Novelle

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Sehr oft lesen wir, dass eine Novelle ein Kurzroman sei. Das ist nicht richtig. Oder jedenfalls nicht ganz. Denn eine Novelle ist zwar zumeist länger als eine Kurzgeschichte, aber tatsächlich hat sie noch ein paar weitere Aufgaben zu erfüllen. Und darum haben wir uns das einmal für euch genauer angesehen – nicht nur den Deutschlehrern zuliebe:

 

Die Novelle für die Ungeduldigen:

Die Novelle (lat. novus = neu; ital. novella = Neuigkeit) ist eine Erzählung, die in der Regel länger als eine Kurzgeschichte ist, aber kürzer als ein Roman. Mit anderen Worten, der Autor konnte sich nicht wirklich kurz fassen, war aber trotzdem zu faul, zu beschäftigt, zu ungeduldig für eine ganzen Roman. Angenehm an Novellen ist – zumindest für flüchtige Leser – dass sie charakteristischerweise über nur einen Handlungsstrang ohne Zeit- und Ortsprünge verfügen (geschlossene Form). Literaturwissenschaftlich ist sie der Epik zuzuordnen, und zwar meist in Prosaform, seltener in Versen.

Die Novelle genauer betrachtet:

Wie so oft gibt es auch für Novellen keine allgemein gültige Definition. Unsere auch nicht. Wenn man allerdings ein wenig herumstöbert, kann man sich doch auf ein paar wesentliche Punkte konzentrieren:

  • gewisser (im Verhältnis zur Kurzgeschichte) aber insgesamt geringer(er) Umfang (im Verhältnis zum Roman), man kann sagen die Novelle sitzt zwischen den Stühlen. Das ist aber nur ein ungefährer Anhaltspunkt, für den mindestens ein inhaltliches, strukturelles Zusatzkriterium hinzukommen muss.
  • nur eine Handlungsebene ohne Zeit- und Ortssprünge (angenehm für flüchtige Leser, die sonst schnell verwirrt wären)
  • ein starkes Leitmotiv (Symbol wie etwa Falken oder Schachfiguren)
  • Erzählung über ein besonderes Ereignis (daher wohl auch ihr Name), das auf einem zentralen Konflikt beruht.
  • straffe, verdichtete Handlungsführung, wie man sie auch von Kurzgeschichten kennt.
  • vergleicherbarer Aufbau wie beim Drama, also dreiteilig. Das heißt konkret, dass nach einer kurz gehaltenen Einführung (Exposition) straff und zielstrebig der Höhe- und Wendepunkt angesteuert wird, gefolgt vom Ausklang der Geschichte. .

Entwicklung der Novelle:

Früher wurden Novellen gern in einem Novellenzyklus veröffentlicht, also als Zusammenfassung einzelner Geschichten mit einer Rahmenhandlung, die diese Geschichten in Bezug zueinander setzt und sie irgendwie verbindet. Heutzutage sind Novellenzyklen selten. Die meisten Autoren schreiben einzelne Novellen. In der Gegenwartsliteratur nimmt die Novelle einen festen Rang als literarische Gattung ein, allerdings hat sie weit weniger Anhänger als Kurzgeschichten oder Romane.

Urheber der Novelle dürfte der Schriftsteller Giovanni Boccaccio (1313-1375) sein, denn er verfasste den ersten bekannten Novellen-Zyklus, den „Decamerone“ (1353). Dieser ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Zehn Personen, die vor der Pest aus Florenz auf ein umliegendes Landgut geflohen sind, erzählen sich in zehn Tagen einhundert ungewöhnliche Geschichten (Novellen). Damit wollen sie sich die Zeit und ihre Angst vertreiben Etwas später verfasste Geoffrey Chaucer in Versform den Novellenzyklus „Canterbury Tales“ (1391-99). In Frankreich gelangten die anonymen „Les Cent Nouvelles Nouvelles“ (1440) zu verdientem Ruhm.

Die Novelle hatte ihre Blüte in der italienischen Renaissance, wo man sich in geselliger Runde unterhaltsame Geschichten erzählte – nicht unähnlich dem modernen Stammtisch (wobei es die gewiss auch schon in der Renaissance gegeben hat. Naturgemäß lag dabei der Fokus auf dem Unerhörten bzw. Neuigkeiten (ital. „Novella“), z.B. Margarete von Navarras „L‘ Heptaméron“ (1558).

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schließlich wird man neuen Formen gegenüber aufgeschlossener, eine Entwicklung, die bis heute anhält. Auch in anderen europäischen Ländern und den USA wird die Novelle im 19. Jahrhundert weiterentwickelt. Es wird psychologischer, der strenge Aufbau wird zunehmend aufgegeben und der Kurzgeschichte angenähert. Heute noch prominente „Novellisten“ sind etwa Guy de Maupassant, der Amerikaner E.A. Poe oder Puschkin und Dostojewski in Russland.

Die Novelle in der deutschen Literatur:

In der deutschen Literatur betätigte sich (wie so oft) Goethe mit seinen „Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten“ (1795) als Trendsetter. Ab 1800 setzt sich dann in der deutschsprachigen Literatur die Einzelnovelle durch und verdrängt den traditionellen Novellenzyklus. Heinrich von Kleist übt sich als früher Sensationsberichterstatter, wenn er mit „Das Erdbeben von Chili“, 1807 gesellschaftliche Skandala als besonderes Ereignis in den Mittelpunkt seiner Novellen stellt. In der Romantik drängen dagegen bei Ludwig Tieck oder Joseph von Eichendorff märchenhafte und phantastische Züge in den Vordergrund (Kunstmärchen). Novellen späterer Epochen üben sich in kunstvollen Verflechtungen zwischen Rahmen- und Binnenhandlung, vertiefte EInsichten des Erzählers und deutlich ausgefeiltere Charaktere.

Berühmte Beispiele der deutschen Literatur sind:

  • Heinrich von Kleist, „Das Erdbeben in Chili“, 1807
  • Heinrich von Kleist „Michael Kohlhaas“,1810
  • E.T.A. Hoffmann, „Das Fräulein von Scuderi“, 1821
  • Wilhelm Hauff, „Jud Süß“, 1827
  • Johann Wolfgang von Goethe, „Novelle“, 1828
  • Anette von Droste-Hülshoff, „Die Judenbuche“, 1842
  • Jeremias Gotthelf, „Die schwarze Spinne, 1842
  • Gottfried Keller, „Romeo und Julia auf dem Dorfe“, 1856
  • Theodor Fontane, „Bahnwärter Thiel“, 1887
  • Theodor Storm, „Der Schimmelreiter“, 1888
  • Arthur Schnitzler, „Leutnant Gustl“, 1900
  • Thomas Mann „Der Tod in Venedig“, 1912
  • Arthur Schnitzler, „Traumnovelle“, 1925
  • Stefan Zweig „Schachnovelle“, 1941
  • Günter Grass „Katz und Maus“, 1961
  • Martin Walser „Ein fliehendes Pferd“, 1978
  • Patrick Süßkind, „Die Taube“, 1987
  • Patick Roth, „Riverside: Christusnovelle“, 1991
  • Uwe Timm, „Die Entdeckung der Currywurst“, 1993
  • Günter Grass, „im Krebsgang“, 2002

Wenn man bedenkt, wie viele dieser Texte heute noch gängige Schullektüre sind, sieht man, welche Bedeutung die Novelle in der Literatur hat (und wie beliebt man sich bei Lehrern und Schülern macht, wenn man sich als Autor kurz fasst 🙂 ).

Bonuswissen (Klugscheißermodus):

Paul Heyse führt unter dem Stichwort „Falkentheorie“ am Beispiel von Boccaccios Falkennovelle aus dem Decamerone aus, wie die beiden Aspekte Silhouette (gemeint ist der Fokus auf das der Handlung zugrunde liegende Motiv) und Falke (als Symbol für das jeweilige Ereignis/Problem der Novelle) die Novelle als Gattung charakterisieren. Diese Begründung wird allerdings oft als bruchstückhaft und missverständlich gerügt, auch und vor allem, weil die von ihm gewählte Falkennovelle nicht gerade eine typische Novelle des Decamerone ist.

 

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