Zu Besuch bei: Jannis Plastargias (Skoutz-Juror Contemporary 2016)

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Jannis Plastargias kannte ich bis zu diesem Interview nur als Organisator wunderbar ungewöhnlicher Literaturevents wie etwa der Frankfurter Verkehrs Literatour, bei der Lesungen in öffentlichen Verkehrsmitteln gehalten werden. Skoutz hat Jannis als im positiven Sinne durchgeknallten, super sympathischen Künstler kennen gelernt, der in seiner Begeisterung für Literatur auch ungewöhnliche Wege abseits des Mainstreams beschreitet, was nicht gegen den Main gerichtet ist, gegen den Jannis als echter Frankfurter natürlich gar nichts hat.

Jannis Plastargias in der Jury des Skoutz-Awards

Deshalb haben wir uns sehr gefreut, dass Jannis sich bereit erklärt hat, die Jury zum Skoutz-Award in der Kategorie Contemporary/das besondere Buch zu verstärken. Zur Leserparty der Leipziger Buchmesse stellen wir seine Auswahl für die Midlist Contemporary vor. Jene 9 Titel, von allen  besonderen Büchern (Contemporary) aus den Vorschlägen, deren Geschichten nach Jannis Ansicht das Potential haben, den Contemporary-Skoutz 2016 zu gewinnen.

Und ganz egal, ob das Buch aus einem großen Verlag oder vom Autor selbst veröffentlicht wurde, ob es von einem alten Hasen geschrieben wurde oder ein Debüt ist – nur die Geschichte zählt.

Jannis Plastargias – der Philosoph in der Jury

Portrait Jannis Plastargias
(c) Corinna Kaiser

Was ist dein »Sprit« beim Schreiben, woher nimmst du deine Ideen?  

Ich nehme alles bewusst auf, was ich erlebe, was ich sehe, höre, rieche, taste, was ich fühle; ich beobachte Menschen und Situationen, lasse mir Geschichten erzählen, erlebe aber auch ständig selbst welche. Alles, was ich schreibe, ist der Versuch, die Welt, die mich umgibt, zu verstehen, den Sinn dahinter, den Grund ihres Seins – und damit auch meines Seins.

Das ist ja eine sehr philosophische Annäherung an das Schreiben. Ich sehe schon, wir haben den Richtigen für die besonderen Geschichten gefunden.

 

Was würdest du tun, wenn du nicht mehr schreiben könntest?

Da ich nicht singen und nicht zeichnen kann, würde ich ziemlich dumm aus der Wäsche schauen.

Ach was, wir würden dir ein abstraktes Gemälde sofort zutrauen. Glaubst du nicht?

Vermutlich würde ich schauspielern, sowohl Theater als auch Film. Oder würde es zumindest anstreben.

Ja, in einem Indie-Film könnten wir uns dich auch gut vorstellen.

 

Zu welchen Anlässen hast du schon überlegt, mit dem Schreiben aufzuhören?

In Sinnkrisen, das ist aber auch ganz normal. Da frage ich mich aber auch, warum ich lebe, was das alles soll, das bezieht dann natürlich auch das Schreiben mit ein. Diese Phasen kennt jeder. Mir hat immer ein Spruch meiner Philosophie Lehrerin in der Schule geholfen, sie sagte: „Es ist doch selbstverständlich, dass man sich jeden Morgen fragt, warum man aufsteht, warum man überhaupt ist. Alles andere ist doch nicht menschlich, oder?“ Ich glaube, dass es nicht selbstverständlich ist, dass man so morgens aufwacht, bei ihr und mir jedoch schon. Und das ist auch gut so. Obwohl es manchmal anstrengend ist …

 

Was war dein emotionalstes Erlebnis beim Schreiben?

RotZSchwul - Jannis PlastargiasNun, ich habe meine Krebserkrankung als Sechzehnjähriger in einem Briefroman („Liebe/r Kim!“) verarbeitet. Ich schrieb a) 20 Jahre dran, weil es immer einen Moment gab, an dem ich abbrechen musste und lange Zeit mich nicht mehr in der Lage sah weiterzumachen und b) erinnerte ich mich beim Schreiben an viele Erlebnisse und Menschen und musste dann weinen. Zum Beispiel gibt es Patienten, von dem ich eine schöne Geschichte der Annäherung erzählen konnte. Aber als ich davon schrieb, fiel mir auch ein, dass er zwei Jahre später verstarb und dann fing ich an zu weinen und konnte den ganzen Tag quasi nicht mehr damit aufhören. Die Gemeinsamkeit war, dass wir beide etwas am Knie hatten – und bei ihm wurde es damals amputiert. Er war damals 14. Und als er starb 16.

Ich habe selbst bereits gegen den Krebs gekämpft, allerdings als Erwachsene. Obwohl ich damals einen Blog geschrieben habe, in dem ich versucht habe, meine Erfahrungen in jene Tipps und Tricks umzumünzen, die ich nachher gehabt habe, aber vorher gebraucht hätte. Aber diese Erlebnisse in einen Roman umzumünzen, dazu würde mir die Kraft fehlen.

 

Wie viel Autobiografie steckt in deinen Geschichten?

Wie man in der vorherigen Antwort lesen kann, teilweise sehr viel.

Den Einwand habe ich kommen sehen. Aber da wir allen Autoren dieselben Fragen stellen, musst du da durch. Tut mir leid.

Auch bei meiner „Forschungsarbeit“ zur RotZSchwul, einer Emanzipationsgruppe der neueren deutschen Schwulenbewegung in Frankfurt am Main, die von Anfang bis Mitte der 1970er Jahre bestand, habe ich aus meiner subjektiven Sicht geschrieben und Verknüpfungen zu meinem gegenwärtigen Leben in Frankfurt gezogen.

Mit diesem Buch bist du mir das erste Mal aufgefallen. Das haben mir schwule Freunde als sehr lesenswewert empfohlen, wenn man sich für die Hintergründe interessiert.

 

Was wäre das größte Kompliment, das man dir als Autor machen kann?

Oh, das weiß ich gar nicht. Mich hat de Rote Flora in Hamburg zu einer Lesung aus dem RotZSchwul-Buch eingeladen, das war für mich ein Riesen-Kompliment. Und es ist immer ein Kompliment für mich, wenn ein Leser verstanden hat, worauf ich hinauswollte.

Das ist doch das Wunderbare an der Literatur. Sie verbindet Menschen über Zeit und Raum und alle Standesschranken hinweg.

 

Wer ist für dich dein idealer Leser?

Das knüpft nun an den zweiten Teil meiner Antwort zuvor an: jemand, der versteht, was meine Intention des Textes war, jemand, der weiß, warum ich den Text so geschrieben haben, weswegen ich es tat. Ich schreibe nämlich alles andere als Mainstream. Es ist nicht einfach, was ich schreibe. Nicht von der Schreibweise, aber von der Machweise, von der Idee, die hinter den Büchern steckt.

Ich kann nur sagen, dass ich das, was ich von dir gelesen habe, sehr gerne mochte. Es sind Geschichten, die ein Anliegen haben und es vermitteln. 

 

Bei welchem deiner Protagonisten würdest du den Beziehungsstatus mit dir als »schwierig« bezeichnen?

Meine Protagonist/innen liebe ich ja so gut wie immer, schwierig ist eigentlich kaum eine meiner Figuren. Ich schreibe gerade an einem Roman, da ist es ein bisschen schwierig mit den Hauptpersonen 2-5, die auf den Erzähler treffen. Die sind alle irgendwie sympathisch, haben aber alle etwas zu verbergen und haben eine fiese Ader – die herauszuarbeiten ist natürlich schwieriger, weil ich sie ja so mag.

Das höre ich in den Interviews öfter von den Autoren. Aber schließt sich das aus? Ich meine, ein schwieriges Kind liebt man ja auch nicht weniger. Im Gegenteil, vielleicht sogar mehr, weil man sich viel intensiver mit ihm auseinandersetzen muss.

 

Und zum Schluss: auf welche Frage in einem Autoreninterview möchtest du einfach nur mit »Ja« antworten?

Ich wünschte mir, ich könnte auf die Fragen: „Haben Sie schon mal einen Bestseller veröffentlicht?“ oder „Haben Sie schon einmal einen wichtigen Preis gewonnen?“ mit JA antworten könnte. Aber ist nicht. Vielleicht ist das jedoch auch gut so.

Ach was! Wir würden dir das von Herzen gönnen. Und bis dahin tröstet dich vielleicht das Wissen, dass du der ersten Jury eines künftig superwichtigen Literaturpreises angehörst und damit in die Annalen eingehen wirst. Wir freuen uns auf jeden Fall sehr, dass du dabei bist und auf deine Auswahl der Contemporary/Besonderen Titel zum Skoutz-Award. Und auf die Leserparty.

Alle, die Jannis im Genre Contemporary/Besonderes Buch oder auch der Jury allgemein Bücher des letzten Jahres vorschlagen wollen, können das hier bis zum 29.02.2016 tun.

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Skoutz-Buchtipp: Plattenbaugefühle – gesellschaftskritischer Jugendroman von Jannis Plastargias

Plattenbaugefühle - Jannis PlastargiasDie erste Liebe, die Träume in der Pubertät, die Veränderungen der Umgebung, das Wahrnehmen der eigenen Interessen: Ein Roman für Jugendliche ab 16 Jahren, der sich um die sexuelle Identität zweier Jungen dreht – einer deutsch-türkischen Beziehung, mitten in Deutschland. Den Hintergrund bildet die realistische Beschreibung des Lebens in einer Plattenbau-Siedlung und die Verständnis-Schwierigkeiten zwischen den Kulturen.

Als ich gestern eine Runde drehte, wurde mir ganz mulmig zumute. Plattenbauten! In diesen wohnen ›Kopftücher‹ und ›Gangsta‹. Und da passierte es: Drei Jungs standen an einem Hauseingang beisammen – sie sahen alle sehr fies aus. Sie stritten. »Ey, du Schwuchtel, mach das nicht noch mal!«, dann haute der Wortführer auf den Schmächtigsten ein – ich sah nur seinen Rücken und seine mittellangen, dunklen Haare – der dritte Junge stand nur tatenlos und lachend daneben. »Hau ab, Afyan!« schrie jemand – ich beeilte mich auch wegzukommen – Ob es hier immer so abgeht?

Die erste Liebe, die Träume in der Pubertät, die Veränderungen der Umgebung, das Wahrnehmen der eigenen Interessen: Ein Roman für Jugendliche ab 16 Jahren, der sich um die sexuelle Identität zweier Jungen dreht – einer deutsch-türkischen Beziehung, mitten in Deutschland. Den Hintergrund bildet die realistische Beschreibung des Lebens in einer Plattenbau-Siedlung und die Verständnis-Schwierigkeiten zwischen den Kulturen.

Skoutz meint: Die erste Liebe ist immer besonders und immer ist man damit überfordert. Für Jonas ist das nicht anders. Doch dass das Objekt der zarten Gefühle ausgerechnet Afyan ist, ein türkischer Mitschüler und Schul-Fußballstar, der in einer Plattenbausiedling lebt, macht das Ganze erst richtig kompliziert. Jannis beschreibt das so ehrlich, so geradlinig, dass man unweigerlich in den Bann der Geschichte gezogen wird und sie intensiv miterlebt. Und sich dabei an die eigene erste Liebe erinnert …