Interview Thiago Ruiz

Zu Besuch bei Thiago Ruiz (Juror Anthologie 2022)

Heute besuchen der Skoutz-Kauz und ich einen jungen alten Autor, der uns in einer prekären Lage seine Hilfe angeboten hat. Thiago Ruiz ist, wie der Name schon verrät, gebürtiger Madrilene, der aber seit seiner Kindheit in Deutschland lebt, obwohl er die Liebe zu seiner Geburtsstadt nie aufgegeben hat. Bisher hat er in spanischer Sprache in einigen Anthologien veröffentlicht, möchte nun aber sich auch auf dem deutschen Markt einen Namen machen, mit einem Projekt, auf das wir schon sehr gespannt sind.

Und ihr hoffentlich auch.

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Zu Besuch bei Thiago Ruiz, der in der Badewanne Klangwelten ersinnt

Lieber Thiago, vielen Dank, dass wir dich so kurzfristig besuchen durften. Wahnsinn, diese Bibliothek ist ja ein Traum! In so schöner Umgebung habe ich schon lange keinen Kaffee mehr getrunken. Während der Skoutz Kauz im Blätterrausch durch die Regale flattert, lass uns doch ein wenig plaudern.

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Wenn du ein Tier wärst, wärst du ein …?

Ein Wolf in einem gutgelaunten, quirligen Rudel.

Und warum?

Ich finde Wölfe sind wunderbare Tiere, die allein stark sind, aber im Rudel unglaublich differenziert miteinander umgehen. Da könnten Menschen viel lernen.

Ich bin jetzt kein Wolfsexperte, aber ich bestätige sofort, dass der Umgang von Menschen untereinander deutlich Raum für Verbesserungen lässt.

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Womit kann man dich im Alltag glücklich machen?

Mit einem guten Buch selbstverständlich.

Haha. Klar, was frage ich auch, deine Wohnung spricht Bände (im doppelten Wortsinn).

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Wir alle haben Wünsche, für uns, für die Welt. Was sind deine?

Für meine eigenen Wünsche habe ich immer die Ärmel hochgekrempelt und gemacht, auch wenn ich damit auf die Nase gefallen bin.

Das hat Tommy Herzsprung so ähnlich auch gesagt. Das ist sicher ein guter und selbstverantwortlicher Ansatz. Nicht reden, tun. Und im Großen?

Bei den Wünschen für die Welt wäre mir das zu riskant.

Inwiefern?

Nun, man sieht ja oft, wie eng verzahnt alles ist, wie eine vermeintlich harmlose Handlung eine Kettenreaktion auslöst, deren Implikationen man vorher nie, nie gesehen hätte. Also ich jedenfalls nicht.

Von daher fände ich es vielleicht auch arrogant, anzunehmen, ich könne für die Welt etwas tun. Da schaue ich mehr zu.

Ganz passiv?

Haha, nein. Aber wie soll ich denn z.B. den Ukraine-Konflikt lösen, wenn ich mir Frieden wünsche?

Wenn ich das wüsste … Aber es gibt ja auch durchaus „große Themen“, die von uns allen Aktion verlangen, wie hältst du es da?

Es überrascht mich selbst, aber ich höre in den großen Dingen lieber auf Ratschläge und Vorgaben. In der Hinsicht wenigstens bin ich ganz der brave Bürger. Meinen Beitrag für eine gesunde Umwelt zu schaffen, ist ja auch etwas, das meinen eigenen Wünschen entspricht.

 

Welches Buch hat dich am meisten geprägt?

 Viele Bücher haben mich geprägt, aber ich nenne hier Marquez. „Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“, das hat mich sehr beeindruckt. Und „Nebel“ von Miguel de Unamuno, dessen Tragikkomik um ein Muttersöhnchen und die Liebe mich zutiefst anspricht.

Von Marquez kenne ich einiges, aber an den Oberst habe ich keine konkrete Erinnerung. Was genau hat dich an ihm so bewegt?

Vor allem die Sprache, die ohne je schwülstig zu werden eine enorme Symbolkraft entfaltet, aber das ist ja typisch für alle Marquez-Bücher. Daneben aber eben hier speziell die Perspektive. Es wird so viel über Helden und Schurken geschrieben, aber so wenig über die schweigende, die beobachtende, duldende oder auch leidende Masse. Diese Perspektive fand ich absolut faszinierend.

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Bleiben wir noch kurz beim Buchregal. Welcher Klassiker liegt allen Vorsätzen zum Trotz immer noch auf deinem SuB?

 Ich habe keinen SUB. Was ich lesen will, lese ich, was ich nicht lesen will, kaufe ich nicht. Und was ich kaufe, lese ich unmittelbar.

Faszinierend. Das scheint so ein Autorending zu sein, dass ihr alle keine SuBs pflegt. Das haben mir so ziemlich glaubhaft jetzt auch schon E.F. von Hainwald und Jenny Völker versichert. Mein Stapel ungelesener Bücher ist wahrhaft gigantisch, aber ich gebe zu, dass das vor allem an der Arbeit für den Skoutz-Award liegt. Da komme ich einfach mit viel mehr spannenden und vielversprechenden Büchern in Berührung als ich beim besten Willen gleich lesen kann.

Lass uns mal übers Schreiben reden …

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Themen finden ist oft einfacher als aus den vielen Ideen, die richtige Auswahl zu treffen. Wie entscheidest du, welches Projekt du als nächstes verwirklichst?

 Ich bin ein sehr sortierter Mensch, da gehe ich das eher wissenschaftlich an.

Ach? Das klingt spannend. Wie darf ich mir das vorstellen?

Ganz einfach ich mache mir eine Liste – pro und con. Dann entscheide ich.

Das ist in der Tat sehr sortiert. Da bin ich sehr gespannt, wie du auf die nächste Frage antwortest.

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Wo stehst du beim Schreiben einer Szene? Bist du eher der aufmerksame Beobachter und Dirigent oder mittendrin in allen Höhen und Tiefen mit Blut, Schweiß und Tränen?

 Ich würde es eher mit einem Theaterbesuch vergleichen. Ich achte sehr auf die Stimmen, auf die Ausdrucksweise. Die deutsche Sprache ist ja so reich an Zwischentönen. Im Kino schließe ich auch oft die Augen und höre einfach nur zu.

Wie gestaltet sich das dann beim Schreiben? Wenn du nur zuhörst, wirst du ja nie fertig?

Haha, das stimmt natürlich. Wenn die Szene in meinem Kopf passt, tauche ich auf und schreibe nieder, was ich erlebt habe. Mit dem Fokus auf den Klang, den die Geschichte beim Vorlesen hätte.

Das ist vor allem deshalb gut, weil doch während der Pandemie so viele Menschen Hörbücher für sich entdeckt haben. Ich bin gespannt auf dein deutschsprachiges Debüt. Aber bleiben wir noch beim Schreiben an sich …

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Welche Szenen fallen dir beim Schreiben am schwersten und wie meisterst du sie trotzdem?

 Jede Szene ist schwierig, weil es gelingen soll. Und dann gelingt es nicht.

Seufz, das kenne ich nur zu gut. Ich sage auch immer, die schwierigste Szene ist für mich immer die, an der ich gerade sitze.

Aber sind wir nicht deswegen Autoren geworden? Weil wir darum ringen, verstanden zu werden?

Wohl wahr. Und eine perfekte Überleitung zur nächsten Frage.

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Was ist dir beim Schreiben deiner Geschichten am wichtigsten, worauf achtest du besonders?

Ich habe eben schon erwähnt, dass ich sehr auf das gesprochene Wort achte, auf Kadenzen, auf die Untertöne. Und das versuche ich, den Lesern auch zu ermöglichen. Ein Buch soll ein wenig musikalisch sein, man muss es gut vorlesen können. In der Badewanne zum Beispiel.

Du liest in der Badewanne vor? Das klingt seltsam.

Keineswegs. Sehr oft hat man im Bad eine sehr gute Akustik.

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Es heißt, jeder Künstler muss auch ein bisschen wahnsinnig sein. Was ist dein Schuss „Wahnsinn“?

 Wahnsinn ist ein Teil der menschlichen Natur.

Niemand der Nachrichten sieht, wird dir da widersprechen. (Seufz)

Leider. Aber zum Glück nicht nur. Es gibt ja zum Glück auch diesen alle Regeln der Vernunft verleugnenden positiven Wahn-Sinn: Wir haben Windmühlenflügel, gegen die wir anreiten und halten unsere Rosinanten oft für feuerspeiende Drachen und ich denke, dafür würden uns intelligente Roboter beneiden. Wir phantasieren. Und dieser Wahnsinn ist mir sehr wichtig. Vielleicht bin ich deswegen so in Marquez und seine Bücher verliebt.

Das verstehe ich gut. Lass uns mal weniger über Marquez und mehr über Ruiz sprechen.

 

Beschreibe dein aktuelles Buch in 3 Sätzen

Zwei Ermittler bringen ihre jeweiligen sehr speziellen Begabungen zusammen. Und beide haben eine Vergangenheit, die sie prägt und vorantreibt. Sie krachen gegeneinander und sie halten sich auch aneinander, während sie erschütternde Morde untersuchen.

Oh, das klingt spannend. Ich hoffe, du erzählst mir bei Gelegenheit noch ausführlicher davon.

Sehr gerne.

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Was würdest du noch gerne lernen und wozu?

Ich wollte immer lernen, ein Instrument zu spielen und an manchen Tagen rede ich mir ein, dass es immer noch möglich wäre.

Klar, warum auch nicht? Es ist doch ein Zauber unserer Existenz, dass im Prinzip jeder Atemzug aufs Neue alle Möglichkeiten eröffnet, wenn wir nur entschlossen genug sind, sie zu ergreifen.

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Welcher Moment im Leben hat die besonders geprägt?

 Sicher die Entscheidung meiner Mutter, mit mir nach Deutschland zu gehen. Ich erinnere mich kaum an Madrid, aber es verbindet mich eine Sehnsucht damit, und als ich mit Anfang zwanzig dort auf der Straße die Luft atmete, war da eine große Traurigkeit, aber auch eine Zufriedenheit.

Inwiefern?

In diesem Augenblick habe ich erkannt, dass wir uns nicht entscheiden müssen, dass wir immer beides haben können. Deswegen war ab diesem Moment auch klar, dass ich von nun an Bücher auf Deutsch schreibe. Über Spanien. Über Deutschland. Über Menschen und das, was sie zum Menschen macht, zu Mördern, zu Freunden, was sie aneinanderbindet. Und die Geburt meiner Nichte. Das hat irgendetwas geändert und mich der Familie wieder nähergebracht.

Das ist schön. Wenn ein neues Leben irgendwie auch hilft, die alten zu ordnen.

 

Was sollen deine letzten Worte sein?

Nach mir kommen andere.

 

Und mit welchen Worten soll dieses Interview enden?

 Danke, dass ich die Chance bekommen habe, so viele interessante Geschichten zu lesen. Die Kurzgeschichte in Deutschland ist eine literarische Gattung, die zurzeit zu wenig Ansehen bekommt und das lässt sich nur durch gute Geschichten ändern. In einer Anthologie sind so viele unterschiedliche Gedanken … nicht alle müssen mich ansprechen, aber eine mindestens muss ich innerlich mitnehmen. Und das hat mich durch diese Aufgabe geleitet.

Das ist ein schöner Ansatz. Wir versuchen ja auch mit der Kategorie Anthologie im Skoutz-Award der Kurzgeschichte ein Podium zu verschaffen, damit sie nicht nur von Autoren, sondern eben auch von Lesern wahrgenommen wird.

Lass uns noch kurz ein bisschen über deine Jury-Arbeit sprechen.

 

Thiago und die Midlist Anthologie:

Lieber Thiago, noch  nie in der Geschichte des Skoutz-Awards, hat sich ein Juror so kurzfristig für das Amt entschieden und noch nie – wenn auch mit Hilfe – in so kurzer Zeit seine Midlist zusammengebastelt. Das war wirklich eine Wahnsinnsleistung. Wie war das für dich? Oder mit anderen Worten …

Was hat dich bewogen, den Jury-Job zu machen? (Vielen Dank dafür!)

Für mich, der ich als Autor doch noch Fuß fassen muss, ist es eine gute Gelegenheit, mich von all diesen Ideen anregen zu lassen und Leute kennenzulernen. Buchpreise, besonders, wenn das Publikum mitentscheidet, sind sehr wichtig, damit die Freude am Lesen weitergetragen wird.

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Was macht für dich ein gutes Buch aus?

Ich mag keine Wahrheit hören, die ich schon kenne. Bücher sollen Anstöße sein – zarte oder manchmal auch grobe. Und wenn sie mich nur unterhalten wollen, dann müssen sie das mit Charme tun oder mit Humor.

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Worauf achtest du bei deiner Auswahl besonders?

Ich habe es schon gesagt: Ich achte auf den Klang der Worte. In der Großstadt sind zwar nicht alle Klänge schön, aber sie müssen stimmig sein. Maschinenlärm, Vogelgesang und Gespräche, wütendes Hupen … dann entsteht eine Welt. Manchmal rührt mich aber auch etwas an, das ich gar nicht benennen kann und dann wähle ich das Buch, weil es mich wählt.

Oh, das ist ein wunderschönes Bild und der perfekte Abschluss für dieses Interview.

 

 

Wo können wir Thiago Ruiz erreichen?

Ich bin noch dabei, meine deutschsprachigen Seiten aufzubauen und hoffe, dass ich bald etwas vorzeigen kann.

Dann ergänzen wir das natürlich sofort.

Bis dahin dürft ihr Anfragen hier kommentieren und wir leiten das an Thiago weiter.

 

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