Skoutz-Classics: Dracula – Der Original-Vampir von Bram Stoker

Wer kennt sie nicht – die Geschichte des berühmtesten aller Vampire? Der Roman wurde schließlich in über 45 Sprachen übersetzt, gefühlt tausendmal verfilmt, und noch öfter adaptiert in Romanen, Liedern und Musicals, Computerspielen und Comics. Die tragische Geschichte um Graf Dracula und Mina Harker, die sich zwischen dem Schloss in den schaurig-wilden, ewig nebelverhangenen Karparten und dem viktorianischen London entspinnt ,ist zeitlos geworden.

Bei Skoutz-Classics haben wir uns dieses Werk einmal genauer vorgenommen. Wir wollen herausfinden, wie Bram Stoker unsere kollektive Vorstellung vom Vampir so nachhaltig prägen konnte.

Um was geht’s in Dracula?

Dracula ist eine sogenannte Gothic Novel, eine in der Romantik sehr beliebte Form des Schauerromans. Doch bei genauerer Betrachtung enthält Dracula auch Merkmale einer Abenteuer- und Liebesgeschichte. Durch die Montage aus Tagebucheintragungen, Briefen, Zeitungsartikeln und Mitschriften von Gesprächen erhält das Buch einen pseudodokumentarischen Anstrich, der viel von der Faszination des Stoffes ausmacht. Daneben enthält Dracula wie so viele Klassiker erstaunlich moderne – oder besser zeitlose – Themen. Clash of Cultures und damit verbundene Überheblichkeiten, mystische Sehnsucht, Bürokratie, Technik gegen Instinkt … und immer wieder das Spiel mit Gefühlen – Angst, Erotik, Verzweiflung, Gier, Hass. Es ist alles dabei.

Das Karpartenschloss

Jonathan Harker, der etwas naive Hauptheld der Geschichte, unternimmt als Anwalt die beschwerliche Reise zum entlegenen Sitz des Grafen Dracula. Der nämlich beabsichtigt den Kauf einer Immobilie in London über dessen Kanzlei und wünscht Beratung. Harker ist fasziniert von dem sehr weltmännisch und charmant auftretenden Grafen. Dafür nimmt er auch dessen Exzentrik hin, wonach Harker nur nachts mit ihm sprechen und tags bestimmte Teile der Burg meiden soll.
Der bis dahin angenehme Aufenthalt wandelt sich jedoch zum Alptraum, als er bemerkt, dass Dracula wie eine Eidechse über senkrechte Wände klettern kann, kein Spiegelbild besitzt und beim Anblick von Blut sichtlich außer Fassung gerät. Als Harker ein blutiges Stelldichein zwischen Dracula und seinen Mitbewohnerinnen, den drei wunderschönen Schwestern stört, ist klar: Er ist unter Vampire geraten, die in ihm einen Leckerbissen sehen. Panisch

Dracula reist sodann per Schiff nach London, wo er für sich und seine Schwestern ein luxuriöses Leben ohne Versorgungsengpässe erhofft. Harker gelingt zwar die Flucht, aber er hat keine Chance, Dracula noch einzuholen.

London

Das Schiff mit dem Vampiren kommt mit nur einem Überlebenden in England an. Während die Behörden noch rätseln, was mit der Besatzung geschehen ist, richtet sich Dracula auf seinem neuen Anwesen ein. Das macht sich auch bei der Bevölkerung bemerkbar, denn seltsame Krankheitsfälle rund um das Anwesen häufen sich. Harker, der inzwischen die Stadt erreicht hat, weiß nicht, wie er gegen den Grafen vorgehen soll und wie er die Gefahr für ganz London sonst abwenden könnte. Denn da von einem Vampir gebissene Menschen vampirisiert werden, droht förmlich eine Epidemie über London und ganz England hereinzubrechen. Tatsächlich fällt eine Freundin von Harkers Verlobten Mina, dem Vampir zum Opfer.

Die Jagd

Der zur Hilfe gerufene holländische Vampir-Experte Professor Van Helsing erweist sich zwar als herrischer und wenig liebenswerter Zeitgenosse. Aber immerhin kann er sagen, wie man die weitestgehend unzerstörbaren Vampire vernichten und sie sich vom Leibe halten kann. Diese Mittel kann bis heute jedes Kind aufzählen: Sonnenlicht, Knoblauch, Kruzifixe, Weihwasser, Holzfplöcke …

So kann Dracula schließlich in die Defensive und sogar zum Rückzug nach Transsylvanien gezwungen werden. NIcht jedoch, bevor er Mina, in die sich der Vampir verliebt hat, quasi vampirifiziert. Dies erweist sich als Segen, denn so kann Mina den geflohenen Vampir wortwörtlich „aufspüren“ und wichtige Hinweise zu seinem Aufenthaltsort geben. Van Helsing, Harker und einige weitere Mitstreiter machen sich sofort an die Verfolgung und so kommt es zu einem Wettrennen, das in einem dramatischen Showdown mündet.

 

Wie hat uns Dracula gefallen?

Was für ein durchgeknallter Stoff. Ein untoter Graf verliebt sich in die Frau seines Maklers und richtet im Blutrausch ein Blutbad in London an. Die Geschichte kennen wir schon seit dem Kostümfest im Kindergarten. Graf Dracula, der coole aber gefährliche Vampir, der Blut trinkt und gepfählt werden muss, um ihn zu töten. Bis dahin enttarnt man ihn mit Spiegeln und Licht und hält ihn sich mit Knoblauch und Kreuzen vom Leibe. Dann kommt Mina und natürlich van Helsing. Das alles hat man so oft gehört, dass man fast froh um die vegetarische Variante ist, bei der es mehr um Sex als Blutdurst geht und um bürgerliche Probleme als um das ganz große Schicksal.

Mit Dracula ist Stoker zweifellos einer der faszinierendsten Antagonisten der Literaturgeschichte gelungen. Ein Anti-Held, der gefährlich und tragisch zugleich ist, in seinem Sehnen verständlich und in seiner Maßlosigkeit verstörend. Die behutsame Enttarnung des Monsters hinter dem Grafen wird ebenso spannend erzählt wie dessen Jagd.

Die einfache Geschichte „Dracula muss gestoppt werden“, ist bei genauerer Betrachtung unfassbar komplex, offenbart immer wieder neue Aspekte und Motive. Van Helsing ist nicht der strahlende Held, der gegen den bösen Fürst der Nacht antritt, sondern ein schroffer, ein sperriger Charakter. Mina Harker keineswegs das hilflose Weibchen, das gerettet werden will. Tatsächlich ist sie gerade im dritten Abschnitt deutlich resoluter, selbstbestimmter und emanzipierter als so manche Protagonistin moderner Vampir-Romanzen. Sie bringt sich ein, behauptet ihre Expertise, ist technisch auf der Höhe der Zeit, nicht anders als die Männer. Daneben kämpft die Wissenschaft des Van Helsing gegen den Aberglauben, Verstand gegen Gefühl, Ost gegen West, das Greifbare gegen das Unbegreifliche.

Und das ist einfach immer noch unleugbar spannend, selbst wenn man schon weiß, wie es ausgeht.

 

Wem verdanken wir Dracula?

Bram Stoker wurde 1847 in der Nähe von Dublin als Kind einer bürgerlichen Beamtenfamilie geboren.

Obwohl er bis zu seinem siebenten Lebensjahr gehunfähig und meist bettlägrig war, wurde das fantasiebegabte Kind als Student der erfolgreichste Football-Spieler der Dubliner Universität. Anschließend begann er eine Beamtenlaufbahn in der Dubliner Justiz. Parallel arbeitet er für die Dublin Evening Mail als Theaterkritiker und Autor von Kurzgeschichten. Nach einer gelungenen Rezension gewinnt er die Freundschaft des bekannten englischen Shakespeare-Darstellers Henry Irving. Der schließlich verschafft ihm einen Posten als Theaterdirekter am Londoner Lyceum Theatre und heuert ihn als Agenten an. Stoker sagt zu und zieht mit seiner Frau nach London. Seine Zusammenarbeit mit Irving sollte siebenundzwanzig Jahre dauern. Er arbeitete auch als englischer Agent von Mark Twain. Privat verfasste Stoker weiterhin Kurzgeschichten und insgesamt sechzehn Romane, von denen einer legendär wurde: Dracula. Am 20. April 1912 starb Bram Stoker in bescheidenen Verhältnissen in London. Den Erfolg seines Buches erlebte er nicht mehr.

Er stirbt am 20. April 1912 in bescheidenen Verhältnissen in London.

Was macht Dracula zum Klassiker?

Der 1897 in London nach siebenjähriger Vorarbeit erstveröffentlichte Roman gehört fraglos zur Weltliteratur und ist Wegweiser eines ganzen Genres. Geradezu besessen sammelte Bram Stoker einfach alles, was er über Vampire und andere Untote finden konnte, sichtete es, und lies es wie zur Untermauerung seiner Thesen in seinen Roman einfließen. Das Ergebnis ist konsistenter, authentischer und stimmiger als alles, was man bis dahin über Vampire gelesen hatte und dieses „Und wenn es sie doch gibt …“-Feeling macht sehr viel von der bis heute ungebrochenen Faszination aus.

Auf einer Reise lernte Bram Stoker die grausige Geschichte des walachischen Fürsten Vlad III., genannt „Draculea“ („Sohn des Teufels“) kennen, der im 15. Jahrhundert gelebt und für seine Grausamkeit gegenüber osmanischen Kriegsgefangenen als „Vlad der Pfähler“ in die Geschichte eingegangen war. Lokale Legenden behaupten, Vlad habe das Blut seiner Feind getrunken und sei deshalb verflucht worden, für diese Frevel als Untoter für ewig leben zu müssen.

In seine Dracula-Geschichte und seine bis heute „allgemeingültige“ Konzeption des Vampirs, einer seit Jahrhunderten im Aberglauben verschiedener Völker beheimateten Gestalt, flossen zahlreiche weitere Legenden und Gerüchte von Untoten und Blutritualen ein. Bram Stokers sehr behutsame Herangehensweise an den Vampirmythos, der bewusst nicht mehr offenbart, als dramaturgisch nötig, lässt viele Deutungsansätze zu, die den Vampirmythos in einen gesellschaftlichen, erotischen, psychologischen Kontext rücken und für zahllose Adaptionen öffnen.

Vampire in der Literatur

Dabei war Dracula keineswegs der erste literarische Vampir. Auch die Bezugnahme auf den rumänischen Fürsten, der ein türkisches Heer geschlagen hatte, ist nicht Stokers Verdienst.

Der erste Vampirroman dürfte der 1819 von John W. Polidori veröffentlichte Roman „The Vampyre“ sein, den Bram Stoker kannte. Ein Buch, das in einem Autorencamp geschrieben wurde, wo Polidori an Regentagen mit Lord Byron und Percey Shelley sowie dessen späterer Frau Mary festsaß und man sich gegenseitig Schauergeschichten erzählte.

Mehr noch ließ er sich von den Erklärungen des Vampirismus in Joseph Sheridan Le Fanus Erzählung „Carmilla“ anregen. Es geht um einen weiblichen Vampir, der nachts die Schlafenden beißt und in dem übrigens die erotischen Aspekte deutlicher als in Dracula zutage treten.

Die Leistung Bram Stokers ist es, all das zu einem Bild zu verschmelzen. Den walachischen Türkenschlächter, die Legenden von Untoten, die alten Blutrituale und die tiefsitzende Angst vor Wölfen und Ratten auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite die Schrecken der Moderne und ihre Unwägbarkeiten, ihre Unzulänglichkeiten, dem Unfassbaren zu begegnen.

Dracula in der Moderne

Es ist eine Geschichte zum Aufbruch in die Moderne, in unsere Zeit. Wo Entfernungen zu Strecken schrumpfen und alles im Wandel ist. Wo man aus den strukturschwachen Gegenden in die Metropolen flieht und dort keine Heimat findet. Bei aller Technik, allem Wissen lebt das uralte, unbegreifliche, unbezwingbare Böse mitten unter uns und kann uns jederzeit begegnen. Wobei auch hier die Grenzen verfließen und Dracula schon in der Urfassung nicht nur böse, sondern in seiner verfluchten Existenz und seiner wehmütigen Liebe auch tragisch ist. Dracula wendet sich daher bis heute vor allem an den modernen Menschen, dem der Aufbruch in die Moderne zu schnell geht. Wo man die Tradition nicht loslassen will, auch wenn sie düster und gefährlich ist, weil sie begreifbarer, bezwingbarer als das Ungewisse scheint, das uns der Fortschritt bietet.

 

Weiterführende Informationen

Eine sehr ausführliche Beschreibung zur Filmgeschichte von Dracula bietet der entsprechende Wikipedia-Eintrag.

Dracula selbst findet man kostenlos an verschiedenen Stellen im Netz.

 

 

 

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