Skoutz-Wiki: Adaption

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Immer wieder liest man (besonders oft bei Märchen), ein Buch sei eine Adaption eines anderen. Sozusagen dessen Nacherzählung, was seltsam klingt, wenn man bedenkt, wie groß das Geschrei ist, wenn man einen Autor beim Abschreiben aus einem anderen Buch erwischt. Besonders dann, wenn das Original bei Weitem nicht den Erfolg des Plagiats hat.

Wo aber liegt der Unterschied zwischen Adaption und Plagiat, warum ist das eine „hui“ und das andere „pfui“? Skoutz hat sich im Wiki dieses Themas angenommen und untersucht in diesem Beitrag die Adaption.

Die Adaption in Kürze

Als literarische Adaption (von lateinisch adaptare ‚anpassen‘) bezeichnet Wikipedia die Umarbeitung eines literarischen (meist epischen) Werkes von einer Gattung in eine andere, beispielsweise in ein Drama, oder in eine Oper, beziehungsweise die Bearbeitung in ein anderes Medium wie Comic, Hörspiel, Film, Fernsehen oder ein Computerspiel.

Dies ist eine sehr technische Definition, die sich auf die Übertragung einer Geschichte in ein anderes Medium beschränkt (intermedialer Ansatz). Tatsächlich meinen Buchmenschen aber mindestens genauso oft die Bearbeitung eines Stoffes innerhalb eines Mediums, zum Beispiel die Bearbeitung eines Buchs in einem eigenen Buch (intramedialer Ansatz).

Im Grunde ist die gesamte Literatur ohne Anleihen an bestehende literarische Werke, Erzählweisen, Figuren und Stoffe nicht denkbar.

Aschenputtel ist für alle da!

Speziell Märchen, die historisch mündlich überliefert wurden, sind kulturelles Volksgut und deshalb grundsätzlich gemeinfrei (etwas anderes gilt bei Kunstmärchen, Geschichten, die von einem bestimmten Autor in Märchenform erzählt wurden). Sie sind deshalb typische Objekte von Adaptionen. Mehr noch: Bei ihnen ist die Adaption erforderlicher Teil des Systems. Die Grundstruktur ist denkbar simpel. Der jeweilige Erzähler ist darin frei, sie nach eigenem Belieben oder dem seiner Zuhörer auszuschmücken und diesen oder jenen Aspekt etwas stärker zu betonen. Das ist ein wesentlicher Grund, warum diese Geschichten seit Jahrhunderten Menschen faszinieren. Weil es nicht das „Original-Aschenputtel“ gibt, sondern jeder Erzähler, jeder Hörer „sein Aschenputtel“ haben darf.

Nicht anders verhält es sich bei Sagen, Mythen und Legenden, ebenso wie Klassikern der Weltliteratur wie z.B. „Romeo und Julia“, an denen die Urheberrechte längst erloschen sind.

Beispiele hierfür finden sich im Skoutz-Buchregal.

Die Adaption etwas ausführlicher

Die Adaption ist die (zulässige) Umarbeitung eines existierenden Werkes in ein anderes Medium oder ein anderes Werk, des selben Mediums. Für diesen letzten Ansatz gibt es verschiedene Vorgehensweisen:

Die Adaption als Neuerzählung

Die einfachste Form der Adaption ist die Neuerzählung. Oft geboren aus dem Bedürfnis, die zeitlose Aussage eines Textes durch die Übertragung in ein modernes Umfeld zu betonen, erfreut sie sich großer Beliebtheit. Man sieht das oft auch im Theater oder in der Oper, wenn zum Beispiel Sigfried im Ring der Nibelungen als gestresster Bürohengst im Zweireiher auftritt, oder in Don Giovanni der treue Leporello nicht mehr mit einem Faltblatt arbeitet, sndern sein Tablet bemüht. Das geht aber auch durch die Übertragung in eine andere Welt. Ein schönes Beispiel ist Eric von Terry Pratchett, der kurzerhand Goethes Faust in seine Scheibenwelt verlegt und neu erzählt hat. Wobei, nebenbei bemerkt, auch Goethe seinen Faust  aus älteren Vorlagen adaptiert hat.

Die Adaption als Ausarbeitung

Häufig werden sehr kurze Vorlagen hergenommen und ausgeschmückt nacherzählt. Aus einer kurzen Erzählung wird ein vollwertiger Roman, wenn man den Hintergründen mehr Raum gibt und die Charakterentwicklung differenzierter darstellt. Wir wollen von großen Gefühlen, Herzschmerz, Leidenschaft, Wut und Tränen lesen und wünschen uns mitreißende Actionszenen, die uns atemlos zurücklassen.

In einer Ausarbeitung bleibt der Neuerzähler der Vorlage aber weitestgehend treu. Das Grundgerüst bleibt erhalten.

Die Adaption als Gegenentwurf (Perspektivwechsel und alternatives Ende)

Typisch für Märchen ist ihre einfache Moral. Das gute Rotkäppchen und der böse Wolf. Es ist aber natürlich durchaus eine berechtigte Frage, wie Rotkäppchen klänge, wenn es der Wolf erzählen würde. Rotkäppchen aus der Sicht des Wolfs ist, trotz desselben äußeren Rahmens sicherlich eine ganz neue Geschichte.

Nicht weniger interessant ist die Frage, was wäre, wenn …

  • Aschenputtel seinen Schuh nicht verliert,
  • das Biest wirklich ein Ekel ist,
  • das Sterntaler-Kind nicht sein letztes Hemd hergibt, sondern dem Bettler nur einen Tipp gibt, wo das nächste Armenhaus liegt,
  • der Wolf keine Lust auf sieben Geißlein hat?

Derzeit sehr beliebt sind Genderbender-Varianten, wo man testet, ob die Geschichte auch funktioniert, wenn Rapunzel ein langmähniger Nerd ist, der es sich in seiner Turmstube am PC eigentlich ganz gemütlich eingerichtet hat. Es ist faszinierend, wie eine vermeintlich altbekannte Geschichte plötzlich zu etwas völlig Neuem wird.

Das Märchenmotiv

Märchen erzählen Geschichten, die zeitlos sind, und in ihrer Struktur deshalb eine Nacherzählung, Um- und Neugestaltung vertragen. Man kann nun trefflich darüber streiten, wieviele Grundtypen von Geschichten es überhaupt gibt, so dass Überschneidungen und Motivübereinstimmungen unvermeidlich sind. Neben dem Motiv der Vorlage, aus der man zulässigerweise etwas Eigenes schafft, gibt es auch die Anspielung oder das literarische Zitat, wenn man etwa einen berühmten Märchenspruch – „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land“ – so offen in der eigenen Geschichte verwendet, dass jeder das Zitat erkennt.

 

Bonus-Wissen (Klugscheiß-Modus):

Die Adaption im wissenschaftlichen Kontext

Die Basis jeder Adaption, so habe ich irgendwo einmal gelesen, ist die Vieldimensionalität eines literarischen Werkes. Wie wir oben gesehen haben, gibt es drei typische Formen einer Adaption:

  • Transkripition – Aus einem Buch wird ein Film oder ein Musical. Der Rahmen und das Medium wechseln.
  • Rezeption – um ein Werk zu bearbeiten, muss man sich mit dem Original kritisch auseinandersetzen. Dies ist ein kreativer Prozess von eigener Schöpfungshöhe (im Gegensatz zum Plagiat), der das Original würdigt und anerkennt.
  • Transformation – durch Perspektivwechsel, Versetzung in eine andere Zeit oder an einen anderen Ort, durch alternatives Verhalten der Figuren wird die Struktur der Vorlage aufgebrochen und etwas neues entsteht.

Zwei der wohl berühmtesten Klassiker überhaupt sind übrigens bei genauerer Betrachtung Adaptionen: Sowohl Homers Odyssee als auch das Nibelungenlied sind eigenständige Bearbeitungen uralter Sagenstoffe, die weit mehr als nur eine Nacherzählung sind.

Ist bei der Adaption plötzlich Abschreiben erlaubt?

Um dieser Frage zu entgehen, bevorzugen viele Autoren „Klassiker“, Texte, deren Autoren länger als 70 Jahre tot sind, und deren Urheberrechte damit erloschen sind (gemeinfreie Texte). Theoretisch darf man aber unter Nennung des Originals den Plot, der anders als eine konkrete Formulierung nicht geschützt ist, jederzeit adaptieren, ohne bestehende Urheberrechte zu verletzen. Inwieweit das auch einzelne Formuierungen betrifft, hängt davon ab, ob die eigene schöpferische Leistung in der Adaption unter dem Aspekt der Kunstfreiheit das Urheberrecht des Originalautors überwiegt. Es ist das Wesen der Kunst, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Doch Vorsicht: Da hängt viel von den Details ab und es ist fraglich, in welchem Maß die juristische Argumentation dann der ästhetischen folgen wird.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Adaption und Plagiat ist, dass sich die Adaption offen bedient – entweder weil die Vorlage (Aschenputtel) so bekannt ist, dass es jeder erkennen kann oder weil explizit auf die Vorlage(n) hingewiesen wird. Der Bezug zur Vorlage erfolgt ausdrücklich, wird ggf. sogar im Marketing verwendet.

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