zu Besuch bei Marco Ansing
Heute bin ich zu Besuch bei Marco Ansing, um ihm ein paar Fragen zu stellen und bin schon sehr gespannt, was mich erwartet, denn er ist sehr vielseitig. Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber und Autor ist er auch als Geschichtenerzähler auf Bühnen unterwegs. Ob Klein oder Groß – seine Lesungen, Inszenierungen und Live-Hörspiele sind immer ein Hit. Dabei ist es völlig egal ob er Märchen, abenteuerliche Steampunk-Geschichten, spannende Krimis oder futuristische Science Fiction präsentiert – er begeistert mit allem. Mal sehen, was ich ihm so alles entlocken kann und ob er auf meine Fragen auch so flexibel reagieren kann …
zu Besuch bei Marco Ansing, der aus Klischees und Kreativität Geschichten webt …
In der Kürze liegt die Würze – Warum gilt das auch für Geschichten?
Eine gute Geschichte braucht kein Geschwafel. Der Unterschied von Romanen und Kurzgeschichten liegt darin, dass man direkt in die Geschichte springt und nicht viel Zeit hat, sich mit einführenden Worten zu befassen.
Man arbeitet also nur die Quintessenz heraus …
Ich liebe Kurzgeschichten. Jede erschafft für eine kurze Zeit ein kleines Universum.
Was bewegt dich, Anthologien herauszugeben?
Ich habe damals bemerkt, dass es zu dem Thema „Steampunk“ und „Kolonien“ keine Geschichten gibt. Meist ist Steampunk sehr verklärt und setzt sich wenig mit dem Grauen des Imperialismus auseinander. Viele Autoren versuchen sehr Jules Verne-gerecht zu schreiben, dabei war Jules Verne auch nur ein Kind seiner Zeit. Daher war es mir wichtig, zu diesem Thema passende Autoren zusammenzutrommeln, damit diese Lücke geschlossen werden kann.
Okay, das verstehe ich. Aber hätte man das nicht auch in einem oder mehreren Romanen erreichen können?
Eine Anthologie bot sich deswegen an, weil man das Thema durch viele Augen betrachten kann – und vor allem mit verschiedenen Meinungen. Alle Autoren hatten eine andere Sicht und eine andere Art, das Thema in den Mittelpunkt zu stellen.
Was braucht eine gute Anthologie für dich? Was ist ein gutes Anthologie-Thema?
Ein gutes Anthologie-Thema lässt sofort Ideen aufploppen und zaubert Bilder in den Kopf. Ein Beispiel: Eine Piratenanthologie scheint im ersten Moment nichts Besonderes. Verknüpft mit der Idee von Wüstenpiraten auf fliegenden Schiffen, wird es schon spannender.
Da gebe ich dir recht … Also zumindest mein Interesse hast du gerade gewonnen. Der Einsatz von Enterbrücken würde hier deutlich spannender.
Es müssen also bekannte Komponenten mit verrückten Ideen gepaart werden, um echte Phantastik zu erschaffen.
Was glaubst du, wie viele Geschichten sind perfekt für eine Anthologie und wieso?
Maximal 15 Geschichten.
Wie kommst du ausgerechnet auf diese Zahl?
Mehr sollten es nicht sein, sonst könnten sich Facetten des Themas wiederholen. Unsere Autoren-Anzahl ergab sich dadurch, dass pro Kontinent nur zwei Autoren schreiben durften. Alle Kontinente sollten aber beschrieben werden.
Okay, das ist schlüssig. Aber würdest du sagen, dass eine Anthologie zwingend Vielzahl an unterschiedlichen Autoren bedingt?
Eine Anthologie kann auch nur aus drei oder vier Autoren bestehen, das hängt dann vom Thema ab.
Wo würdest du hier die Vorteile sehen?
Sind die Kurzgeschichten stärker miteinander verknüpft, ist die Zusammenarbeit leichter, wenn es weniger Autoren sind. Womöglich sind dann die Texte auch länger.
Anthologien sind in Deutschland – anders als in vielen anderen Ländern – relativ schwer an den Leser zu bekommen. Woran liegt das und woher nimmst du den Mut/die Kraft/die Sturheit, es trotzdem zu versuchen?
In Deutschland wird die Qualität eines Buches nach seiner Dicke bemessen.
Woran, denkst du, liegt es?
Das hat nichts mit Geiz zu tun: Mit wenig Geld, viel bekommen. Vielmehr ist es der Wunsch, lange in einer phantastischen Welt zu verweilen, lange den Figuren beizuwohnen oder eine lange Auszeit zu haben. Trotzdem wandelt sich dies.
Inwiefern?
Viele Leser stöhnen auf, wenn sie mitbekommen, dass eine Geschichte gleich eine Serie mit mehreren Bänden ist. Man wünscht sich mehr in kürzerer Zeit zu lesen. Und da bieten Anthologien Zugang. Sie können über eine Welt mehr Geschichten erzählen, die genauso spannend sind wie ein Roman. Natürlich gehen sie niemals so in die Tiefe, reißen aber genauso mit und beschäftigen die Leser nachdrücklich. Ich glaube, dass sich die Kurzgeschichten-Kultur immer mehr in Deutschland etabliert. Dabei findet keine Verdrängung statt, sondern es handelt sich um eine Ergänzung für begeisterte Leser.
Nach welchen Kriterien wählst du die Geschichten aus? Vielfalt? Bekannte Namen? Persönlicher Geschmack? Würfeln oder Orakeln?
Die Geschichten werden danach ausgewählt, ob sie zum Thema passen und ob sie mich sofort packen können.
Ganz ohne Hintergedanken? 😉
Natürlich ist da viel subjektiver Geschmack dabei. Aber wir sind bei den „Kolonien – Welt unter Dampf“ zu zweit gewesen und konnten uns gegenseitig bei schweren Entscheidungen helfen.
Was war dein emotionalstes / verrücktestes / außergewöhnlichstes Erlebnis als Herausgeber?
Die Gestaltung des Covers ist immer der emotionalste Teil.
Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Warum ausgerechnet das Cover?
Man kennt alle Geschichten, nun muss das Cover auch zum Thema passen und all die Geschichten vertreten können. Es ist nicht immer leicht, dem Grafiker seine Wünsche klarzumachen.
Du meinst also, das Cover muss die Geschichten erzählen? Auch, wenn es natürlich schon zum Thema passen sollte, muss es nicht vor allem den schnellen Blick potentieller Kunden einfangen und neugierig machen? … Also den Kunden, nicht den Blick. 🙂
Mit vielen Autoren zusammenzuarbeiten kann schön, aber sicher auch anstrengend sein, oder?
Nein.
*hebt fragend eine Augenbraue*
Natürlich ist viel Koordination und jede Menge Kommunikation nötig. Aber am Ende entsteht ein unverwechselbares Werk.
Was wäre das größte Kompliment für dich als Herausgeber?
Das Lesenden die Umsetzung des Themas gefällt und ihn die Zusammenstellung der Geschichten berührt.
Ich denke, das hast du geschafft 🙂
Wer ist für dich der ideale Leser?
Ideale Leser sollten Lust haben, sich mit neuen Themen zu beschäftigen und sich gerne auf unbekannte Geschichten und Autoren einlassen. Die eigene Meinung ist gefragt, denn am Ende einer Geschichte muss geurteilt werden, ob alles gefiel.
Was, wenn nicht?
Wenn nicht, ist das nicht schlimm. Aber sich auf die Geschichten einlassen, dass wäre ideal.
Gibt es Unterschiede zwischen Anthologie- und Roman-Covern?
Nein, eigentlich nicht.
Eigentlich klingt immer so nach einem Aber …
Bei Romanen steht meist nur eine Person drauf, während bei Anthologien mehrere Herausgeber auf dem Cover verewigt sind.
Welche Superkraft hättest du gern?
An meine Zielorte teleportieren.
Wieso ausgerechnet diese Kraft? Was würdest du damit anstellen wollen?
Das würde mir viel Zeit im Leben sparen – und ich wäre ein ganzes Stückchen klimaneutraler.
Für welches Produkt würdest du Werbung machen?
Für Brettspiele im Allgemeinen.
Und deine Botschaft wäre?
Spielt mehr Brettspiele. Alle. Trefft Eure Freunde, lacht, spielt … das verbindet. Und unterhaltet Euch dabei natürlich über die zuletzt gelesenen Kurzgeschichten.
Und zum Schluss: auf welche Frage in einem Buchinterview möchtest du einfach nur mit »Ja« antworten?
Macht es Spaß eine Kurzgeschichte zu plotten und zu schreiben? Ja.
Tausend Dank, lieber Marco Ansing, dass du dir die Zeit genommen hast, mich zu treffen und mir all meine Fragen zu beantworten. Es war wirklich toll und ich wünsche dir, deinem Mitherausgeber, André Skora, und den vielen Autoren der Anthologie viel Erfolg für den weiteren Wettbewerb. Vielleicht sehen wir uns ja bereits in Frankfurt zur Verleihung des Skoutz-Awards bereits wieder.
Mehr über Marco Ansing und seine Bücher findet ihr auf:
Skoutz-Lesetipp: Geisterland: Geschichten aus der Welt der Seelenfänger – spannende Fantasy-Anthologie von Jörg Köster (Hg.) und André Skora (Hg.), an der auch Marco Ansing mitwirkt.
Ein Land, geplagt durch einen Fluch, heimgesucht von Monstern und verlorenen Seelen. Nur Seelenfänger können der Geister Herr werden. Doch die einfachen Menschen sind machtlos. Ein verfluchter Nebel legt die Welt in Finsternis und jeder überlebte Tag zieht nur eine Nacht nach sich, die umso größere Gefahren birgt.
Dreizehn Autoren haben sich in diese Welt gewagt und schildern in jeder ihrer Geschichten neue Facetten des Täuscherlandes.
Skoutz meint: Nicht nur für Rollenspieler ist diese Anthologie ein Lesespaß der besonderen Art. Die Welt der Seelenfänger gehört zum gleichnamigen Pen&Paper-Spiel und ist entsprechend detailliert ausgestattet. Dies als verbindendes Element für die Geschichten der verschiedenen Autoren führt dazu, dass der Leser sich nicht bei jeder Geschichte auf ein komplettes neues Umfeld einstellen muss. Die Geschichten selbst sind so verschieden wie ihre Autoren, alle aber laden zum stimmungsvollen Gruseln, zum Mitfiebern und Miträtseln ein. Ich persönlich würde mindestens zwei gerne mit meiner RPG-Truppe nach- und weiterspielen … und freue mich auf weitere Anregungen.
Hinweis:
„Kolonien – Welt unter Dampf“ ist der Titel der im Oktober 2018 bei Amrûn erschienenen Anthologie, in der uns die beiden Herausgeber André Skora und Marco Ansing 15 Kurzgeschichten präsentieren. Auf insgesamt 300 Seiten erleben wir keine romantisierten Steampunkstorys, sondern einen schonungslosen Blick auf die Auswüchse des fiktiven Imperialismus der einzelnen Kontinente im 19. Jahrhundert.
Diese neuartige Interpretation des Themas durch die verschiedenen Autoren hat nicht nur die Leser begeistert, sondern auch Jurorin Stella Delaney überzeugt, „Kolonien – Welt unter Dampf“ aus über 300 Titeln der Anthologie-Longlist 2019 auf die Midlist zu wählen. Mit Volldampf zum Anthologie-Skoutz 2019 – wer weiß …
Mehr Informationen bekommt ihr in der ausführlichen Buchvorstellung. (Weiterlesen)