Zu Besuch bei Mario H. Steinmetz
Der Skoutz-Kauz durfte wieder einmal den Autoren Mario. H. Steinmetz besuchen und Kay hat es sich nehmen lassen, ihn selbst zu begleiten. Der Rest der Redaktion ist immer etwas hibbelig, wenn es zu den Horror-Interviews geht, aber Kay betont immer, dass sonderbarerweise gerade die Horror-Leute totaaaal lieb sind. Wenn sie dabei nicht immer so seltsam lachen würde. Muhahaha.
Wir haben uns jedenfalls alle sehr gefreut, dass unser ganz und gar skoutziger Mario in diesem Jahr mit einem seiner Bücher, Mudlake –Willkommen in der Hölle, auf der Midlist Horror des Skoutz-Awards 2022 vertreten ist. Da es in dieser Kategorie in jedem Jahr supereng zugeht, sind wir schon sehr gespannt, wie es weitergehen wird.
Doch heute ist das egal, denn heute sind wir .
Zu Besuch bei Mario H. Steinmetz – dem Hundemensch, der seinen Whiskey in Ruhe genießt
Hallo Mario, wie schön, dass wir wieder einmal zu dir dürfen. Es ist einfach Wahnsinn, wie schnell die Zeit vergeht. Auch dieses Mal haben wir wieder einige Fragen im Gepäck und hoffen, dass sich daraus ein spannendes Gespräch ergibt.
Lass uns einfach anfangen.
Wenn du ein Tier wärst, wärst du ein …? (Und warum?)
Hm, gute Frage.
Danke! Wir geben uns wirklich Mühe.
Höchstwahrscheinlich ein Hund, da ich selbst ein Hundemensch bin und immer welche um mich hatte. Könnte mir ein Leben ohne gar nicht vorstellen. Hunde sind ehrlich und loyal, immer aber ein Spiegel deiner selbst. Sie spüren, wenn es einem mal nicht gut geht und tun etwas dagegen, im Gegenzug brauchen sie aber auch Zuneigung. Also ganz klar Team Hund, auch wenn ich mich in Shinigami aus Gründen an Katzen rangewagt habe. Mögen es mir meine Hunde verzeihen.
Na, Pferde hättest du auch noch, oder? Jedenfalls sind wir uns einig, dass man ohne Hund und Katz … oder Vogel (danke Skoutzi für den Hinweis!) ein Leben führen, aber nicht genießen kann. Und schwups, sind wir bei der nächsten Frage …
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Womit kann man dich im Alltag glücklich machen?
Das ist überraschenderweise recht einfach.
Umso besser! Erzähl!
Ich bin eher ein ruhiger, stiller Mensch, der Massen meidet und die Natur der Großstadt auf Dauer vorzieht. Und ich brauche meine Tiere. Gib mir etwas Freiraum, meine Tiere, die Ruhe, die ich brauche, und vielleicht noch einen guten Gin oder Whiskey mit Eis, dann bin ich glücklich.
Sonst nix?
Ach ja, und ein Laptop natürlich, denn ich schreibe immer und überall. Ich stelle mir mich oft auf einer Veranda vor einem Holzhaus sitzend vor, blickend auf die endlose Weite der Plains, den oder die Hunde neben mir liegend …
Na dann Prost *ginrüberschieb*. Und während du nachdenklich den edlen Tropfen im Gaumen rollst, lass uns mal noch beim Wünschen bleiben …
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Wir alle haben Wünsche, für uns, für die Welt. Was sind deine?
Mein großer Wunsch war es immer, in die Staaten auszuwandern. Irgendwo oben nach Iowa, South Dakota oder Alaska, wo ich den Veranda-Traum ausleben kann.
Das klingt zwar groß, aber doch machbar. Was hindert dich?
Dann kam die Familie, die Tochter, der Job. Man kennt das ja. Dennoch habe ich den Traum nicht begraben, sondern nur verschoben. Kontakte in den USA habe ich genug, also glaube ich fest an den Tag, an dem ich ins Flugzeug steige und nicht mehr zurückkomme.
Dann bin ich doch mal gespannt, wann es dann soweit ist und du Deutschland den Rücken für immer kehrst. Egal, denn heutzutage kann man ja wirklich überall Kontakt halten. Wir haben skoutzige Autoren in den Staaten, in UK, in Spanien, Italien und sogar Neuseeland. Und Bücher sind ja auch Traummaschinen, finde ich.
Durchaus. Viele meiner Träume habe ich mir mit meinen Büchern erfüllt, indem ich Geschichten aus meinen Gedanken machte und Welten erschuf, in denen alles möglich erscheint. Zumeist zwar düster und schwermütig, aber so bin ich nun mal. Melancholie ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens …
Wow, das ist ja fantastisch. Damit lebst du im Prinzip deinen Traum.
Wichtig ist am Ende nur eines: Wenn wir Wünsche und Träume haben, müssen wir sie pflegen, müssen uns ein Ziel setzen und den Mut aufbringen, sie zu verfolgen.
Hm… wie singt Cat Stevens? You will still be there tomorrow, but your dreams may not.
Wir dürfen damit niemals aufhören, dann braucht es recht wenig, um glücklich zu sein. Wäre es anders, hätte wohl nie ein Mensch ein Buch geschrieben.
Das hast du schön gesagt, also noch einen Gin auf unsere Träume und dass sie irgendwann in Erfüllung gehen mögen. Aber wenn wir schon bei Büchern sind …
Welches Buch hat dich am meisten geprägt?
Es ist schwer, sich auf ein bestimmtes Buch zu fokussieren.
Klar, je mehr man liest, desto größer die Verdächtigen. Aber probier es einfach mal …
Im Laufe der Jahre sind es viele Bücher, die prägen und Eindruck hinterlassen, jedes auf seine ganz eigene Weise. Zwei Bücher beschäftigen mich jedoch schon viele Jahre. Zum einen ist es die Neuromancer-Trilogie von William Gibson, der meiner Meinung nach das Thema Cyberpunk auf ein neues, unglaubliches Level hob und dabei meisterlich versteht, die im Zerfall befindliche und extrem dystopische Welt unglaublich Bildhaft zu beschreiben.
Ich habe die Bücher leider erst nach dem Film gelesen und da war ich visuell so vorgeprägt, dass mir viel entgangen ist. Mit E.F. von Hainwald, unserem SF-Juror, habe ich mich jedenfalls über dieses Subgenre (oder ist es ein Subsubgenre?) intensiv unterhalten. Und er hat mir viel über Neuromancer erzählt, was ich offenbar gar nicht realisiert habe. Aber natürlich stehen sie auf unserer SF-Classics-Liste. Und auf der Dystopie-Liste auch. Und das andere Buch?
Nummer Zwei ist Wie Schatten über totem Land von S. Craig Zahler. Auch er versteht es meisterlich, Szenen zu beschreiben und bleibende Eindrücke zu vermitteln. Bleibt nachhaltig im Gedächtnis. Beide Autoren waren für meinen Schreibstil prägend und das ist gut so.
Ich hab es zwar mal in der Hand gehabt, aber das ist Jahre her. Boah, ich werde alt! Das ist jedenfalls auch ein dystopisches Werk, oder?
Überrascht, das es keine Horror-Autoren sind? Tja, lest zwischen den Zeilen …
Also so ein wenig schwermütig und auch mystisch kommt deine Antwort schon daher, aber auch sehr aufschlußreich. Ich geh mal lesen und melde mich dann wieder. Aber bis dahin …
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Bleiben wir noch kurz beim Buchregal. Welcher Klassiker liegt allen Vorsätzen zum Trotz immer noch auf deinem SuB?
Der Begriff Klassiker ist relativ.
Ja. Das ist uns bewusst. Du darfst dich da sehr individuell rantasten, wenn du magst.
Frankenstein und Dracula habe ich natürlich gelesen, ebenso wie Lord Byron und De Sade, und um den Herrn der Ringe großen Bogen gemacht, aber darum will es mir hier nicht gehen. Shining von King liegt bei mir ebenso auf Halde wie Bücher von Ketchum und Zahler. Was ich meine ist, was macht einen Klassiker zum Klassiker? Und hätte der es heute auch noch drauf, zum Klassiker zu werden? Würde es King – wenn er heute mit der ersten Veröffentlichung ankäme – direkt in die Oberliga schaffen?
Ich denke, darauf kommt es nicht an, denn ein Klassiker ist – wie du es gerade beim Neuromancer auch gesagt hast – zumindest nach unserer Definition ein Buch, dass sein Genre, vielleicht die ganze Buchwelt nachhaltig, also über eine Modeerscheinung hinaus beeinflusst hat. Das kann sein, weil ihn so viele Leute gelesen haben, dass man einfach von einer verfestigten Publikumserwartung ausgehen muss, aber auch, weil das Buch die richtigen Leute lesen – also die Konkurrenz, die davon beeinflusst wird und damit halt auch wieder das Genre. Poe und Lovecraft etwa. Aber das ist unsere Definition. Ich habe auch schon gehört, Klassiker seien Bücher, die einfach sehr lange, generationenüberspannend immer wieder, immer weiter gelesen werden.
Eben. Klassiker definieren wir schlichtweg selbst, jeder für sich und nach seinem eigenen Geschmack.
So, und jetzt bist du dran! Welcher von dir als klassisch empfundenes Buch subt bei dir herum?
Also welcher liegt allen guten Vorsätzen zum Trotz auf meiner SuB? Das ist im Moment Träumen Androiden von elektrischen Schafen? von Philip K. Dick aus dem Jahr 1968. Ist sicher vielen als Vorlage für den Film Blade Runner bekannt.
Ja. Haben wir auch auf der Liste. Und warum lässt du das als Klassiker gelten?
Für mich ist Dick der Urvater des Cyberpunk. Liegt ganz oben auf meinem Schreibtisch, aber ich habe es bisher nicht geschafft, mich ran zu wagen.
Spannend! Und sonst noch?
Ähm, ja und dann steht da der fette Buchschuber mit den gesammelten Werken von Lovecraft, da ich selbst gerade an einem Roman um die großen Alten schreibe. An diese Klassiker habe ich mich auch nur partiell ran gewagt.
Da nennst du jetzt endlich mal einen Horror-Roman. Ich begann gerade, mir Sorgen zu machen.
Um den Kreis zu schließen: Cyberpunk und Horror sind gar nicht mal so verschieden. Cyberpunk ist dystopisch, dreckig, gespickt mit Bodyhorror-Elementen (was ich am Genre Horror neben Besessenheit besonders liebe).
Ich weiß, ich verfolge das Steinmetz Oeuvre durchaus … 🙂
Wer mehr wissen will, ich habe vor kurzem darüber mit Herrn Walter auf YouTube gesprochen. Link dazu findet ihr auf meiner Seite.
Schau ich mir gern an. Das ist sehr spannend.
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Und welches Buch hätte deiner Meinung nach deutlich mehr Leser verdient und warum?
Welches Buch mehr Leser verdient hätte? Meins natürlich (lacht). Nein, Spaß beiseite.
Das ist nicht lustig! Ich würde das sofort unterschreiben! Aber zugegeben, die Frage war anders gemeint … Also?
Dann muss ich ganz klar die Lanze für all die kleinen Autoren und Autorinnen brechen, die bei winzigen Verlagen veröffentlichen. Da sind so viele Diamanten dabei, die im Wust untergehen, es aber verdient hätten, gelesen zu werden. Also blickt über den Tellerrand und schaut, was die eher Unbekannten schreiben. Es lohnt sich wirklich!
Damit sprichst du Skoutz natürlich aus der Seele! Wir reißen uns ja Arm und Flügel aus, um diesen Buchperlen, all den wunderbaren Geschichten ein gleichwertiges Podium neben den sicherlich auch spannenden Mainstream-Titeln zu bieten. Und wir beweisen mit Jury und Publikum Jahr für Jahr – dass die Geschichten problemlos miteinander konkurrieren können.
Du hast gerade deine Bücher erwähnt. Lass uns über dein Schreiben, deine Projekte sprechen!
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Themen finden ist oft einfacher als aus den vielen Ideen, die richtige Auswahl zu treffen. Wie entscheidest du, welches Projekt du als nächstes verwirklichst?
Bei mir entscheidet oftmals ein Gedankenimpuls oder ein Traum über die Geschichte, die ich als nächstes schreiben werde.
Ich weiß, über Träume haben wir haben wir ja vorhin schon gesprochen. Und auch über Bücher als Traumventil. Wie wirkt sich das auf das Schreiben aus?
Dann brenne ich mit jeder Faser dafür.
Hu! Das klingt jetzt auch schon wieder anstrengend, aufzehrend, verschleißend …
Inzwischen habe ich eine Menge geistigen Druck durch die zahlreichen Veröffentlichungen abgebaut und kann mir etwas mehr Zeit mit meinen Storys lassen. Da kommt so manches hoch, was vergessen geglaubt schien, wie mein neuer Cyberpunk Roman Shinigami zum Beispiel.
Inwiefern?
Den wollte ich seit 1985 schreiben, womit wir wieder bei den Träumen und Wünschen wären. Beim sortieren meines Rollenspiel-Regals blätterte ich im Cyberpunk 2020 Regelwerk und alles kam sofort wieder hoch. Wie eine Welle, nein, eher ein Tsunami. Und der hat mich so hart erwischt, das es nicht bei einem Roman in diesem Genre bleiben wird.
Das freut mich zu hören! Solange ist es ja nicht her, dass du damit gehadert hast, das Schreiben ganz zu lassen. Da war ich echt besorgt! Ich will dich in meinem Buchregal nicht missen! Und als Kollege auch nicht! Auch wenn das deinen Horror-Fans vermutlich schlaflose Nächte bereiten wird – Aber anders eben.
Oh, nicht dass jetzt der Eindruck entsteht, ich würde kein Horror mehr schreiben, weil ich aktuell sehr viel von Cyberpunk rede.
Das dürfte den einen oder anderen Fan beruhigen. Andererseits stehst du ja auch mit Horror auf der Midlist!
Mudlake war ebenfalls ein fiebriger Brandsatz, den ich lange mit mir herumtrug. Hinzu kommt, das ich ein großer Westernfan bin und so kam eins zum anderen. Mudlake ist definitiv ein Fiebertraum, sowohl beim Schreiben als auch beim Lesen, denn es geht wahrlich ans Eingemachte. Für mich eine sehr intensive Erfahrung. Und um zu trommeln, die Fortsetzung, welche die Brücke zu Hells Abyss schlägt, ist bereits im Kasten, kommt noch dieses Jahr und trägt den sehr passenden Namen The Sacret Mother.
Das freut mich! Obwohl mir das Buch persönlich an ein paar Stellen zu krass war, hab ich es gern gelesen, gerade, weil ich die Western-Bezüge sehr mochte. Und da ich Hells Abyss ja auch kenne, kann ich ja gar nicht anders … 🙂
Spätestens jetzt sollte auffallen, das die meisten meiner Bücher miteinander verknüpft. Mudlake über The Sacret Mother mit Hells Abyss, aber auch mit Dreizehn und Ivy Good. Das Buch der toten Namen, an dem ich gerade schreibe, hat eine Verbindung zu Shinigami und dieses wieder zu Hells Abyss.
Okay, ich seh schon, für das Steinmetz-Buchregal brauchen wir ein Organigramm … Aber zurück zum Fiebertraumschreiben! Gehen wir mal auf die Mikroebene …
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Wo stehst du beim Schreiben einer Szene? Bist du eher der aufmerksame Beobachter und Dirigent oder mittendrin in allen Höhen und Tiefen mit Blut, Schweiß und Tränen?
Ganz klar in der Haut meiner Protagonisten.
Das klingt beim Horror-Autor gruselig und beim Cyber-Punker sehr technisch. Wie hältst du es?
Ich leide extrem mit ihnen, fühle, was sie fühlen, denke, wie sie denken. Habe ich einen gute Lauf, denke ich vor dem Einschlafen noch darüber nach und träume die Szenen weiter. Deswegen liegt auch immer ein Notizbuch neben meinem Bett, denn wir wissen alle, wie schnell Traumsequenzen verglühen.
Da bin ich stur! Was ich nicht erinnere, lohnt sich auch nicht zu merken! Wahrcheinlich hab ich so reihenweise Bestseller verglühen lassen. 🙂
Apropos glühen. Die besten Szenen schreibe ich tatsächlich, wenn ich Fieber habe. Hört sich jetzt vermutlich schräg an, ist aber so.
Ja. Das klingt schräg. Hm …
Liegt wohl daran, das sich im Fieber die Wahrnehmung extrem ändert. Also meine zumindest (lach).
Und wobei leidest du am meisten?
Ganz schlimm ist für mich, wenn ein liebgewonnener Charakter sterben muss. Das zieht mich dann immer extrem runter. Das ist dann, wie selbst ein klein wenig zu sterben …
Ich heule da auch gelegentlich. Darum bin ich da auch eher reluktant. Lässt sich bei eher heiterer Fantasy aber auch leichter durchsetzen als in deinen Genres. Wenn wir schon bei Horror-Schreibszenen sind …
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Welche Szenen fallen dir beim Schreiben am schwersten und wie meisterst du sie trotzdem?
Es fällt mir sehr schwer, mich kurz zu fassen.
Fällt bei dem Interview gar nicht auf. 🙂 Und wie löst du das schreibend?
Hilfreich – oder besser gesagt heilsam – sind hierbei Kurzgeschichten mit begrenzter Zeichenzahl. Da ich gerne ins Detail gehe, ist das die Hölle für mich.
Aber womöglich disziplinierend.
Genau! Inzwischen habe ich – glaube ich zumindest – einen ganz guten Mittelweg gefunden, aber zum Heftchenschreiber werde ich deswegen trotzdem nicht.
Das macht nichts! Ich les dich gern. Fragen mir mal umgekehrt auch noch, was du magst …
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Was ist dir beim Schreiben deiner Geschichten am wichtigsten, worauf achtest du besonders?
In erster Linie muss eine Story authentisch rüberkommen.
Heißt?
Damit meine ich nicht historisch korrekt oder auf Tatsachen beruhend, sondern vielmehr das Feeling, das bei den Charakteren und deren Umfeld entsteht. Viele meiner Storys sind während meiner Reisen entstanden, wo ich Gelegenheit hatte, Menschen und Land zu beobachten, wie sich alles anfühlt oder wie gesprochen wird. Das ist für mich dann extrem greifbar.
Merkt man, speziell bei Mudlake!
Ja, Mudlake ist ein gutes Beispiel. Den habe ich in seiner Rohfassung komplett an den Originalschauplätzen geschrieben, habe Leute von dort adaptiert und ganze Ortschaften verwendet. Wenn du vor Ort auf einer Veranda sitzt und eine Szene schreibst, die genau an diesem Platz spielt, ist das eine ganz andere, extrem intensive Art des Fühlens. Genau so liebe ich das. Mittendrin. Und genau das versuche ich für mein Publikum zu transportieren.
Dann wird das Buch nicht nur zum Traumverwirklicher, sondern auch zum Reisetagebuch. Cool. Lass uns mal nochmal auf die Fiebergeschichte zurückkommen. Also indirekt …
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Es heißt, jeder Künstler muss auch ein bisschen wahnsinnig sein. Was ist dein Schuss „Wahnsinn“?
Ich glaube, da bin ich als Kind in einen Kessel voller Wahnsinn gefallen.
Denkbar. 🙂
Aber was ist Wahnsinn denn eigentlich? Das Schreiben im Fieberwahn, von dem ich weiter oben sprach?
Jedenfalls nicht abwegig. Aber vielleicht etwas zu einfach?
In meinem Fall würde ich das als in anderen Bahnen zu denken bezeichnen, als den Blick über Grenzen hinweg, nein, sie niederzureißen. Manchmal ist Wahnsinn aber auch, alles auszuprobieren, was sich anbietet, um eigene Erfahrungen zu machen. Zugegeben, heute bin ich da etwas ruhiger geworden, aber nichts desto trotz offen für jede Art von Abgrund.
Wir haben die Frage ganz klar an dem Romantik-Begriff von „Genie und Wahnsinn“ aufgehängt. Wenn man sagt, dass jeder ein bisschen Wahnsinn in sich trägt, etwas das ihn anzündet und über seine Grenzen treibt, dann braucht man das vermutlich auch besonders, um Kunst zu schaffen. Eine spezielle Art von Besessenheit vielleicht?
Ihr wollt am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, besessen zu sein? Okay, ziehen wir eine Seance durch und finden es heraus. So in etwa meine ich das. Wobei ich heute die Finger von Seancen lassen würde, denn da ist mal was echt blödes bei passiert …
Tja … das kann passieren. Andererseits: Unsereins baut dann eben auch nicht einfach Scheiß, sondern betreibt Feldstudien. Und Erfahrung ist die Summe der Fehler, die du überlebt hast.
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Beschreibe dein aktuelles Buch in 3 Sätzen
Oh wie ich das hasse.
Horror für den Horror-Autor. So soll das sein.
Siehe kurz fassen etwas weiter oben (lach).
Ich weiß … (schnurr)
Ist so ähnlich, wie einen Klappentext zu schreiben. Okay, hier kommt Mudlake in drei – zugegeben langen – Sätzen.
1876 stellen sich vier Revolverhelden gegen einen brutalen Saloonbetreiber und stoßen dabei auf ein Labyrinth, das sich wie ein böses Geschwür unter dem Provinznest Deadwood ausbreitet. Was als wilde Schießerei beginnt, endet nach einem Ritt durch die Hölle auf einer Farm in Iowa, auf der sich Geschehnisse jenseits menschlicher Vorstellungskraft zutragen.
Einhundert Jahre später gerät am selben Ort der Bus einer Abschlussklasse in die Fänge brutaler Dorfbewohner, deren Schicksal sich am Ufer des Mudlake entscheidet, durch dessen schlammtriefende Oberfläche ein grauenvolles Geheimnis bricht.
Das lass ich gelten, auch wenn mich die Sacred Mother jetzt mehr interessiert hätte. (Seufz!) Aber Mudlake ist auch cool.
Den Mudlake gibt es in Iowa übrigens tatsächlich und Parallelen nach Deadwood – South Dakota ebenfalls. Vor Ort erzählt man sich da so einiges darüber.
Ja, das habe ich beim Buch lesen gelesen und dann gegoogelt. Sehr, sehr faszinierend. Das macht das Buch nochmal abgefahrener. 🙂 Was hast du sonst noch gelernt von deinem Buch?
Ich lernte dort – beim täglichen Frühstück in einer fensterlosen Tavern am Tisch von alteingesessenen Farmern – sehr viel über Maisanbau und Schweinezucht und wie der Mudlake seinen Namen bekam (Einspielen eines teuflichen Muhahaha-Lachens).
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Was würdest du noch gerne lernen?
Japanisch.
Hä?
Weil ich diese Sprache und die damit untrennbar verwobene Mystik äußerst interessant finde. Und wenn ich es dann könnte, nach Japan gehen und in die Verschmelzung von Tradition und Cyberpunk eintauchen, vielleicht sogar darin aufgehen, wer weiß …
Im Cyberpunk ist alles möglich. Ich arbeite mich gerade an Mandarin ab, da ist auch sehr viel Philosophie in der Sprache. Etwa, dass sie kein „Ja“ und „Nein“ kennt, weil die Information unzureichend wäre. Es sei, so mein Lehrer, ja ein großer Unterschied, ob man nicht kann oder nicht will. Sehr faszinierend. Und sonst? Neben Japanisch?
Einhergehend damit würde mich Aikido brennend interessieren. Ich suche bereits nach einer geeigneten Schule …
In München könnte ich dir weiterhelfen. Aber das ist leider ein bisschen weit.
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Welcher Moment im Leben hat die besonders geprägt?
Ganz klar die Geburt meiner Tochter.
Das sagen alle Eltern, die wir interviewen. 🙂 Nicht originell, aber sehr schön. Und sonst?
Und seither jede Sekunde mit ihr aufs Neue. Inzwischen hat sie sogar für Shinigami Charakterbilder gezeichnet, die sogar ins Buch gekommen sind. Darauf bin ich ganz besonders stolz.
Du machst das echt gut, mit deinen Büchern. Ich war zwar schon angefixt, aber du steigerst das so gaaaanz beiläufig. 🙂 Lass uns (mit einem Blick auf die Uhr) zum Ende kommen …
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Was sollen deine letzten Worte sein?
Mehr Licht!
Klar! Und schon wieder sind wir bei den Klassikern.
Nein, Spaß beiseite. Ich werde still sterben, ohne große oder tiefgründige Worte. Was gibt es dazu auch schon groß zu sagen.
Das fragst du ernsthaft, nach diesem Monster-Talk? Echt? Schweigend? Du? Neverever!
Vielleicht sage ich aber auch frei nach Mudlake zu mir selbst Willkommen in der Hölle. Wer weiß, vielleicht sogar auf der Veranda vor dem besagten Holzhaus sitzend, den letzten Blick über die Ferne schweifend. Das würde ganz gut passen.
Eher wüsste ich, was auf meinem Grabstein stehen soll: … und aus meinen toten, leeren Augenhöhlen werden keine Skorpione kriechen!
Warum? Aus Gründen 😉
Daran zweifle ich keine Sekunde!
Ich hoffe, mit meinen Geschichten, Büchern und Beiträgen etwas bleibendes geschaffen zu haben, an das man sich gerne erinnert. Aber he, noch ist es nicht soweit, es gibt noch viele Bücher zu schreiben 🙂
Diese Form von Unsterblichkeit, die uns großen, faszinierenden Geistern quer durch Zeit und Raum näherbringt, ist für mich eine der ganz großen Buchmagien. Und ich bin – ganz ohne Scheiß! – echt froh, dass wir hier ratschen, im Netz chatten, und ich nicht NUR deine Bücher habe.
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Eine Frage hab ich noch …
Mit welchen Worten soll dieses Interview enden?
Herzlichen Dank für das Interview und die teils recht außergewöhnlichen Fragen. Hat mir wirklich großen Spaß gemacht.
Uns auch! Ich bin müde, aber glücklich. War schön.
Ich freue mich immer sehr, wenn ich etwas über mich und meine Bücher erzählen darf.
Jederzeit gern wieder! Für deine Mother oder die Cyberkatzen … 🙂 Und hast du noch was für unser Publikum?
Hört nie damit auf, zu träumen. Lebt eure Träume, denn ohne die sind wir kaum mehr als leere, nutzlose Hüllen. Lest mehr Bücher, denn die liefern den Treibstoff für eure Phantasie. Ich glaube, damit ist alles gesagt.
Herzlichst,
euer M.H. Steinmetz
Und passend zum Interview waren das die längsten letzten Worte der bisherigen Interview-Reihe! Lach!
Hier könnt ihr Mario H. Steinmetz erreichen?
- Homepage* von Mario H. Steinmetz
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- Instagram* und
- YouTube (aufgezeichnete Lesungen*)
- und hier haben wir noch ein gleichfalls hochunterhaltsames früheres Interview!
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Skoutz-Lesetipp:
Shinigami – Cyberpunk von Mario H. Steinmetz
Die Söldnerin Ghost lebt am Limit.
Der Anruf ihres Dealers verspricht einen Job, der sie zurück in den New Babylon Megaplex führt, wo Seelen in Chrom gewogen werden und holografische Geishas überhöhten Göttern gleichen. Dazu muss sie nur die Netrunnerin Amy töten. Rein. Kugel in den Kopf. Raus. Absolut easy.
Doch die Götter des Cyberspace haben andere Pläne.
In einer total vernetzten Welt, mit Neuroprozessoren im Schädel und durch Implantate übers Limit getunten Körpern schicken sie Amy und Ghost auf einen Höllenritt zwischen Realität und virtuellem Pantheon.
Und dann ist da noch diese ominöse Katze, die sich selbst Wichian Mat nennt …
Skoutz meint: Mario H. Steinmetz kann auch Cyberpunk und schafft hier eine Verneigung vor den großen Vorbildern, die trotzdem eigenständig, aufregend und neu ist. Die Konstruktion der übermächtigen KI, die Spekulationen um die Katze und reichlich harte, düstere Elemente, die zeigen, dass der Autor aus dem Horror-Fach kommt, geben eine schlüssig erzählte, sehr stimmungsvolle Geschichte, die mit rasanter Action, starken Figuren und cleveren Konzepten punktet. I like it!
Leider hat es Amazon noch nicht geschafft, Ebook und Print zu verknüpfen, daher beide als Link:
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Hinweis:
Wie mehrfach im Interview erwähnt, steht Mario H. Steinmetz mit seinem Horror-Western „Mudlake“ auf der Midlist Horror des Skoutz-Awards. Wir haben das Buch bereits gelesen und euch ausführlich vorgestellt, und zwar hier.
Wir wünschen Mario viel Erfolg im weiteren Verlauf des Wettbewerbs und können uns gut vorstellen, dass wir ihn im finalen Duell um den Horror-Skoutz wiedertreffen.
Wer das Buch schon kennt, kann (und soll!) es auf Skoutz.net bewerten, damit unsere Buchsuche besser werden kann (weiter). Mit der Skoutz-Buchfieberkurve bewertet ihr mit fünf einfachen Klicks ein Buch anhand von fünf Kriterien statt fünf Sternen. Auf einen Blick seht ihr dann, wie das Buch wirklich ist. So schön kann Bücher suchen sein. So einfach entsteht eine aussagefähige Buchbewertung.