Dystopie

Skoutz-Wiki: Dystopie

Dystopien erfreuen sich in den Verlagsprogrammen und auch auf Netflix & Co. seit einiger Zeit großer Beliebtheit. So großer, dass der Begriff schon wieder zu Marketingzwecken verwendet und von daher unscharf wird. Höchste Zeit also, dass wir uns bei Skoutz einmal dieses Begriffs annehmen und in diesem Skoutz-Wiki genauer untersuchen.

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Die Dystopie in Kürze

Die Dystopie ist ein pessimistischer Ausblick auf unsere Zukunft in erzählender Form (Literatur/Film). Erzählt wird mit anderen Worten von einer möglichen künftigen Entwicklung unserer Gesellschaft hin zum Schlechteren, zu Zerstörung, Unterdrückung und Trostlosigkeit

Damit ist sie ein Subgenre der Science Fiction (Zukunft) und dunkle Schwester der Utopie (Eutopie), mit der Zukunftsvisionen gemeint sind, die eine Verbesserung bedeuten würden. Je nach Tonlage und Anspruch an die Gesellschaftskritik finden sich Dystopien aber auch unter Horror oder Contemporary, können fantastische Elemente enthalten und Kriminalfälle oder Liebesgeschichten erzählen.

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Die Dystopie etwas ausführlicher betrachtet

Was ist eigentlich genau eine Dystopie?

Die Dystopie steht literaturwissenschaftlich immer in engem Bezug zur Utopie, als deren Gegenentwurf sie entwickelt wurde.

Es ist bezeichnend, dass zwar die Utopie das Original ist, so benannt nach dem ersten Roman dieser Art von Thomas Morus („Utopia“, 1516), aber die Dystopie so viel populärer. Obwohl man sie manchmal auch als „Anti-Utopie“ bezeichnet.

Der Begriff Dystopie ist ein Hybrid aus dem altgriechischen „Dys“ für „schlecht“, „übel“, ähnlich der deutschen Vorsilbe „miss-“  und „Topos“, dem lateinischen Begriff für „Landschaft“.
Es ist daher durchaus nicht zu beanstanden, wenn als weitere Spielart viele moderne Dystopien sich in ihrer Dystopiehaftigkeit auf eine düstere Set-Beschreibung beschränken und die traditionell enthaltene Sozialkritik vernachlässigen.

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Und was nicht?

Wenn eine Geschichte ungeachtet aller zwischenzeitlichen Schwierigkeiten mit einem positiven Zukunftsbild endet und damit am Ende besser als unser heutiger Status quo ist, ist sie trotzdem eine Utopie, denn sie zeichnet ein letztlich positives Zukunftsbild.

Was – entgegen vielfacher anderer Darstellung – unseres Erachtens nicht erforderlich ist, ist ein Wendepunkt zum Schlechten wie eine Katastrophe, ein Krieg oder Staatsstreich. Es braucht keinen „Wumms“, mit dem eine Gesellschaft abstürzt. Es gibt großartige Dystopien, die gar nicht groß erklären, wie es zu der Situation gekommen ist, die sie schildern. Und ebenso oft, wie eine Epidemie oder ähnliches zu der Veränderung geführt hat, war es ein schleichender Prozess, ein langsames Abdriften. Szenarien, die, genau betrachtet, nicht weniger gruselig sind.

Wird hingegen unsere Gesellschaft mit einem richtig großen Knall zu einem kompletten Neustart genötigt, nach einer Nuklearkatastrophe etwa, spricht man genau genommen von einer postapokalyptischen Geschichte.

Auch wenn die Geschichte in einer fiktiven Welt erzählt wird, also nicht mehr unsere Zukunft betrifft, sondern lediglich Parallelen aufweist, aus der sich Lehren ziehen lassen, verlassen wir das Genre der Dystopie, hin zur Fantasy, die ja seit jeher auch sozialkritische Elemente besitzt. Mit Blick auf Urban Fantasy, also einer Durchsetzung unserer Welt mit fantastischen Elementen, dürfte die Abgrenzung hier im Zweifel schnell zur Doktorarbeit ausarten. Oder mit einem „Was soll’s“ für irrelevant erklärt werden. 🙂

 

Die Entwicklung der Dystopie

Dystopie - IndustryNatürlich hat es immer schon mal Schreckensprophezeiungen gegeben, aber als Genre hat sich die Dystopie erst Ende des 10. Jahrhunderts herausgebildet. Damals wurde man sich mit der auf den Fortschrittsglauben der Industrialisierung folgenden Ernüchterung, der vielen Nachteile, wie sozialer Verelendung, Kampf um Rohstoffe und Umweltzerstörung zunehmend bewusster. Man sah nicht mehr nur die Möglichkeiten des Fortschritts, sondern auch die Risiken. Die Möglichkeit des Missbrauchs wurde erkannt und nährte Skepsis.

Wells, Samjatin, Huxley, Orwell — sie alle schildern nun, wie man die Utopie verpasst hat, wie aus dem Wunschtraum ein Alptraum wurde. Die Wünsche zerplatzen, der Blick nach vorn verdüstert sich. Die Dystopie freut sich nicht auf die Zukunft. Sie will vor ihr warnen. Mit überzeugenden Gründen.

Jede Zeit hat ihre speziellen Ängste und ihre dystopischen Themen. Früher befeuerten die Furcht vor Kommunismus, dem kalten Krieg, dem Ozonloch oder Tschernobyl die schriftstellerischen Phantasien. Heute sind moderne Technologien, Genforschung und mediale Manipulation als Antreiber dazugekommen.

In den letzten Jahren entwickelt sich das dystopische Weltbild in eine selbstkritische Richtung weiter. Denn während traditionell der Wandel zum Schlechten immer von außen oder doch von oben kam, wird nun auch eine aus der Mitte der Gesellschaft heraus entwickelte Verrohung thematisiert. Gefühlskälte, Feindlichkeit, Hass und Ausgrenzung sind nicht mehr von einem mehr oder minder abstrakten Antagonisten verordnet, sondern eine Fehlentwicklung durch und von uns selbst.

Auf die auch heute noch gestellte Frage „Wo soll das enden?“ will die Dystopie eine, wenn auch unerfreuliche, Antwort geben.

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Elemente der Dystopie

Betrachtet man die typischen Settings einer Dystopie, zeichnen sich diese durch einige Charakteristika aus:

  • Utopische Fassade: Häufig wirken dystopische Sets auf den ersten Blick wunderbar und angenehm. Ein Blick hinter die Kulissen offenbart hingegen meist einen Blick auf eine hässliche, ausbeuterische und unfreie Gesellschaft.
  • Klassengesellschaft: Ebenfalls häufig gesehen sind in Dystopien scharfe Trennungen zwischen Klassen, Kasten oder Schichten. Meist fehlt es an einer Mittelschicht in diesen Gesellschaften, in denen einige wenige Privilegierte (meist aber nicht notwendig Menschen) alles haben, alles organisieren und frei agieren. Daneben leben andere weit unter dem Niveau, das unserer Realität heute entspricht (und der des jeweiligen Autors).
  • Technologie: Typisch für Dystopien ist eine übermächtige Technik, die längst nicht mehr von den Menschen kontrolliert werden kann, sondern umgekehrt
  • Willkür: Wirklich gerecht geht es in Dystopien nie zu. Ob die Willkür und Unterdrückung von faschistischen Strukturen, übermächtigen Maschinen oder Wirtschaftsmodellen ausgeht, kann variieren. Allen gemeinsam ist ein Fehlen einer Rechtskontrolle durch unabhängige Gerichte.
  • Widerstand: Angesichts dieser Missstände ist es nicht verwunderlich, dass sich Protagonisten finden, die auf die eine oder andere Weise versuchen, sich hiergegen aufzulehnen. Damit enthalten die meisten Dystopien dann auch wunderbare Abenteuer, die uns alle so begeistern.

 

Das Spiel mit der Angst

Wenn wir die Wellenreiter außer acht lassen, die ihre Geschichte aus Marketing-Aspekten in ein dystopisches Szenario setzen, ist allen Dystopien eines gemeinsam: Angst vor einer unguten Entwicklung in der Zukunft.

Dementsprechend hat jede Zeit ihre speziellen Ängste und ihre dystopischen Themen. Anfangs, noch im Zeichen der Industrialisierung, fürchtete man sich vor einer außer Kontrolle geratenen Technik und dem Wahnsinn der Technik-Treiber. Dann kam in späteren Jahren die Angst vor dem Kommunismus, dem kalten Krieg, später dem Kapitalismus politisch hinzu. Umweltsorgen wie das Ozonloch, Tschernobyl oder Klimawandel inspirierten viele Werke. Und immer wieder spielen auch Misstrauen und Sorge vor dem richtigen Umgang mit modernen Technologien wie Medien, Internet oder Gentechnik eine Rolle.

Eine Dystopie ist damit ein Gedankenspiel, ein sehr zielstrebiges, „Was-wäre-wenn“. Was kommt am Ende eines Weges, dessen Anfang wir nur kennen? Wie würde es sich anfühlen? Wie kämen wir damit zurecht? Es ist ein faszinierendes Genre, in dem sich Wissenschaft mit Fiktion vermischt und Fakten mit Gefühlen. Dystopien spielen mit Wirklichkeiten, um dahinter liegende Wahrheiten aufzudecken.

Daneben aber sind Dystopien zumeist auch großartige Abenteuer, in denen wir uns auf die Seite der Unterdrückten schlagen, zu Rebellen und Helden werden, die sich gegen das übermächtige Unrecht auflehnen und die Welt verbessern wollen.

Und damit hat die Dystopie zwei wunderbare Effekte: Sie ermutigt uns zu Kritik und Widerstand gegen Fehlentwicklungen. Außerdem hat es einen unbestreitbar positiven Effekt, wenn man aus solchen Szenarien auftauchend seinen Lesesessel verlässt und sich umsieht. So schlimm ist es bei uns noch gar nicht.

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Bonus-Wissen zur Dystopie (Klugscheißer-Modus)

Neben der Abgrenzung zu anderen Genres ist auch die Unterteilung der Klasse der Dystopien spannend. Klassische Dystopien zeichnen sich sämtlich durch eine soziale oder politische Botschaft aus, die in Form einer Mahnung oder gar Warnung den Leser erreichen soll. Daneben gibt es eine „seichte“ (aber nicht weniger unterhaltsame) Variante. Ihr genügt die weitestgehend unkritische Beschreibung eines düsteren Szenarios in einer beliebigen Zukunft. Die Grenzen sind aber fließend und dürften auch individuell unterschiedlich gezogen werden.

Synonyme für Dystopien sind auch Anti-Utopie, oder negative oder schwarze Utopie. Besonders gelehrte Kreisen kann man mit Mätopie (von mê = nicht) oder Kakotopie (von kakós = schlecht) beeindrucken. Und sich gleich für den beherzten Ausruf „Kacke!“ alt-philologisch unanfechtbar herausreden.

Sind Mediziner an der Diskussion muss man aufpassen. Für sie ist Dystopie Fachbegriff, mit dem beschrieben wird, wenn sich Krankheiten gegenseitig verstärken oder anderweitig wechselseitig negativ beeinflussen.

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Noch nicht genug? Weiterführende Links.

  • Sehr lesenswert ist hierzu auch der ausführliche Artikel auf Wikipedia*, der auch eine Checkliste für typische Motive der Dystopie bietet.
  • Eine ausführliche Betrachtung der Herkunft des Begriffes liefert Wortwuchs*.
  • Und ganz wissenschaftlich wird das Thema auf GRIN* bearbeitet.

Was immer man nun unter Dystopie versteht und welches Anliegen ihre Verfasser verfolgten – unser dystopisches Regal bei Skoutz-Classics ist auf jeden Fall außerordentlich bunt besetzt. Wir haben zudem aufgrund der zahlreichen Meldungen aus der Skoutz-Leserschaft auch noch eine Liste aktueller Dystopien zusammengestellt.

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