Zu Besuch bei Lee Murray
Heute bin ich mit dem Skoutz-Kauz für ein Interview mit der Autorin verabredet, die am Weitesten von uns entfernt lebt. In Neuseeland am wirklich anderen Ende der Welt.
Lee Murray ist mit Beutezeit, einem tierisch fiesen Horror-Roman auf Midlist Horror unseres Dungeon-Masters André Wegmann vertreten und wir freuen uns sehr, dass das Interview geklappt hat. Speziell, weil sie nun auch den nächsten Schritt, nämlich auf die Shortlist 2021 geschafft hat.
Mal sehen, was sie mir und dem Skoutz so erzählen mag.
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Kay zu Besuch bei Lee Murray, die vor Wölfen nicht davonläuft
Liebe Lee, ich bin immer noch total geflasht, dass wir das trotz Zeitverschiebung und Pandemie und vollen Terminplänen hinbekommen haben.
Ich freue mich wirklich wahnsinnig, dass wir uns hier über dich und deine wahnsinnig spannenden Geschichten unterhalten können!
Lass uns gleich beginnen!
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Bitte beschreib dich in ein einem Wort!
Kurz!
Und das ist auch noch eine kurze Antwort. 🙂
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Was ist für dich als Autor die größte Herausforderung?
Mit der Frage stößt du bei mir ein Riesenthema an …
Dankeschön! Wir bemühen uns wirklich um unbequeme Fragen, weil wir glauben, dass wir nur so an überraschende Wahrheiten kommen.
Ich müsste die Frage rückwärts aufziehen, denn tatsächlich ist meine größte Chance, nämlich ein Kiwi-Autor zu sein, zugleich meine größte Herausforderung darstellt.
Ah? Das müsstest du mir genauer erklären.
Jeder Autor bezieht einen Teil seiner Inspiration aus seinem Leben, aus dem Platz, an dem er lebt, aus den Menschen, die er trifft – und genau das wirkt sich auf meine Arbeit eben besonders – oder viel mehr anders aus.
Das klingt sehr spannend, aber auch das musst du mir etwas genauer erklären.
Wir Kiwis sind gesegnet mit einer der wunderbarsten Landschaften dieser Welt, mit absolut einzigartigen Kreaturen, mit einer großartigen Fauna und Flora und unserer Number-8-Fencing-Wire-Mentalität …
What?
(Lacht) Das ist die Neuseeland-Variante von Panzertape.
All das bietet natürlich viel Raum für wundervolle Storys. Aber ich fühle mich dafür verantwortlich, deshalb meine Storys so erzählen, dass sie für meine Heimat und meine Zeit etwas in der Welt bewirken. Ist das nicht unsere Aufgabe als Schriftsteller, aufzuzeichnen und zu bewerten und diese wichtige Frage zu stellen: Was wäre wenn …?
Klar! Zweifellos. Was sollen wir auch sonst tun. Aber das trifft ja für uns alle zu. Worin liegt deine persönliche Herausforderung?
Für Leser bieten diese lokalen Aspekte einen unverbrauchten Blick, den sie von Autoren aus Nordarmerika oder Europa so noch nicht kennen und diese Diversivität hat natürlich ihren eigenen Reiz.
Und das sagen dir die Leser so?
Ein Leser schrieb zu „Beutezeit“: “The [other] area of success for this book lies in its location. If I had a dollar for every story I have read where a team of soldiers are hunting, or being hunted, by something in the jungles of South America, Africa or Asia then I could’ve retired by now. Instead, Murray chooses New Zealand; an area she is obviously familiar with (being from New Zealand) and creates a story filled with culture, myth, and difficult to pronounce words.”— The Grim Reader.
Ich kann aus eigenem Erleben bestätigen, dass die Lektüre deines Romans zumindest bei mir durchaus für Überraschungen gesorgt hat und für ungewöhnliche Gedanken. Das war ein Erlebnis, ein bisschen wie einer moderneren Variante meiner Lektüre von Prince Genjis Abenteuern, einem über 2.000 Jahre alten chinesischen Liebesroman. Aber so faszinierend das ist, wo liegt jetzt für dich die Herausforderung. Das hört sich doch an, als sei das eine großartige Chance!
Autor in Neuseeland zu sein, hat durchaus seine Schwierigkeiten. Es ist verdammt schwer für einen einzelnen Autor überhaupt aus so einem kleinen Markt heraus sichtbar zu werden – und in Corona-Zeiten natürlich noch viel mehr. Aber auch vor der Pandemie gab es nicht mal eine Handvoll Literaturagenten und von ein paar winzigen Verlagen abgesehen gibt es hier auch keine Verlage, die sich für Dark Fiction interessieren. Da bleibt uns Autoren also gar nichts anderes übrig, als SF, Fantasy oder Horror-Bücher irgendwie selbst anzubieten. Nur da ist uns schnell der Ozean im Weg.
Wie das?
Ganz konkret beim Versand von Druckexemplaren zum Beispiel. Der Versand kostet in Neuseeland ein Vermögen, in der Regel das Doppelte der Druckkosten und da wird es schnell unwirtschaftlich, Bücher in Geschäften oder Büchereien vertreiben zu lassen. Und umgekehrt kann man uns niemals genug für Lesungen, Messen oder andere Literaturevents bezahlen, damit wir auch nur halbwegs auf unsere Kosten kommen. Und zu allem Überfluss haben auch wir hier mit den Schäden von Produktpiraterie zu kämpfen.
Ich kann das gut verstehen, denn so völlig verschieden sind diese Probleme nicht von denen, die wir Autoren hier in Deutschland haben. Aber ist in dieser Situation nicht Self-Publishing mit all einen Möglichkeiten eine wunderbare Gelegenheit, auf einem sich dadurch verändernden Markt, neuen Lesegewohnheiten und natürlich anderer Vertriebswege doch irgendwie Fuß zu fassen?
Oh ja! Zum Glück sind die Online-Verkäufe in den letzten 10 Jahren durch die Decke gegangen und auch das Marketing bietet aufgeschlossenen Autoren und kleinen Verlagen Möglichkeiten, doch eine gemütliche Nische in der lauten Buchwelt zu finden.
Was mich gleich zur nächsten Frage führt …
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Wann hast du dein erstes Buch veröffentlicht und wie lang hast du daran geschrieben?
Mein erster Roman, Battle of the Birds, wurde von einem kleinen neuseeländischen Verlag 2010 verlegt. Die Idee dazu schwirrte mir schon im Kopf herum, als wir noch in den USA lebten, aber erst als ich zurück nach Neuseeland kam, hatte ich die Muße, mich hinzusetzen und sie aufzuschreiben. Das hat dann neun Monate gedauert – auch, weil ich ein paar Schreibkurse belegt habe.
Das ist ja gar nicht so viel Zeit für ein ganzes Buch, oder?
Mein viertes Buch, Beutezeit (mit dem ich auch bei eurem Award bin) hat mich am meisten Zeit gekostet. Die Idee zu dem Buch kam mir, als ich durch den Neuseeland-Busch lief. Bevor mich eine Verletzung ausbremste, war ich begeisterter Marathonläufer, ich habe 25 Marathons und einige Ultra-Marathons bestritten. Daher war ich ziemlich viel auf den Trails unterwegs.
Huh! Ich bewundere dich dafür! Wahnsinn. Ich selber lasse ja, ehrlich gesagt, lieber mein Pferd für mich laufen. Gerade im Busch erscheint mir das auch deutlich ungefährlicher.
Halb so wild! Während der Boden durchaus tückisch sein kann und das Wetter sehr schnell umschlagen kann, wohnen im Busch bei uns gar nicht so viele wilde Tiere. Es gibt bei uns keine Berglöwen, keine Schlangen und keine Brummbären. Ehrlich gesagt ist das Schlimmste, was einem Läufer passieren kann, dass er einem oder zwei Wētā oder einem Wespenschwarm begegnen kann. Auf der Straße mag man noch einem streunenden Hund oder einer Herde Kühe auf dem Weg zum Melken begegnen, aber die hab ich noch nie auf einem Trail getroffen.
Okay, dann bin ich jetzt im Bilde. Da muss ich echt ein paar meiner Vorurteile umgruppieren. Aber zurück zu deinem Buch …
Ich plauderte jedenfalls beim Laufen mit ein paar meiner Freundinnen und plötzlich war da dieses Was wäre wenn … oder Wie wäre es denn … und von da aus entwickelte sich die Idee. Zuhause legte ich eine Datei mit dem optimistischen Namen Weltbestseller an und so wurde die Taine McKenne-Reihe geboren. Aber ich brauchte noch drei Jahre, um das erste Buch zu schreiben, denn der Wechsel vom Kinderbuch zu Horror-Action, war nicht leicht. Aber es war richtig, denn inzwischen fühle ich mich in Horror-Thrillern sehr Zuhause.
Ich finde auch, dass das eine gute Idee war. Und irgendwie scheint das auch zu passen. Eine österreichische Kollegin, Faye Hell, ist neben ihrer Karriere als außerordentlich erfolgreicher Horror-Autor auch noch Lehrer an der Grundschule. Irgendwie scheinen Horror und Kinder zusammenzupassen.
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Bitte beschreibe doch einmal einen typischen Autorentag bei dir. Bist du eher für Routine oder kreatives Chaos?
Ich brauche weder Routine noch Chaos, irgendwie bin ich ein bisschen von Beidem.
Erzähl doch mal von deiner täglichen Routine.
Ich schreibe hauptberuflich, daher ziehe ich mich nach dem Müsli mit meiner zweiten Tasse Kaffe an meinem Schreibtisch zurück und erneuere erst einmal das Pentagramm am Boden…
Scherz! Ich habe keine Rituale! Ich lass mich einfach auf meinen Schreibtischstuhl fallen und fange an zu schreiben. Meistens nachdem ich eine Stunde oder mehr auf Facebook verplempert habe, meine E-Mails gecheckt und mich dann oft auch noch mit einem Autorenkollegen verchattet habe. Und irgendwann schlage ich dann die Hände über dem Kopf zusammen, weil ich noch überhaupt nichts auf die Reihe bekommen habe und jetzt – 10 Minuten vor dem Mittagessen – lohnt es auch nicht mehr, anzufangen. Aber danach, da werde ich nicht aufstehen, bevor ich nicht mindestens 500 Worte geschrieben habe.
Klingt irgendwie vertraut. Trotz Zeitverschiebung.
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Hast du „Lieblingsworte“, die vom Lektorat in deinen Texten regelmäßig angestrichen werden?
Das ist eine geschickte Frage, um Einblick in den Schreibvorgang zu gewinnen.
Thanks again.
Mein Lektor streicht tatsächlich selten Worte aus meinen Skripten. Vielleicht, weil ich selbst als Lektor arbeite und daher schon weiß, worauf man achten muss und das auch tue. Während ich schreibe, sitzt mein innerer Lektor wie eine Jiminy Chricket-Ausgabe auf meiner Schulter und zirpt mir ins Ohr. Das erklärt vermutlich auch, warum ich so superlangsam schreibe. Ich komme kaum über die besagten 500 Worte und mein Mentor, Jonathan Maberry (Rage, V-Wars) locker um die 10.000 Worte schafft. Tatsächlich werden bei mir am häufigsten fehlende Worte wie Präpositionen oder Artikel angestrichen. Die scheine ich beim Probelesen immer zu überlesen.
Das ist ja interessant. Ich kann nur entweder wie ein Autor oder wie ein Lektor denken. Das hat den Vorteil, dass ich als Lektor zwar genau weiß, wohin ich schauen muss, aber den Nachteil, dass ich das während des Schreibens einfach nicht hinbekomme. Aber wo würde dein Jiminy denn Stop schreien?
Was sind meine Lieblingsworte? Ich liebe Wanderlust, Pōhutukawa, und Sätze, in denen das Wort „Spooling“ vorkommt. Und einmal habe ich in einem Kinderbuch „absquatulate“, was wirklich ausgefallen für „fliehen“ ist, verwendet. Ich weiß bis heute nicht, was mich da geritten hat.
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Ist Schreiben für dich kreativer Flow oder harte Arbeit?
Meine Geschichten sind alle das Ergebnis harter Arbeit.
Das erklärt auch den 500 Worte-Umsatz. Was macht es dir so schwer, in Fluss zu kommen?
Hauptsächlich, dass ich jeden einzelnen Satz niederringen muss. Ich beneide wirklich diese Autoren, die nur so über die Seiten fliegen. Oder, diejenigen, die sagen, sie müssten nur aufschreiben, was ihnen die Figuren erzählen (Weint ein bisschen). Wenn meine das nur auch täten!
Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünscht. Meine Figuren neigen zum Beispiel dazu, mir viel zu viel zu erzählen und das hat nur ganz selten etwas mit dem Plot zu tun. Ich komme mir da manchmal eher wie eine überforderte Mutter vor, die ihre Teenies nicht in den Griff bekommt.
Ich fürchte, da hat so jeder Autor seine eigenen Probleme.
Gewiss! Unsere Kollegin Gundel Steigenberger etwa schreibt zwar flott, braucht dann aber im wahrsten Sinne des Wortes Wochen, um ihre Texte zu perfektionieren, sodass all die beim Schreiben gesparte Zeit dann beim Überarbeiten wieder aufgebraucht wird.
Aber weil du gerade erwähnt hast, dass deine Figuren nicht mit dir sprechen …
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Hast du einen speziellen Trick, um deine Figuren zu „echten“ Personen zu machen?
Um authentisch zu schreiben, müssen Figuren immer irgendwie auf echten Menschen basieren – zumindest teilweise. Während also meine Figuren als Ganzes natürlich meiner Fantasie entspringen, entlehne ich bestimmte Angewohnheiten oder Motive von den Personen, die ich so treffe.
Hinweis: Seid lieb zu Autoren, denn auf die eine oder andere Weise, werdet ihr in ihren Geschichten landen.
Listen world!
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Stell dir vor, du dürftest eine literarische Figur zum Essen einladen. Wer wäre es und worüber würdet ihr sprechen?
Das kommt jetzt bei einem Horror-Autor vermutlich blöd, aber ich würde total gern mal mit Hermine Granger zu Abend essen, denn ich war in der Schule wie sie.
Das ist gar kein Problem. Hermine ist doch cool. Inwiefern warst du wie sie?
Weder die Schlauste noch die beliebteste, aber die aus der Bibliothek. Ich habe wie sie Zusatzkurse belegt, brav meine Hausaufgaben gemacht und daran geglaubt, dass alles seinen Sinn hat. Die meiste Zeit hätte ich auch gern so einen Time-Turner gehabt. Und heute habe ich ein T-Shirt mit der Aufschrift: „Im Zweifel, geh in die Bibliothek! Hermine Granger. So sehen endlich auch andere Leute die Ähnlichkeit.
Warum ist dir das ein Bedürfnis?
Wenn man als Neuseeland-Chinese in der dritten Generaton aufwächst, findet man sich nie in einem Buch wieder. Oh, es gab viele, viele Figuren, die ich sehr mochte, aber keine einzige hatte meine Erfahrungen gemacht, mit keiner konnte ich mich wirklich identifizieren und das war ziemlich traurig, denn eigentlich sollten Bücher doch Orte sein, wo wirklich jeder willkommen ist.
Das ist eine sehr interessante Ansicht, die für eine möglichst große Vielfalt an Figuren spricht. Aber andererseits konnte ich, obwohl ich jetzt eine auf den ersten Blick absolut durchschnittliche Kindheit in einem Dorf in Süddeutschland hatte, waren doch meine Erfahrungen zu der Zeit eher sehr speziell und absolut ungewöhnlich. Obwohl auch ich nie einen Buchhelden in einer vergleichbaren Situation gefunden habe, hatte ich nie Probleme, meinen Platz in der Geschichte zu finden, als Unterstützer, Mitreisender, Partner oder Gegner. Aber wie hast du dieses Trauma überwunden?
Ich fühlte sehr mit meinem eigenen Charakter, Penny, in einer übernatürlichen Krimi-Reihe, the Path of Ra, die ich zusammen mit meinem Landsmann Dan Rabarts geschrieben habe. Penny ist eine etwas verpeilte wissenschaftliche Beraterin der Polizei in einem Auckland der nahen Zukunft. Ich habe es genossen, über sie zu schreiben, denn sie hat es mir erlaubt, meinen eigenen Hintergrund und meine Erfahrungen einzubringen. Manchmal muss man wohl, wenn man über sich lesen will, das Buch dazu selbst schreiben.
Kommen wir zurück zu unserem Dinner mit Ms. Granger …
Als Muggle-Kind an der Schnittstelle zwischen der magischen und der nicht-magischen Kultur hat Hermine genau das getan: Sie hat ihre eigene Geschichte geschrieben. Außerdem haben wir beide Höhenangst – da gibt es Gesprächsstoff genug.
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Welche 3 Dinge auf der Welt sind dir aktuell am Wichtigsten?
Güte, Güte und noch einmal Güte!
Oh ja!
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Wofür würdest du mitten in der Nacht aufstehen?
Für den Wolf unter meinem Bett!
Was? Ich dachte, in Neuseeland gäbe es keine gefährlichen Tiere!
Als ganz kleines Kind glaubte ich, dass das Rauschen des Bluts in den Ohren, wenn man den Kopf auf das Kissen presst, das Knurren eines Wolfs unter meinem Bett sei.
Ah …. ?
Oh ja! Ich war ein sehr fantasievolles Kind! Damals schon – vor allem, wenn man bedenkt, dass es in Neuseeland gar keine Wölfe gibt.
Wie kommt es, dass dieser Wolf dich dann belästigt?
Viel später, mehr als ein halbes Jahrhundert später, wurde bei mir eine Angstneurose festgestellt, zusammen mit einer Depression, und ich lernte dann, dass dieser Bedrohung durch den Wolf das Sinnbild meiner eigenen Ängste war. In einem sorgenvollen Kopf können schreckliche Dinge entstehen.
Der menschliche Geist ist schon ein ebenso faszinierendes wie kompliziertes Instrument.
Und ganz zufällig führt mich das auch gleich zur nächsten Frage …
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Was ist deine größte Stärke?
Das ist wohl die Gemeinschaft, die ich um mich herum aufgebaut habe.
Okay! Das ist endlich mal wieder eine Antwort, die ich so noch nie bekommen habe. Magst du uns das noch etwas genauer erläutern?
Es mag überraschen, aber meine Horror-Leute sind trotz dieser Fixierung auf Blut und Innereien wirklich die nettesten und großzügigsten Menschen, die man sich nur vorstellen kann.
Das scheint ein globales Phänomen zu sein, denn auch die deutschen Horror-Autoren, die ich so treffe, sind alle außerordentlich freundlich, lustig und tolerante, friedfertige Personen. Ich freue mich inzwischen immer, wenn ich einen Horrorista interviewen darf.
Das glaube ich dir, denn jeder Erfolg, denn ich als Autor erreicht habe, basiert auf dieser Community, auf den Kollegen und Lesern und ihrer Bereitschaft, mich als unbekannte Horror-Autorin von Downunder zu akzeptieren und zu lesen.
Und nun bist du mit Beutezeit unter den letzten 9 Titeln eines Horror-Jahrgangs und ausgewählt aus über 200 Titeln der Longlist.
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Welche literarische Figur findest du unbeschreiblich, obwohl sie im Alltag absolut unerträglich wäre?
Ein Date mit Hulk wäre vermutlich problematisch, nicht nur, weil er sein Temperament nicht im Griff hat, sondern auch, weil wir ständig Probleme mit dem Outfit hätten.
Ihr könntet ja Wechselkleidung ins Auto legen oder auf extrem dehnbare Textilien ausweichen.
Hannibal Lectors sehr spezielle Ernährungsweise würde vermutlich im Alltag auch eher logistisch schwierig sein …
Hm … der schien mir nun durchaus in der Lage sich selbst zu versorge. Da hätte ich eher Angst, dass ich zum Essen eingeladen würde – als Hauptgang. Und sonst noch wer?
Annie Wilkes könnte wohl kaum in Bezug auf Lesertreue und Hingabe an die Unterstützung ihres Autors übertroffen werden, aber ich habe den Eindruck, dass dieses Ausmaß an Leserunterstützung bei der Figurenentwicklung auch irgendwie kreativitätshemmend sein könnte.
Das ist nicht auszuschließen. Grins. Aber jetzt freu ich mich auf die nächste Frage …
Zeitreisen sind ein sehr faszinierender Gedanke. Zu welchem historischen Ereignis würdest du gerne reisen? Und warum?
Ich möchte gar nicht zu einem historischen Großereignis, aber ich würde gerne zurückreisen. Mein Vater starb letztes Jahr, gleich zu Beginn der Pandemie nach einem langen Kampf gegen die Demenz. Und ich würde so gerne zurückreisen, so gute 15 Jahre, um ihn zu treffen und ihm zu erzählen, was er in den letzten Jahren alles verpasst hat – die Verlobung meiner Tochter, meinen Bram Stoker Award, unsere Reisen mit dem Wohnwagen. Und ich würde ihm so gerne für diese Liebe zu Geschichten danken, die ich von ihm habe. Ich glaube, dafür habe ich ihm nie gedankt. Also, nicht richtig. Nicht, solange er sich noch daran erinnern konnte.
Er hat mir immer Geschichten erzählt. Noch vor der Schulzeit. Meine Lieblingsgeschichte war Horton, der Elefant von Dr. Seuss.
Die Geschichte kennen auch deutsche Kinder.
Ach, mein Vater konnte so toll wie Horton sprechen. Und er war auch eine sehr gute Maisey.
Meine Schwester war ganz groß im Tröten. Ich las den Text vor und sie kümmerte sich um die Special Effekts. Wir haben das Buch geliebt.
Und das Buch hat ja auch eine großartige Botschaft, dass man ehrlich zu sich sein sollte und für seine Überzeugungen auch gegen Widerstände einstehen. Auch heute noch ein gutes Thema, wenn ich mir das richtig überlege. Aber die meiste Zeit erzählte mein Papa uns Geschichten, die er sich selbst ausgedacht hatte. Er war wirklich ein großartiger Erzähler. Zum Beispiel die Geschichte von Horace und Aristoteles. zwei Hundskopf-Frösche, die in dem Tümpel am Ende unserer Straße in Whangarei lebten. Sie hatten tolle Abenteuer – du ahnst ja nicht, wie gefährlich es ist, über eine Straße zu laufen, wenn man ein Frosch ist.
Ich kann es mir vorstellen. Unsere Mutter erzählte uns auch Geschichten. Über Billy, einen stets hungrigen Hund, durch den wir ganz nebenbei gelernt haben, dass Essen keineswegs selbstverständlich ist. Ich glaube unsere Eltern setzten beide auf den erzieherischen Wert von Geschichten und Märchen. Hattet ihr noch andere Kindergeschichten?
Oh, da gab es noch die Geschichten über Professor Morgan und seinen berühmten ZZ-Burp, eine Steampunk-Maschine, die der Erfinder aus altem Schrott aus der Garage zusammengeschraubt hatte. Der Professor hatte wohl autobiografische Züge von meinem Papa bekommen, er bastelte auch immer alles mögliche. Am Schluss flog Professor Morgan dann mit seiner Erfindung um die Welt, um den Menschen bei ihren Problemen zu helfen und auf die Umwelt aufzupassen. Ich lernte viel über Geschichten, Sozialverhalten und Freundschaft. Und wenn ich schon beim Besuchen meines Vaters bin, dann würde ich gern auch meine Mama mitnehmen, damit sie meinen Papa noch einmal sehen kann. So wie Clare in Niffenegers Roman „Die Frau des Zeitreisenden“. Diesen Wunsch könnte man ihr doch nicht abschlagen?
Niemals!
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Gibt es was, das du besser kannst, als die meisten anderen Leuten?
Verrückt, aber es gibt wirklich was, dass ich für mich ganz exklusiv erreicht habe.
Und das wäre …
Den Weird Fiction Archivists zufolge bin ich der allererste Neuseeländer, der in den Weird Tales war. Ich als einziger Kiwi-Autor in der 98 Jahre alten Geschichte dieses Magazines! Bei dem Gedanken bekomme ich immer noch weiche Knie!
Oh, wow! Das ist in der Tat großartig!
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Gibt es etwas, dass du in deinem Leben ändern wollen würdest, wenn du die Chance hättest?
Ich bedaure aufrichtig, dass ich nicht Kantonesisch gelernt habe – die Muttersprache meiner Mutter.
Damit kann ich auch nicht dienen. Ich spreche ein paar Brocken Mandarin, aber auch nicht mehr als ich für ein Hallo oder eine Wegbeschreibung brauche. Leider. Sprachen finde ich faszinierend und speziell Mandarin mit dieser simplen Grammatik und schwierigen Aussprache ist schon echt speziell. Sprichst du noch andere Fremdsprachen?
Ja, später einmal habe ich Französisch gelernt. Es ist beeindruckend, dass man Menschen und ihre Kultur niemals wirklich versteht, solange man nicht ihre Sprache wirklich spricht. Und darum tut es mir leid, dass ich versäumt habe, zweisprachig aufzuwachsen. Nicht kantonesisch zu sprechen, schneidet mich von einem Stück meines Selbsts ab.
Das habe ich schon öfter von Freunden gehört, die ihre Muttersprache nicht richtig beherrschen. Mein Schwager etwa bedauert zutiefst, dass er als Vietnamese die Sprache nicht richtig spricht. Aber ich kenne auch viele, die bereuen, dass sie ihre Mundart, ihren Dialekt nicht mehr sprechen können, denn auch die tragen irgendwie zu unserer Identität bei.
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Was wünscht du dir für die Zukunft?
Das diese Pandemie endlich wirklich vorbei ist und wir wieder unsere Freunde ohne Angst umarmen dürfen.
Das ist etwas, worin dir die allermeisten Menschen auf der Welt zustimmen dürften. Lee, es war mir wirklich ein Vergnügen, mit dir zu plaudern. Vielen Dank, dass du dir Zeit für uns genommen hast, um all unsere Fragen zu beantworten. Ich sende dir eine virtuelle Umarmung und drück dir die Daumen für den weiteren Verlauf des Wettbewerbs.
Davon unabhängig sind wir immer happy, wenn wir von dir hören, oder deinen Büchern und neuen Projekten.
Thank you very much!
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Hier könnt ihr Lee Murray erreichen:
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Skoutz-Lesetipp:
Grotesque: Monster Stories – Gruselige Kurzgeschichten von Lee Murray
Three-time Bram Stoker Award® nominee (and with this book, now a winner!) Lee Murray delivers her debut collection, and it is monstrous. Inspired by the mythology of Europe, China, and her beloved Aotearoa-New Zealand, Murray twists and subverts ancient themes, stitching new creatures from blood and bone, hiding them in soft forest mists and dark subterranean prisons.
In this volume, construction workers uncover a hidden tunnel; soldiers wander, lost after a skirmish; and a dead girl yearns for company. Featuring eleven uncanny tales of automatons, zombies, golems, and dragons, and the Taine McKenna adventure Into the Clouded Sky, Lee Murray’s Grotesque: Monster Stories breathes new life into the monster genre.
Skoutz meint: A great collection of extraordinary short stories, full of thrill, adventure and surprisingly philosophical thoughts. In the middle of danger, mysteries, weird situations and strange creatures we also find friendship, loyalty and hours of wonderful excitement.
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Mehr Info
Lee Murray wurde mit Beutezeit, einem sehr subtil aufgebauten Bestien-Horror für die Midlist Horror des Skoutz-Awards nominiert und steht nun im Finale. Natürlich haben wir das Buch bereits gelesen und können es empfehlen (weiterlesen).
Wir sind gespannt, wie sich das Buch im weiteren Verlauf des Wettbewerbs schlagen wird, hoffen aber, dass die Viecher sich im Dschungel nicht verlaufen und sie sich jetzt den Award auch schnappen.
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Hinweis:
Wenn ihr die das Buch schon kennt, würdet ihr uns, dem Autor und allen lektüresuchenden Lesern einen großen Gefallen, wenn ihr das Buch in der Skoutz-Buchdatenbank mit einer Skoutz-Buchfieberkurve bewerten würdet. 5 Klicks statt 5 Sterne. Einfacher lässt sich eine Rezension nicht schreiben, bequemer kann man sein nächstes Buch-Date nicht finden. Und so helft ihr, dass unsere Buchfindemaschine weiter wächst.