Romance oder Erotik

Zwischen Stöhnen und Seufzen – Romance oder Erotik?

Während Romance (also das weite Feld des Liebesromans) das mit großem Abstand umsatzstärkste Genre der Belletristik ist, führt Erotik ein Schattendasein, das auch noch nach dem weltweiten Erfolg von 50 Shades of Grey nicht ganz ohne Schmuddel daherkommt. Darum auch das Bemühen vieler Erotikautoren, sich klar von Porno zu distanzieren. 

Umgekehrt höre ich in der Diskussion um konkrete Bücher sehr oft den empörten Ausruf: „Aber das ist doch keine Erotik!“ Wobei es zunehmen offen ist, ob die Empörung auf „kein“ oder „Erotik“ liegt, da zunehmend vor allem Leserinnen erotische Szenen in ihrer Lektüre durchaus zu schätzen wissen. Viele andere hingegen mögen das gar nicht. Da (leider, leider, leider) die Skoutz-Buchfieberkurve, bei der man auf einen Blick das Erotikpotenzial eines Buchs erkennen könnte, noch nicht Buch-Standard geworden ist, müssen wir uns dem Thema, ob ein Buch zu Romance oder Erotik gehört, also anders nähern: 

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Romance oder Erotik in Kürze

Die einfachste Unterscheidung ist Sex. Dürfen wir lesenderweise mit ins Schlafzimmer oder warten wir vor verschlossener Tür? Mit anderen Worten, wenn der handwerkliche Ausdruck der gegenseitigen Gefühle detailliert beschrieben wird, ist es Erotik. Man spricht da im Klappentext gerne von „expliziten Szenen“. 

Skoutz-Leserin Alexandra Wagner bringt das auf den Punkt: „Romance = Liebe; Erotik = Sex“

Allerdings ist Erotik ein Pflänzchen, das auch im Verborgenen blüht. Zunächst versteht man unter der nach dem griechischen Gott Eros benannten Stimmung nicht mehr als die sinnliche Anziehung zweier (oder mehrer) Menschen. Würde man das auf Geschlechtsverkehr reduzieren, würde man ihr nicht gerecht. Wer Marilyn Monroe schon mal Happy Birthday singen hörte oder weiß, was ein Fetisch ist, ahnt, dass man sich nicht einmal berühren muss, um erotisch zu sein. 

Sagen wir vielleicht: Erotik ist, was in deinem Kopf passiert. Oder eben in tiefer liegenden Regionen. Autorin Susanne Pavlovic stellte dabei in einer entsprechenden Diskussion sehr clever auf die Erwartungshaltung des Lesers ab – ist man mehr am Sex oder mehr am Gefühl interessiert? Oder mit anderen Worten: Ist es mehr das „Ob“ oder das „Wie“? 

Einen sehr lesenswerten Artikel* dazu, was Erotik allgemein hier und andernorts ist (und war!), liefert übrigens die Wikipedia.

 

Romance oder Erotik – ausführlich betrachtet

Die Frage, ob Romane oder Erotik vorliegt, lässt sich über die Definition von Erotik am besten greifen:
Erotik, also das sinnliche Miterleben des Beschriebenen ohne selbst berührt zu werden, kann auf verschiedene Weise erreicht werden. 

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Quantitative Aspekte

 Natürlich kommt es auch auf den Tenor der Geschichte an. Geht es um hemmungsloses Verlangen oder um große Gefühle? Wird eher gestöhnt oder geseufzt? 

Wenn die Helden alle paar Seiten übereinander herfallen und der Leser daran auch in allen Details teilnehmen darf, dann wird das die Geschichte sicherlich bei aller Liebe zur Erotik schieben. Wo man hier für sich persönlich die Grenze zwischen Liebes- und Erotikroman zieht, ist eine individuelle Entscheidung. Darum bietet die Skoutz-Buchfieberkurve auch einen Schieber mit mehreren Positionen zwischen erotisch und sittsam.

Eine praktikable Faustregel könnte sein, dass Erotik spätestens da beginnt, wo das Interesse eindeutig mehr auf der Gelenkigkeit und dem handwerklichen Geschick der Protagonisten liegt als auf deren Redegewandtheit und Gefühlswelt. Wenn also die Bettszenen besser ausgearbeitet sind als die Dialoge. 

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Qualitative Aspekte 

Viele, und in der Diskussion im Facebook-Skoutz-Nest vor allem Autorinnen wie Eyrisha Summers und Inka Loreen Minden grenzen Romance von Erotik, jedenfalls dann, wenn Erotikszenen enthalten sind, durch das Happy-End ab. Wenn am Schluss alle glücklich sind, ist es Romance. Was mich mit Romeo und Julia etwas ratlos zurücklässt, weil ich Romance als englischen Begriff für Liebesroman sehen würde und nicht als „Romanze“, die wiederum ein Subgenre des Liebesromans wäre. Es ist schwierig …

Sex Sells

Natürlich sind die Übergänge fließend und entsprechend komplex, zumal die Kategorisierung wird heute oft auch unter Marketingaspekten getroffen, wie Autor Chris H. Wege zurecht betont. 

Erotik als Marketing-Instrument verändert aber auch das Schreiben. Es führt dazu, dass heute vielen beim Lesen und Schreiben das Gespür für das Unterschwellige abhanden gekommen zu sein scheint. Die alte Schreibregel „Show, don’t tell“ hat auch innerhalb einer Beschreibung ihre Berechtigung, denn gutes Schreiben und genussvolles Lesen besteht darin, aus Andeutungen ein individuell passendes Bild zusammenzusetzen.

Das merkt man besonders schön im Spannungsfeld von Romance oder Erotik, wo handwerkliche Mängel in der Charakterbildung gerne mit körperlichen Vorzügen ausgeglichen werden. Ein bisserl wie beim Autokauf, wo die Schrottkarre mit Alufelgen, Sportreifen und hübschen Schonbezügen von ihren Motorisierungsdefiziten ablenkt. 

Sex sells stimmt natürlich auch dort, wo es von anderen Dingen ablenkt. Ein Trick, den man auch in anderen Genres bemerkt. Anders jedenfalls erschließt sich so mancher Erotik-Schwenk im Heist-Thriller sonst nicht. 

Aber es geht natürlich auch anders: 

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Explizite Erotik

Eine Möglichkeit ist sicherlich, minutiös und detailliert zu beschreiben, was die Figuren im Buch miteinander anstellen. Damit wird man beim Lesen förmlich in die Geschichte hineingezogen und zum Voyeur des Geschehens. 

Die Abgrenzung wer, wie mit wem zur Sache geht, hat unserer Auffassung hingegen wenig mit Erotik zu tun, auch das Umspielen eines Tabus kann erotisch sein. Bis an die Grenze der Gewaltverherrlichung, die niemals tolerabel ist (hierzu aber ein anderer Artikel).

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Begierde

Eine andere Möglichkeit ist das Aufbauen einer auch beim Lesen mitfühlbaren Spannung, die anders als beim Liebesroman nicht am Interesse in der Person des „Love Interests“ als Ganzem hängt, sondern ganz bewusst und gezielt eine sexuelle Komponente hat, wo es ums Befühlen und nicht um ein Gefühl geht. Wenn man den anderen begehrt, ihn besitzen will (auch wenn man sich dazu hingeben muss). Da kann Liebe eine Rolle spielen, muss es aber nicht. 

Literarisch sind das die Blickwechsel, eine Bewegung wie das Glattstreichen der Kleidung, zufällige Berührungen, Dialoge, bei denen man die Funken sprühen sieht.

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Metaphern und Chiffre

Oft ist Erotik, gerade in älteren Werken, auch unterschwellig vorhanden. Damit ist jetzt nicht der berühmt-berüchtigte, eher unfreiwillig komische Liebesstab gemeint, der sich seinen Weg in die Lustgrotte sucht. Aber es gibt sehr, sehr schöne Bilder, von dem berühmten Weinberg-Gleichnis in der Bibel bis hin zu Aneis Nins Delta der Venus.

Beim Lesen ist man sich dessen oft gar nicht bewusst, doch unterschwellig wirken diese Bilder meist doch und schaffen eine sinnliche, sinnenbetonte Atmosphäre. Auch wenn eigentlich gar nichts passiert, außer, dass – um ein plumpes Beispiel zu nennen – die Protagonistin langsam eine Banane schält und dann verzehrt. 

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Erotik als Darsteller

Man kennt es von Regio-Krimis Familien-Sagas oder Abenteuerromanen, in denen ein Ort, ein Berufsbild oder etwas vergleichbar Abstraktes so zentral die Handlung prägen, dass sie schon fast Protagonisten-Status erreichen. Das gibt es natürlich auch bei der Liebe. Wenn Sex eine die Handlung nicht nur prägende, sondern vorantreibende Komponente hat – die Sexsucht des Helden, ein Fluch, der nur mit (dem richtigen) Sex gebrochen werden kann, das Brechen einer sexuellen Abhängigkeit – dann ist es wohl Erotik. 

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Wir haben uns übrigens sehr intensiv mit Erotik in der Literatur auch im Rahmen unserer Classics befasst und eine sehr lesenswerte Liste von Erotikliteratur im Wandel der Zeiten zusammengestellt (weiterlesen).

 

Bonus-Wissen (Klugscheiß-Modus): Erotik oder Porno?

Die Frage stellt sich, wenn man nicht Erotik als vornehmes Wort für Porno verwenden will. Wahrscheinlich ist das nicht eine Frage der Intensität, sondern der Motivlage. Ein Porno will eine Szene haben, Erotik will sie umspielen. Vereinfacht kann man sagen: Der Unterschied zwischen Erotik und Porno ist wie der zwischen einer Montageanleitung und einem Fahrkurs. 

Beim pornografischen Roman ist die Handlung nach meiner Auffassung nur dazu da, zur nächsten möglichst fantasievollen und anregenden oder auch abartigen Sexszene zu lenken. Eine zu komplexe Handlung wird da oft als geradezu lästig empfunden, weil sie vom Primär-Genuss und dem eigentlichen Interesse des Lesers ablenkt. 

Ich gehe daher übrigens davon aus, dass „Porno“ nicht zwingend nur Sex betreffen muss. Speziell bei Filmen würde ich von Ballerpornos, Race-Pornos oder Prügel-Pornos sprechen. Also immer dann, wenn die Handlung nur das Gerüst bieten soll, um möglichst viele der gewünschten Szenen unterzubringen. Wenn der Plot der Szene untergeordnet wird.

Aber wie so oft kann man das auch anders sehen. 
Wie haltet ihr das? Wie unterscheidet ihr zwischen Liebe und Erotik? Wo beginnt für euch der Porno?

 

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