Banner Katharina Glück

Zu Besuch bei Katharina Glück

Heute hatten wir es nicht weit zu unserem Besuch, denn obwohl Katharina Glück gebürtige Münsteranerin ist, hat es sie inzwischen nach München verschlagen, wo auch das Skoutz-Nest ist.  Mit ihrem Debüt „Entgleist“ konnte sie mich schon begeistern und jetzt bin ich sehr gespannt, was das für ein Mensch ist, der dieses unter vielen Aspekten wirklich tolle Buch ersonnen hat.

Kommt mit, dann finden wir es heraus.

Zu Besuch bei Katharina Glück, die (fast) alles über Star Trek weiß

Liebe Katharina, vielen Dank, dass du dir Zeit für den Skoutz-Kauz und mich genommen hast. Wir freuen uns schon sehr auf dieses Gespräch. Lass uns gleich anfangen:

 

Wie würdest du dich in einem Wort beschreiben?

Neugierig.

Das ist für einen Autor eine sehr gute Eigenschaft. Kommen wir gleich zum Schrieben.

 

Beruf oder Berufung – was macht dir an deinem Job als Autor am meisten Spaß?

Leider ist das Schreiben nicht mein Beruf. Obwohl, vielleicht ist das auch ein Segen.

Ja?

Ich verdiene mein Geld als freie Lektorin und Texterin. Insofern kann man vielleicht sagen, dass Sprache und Literatur sowohl Beruf als auch Berufung sind.

Das wollte ich auch gerade einwerfen. Dass da die Übergänge schon sehr fließend sind. Und auch Gebrauchstexte haben ihre ganz eigene Schönheit. Mehr noch vielleicht, weil sie zweckgebundener und daher viel schwerer aufzupolieren sind. Quasi Bauhaus in Worten. Sprache hat viele schöne Aspekte.

Ja, es gibt kaum etwas Schöneres als einen wohlformulierten Satz, eine gut ausgearbeitete Figur, eine überraschende Wendung, ehrliche Menschlichkeit in der Literatur. Ich lese viel und gerne und über (beinahe) alle Genres hinweg. Dass ich die Arbeit mit Sprache und Literatur zu meinem Beruf machen konnte, ist ein großes Privileg, das ich sehr zu schätzen weiß.

Wir auch, als Leser profitieren wir ja auch davon. 🙂

 

Wann hast du dein erstes Buch veröffentlicht?

„Entgleist“ ist mein Romandebüt.

Ich weiß, aber das ist in diesem Jahr unsere Standardfrage. Wie lange hast du denn dafür gebraucht?

Von der ersten Idee bis zur Veröffentlichung sind sicher zehn Jahre ins Land gegangen.

Hui! Das ist lang. Ich habe gestern erst mit der Kollegin Laura Winter gesprochen, die hat sich fast entschuldigt, dass sie  gleich ein paar Wochen gebraucht hat. Aber das ist gewiss nicht die Netto-Schreibzeit, oder?

Über lange Strecken habe ich gar nicht daran gearbeitet. Ich habe zwischendurch andere Romanprojekte verfolgt, habe Kurzgeschichten geschrieben, habe auch lange gar nicht geschrieben.

Und wie kam es dann doch noch zum Buch?

Ernsthaft wieder angefangen mit diesem Manuskript habe ich vielleicht im Jahr 2016. Im Sommer 2017 war die erste Fassung dann im Kasten, 2018 habe ich den Vertrag mit dem acabus Verlag unterschrieben, und dann hat es noch mal ein Jahr gedauert, bis das Buch veröffentlicht wurde. Es ist ein langer Weg, der einem viel Geduld abverlangt. Aber natürlich lohnt es sich.

Das finde ich auch!

Vor dem Roman habe ich eine Kurzgeschichtensammlung eigenständig auf Amazon veröffentlicht. Darin sind Geschichten aus vielleicht vier oder fünf Jahren.

Die sind bestimmt auch interessant. Werde ich mir anschauen. Jetzt haben wir ja schon eine ganze Menge über deine Schreiberei im Allgemeinen erfahren, lass uns auch über die Details reden.

 

Wie läuft ein typischer Tag als Autor bei dir ab? Immer gleiche Routine oder musst du immer wieder improvisieren?

Da ich mein Geld nicht mit dem Schreiben verdiene, muss ich mir die Schreibstunden immer aus dem Alltag abzweigen. Leider gelingt das nicht so oft.

Woran liegt es?

Ich sollte konsequenter sein, wenn ich ehrlich bin. Ansonsten bin ich ein Routinemensch. Allerdings musste ich mich dazu erziehen.

Wie machst du das?

Als Freiberuflerin strukturiere ich meinen Alltag selbstständig. Anfangs war das schwierig und resultierte in einer ellenlangen Youtube-Historie. Mich an Routinen zu halten, hilft mir dabei, meine Zeit sinnvoll zu nutzen. Und nur mit Routine bringe ich meine Schreibzeiten vernünftig unter. Klingt unspannend, ist es vielleicht auch, but it gets the job done.

He! Der Zweck heiligt die Mittel und ich stelle fest, erstaunlich viele Autorenkollegen machen es ganz genauso. Das Kreativ-Chaos wird scheinbar gnadenlos überbewertet.

 

Was hat sich für dich als Autor durch die verschiedensten Corona-Maßnahmen geändert?

Im März hatte ich wegen Corona einige Auftragsausfälle und hätte eigentlich viel Zeit gehabt, mich an die Überarbeitung meines zweiten Romans zu setzen.

Eigentlich?

Ja! Das hat leider nur sehr bedingt funktioniert.

Woran lag es?

Mein Gehirn war nicht wirklich in der Lage, bei all der Verwirrung genug Konzentration aufzubringen, um effektiv schreiben zu können. Inzwischen ist das sehr viel besser geworden, allerdings habe ich auch wieder massenhaft Aufträge.

Dann haben wir die Chance für den zweiten Roman erst mal verpasst. Wobei mich natürlich freut zu hören, dass deine Auftragslage wieder gut ist. Hast du schon eine Deadline für das nächste Buch?

Ich halte nichts davon, den Menschen jetzt einzureden, dies wäre ihre Chance, endlich das Buch zu schreiben, das sie schon immer schreiben wollten. Niemand braucht in diesen Zeiten noch mehr Druck.

Das ist sicher wahr, auch wenn viele es gar nicht bös meinen und gar nicht merken, dass sie damit Druck aufbauen. Wie hältst du es beim Schreiben? Selbst du dich selbst unter Druck?

 

Kreativ oder doch eher regeltreu? Wie flexibel bist du beim Schreiben?

Ich finde nicht, dass die beiden Wege sich ausschließen. Im Gegenteil. Die Regeln geben mir den Rahmen, innerhalb dessen ich kreativ sein kann. Sonst könnte ich meine Geschichten auch tanzen oder aus Holz schnitzen.

Eine ulkige Vorstellung. Aber ich weiß, was du meinst. Mit Sam Feuerbach haben wir festgestellt, dass Handwerk und die damit verbundenen Regeln so eine Art Skelett sind, die wir dann höchst kreativ mit Fleisch und Fell bespannen. Quasi dieselbe Idee nur umgekehrt. Was machst du dann beim Ausfüllen deines Regelrahmens?

Abgesehen davon schreibe ich, was mich interessiert, und das ein einer Form, die mich interessiert. Da ich nicht Genre schreibe, habe ich vielleicht ein wenig mehr Freiheiten, aber auch wenn ich Genre lese oder lektoriere, interessieren mich die Geschichten mehr, die sich nicht hart an die Regeln halten, sondern sie bewusst biegen. Aber um das zu tun, muss man sie zumindest kennen.

Interessant. Ich würde als Genre-Autor nun nicht sagen, dass es da Regeln gäbe. Lesererwartungen sicherlich, aber das gibt es ja überall. So, wie ich denke, jede Geschichte bedient auch ein oder auch mehrere Genre. Aber das sind Themen, über die wir vermutlich auch eine Dissertation schreiben könnten. Oder mehrere. Wie fassen wir das jetzt zusammen?

Ohne bestimmte Charakteristika verfehlt man vielleicht sein Genre, und es braucht eine bestimmte Struktur, damit etwas Geschriebenes tatsächlich eine Geschichte wird.

Das würde ich so unterschreiben! Regeln sind dazu da, dass man nachdenkt, bevor man sie bricht. Du hast aber gerade erwähnt, was du gerne liest.

 

Welches war dein erstes selbstgelesenes Buch? Und hast du es heute noch?

Ich habe früh viel gelesen, insofern kann ich mich nicht mehr erinnern, welches das erste Buch war.

Komm, krame in deiner Erinnerung. Das gibt immer so herrlich schöne Nostalgiemomente.

Da gab es „Der Plantagenpanther“, ein Buch, das mich sehr beeindruckt hat als Kind. Ich habe es noch, aber leider liest es sich als Erwachsene nicht mehr so gut. Ganz im Gegensatz zu „Die Insel der blauen Delfine“, bis heute ein Knaller.

Ich kenne den Plantagenpanther leider nicht, aber bei der Insel der blauen Delfine stimme dir uneingeschränkt zu. Komm, aller guten Dinge sind drei – eins haben wir noch?

Mein liebstes Kinderbuch und vielleicht das beste Buch der gesamten deutschen Literatur, wenn ich das so sagen darf, ist „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende.

Oh ja! Ich habe diese klassische Ausgabe mit dem grauen Schutzumschlag und so oft gelesen, dass ich es mit Tesafilm, Nadel und Faden und Pritt repariert habe. Ich habe sie immer noch. Aber ich traue mich nicht mehr, sie zu lesen. Als Buchrestaurator lasse ich zu wünschen übrig. Hast du dein Exemplar noch?

Ich habe eine Ausgabe aus meinem Geburtsjahr, und kein Kind kommt an mir vorbei, ohne ein Exemplar geschenkt zu bekommen.

Das ist sehr, sehr löblich! Aber wo wir gerade schon über Helden aus dem Bücherregal reden, Atréju und Fuchur außen vor …

 

Stell dir vor, du könntest eine beliebige Figur aus einem Buch zum Essen treffen. Was würde passieren?

Ich würde gerne den Jungen aus Cormack McCarthys „The Road“ treffen, hauptsächlich um zu wissen, wie es ihm seit dem Ende des Buches ergangen ist. Selten hat das Schicksal eines Menschen mich so mitgenommen wie in diesem Buch.

Es ist sehr lange her, dass ich das gelesen habe. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass es die so ziemlich trostloseste Dystopie war, die ich je in Händen hatte. Und dass mich das echt getroffen hat, gerade, weil es so verdammt gut geschrieben war. 

Ich erinnere mich, dass ich es im Zug zu Ende gelesen habe und Rotz und Wasser geheult habe. Was einige Mitreisende ziemlich irritiert hat.

Und was würdest du mit dem Jungen dann machen?

Ich würde einfach gerne wissen, dass es ihm gut geht. Und ihm eine ordentliche Mahlzeit spendieren.

 

Auf welche Frage hattest du in letzter Zeit keine Antwort und hast du sie finden können?

Ich habe andauernd Fragen, auf die ich keine Antworten habe.

Dann stell ich dir eine einfach: Welche?

Warum blüht mein Apfelbaum nicht? Würden wir wegen der Zeitdilatation überhaupt jemals sehen, wie etwas in ein schwarzes Loch fällt? Wieso sind auch nach dem Waschen so viele Katzenhaare auf den Klamotten? Warum träume ich nachts so einen Unsinn? Beim Apfelbaum habe ich übrigens eine Vermutung.

Immerhin!

 

Wie oft schaust du täglich auf dein Handy?

Oft. Zu oft. Vor allem, weil das, was ich dort angucke, meistens so langweilig ist.

Dann lass uns zu etwas Spannenderem kommen …

 

Was darf in deinem Kühlschrank niemals fehlen?

Frisches Gemüse. Ich liebe es, nach einem langen Tag am Schreibtisch etwas zu kochen. Das ist mein Ausgleich zur ganzen Kopfarbeit.

Das klingt gut! Mein Mann hält das genauso. Ich beschränke mich dabei dann auf das Essen. Aber das kann ich sehr gut! 🙂 Und ich bin ihm dankbar, dass er mich so verwöhnt.

 

Für welche drei Dinge in deinem Leben bist du am dankbarsten?

Auf die Gefahr hin, nach einem Klischee zu klingen: Ich bin dankbar für meinen Mann. Ich hatte das Glück, meinen besten Freund heiraten zu dürfen. Und auch nach zehn Jahren Ehe lacht er noch über meine flachen Witze.

Das ist doch wundervoll!

Momentan bin ich sehr dankbar dafür, zu dieser Zeit und an diesem Ort leben zu dürfen. Die Pandemie macht mir all die Privilegien sehr bewusst, die ich ohne besonderes Zutun genieße.

Das empfinde ich genauso. Ich bin inzwischen überzeugt, dass nichts unserem Planeten mehr helfen würde, als Menschen mit etwas mehr Demut.

Eins haben wir noch?

Und drittens: Tee! Gott, ich liebe Tee!

Schwarz, rot, grün oder Kräuter? Ich bringe dir gern zum nächsten Treffen welchen mit.

 

Bei welchem historischen Ereignis wärst du gern dabei gewesen und warum?

Nach Einstein wissen wir ja, dass wir nicht in die Vergangenheit, wohl aber in die Zukunft reisen können. Und tatsächlich interessiert mich das viel mehr. Ich würde gerne 300 oder 400 Jahre in die Zukunft reisen und sehen, wie sich die Gesellschaften verändern, ob wir das mit dem Klimawandel noch hinkriegen, welche neuen Staatsformen es geben wird, welche Technologien sich entwickeln werden. Ob wir endlich auf außerirdisches Leben stoßen. Und was der Mensch im Allgemeinen aus sich machen wird. Oder ob wir Opfer der Evolution und von einer anderen Spezies abgelöst werden.

Hm. Ich weiß gar nicht, ob ich das so genau wissen will. Das könnte furchtbar deprimierend werden. Aber wenn wir hier schon so schön plaudern …

 

Über welches Thema könntest du eine 30-minütige Präsentation halten, ohne jede Vorbereitung?

Star Trek. Kein Witz, habe ich sogar schon gemacht, nämlich im Zuge meiner mündlichen Magisterprüfung. Da ging es um die Borg als ultimatives Feindbild. Mystizismus, Vampirismus, die Angst vor der Technisierung des Menschen, exotische Viren, der Verlust der Individualität … aber ich schweife schon wieder ab.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich gerade vom Abschweifen abgehalten hätte. So was in einer Magisterprüfung nehmen zu dürfen ist schon megacool. Ich bin ja als dummer Anwalt von so spannenden Themen weitgehend abgeschnitten. Die Kollegen Zach & Bauer hätten sich erboten, über Star Wars zu referieren, das könnte auch als Challenge ganz kurzweilig werden …

Dann wäre also dein Thema für unsere Präsentation …?

Star Trek, großartig!

 

Was würdest du rückwirkend ändern, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?

Ich habe sehr viel Zeit meines Lebens damit verschwendet, mich unzureichend zu finden und deswegen nicht die Dinge zu tun, die ich gerne getan hätte. Ich hätte gerne früher das nötige Handwerkszeug gehabt, um meinem inneren Kritiker etwas entgegenzusetzen. Es hätte vieles einfacher gemacht.

Ich finde es immer tröstlich, wenn hier etwas genannt wird, was man gern „früher“ gemacht hätte. Weil dann hat man nur Zeit vertrödelt, aber nicht versagt. Ich freue mich, dass du diese Hürden doch noch überwunden hast.

 

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Im Moment wünsche ich mir vor allem, dass die Verschwörungstheoretiker und Aluhutträger und Rassisten und Homophoben und alle anderen Hater zur Vernunft kommen und wir uns auf die wichtigen Dinge konzentrieren können, die uns alle als Gesellschaft und Menschheit weiterbringen.

Amen! Da sprichst du mir schon wieder aus der Seele!

Liebe Katharina, es war großartig, sich mit dir zu unterhalten. Und ich hoffe sehr, dass wir das bald mal wieder wiederholen können. Vielleicht bei der Übergabe des Skoutz-Awards. „Entgleist“ würde ich den Erfolg wirklich gönnen!

Dankeschön!

 

Hier könnt ihr Katharina Glück erreichen?

 

Skoutz-Lesetipp:

Der ewige Anfang – Poetisch schöne Kurzgeschichten von Katharina Glück

Wohin geht man, wenn die Heimat im Sand versinkt?
Wie reagiert man, wenn der Hund des Ex-Freundes plötzlich vor der Tür steht?
Wer übernimmt Verantwortung, wenn ein Unfall ein ganzes Dorf niederbrennt?

Zehn Geschichten über Menschen in absurd alltäglichen Situationen, die gezwungen sind, ihr Leben neu zu sortieren. In der Spannung zwischen Identität und Erwartung, Wunsch und Wirklichkeit, Reden und Schweigen zeigen sich die größten Schwächen ebenso wie die heimlichen Stärken.

Skoutz meint: Komprimierte Szenen mit spannenden Figuren, bei denen man sich unweigerlich fragt, was man selbst wohl machen würde. Feinsinnig, subtil, melancholisch, düster, mitreißend. Ein Buch wie eine edle Pralinenpackung. Viele Aromen und doch Genuss pur.

Falls ihr neugierig geworden seid, könnt ihr Details zum Buch über unseren Affiliate-Link bei Amazon* anschauen und das Buch auch kaufen.

 

Hinweis:

In ihrem Debütroman “Entgleist“, der im August 2019 vom Acabus Verlag veröffentlicht wurde, erzählt uns Katharina Glück auf ihre ganz eigene, humorvolle Art eine erschütternde Geschichte. Auf 258 Seiten lernen wir einen Mann kennen, der mit seinem Leben abgeschlossen hat. Allerdings werden seine Selbstmordpläne jäh durchkreuzt, was sein Leben auf neue Bahnen bringt.

Das humorvolle Drama  hat unserer Contemporary-Expertin Kay Noa so gut gefallen, dass sie “Entgleist” aus über 200 Titeln der Contemporary-Longlist  direkt auf die Midlist gewählt hat. Damit ist Katharina Glück eine der Anwärterinnen auf den Skoutz-Award 2020 in der Kategorie Contemporary.

Wir haben das Buch natürlich gelesen und auch schon ausführlich vorgestellt (weiterlesen).

 

 

.

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert