zu Besuch bei Simone Regina Adams
Im schönen Freiburg im Breisgau lebt Simone Regina Adams. Ich bin schon sehr gespannt auf die gebürtige Saarländerin, die als Psychotherapeutin, Autorin und Dozentin einen ziemlich ausgefüllten Kalender hat. Umso glücklicher bin ich, dass sie sich die Zeit nimmt, mit mir zu plaudern. Bei meiner Recherche habe ich herausgefunden, dass sie neben einigen Stipendien, die sie für ihre Romane gewann, 2011 für “Die Halbruhigen” mit dem Werner-Bräunig-Preis geehrt wurde. Mal sehen, welche Informationen ich ihr mit meinen Fragen noch entlocken kann …
zu Besuch bei Simone Regina Adams, die Gary Cooper auf den Deich schickte – zumindest in ihrer Kurzgeschichte …
In einem Wort: Was bedeutet für dich „Schreiben“?
In einem Wort?
Ja, eine Kompaktversion dessen, was es für dich bedeutet …
Da passt dann nur eines: Glück.
Was ist der seltsamste Ort, an dem du je geschrieben hast?
Für mich selbst eindrücklich, aber auch schon wieder klischeehaft …
Jetzt bin ich gespannt. Klischee kann ja vieles sein 🙂
Im Gartenhäuschen, zwischen Spaten, Rechen, Blumensamen und Rasendünger, an einem wackeligen Holztisch; eng, aber trocken, während es draußen in Strömen regnete.
Wie entstehen deine Geschichten?
Am liebsten schreibe ich unterwegs, in Zügen, in Stipendiums-Wohnungen oder im Urlaub. Aber das meiste entsteht dann doch Zuhause am Schreibtisch.
Autoren sind literarische Künstler, sie alle haben unterschiedliche Herangehensweisen. Wie bist du strukturiert? Oder schreibst du ohne Konzept einfach los?
Plotten und Drauf-Los-Schreiben geschieht abwechselnd, es braucht beides, finde ich, an der Form arbeiten, sich dem Flow überlassen, wieder an der Form arbeiten, and so on …
Wie sieht es bei dir mit der Recherche aus? Verwendest du viel Zeit darauf?
Eine genaue Recherche ist natürlich wichtig, es wäre schade, wenn die Leser aus der Handlung fallen, weil ein Detail nicht stimmt.
Das kann ich mir gut vorstellen …
In der ersten Version der „Flugfedern“ z.B. kurbelte Thibaut, der Protagonist, das Fenster seines Renault 4 herunter – was die Spannung der Szene total zerstört, wenn man sich daran erinnert, dass die kleine Kiste ja Schiebefenster hat …
Wäre mir persönlich nicht aufgefallen 🙂 Aber es ist definitiv eine nette Anekdote. Wie ist dein Verhältnis zu deinen Protagonisten?
Ich muss meine Figuren lieben, ohne alles gut zu finden, was sie so anstellen.
Wie viel Simone Regina Adams steckt in ihnen?
Sie dürfen mir in manchem ähnlich, aber nicht zu ähnlich sein, damit ich den richtigen Abstand finde, um sie klar zu sehen.
Und wenn die Rohfassung steht, wie geht es weiter?
Überarbeitet wird der Text unendlich oft, bis er so knapp, so genau und so verdichtet ist, dass ich zufrieden bin. Daher werden meine Manuskripte immer kürzer, je länger ich an ihnen arbeite.
„Es wird immer weniger gelesen“ – Wie reagierst du auf diesen Satz?
Ehrlich gesagt, gar nicht, weil er nicht meiner Lebensrealität entspricht.
Kannst du mir das näher erläutern?
Als Dozentin im Literaturbereich sehe ich jede Woche in meinen Gruppen mehr als hundert Menschen, die sich freiwillig, ernsthaft und voller Begeisterung dem Lesen und dem Austausch darüber widmen.
Wie stehst du zu Schreibregeln, die bestimmen, was der 1. Satz auf keinen Fall enthalten darf, welche Worte man verwenden soll und welche zu vermeiden sind, wie lang ein Satz sein darf, etc.?
Ich habe mal zu jeder ernst zu nehmenden Schreibregel die besten Ausnahmen aus der (Welt-)Literatur zusammengesucht. Kann ich Euch schicken, wenn Ihr wollt!
Diese Liste ist sicher höchst interessant und für Verfechter des regelkonformen Schreibens sicher auch immens brisant 🙂
Also: Regeln sind total wichtig. Ausnahmen auch. Noch viel wichtiger.
Welches Buch hat dich am meisten geprägt und warum?
John Williams „Stoner“.
Das kam dir schnell über die Lippen. Wieso ausgerechnet dieses Werk?
Vielleicht gerade weil ich noch immer nicht so recht sagen kann, warum. Da wird die überaus schlichte und durchschnittliche Lebensgeschichte eines amerikanischen Literaturprofessors erzählt, so schön, dass es einen umhaut. Und natürlich entspricht das auch meiner Herangehensweise; es sind keine spektakulären Geschichten, die ich erzählen kann und will, es ist eher ein bestimmter Blick auf die Welt. Jede andere Form des Erzählens hat natürlich auch ihre Berechtigung, es ist nur nicht meine.
Wenn du für einen Tag in ein Buch reisen könntest, in welches würde es dich ziehen?
Ooh. Keine Ahnung.
Hast du noch nie darüber nachgedacht?
Die Frage stellt sich mir gar nicht, weil jedes gute Buch, das ich lese, mir in dieser Zeit das Gefühl vermittelt, darin zu leben.
Bist du ein mutiger Mensch? Wann hast du das letzte Mal was zum ersten Mal gemacht und was war das?
Bin ich mutig?
Was würde die Psychologin über das Antworten mit Gegenfragen sagen? *frech grinst* Bist du denn mutig?
Keine Ahnung. Zivilcourage ist mir wichtiger. Und davon kann man gar nicht genug haben.
Da gebe ich dir vollkommen recht!
Für welches Produkt würdest du als Testimonial Werbung machen? Warum?
Für gar keines.
*zieht fragend die Augenbraue nach oben*
Echt nicht.
Gibt es so gar nichts?
Vielleicht empfehle ich mal ein meiner Ansicht nach zu wenig beachtetes Buch, aber das ist dann keine Werbung, sondern ein persönliches Bedürfnis.
Was machst du, wenn du eine Nacht im Kaufhaus eingeschlossen wärst?
Ich gehe in die Spielzeugabteilung und schau mal, was es mittlerweile dort so alles gibt …
Was ist der erste Gedanke nach dem Aufstehen? Was machst du in der ersten Stunde nach dem Aufstehen?
Mein erster Gedanke: Kaffee. Meine erste Tat: Kaffee kochen. Kaffee trinken. Die Katze kraulen. Alles andere: Später.
Kaffee, das Lebenselixier 🙂 Ich versteh dich so gut …
Welche Superkraft hättest du gerne?
Puh, noch so eine Frage … keine Ahnung. Ich hab ja schon jede Menge Superkräfte.
Ach echt? Erzähl mal …
Also, Privilegien. In einem der sichersten Länder der Welt zu leben, genügend Geld, genügend Freiheit zu haben – Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, Handlungsfreiheit –, das ist schon so viel mehr, als viele andere Menschen haben. Damit verantwortungsvoll umzugehen, finde ich schon herausfordernd.
Welcher Irrtum kursiert über dich?
Also, so viel kursiert gar nicht über mich, glaube ich zumindest, weder Dichtung noch Wahrheit.
Also nicht, das wir jetzt und hier aus der Welt schaffen müssten?
Klar gibt es immer wieder Leser, die denken, man habe das alles selbst erlebt, worüber man schreibt. Aber das geht wohl allen Autoren so. Und, nein: Zum Glück habe ich das meiste nicht selbst erlebt.
Was würdest du deinem 10 Jahre jüngeren Ich raten?
Alles ein bisschen entspannter anzugehen. Aber das lässt sich jetzt, zehn Jahre später, auch leicht sagen.
Wenn man nur immer vorher schon wüsste 🙂 Doch bevor ich dich wieder verlasse, hätte ich noch eine letzte Frage an dich …
Was wolltest du der Welt schon immer einmal sagen? Raus damit!
Also, abgesehen von Klimaschutz und menschenwürdiger Asylpolitik? Es heißt nicht: „Bitte verlassen Sie diesen Ort so, wie Sie ihn vorfinden möchten.“ Auch, wenn das in jedem Zug der deutschen Bahn zu lesen ist. Es wird auch nicht richtiger, wenn da steht: „Bitte verlassen Sie die Toilette in dem Zustand, indem Sie sie vorfinden möchten.“ Man will doch nicht aussehen wie ein Klo. Weder wie ein sauber, noch wie ein unsauber hinterlassenes. Eben, hinterlassen. Von schlimmeren Sprachverhunzungen will ich hier erst gar nicht anfangen. Das wird sonst zu lang. Bitte hinterlassen Sie die deutsche Sprache so, dass auch noch andere daran Freude haben.
Ein erfrischendes Plädoyer gegen den Sprachverfall … Vielen Dank, liebe Simone Regina Adams, dass du dir die Zeit genommen hast, mir all meine Fragen zu beantworten. Deinem Roman wünsche ich für den weiteren Wettbewerb viel Erfolg und vielleicht sehen wir uns in Frankfurt zur Verleihung des Skoutz-Awards schon wieder.
Mehr Informationen zu Simone Regina Adams Büchern, Leseproben und verschiedene Texte findet ihr auf ihrer Autoren-Homepage. (Weiterlesen)
Skoutz-Lesetipp: Glück – intensive Glückssuche von Simone Regina Adams
Bruno, Lea, David: Drei Menschen, die sich auf eine gemeinsame Reise nach Zürich begeben, dort vermeintlich das Gleiche erleben – und sich am Ende in völlig verschiedenen Realitäten wiederfinden.
In Zürich will Bruno endlich seinen leiblichen Vater kennenlernen. Seine Halbschwester Lea begleitet ihn, ebenso wie David, der ihn zu dieser Reise ermutigt hatte, und dessen Nähe Lea sucht. Wenige Tage später nimmt David sich das Leben.
Fünf Jahre später fragt Lea sich selbst und Bruno „ob David noch leben würde, wenn wir uns mehr um ihn als um dieses Gespenst, deinen Vater, gekümmert hätten.“
Skoutz meint: Was ist Glück? Und wie unterschiedlich wird es empfunden und wahrgenommen? Dieser Frage widmet sich die Autorin in ihrem Roman. Wir begleiten drei Menschen auf einer schicksalhaften Reise, die am Ende alles ändert – auch wenn der Preis dafür ganz unterschiedlich ist. Auf verschiedenen Erzähl- und Zeitebenen bekommen wir einen Einblick in das Leben und Denken der Figuren. Sie alle sind auf der Suche, wollen Heilung erfahren … Doch der Weg dorthin ist genauso individuell wie die Protagonisten an sich. Mit ihrer stark verdichteten Erzählkunst, die in einigen Passagen beinahe poetisch wirkt, lenkt sie die Aufmerksamkeit des Lesers auf Kleinigkeiten, die man vielleicht anders nicht entdeckt hätte. Dieser Roman ist kein Buch für Zwischendurch, sondern ein Lesegenuß, der mit seiner wohldurchdachten Konstruktion aus Psychologie und Philosophie zum Reflektieren und Nachdenken anregt.
Hinweis:
In Simone Regina Adams Novelle “Flugfedern” – im August 2018 bei Klöpfer & Meyer veröffentlicht – finden wir reine Poesie. Auf 160 Seiten trifft Thibaut die Liebe seines Lebens. Doch Liebe ist weder einfach noch leicht …
Simone Regina Adams überzeugte mit ihrer poetischen Novelle unseren Skoutz Juror Salih Jamal. “Flugfedern” wurde aus über 300 Titeln der Contemporary-Longlist erwählt. Sie ergatterte einen der begehrten Midlist-Plätze und damit vielleicht die Chance auf den Skoutz Award 2019.
Mehr Informationen zu Simone Regina Adams Debüt findet ihr in unserer ausführlichen Buchvorstellung. (Weiterlesen)