder eine Krankheit sein.

Beispiele: MacBeth, Hiob in der Bibel, Dracula, ES, PS Ich liebe dich, Outlander-Reihe

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19. Der Aufstieg

Aus den Niederungen seiner Welt entwickelt sich der Protagonist zu einer besseren Person. Seine Erfahrungen aus seinem Leben im Bodensatz der Gesellschaft haben ihm Fähigkeiten verliehen, dank derer er nun Herausforderungen bestehen und zu einem guten Menschen werden kann.

Es geht um die Aussage, dass es lohnt, zu kämpfen und alles einen Sinn hat. Aladin könnte ohne sein Gassenwissen sich nicht durchsetzen. Und auch das tapfere Schneiderlein macht aus der Not erfolgreich eine Tugend. Aschenputtel wäre nicht so warmherzig, wenn sie nicht gelernt hätte, die einfachen Menschen zu verstehen.

Beispiele: Pygmalion, Heidi, Cinderella
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20. Der Abstieg

Hier versinkt der Held immer tiefer in moralischen und sozialen Abgründe der Gesellschaft. Ob dies jetzt aus eigener Schuld oder schlichtem Pech erfolgt, ist nach dieser Einteilung (anders als oben bei Friedman oben) einerlei. Diesen Masterplot fasst Tobias selbst mit dem Aufstieg zusammen und führt aus, dass sie sich nur in der Richtung, die der Protagonist einschlägt, unterscheiden.

Beispiele: Der Sandmann, Dr. Jeckyll und Mr. Hide, Das Bildnis des Dorian Grey, Othello
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Hier könnt ihr euch über die Master Plots noch eingehender informieren. 

Für alle die englische Texte nicht abschrecken, gibt es unter Writers Digest frei erhältlich Checklisten zu diesen Masterplots. Auf deutsch hält diese  Scribd* bereit.

Wir haben uns im Hauptartikel auch andere Theorien zu den Grundformen / Masterplots einer Geschichte angesehen (Weiterlesen).

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