Sprichwörtlich #6 – einen Vogel haben
Weil die sprichwörtlich-Reihe so gut ankommt und allen sprachverliebten Skoutzen genauso viel Spaß macht wie der Redaktion, kommt hier mal wieder ein Beitrag. Nachdem wir uns bereits Ross, Hund und Katze gewidmet haben, sind wir heute stolz darauf, einen Vogel zu haben!
Das ist insofern spannend, weil dort wo Pferdesprüche eher positiv besetzt sind und Hunde tendenziell schlecht wegkommen, Vögel für gute und für schlechte Dinge gleichermaßen stehen. Unsere Sprache ist so vogelfreundlich, dass wir sogar von geflügelten Worten sprechen. 🙂
Doch seht selbst:
Warum wir einen Vogel haben
Beginnen wir ganz vorn und fragen uns erst einmal, warum wir überhaupt einen Vogel – genauer gesagt: eine Meise – haben, die bei uns piept?
All diese Redewendungen sind auf einen alten Aberglauben zurückzuführen, wonach Geisteskrankheiten dadurch entstehen, dass kleine Tiere, etwa Vögel, sich in den Köpfen einnisten und dort für Verwirrung sorgen. Bis man den Vogel raushaut, was einem heute auch nachgesagt wird, wenn man etwas Schräges oder Unerwartetes äußert.
Da liegt es nahe, den Vogel einfach abzuschießen, was tatsächlich zweideutig und für sich daher verwirrend ist. Denn das sagen wir, wenn wir mit etwas erfolgreich sind und für Begeisterung sorgen. Aber auch, wenn wir etwas eher peinlich finden. Historisch kommt es aus dem Schießstand, wo man als Ziele gerne Vögelbilder verwendete.
Diese Widersprüchlichkeit kann natürlich daher kommen, dass wir gerne sprechen, wie uns der Schnabel gewachsen ist. Das kann – von Fall zu Fall – mal besser und mal schlechter sein. Es ist jedenfalls meistens ehrlich. Und das sagt man Kindermund auch nach. Vielleicht deshalb spricht man von Mündern, insbesondere denen von Kindern, seit dem 13. Jahrhundert in Erinnerung an hungrige Vogeljungen auch von Schnäbeln. Die man dann eben auch mal halten soll, wenn man nicht will, dass er einem gestopft wird.
Federlesen
Redensartlich genauso spannend wie der Schnabel ist bei der Vogelanatomie das Federkleid.
Da bekommt man im Aufwind einer günstigen Gelegenheit, Wind unter die Schwingen, bevor einem Neider die Flügel stutzen, so wie das seit dem 16. Jahrhundert in Gefangenschaft gehaltenen Vögeln auch redensartlich passiert. Was unweigerlich dazu führen dürfte, dass man dann Federn lässt oder ohne viel Federn lesen schnellstmöglich den Abflug macht.
Flügel verleiht nämlich nicht nur die bekannte rote Brause, die keineswegs als Gänsewein zu bezeichnen ist, sondern vor allem Angst. Und das schon seit einem entsprechenden Zitat von Gustave Flaubert.
Auch der embryonale Vogel, beziehungsweise das Ei als seine Behausung, hat Eingang in unsere Sprachbilder gefunden:
Am bekanntesten dürfte wohl das Ei des Kolumbus sein, das sinnbildlich für eine einfache Lösung verzwickt erscheinender Probleme geworden ist. Nachdem es niemand gelungen war, ein Ei auf die Spitze zu stellen, gelang dies Kolumbus, indem er es leicht anklopfte. In Amerika sagt man übrigens von Leuten, die ähnlich risikofreudig sind, dass sie alle Eier in einen Korb legen, wenn wir hier alles auf eine Karte setzen würden.
Wer weiß wie armselig ein frisch geschlüpftes Küken aussieht, das schwächlich wie ein Nesthäkchen an jedem Strohhalm hängenbleibt, wird sich wundern, warum man von schicken Leuten sagt, sie seien wie aus dem Ei gepellt. Tatsächlich wird damit aber seit dem 14. Jahrhundert das seiner Schale entledigte, adrett glänzende gekochte Ei gemeint. Doch genug herumgeeiert. So einen Eiertanz mit komplizierten Wendungen und Verrenkungen brauchen wir wirklich nicht.
Vogelhafte Redensarten
Zuallererst einmal träumen wir davon, frei wie ein Vogel zu sein. Das verliert spätestens dann, wenn wir vogelfrei werden, aber auch schon wieder an Charme. Im Mittelalter stand dies oder auch „wolfsfrei“ dafür, dass man aus der Gesellschaft ausgestoßen und auf sich allein gestellt war. Für die Wölfe oder dann auch für die (Aas)Vögel freigegeben eben.
Also auch hier gilt es vorsichtig mit laut ausgesprochenen Wünschen zu sein. Denn Worte sind wie Vögel, die einmal entflogen, kaum mehr einzufangen sind. Etwas, das in Zeiten des Internets besonders gilt, obwohl man das schon seit dem Barock sagt. Selbst der in diesem Zusammenhang gern ausgelöste Shitstorm hat ein vogelhaftes Bild vor Augen. Wenn nämlich große Schwärme über uns hinwegfliegen und sich dabei erleichtern, bekommt man ein Bild von dem, was gemeint ist. Geprägt hat den Begriff übrigens wohl erstmals Norman Mailer 1948 in seinem Antikriegsroman Die Nackten und die Toten, wo er den unablässigen Beschuss so beschrieb.
Einer der bekanntesten Sprüche ist wohl der vom frühen Vogel, der den Wurm fängt, der elende Streber! Redensartlich wurde die Beobachtung im 17. Jahrhundert in England. Heute hat sie fast die deutsche Variante von der Morgenstund mit Gold im Mund verdrängt. Wenn wir schon beim Essen sind: Friss, Vogel, oder stirb! Das sagt man spätestens seit Grimmelshausens Simplicissismus nicht nur Käfigvögeln angesichts eines reduzierten Speiseangebots, sondern allgemein Menschen, die mangels Alternative in saure Äpfel beißen müssen.
Beim Vogel Zuhause
Auch das Vogelheim ist redensartlich gut vertreten. Beginnen wir damit, dass wir uns alle nach Nestwärme sehnen. Nesthocker weit über die Pubertät hinaus, auch noch ein wenig länger, weil sie einfach nicht flügge werden wollen. Besonders unangenehm ist das, wenn es sich dabei um Nestbeschmutzer handelt. Womit nicht etwa die gerne im Straßenstaub badenden Dreckspatzen gemeint sind, sondern Wiedehopfe, die tatsächlich unter Missachtung sanitärer Gepflogenheiten, ins eigene Heim … und dann halt ausziehen. Andere setzen sich hingegen gern ins gemachte Nest. Womit man meint, dass jemand ohne eigenen Beitrag die Arbeit anderer abgreift.
Profi auf dem Gebiet ist übrigens der sprichwörtliche Kuckuck, womit wir auch schon bei den Spezialisten wären. Kuckucksmütter sind das, was man umgangssprachlich als Rabenmütter bezeichnet, die wiederum sehr fürsorglich sind. Denn während der Kuckuck seinen Nachwuchs einfach einem anderen Vogel ins (gemachte) Nest schmuggelt und ihn dort ohne eigenen Aufwand großziehen lässt, wachen Raben mit viel Aufwand noch Wochen, nachdem der junge Rabe das Nest vorschnell ohne richtig fliegen zu können, verlassen hat, über ihn, füttern ihn und warnen ihn vor Gefahren.
In Wolkenkuckucksheim leben hingegen nicht kinderlose Paare, was logisch wäre, sondern Menschen, die sich in völlig abwegige Vorstellungen versteigen und Bodenhaftung verloren haben. Die Adresse verdanken wir Aristophanes, der dafür einen Vogelstaat über den Wolken schuf und von Seeger mit diesem Begriff ins Deutsche übertragen wurde.
Warum man dann ruft, „Weiß der Kuckuck“ oder auch der Geier, hat nichts mit der besonderen Bildung dieser Vögel zu tun, denn sie wurden als unheimlich empfunden. So verwendete man ihren Namen als Platzhalter, wenn man nicht wagte, den eigentlich Gemeinten, den Unaussprechlichen zu nennen. Was uns heute Voldemort ist, war im Mittelalter allerdings der Teufel.
Klug, reich und kauzig
Schlau sind, das wissen Skoutze natürlich längst, vor allem die Eulen! Die als Vögel der klugen Göttin Athene von deren Glanz profitierten und deshalb gern auch seit der Antike mit einem Buch dargestellt werden, das auch zu Athena gehört. Sofern sie nicht ihrer im Vergleich zu anderen Vögeln ungewöhnlichen Gewohnheiten wegen als „schräge Vögel“ oder „seltsame Kauze“ bezeichnet werden.
Aristophanes verdanken wir übrigens auch, dass wir Eulen nach Athen tragen, wenn wir was Überflüssiges tun. Im reichen Athen gab es viele Eulen – einmal als Sinnbild der Stadtpatronin Athene und dann im Wappen und damit auch auf den Silbermünzen. Eulen gab es also in Athen genug. Wer das Stück liest, bemerkt aber, dass damit eigentlich gemeint war, dass Geld sich gern zu Geld gesellt. Bei uns sagt man, dann etwas weniger fein, das Glück scheißt auf den größten Haufen, womit wir die Klugscheißerei auch wieder beenden.
Die Unglücksraben
Raben kommen da viel schlechter weg, Unglücksraben eben. Den Ruf verdanken sie ihrem Krächzen, mit dem sie abergläubischen Menschen schlechte Neuigkeiten überbringen. Man spricht gern davon, dass jemand klaut wie ein Rabe, was gemein ist. Denn das tun vor allem diebische Elstern, die einfach Glitzerndem nicht widerstehen können. Dass beide sich gegenseitig gern verpetzen, führt dann zu dem aus dem italienischen kommenden Spruch, dass ein Rabe die Krähe besser nicht schwarz schimpfen sollte. Es sei denn, es handelt sich um einen weißen Raben. Der wurden vom römischen Dichter Juvenal als seltenes Pendant zu einem schwarzen Schwan (Frankreich) oder dem deutschen bunten Hund verwendet, die sich alle ihrer Auffälligkeit wegen besonderer Prominenz erfreuen.
Ähnlich wie der Pfau, der gern mit seinen spektakulären Heckfedern prahlt und daher als eitler Pfau in Redensarten herhalten muss. Der normale Rabe versucht sich dagegen in einer berühmten Fabel des Phaedrus mit der vorerwähnten kriminellen Energie mit fremden Federn zu schmücken und wird dafür ausgelacht. Die Spatzen pfeifen das dann von den Dächern, es sei denn, es handelt sich um Rohrspatzen, die besonders laut schimpfen.
Tja, ein paar Federn reichen eben nicht. So wie eine Schwalbe noch keinen Sommer macht. Äsop erklärt mit diesem Beispiel, dass ein einzelnes gutes Ereignis noch keine Trendwende bedeuten muss, und wer einer Schwalbe wegen seinen Mantel weggibt, riskiert, zu frieren.
Ebenso zur Vorsicht rät, wer daran erinnert, dass ein Spatz in der Hand besser ist, als die Taube auf dem Dach. In der englischen Version sitzen die Vögel übrigens im Busch.
Vogelsprüche vom Bauernhof
Redensartlich geht es dort zu wie in einem Taubenschlag, der gerne auch mal mit einem Hühnerstall verglichen wird, den der Fuchs besucht. Große, große Aufregung eben.
Die sprichwörtlich dumme Gans mag das nicht verstehen. Die Dummheit wird ihr wohl des augenscheinlich sinnlosen Geschnatters wegen unterstellt. Ihr kann es egal sein, denn Gänse gelten auch als Glücksabonnenten, und zwar nicht nur bei Gustav Gans oder wenn sie goldene Eier legen. Ähnlich viel Glück hat dann auch das berühmte blinde Huhn, wenn es ein Korn findet. Womit sprichwörtlich eine Leistung als reiner Glückstreffer herabgesetzt werden soll.
Da kräht der Hahn und lachen die Hühner:
Das dürfte nicht nur den stolzen Gockel aufregen, bis ihm der Kamm schwillt. Kein Wunder, wo er sich doch stolz aufplusternd, gern als Hahn im Korb als einziger Mann inmitten seiner Hennen gibt. Die gerne als Hühnerhaufen bezeichnet werden und einer ganzen Literaturgattung im Englischen ihren Namen gaben („Chick-Lit„).
Doch erteilen wir dem Hahn das Wort:
Der Tag begann in Zeiten ohne Uhr mit dem ersten Hahnenschrei. Wenn jemand etwas feige leugnet, tut er das, bevor ein Hahn dreimal krähen kann, was zur Folge haben dürfte, dass sich für diesen Menschen niemand mehr interessiert, also bald gar kein Hahn mehr nach ihm kräht. All das Gekrächze hat wohl einen biblischen Ursprung, wo Petrus nach der Kreuzigung seine Zugehörigkeit zu Jesus mehrfach verleugnete, und zwar noch vor dem dritten Hahnenschrei.
Gemessen an dieser Hektik sind Enten eher gemütlich, wie sie so im Entengang dahinwatscheln, der ähnlich selbsterklärend ist, wie der Adlerblick über die Adlernase hinweg. Lahme Enten sind sie aber eigentlich trotzdem nicht. In den USA meint man damit übrigens einen Politiker, der nicht mehr zur Wahl antritt oder allgemeiner einen Menschen, der kneift.
Da hilft es dann auch nicht, wenn man den sterbenden Schwan gibt, wie es Wagner dramatisch durch Lohengrin besingen lässt. Und zwar mit den gleichfalls berühmt gewordenen Worten:
Mein lieber Schwan!
Was nicht mit dem Schwanengesang zu verwechseln ist, den diese Tiere einem alten Aberglauben zufolge in der Stunde ihres Todes zum letzten Mal anstimmen sollen. Weshalb man heute auch das Alterswerk großer Künstler so nennt. Das erste Mal einen posthum herausgegebenen Liedzyklus von Schubert.
Wo der Vogel unschuldig ist
Und zum Schluss erzählen wir euch noch, wo der Vogel wirklich völlig unschuldig ist:
Wird jemand der Hahn zugedreht, meint man nicht den Vogel, sondern den Wasserhahn mit seinem früheren Schraubventil auf dem Kopf.
Auch die Drossel kann wirklich nichts für ihre Verbindung mit Alkoholexzessen. Das kommt daher, dass man früher zu Kehle auch Drossel gesagt hat, weshalb man heute noch erdrosselt wird. Eine Schnapsdrossel ist also jemand, der den Hals nicht vollkriegt. Auch der Schluckspecht ist unschuldig. Ursprünglich gemeint waren sogenannte Trinkvögel, spezielle Kolben, die im Labor für eine automatische Befeuchtung eingesetzt werden. Sie erinnern tatsächlich grob an einen Vogel mit langem Schnabel, einen Specht etwa. Wer also stetig trinkt, bevorzugt Hochgeistiges wird mit diesem Gerät und nicht mit einem harmlosen Piepmatz verglichen.
Auch die berühmte Zeitungsente hat übrigens gar nichts mit Entenkielen zu tun, mit denen in historischer Zeit Nachrichten aufgeschrieben worden sein sollen … Tatsächlich wurde bei einem unbestätigten Artikel, bei dem in der guten alten Zeit noch auf mögliches Fake-News-Potential hingewiesen wurde, „non testatum„, also lateinisch für unbestätigt, vermerkt. Und manchmal mit „n.t.“ abgekürzt, was sich wie EN-TE spricht.
Auch der rote Hahn ist eine Allegorie für eine Feuersbrunst. Da früher Gockel gerne auf dem Mist und auch auf dem Hausdach saßen (daran erinnert heute noch der Wetterhahn), sagte man das auch, wenn die Flammen rot aus dem Dach schlugen und an das Gefieder eines Feuervogels erinnerten. So sang auch im 16. Jahrhundert Florian Geyers schwarzer Haufen.
Wie Phoenix aus der Asche
spielt auf einen anderen Feuervogel aus der Mythologie an, der aus Ägypten seinen Weg nach Griechenland und Rom fand. Er verbrennt in der Sonne, um verjüngt aus seiner Asche aufzuerstehen. Bei den Christen wurde er zum Sinnbild der Auferstehung. In den religiösen Dichtungen des Mittelalters ist dieses Motiv weit verbreitet und hat über Harry Potter seinen Eingang in die Popkultur gefunden.
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Wer sich für den Unterschied von Sprichwort und Redensart interessiert, kann das hier im Skoutz-Wiki nachlesen. Diese Reihe selbst hat uns übrigens so viel Spaß gemacht, dass wir sie in loser Folge fortsetzen wollen. Ihr dürft gerne eure Vorschläge posten und kommentieren oder uns schreiben.
So, das wars fürs Erste mit sprichwörtlich #6. Wir hoffen, es hat Spaß gemacht. Fortsetzung folgt.
Die bisherigen Folgen findet ihr hier.