Wiki: Social Reading
Social Reading in Kürze
Social Reading gab es schon immer. Früher schon deshalb, weil nur eine Minderheit lesen konnte und die analphabetische Mehrheit darauf angewiesen war, dass diese ihr angelesenes Wissen mit ihnen teilten. Ebenso das Bedürfnis, sich über Bücher, ebenso wie über jedes andere emotionale Erlebnis eben auch, auszutauschen.Buchclubs und Lesezirkel hat es schon sehr lange gegeben und erfreuen sich – gerade in den USA – auch heute noch großer Beliebtheit.
Heute meint man mit Social Reading zumeist vernetztes, meist digitales Lesen. Also ein online geführter, intensiver und dauerhafter Austausch über Texte. Das Neue daran ist, dass die Diskussion dauerhaft abrufbar bleibt. Gespräche am Lagerfeuer oder hitzige Debatten im Buchklub gehen verloren, eine Forendiskussion bleibt erhalten.
Social Reading ist also alles, was im weitesten Sinne mit Meinungsaustausch zwischen Lesenden zu tun hat. Von den Buchblogs über spezielle Seiten von und für Fans einer bestimmten Romanserie oder auch entsprechenden Wikis geht das bis hin zu den großen Bewertungs-Portalen wie Goodreads oder entsprechende Gruppen bei Facebook.
Social Reading etwas ausführlicher
Es dürfte zu weit führen, nun jeden irgendwie buchbezogenen Facebook-Post als Social Reading einzustufen. Hinter diesem Begriff findet sich zumeist die Vorstellung von einer thematisch fokussierten Umgebung, in der mit einer gewissen Regelmäßigkeit über Texte gesprochen wird, etwa in Foren und Communities. Der Wust an Beiträgen wird mit einer entsprechenden Struktur gebündelt und einer Vielzahl von Usern thematisch sortiert zur Verfügung gestellt. Hier gibt es Bewertungen, Zitate, Fragen und Diskussionen, die jedes vorstellbare Detail zu einem Buch und seiner Geschichte beleuchten.
Social Reading Plattformen
Es gibt zahlreiche Social Reading Plattformen für Bücherfreunde. Und obendrein natürlich auch spezielle Segmente in allen großen Social Media Netzwerken wie Facebook oder Instagram.
Leser finden Gleichgesinnte, man erfährt von spannenden neuen Büchern, Autoren finden ihre Fans und Fans können mit „ihren“ Schriftstellern interagieren. Das klingt zunächst wunderbar, aber natürlich geht es auch hier ums Geld. Verlage und Autoren können Anzeigen schalten, Aktionen buchen und so die virale Verbreitung ihrer Bücher antoßen. Durch Teilen und Verlinken können Inhalte problemlos transportiert werden. So finden sich die Inhalten überall im Netz, in den großen Portalen, auf privaten Blogs und in Foren wieder. Die Social Reading Plattform bietet hier nur den Katalysator und im Idealfall auch den Turbo.
Neben Goodreads, Lovelybooks und Skoutz gibt es zahlreiche Anbieter mit teils sehr verschiedenen Ansätzen. Wir haben mal herumgefragt, uns die meist genannten genauer angesehen und in diese Liste von Social Reading Plattformen gepackt (weiterlesen).
Formen von Social Reading
Neben Leserunden und interaktiv aufgezogenen Blogrunden, virtuellen Lesungen und Diskussionsforen, die im Prinzip alle nur aus der alten Welt bekannte Formen des Texte Genießens ins Internet bringen, sind natürlich auch neue technische Möglichkeiten denkbar. Inwieweit diese tatsächlich auf die Akzeptanz beim Leser stoßen, bleibt abzuwarten. Zahlreiche Startups mit solchen Themen haben nach kurzer Zeit wieder frustriert aufgegeben. Ob das daran liegt, dass Leser so konsverativ sind, oder daran, dass einfach das Richtige noch nicht dabei war, wird sich zeigen.
Technische Möglichkeiten des Social Reading
Kindle hat zum Beispiel am Vorbild von Readmill jetzt eine Funktion, bei der man nicht nur für sich Passagen im Buch markieren kann, sondern auch sehen, welche andere Leser markierten. Ob diese vorgekaute Relevanz für Leser nutzvoll ist, muss man sehen. Für Autoren jedenfalls, denn so erfahren sie, welche Szenen Leser tatsächlich emotional berühren. Der Austausch wird synchron möglich.
Denkbar ist das auch durch eine „öffentliche“ Kommentarfunktion. Hier könnten ergänzende Notizen und Bemerkungen, ggf. auch weiterführende Links zu Sekundärliteratur eingebettet werden. Diese Paratexte wären dauerhaft verfügbar und könnten – speziell auch im Sachbuchbereich – einen echten Mehrwert darstellen. Auch der Autor könnte so Gedanken zu seinem Werk offenbaren oder Alternativtexte bieten.
Der kanadische Amazon-Konkurrent Kobo setzt im Rahmen von großangelegten „Challenges“ auf Vernetzung und Interaktion durch seine Angebote Reading Life und Kobo Pulse. Für durchlesene Nächte, möglichst viele gelesene Bücher oder auch das Lesen bestimmten Zeiten wird man mit virtuellen Abzeichen belohnt und kann sich mit seinen Freunden vergleichen.
Ergänzt wird das durch E-Book-Funktionen, die es ermöglichen, direkt aus dem Buch heraus Kommentare oder Zitate in Umlauf zu bringen. Zum Beispiel über Facebook und Twitter
Da die Freude an so intensivem Austausch seit jeher außerhalb des Unterrichts eher exklusiv war, ist die digitale Welt, die einen solchen Spaß zeit- und ortsunabhängig ermöglicht, natürlich ein echter Mehrwert. Es finden sich viel eher Gleichgesinnte und auch die schweigende, nur am Rande interessierte, Mehrheit kann dies mitverfolgen, muss sich aber nicht beteiligen.
Social Reading und Marketing
Die andere Seite – Autoren, Lektoren, Verlage – sehen Social Reading mit anderen Augen. Sie haben das Leseverhalten im Fokus. Wildfremde Menschen kommen aufgrund gemeinsamer Vorlieben ins Gespräch, diskutieren hitzig über Plottwists und spekulieren, wie es weitergeht.
Wer früher von Büchern begeistert war, empfahl sie mündlich weiter. Ein Vorgang, den niemand überschauen, steuern oder auswerten konnte. Heute ist Lesen nicht mehr privat, man liest unter Beobachtung. Wann man liest, wie schnell man liest, wie oft man unterbricht oder an welcher Stelle – all das wird aufgezeichnet, ausgewertet und in Trends, Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten umgedeutet, die dann den Markt bestimmen. Und verengen, denn je mehr man sich auf den umsatzstarken größten gemeinsamen Nenner festschießt, desto weniger Bereitschaft, Raum und Sichtbarkeit wird es für Novationen, Kreativanderes und Verrücktheiten geben. Big Data zwischen den Zeilen.
Solche Auswertungen zeigen, mit welchem Buch die Chancen auf einen Bestseller besonders hoch sind. Die besten Chancen hat übrigens ein 375 Seiten dickes Buch aus Sicht einer weiblichen Protagonistin mit einem romantischen Thema zu einem Preis von $ 3,99.
Schon während des Schreibens kann jetzt die Öffentlichkeit einbezogen werden. Um Bücher herum entstehen Debatten, aber auch diskursive Blasen. Snipsl ist auf diesen Prozess spezialisiert. Entsprechend verwöhnt treten allerdings auch die Leser auf. Immer wieder wird beobachtet, dass Autoren von ihren Lesern förmlich Anweisungen bekommen, wie ein Buch zu Ende zu gehen hat, oder wie die Fortsetzung zu schreiben ist. Das Phänomen ist freilich nicht neu. Stephen King hat mit „Sie“ („Misery“) dazu einen Welt-Bestseller geschrieben, und schon Sir Arthur Conan Doyle musste seinen Sherlock Holmes wieder auferstehen lassen, weil die Leser es so wollten. Aber die Intensität und Häufigkeit solcher Forderungen nimmt deutlich zu.
Zukunft des Lesens
Noch nie wurde soviel gelesen wie heute. Wir alle starren gefühlt 10 Stunden täglich auf unsere Geräte und lesen Posts, SMS, Chats und vieles mehr. Doch lesen wir auch noch Geschichten? Durch die vielfältigen zunehmend zeit- und ortsunabhängigen Angebote (Games, Streaming, Social Media etc) hat das Buch (oder E-Book) starke Konkurrenz erhalten. Soziologen gehen davon aus, dass Bücher ihrer kulturellen Rente entgegensteuern. Bedauerlicherweise, denn die Hirnforschung spricht schon von einer drohenden „Digitalen Demenz“.
Skoutz glaubt das nicht, denn gerade die lebhafte und quirlige Buchgruppenlandschaft zeigt doch, dass es immer noch genug Menschen gibt, die gerne lesen. Die sich von Geschichten verzaubern lassen und gar süchtig nach ihnen werden. Und eine Geschichte ist eine Geschichte, ganz egal, ob sie gedruckt, verfilmt oder als Audio-Datei unsere Fantasie beflügelt. Das Bedürfnis nach Austausch und Gemeinsamkeit bringt Menschen zu den Geschichten. Eigentlich ganz so, wie zu Beginn, als man sich am Lagerfeuer vor der Höhle traf, um sich Geschichten von Jagd und vielleicht auch Klatsch aus der Nachbarhöhle anzuhören.
Wünschenswert wäre, wenn sich Offline und Online unter dem Stichwort Social Reading verbinden ließen. Man kann für sich lesen, aber seine Emotionen mit anderen teilen, gemeinsam kritisieren, bejubeln oder sich gegenseitig trösten, wenn eine Lieblingsfigur gestorben ist. Die Prophezeigung von Otis Chandler, dem Gründer von Goodreads scheint sich jedenfalls zu erfüllen:
Social Reading wird einer der größten Treiber der Buchbranche sein.
Bonus-Wissen (Klugscheiß-Modus): Shared Reading
Lesen und Lauschen