Wunder der Liebe - Ludwig Tieck 1803

Skoutz-Lyrics: Wunder der Liebe von Ludwig Tieck

Wenn jetzt überall die Frühlingsgefühle erwachen, kann man gar nicht anders, als wieder einmal über die Liebe sinnieren. Tun wir das nicht alle? Natürlich! Aber zugegebenermaßen hat das kaum jemand schöner als der Vater der deutschen Romantik, Ludwig Tieck:

 

Wunder der Liebe

Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält,
Wundervolle Märchenwelt,
Steig auf in der alten Pracht!

Liebe läßt sich suchen, finden,
Niemals lernen oder lehren,
Wer will da die Flamm entzünden,
Ohne selbst sich zu verzehren,
Muß sich reinigen der Sünden.
Alles schläft, weil er noch wacht,
Wann der Stern der Liebe lacht,
Goldne Augen auf ihn blicken,
Schaut er trunken von Entzücken
Mondbeglänzte Zaubernacht.

Aber nie darf er erschrecken,
Wenn sich Wolken dunkel jagen,
Finsternis die Sterne decken,
Kaum der Mond es noch will wagen,
Einen Schimmer zu erwecken.
Ewig steht der Liebe Zelt,
Von dem eignen Licht erhellt,
Aber Mut nur kann zerbrechen,
Was die Furcht will ewig schwächen,
Die den Sinn gefangen hält.

Keiner Liebe hat gefunden,
Dem ein trüber Ernst beschieden,
Flüchtig sind die goldnen Stunden,
Welche immer den vermieden,
Den die bleiche Sorg umwunden:
Wer die Schlange an sich hält,
Dem ist Schatten vorgestellt,
Alles, was die Dichter sangen,
Nennt der Arme, eingefangen,
Wundervolle Märchenwelt.

Herz im Glauben auferblühend
Fühlt alsbald die goldnen Scheine,
Die es lieblich in sich ziehend
Macht zu eigen sich und seine,
In der schönsten Flamme glühend.
Ist das Opfer angefacht,
Wird’s dem Himmel dargebracht,
Hat dich Liebe angenommen,
Auf dem Altar hell entglommen
Steig auf in der alten Pracht.

 

Anmerkungen zu „Wunder der Liebe“

Night, Stars, Moon, Human, Universe, Starry SkyWunder der Liebe ist ein Gedicht von Ludwig Tieck, das er im Jahr 1803 verfasst hat. Die ungewöhnliche Gedichtform, für die er sich dabei entschieden hat, ist eine Glosa, eine im 16. Jahrhundert in Spanien entwickelte Gedichtform, die Wilhelm Schlegel der deutschen Romantik mit seinen Übersetzungen nahegebracht hat. Das klingt jetzt alles sehr gelehrt, aber vor allem ist es ein schönes Beispiel, wie sich Kunst schon immer grenzüberschreitend vervielfältigt und weiterentwickelt hat.

Das für Glosas typische Wiederholen des Motivs, der stimmungsvollen Mondnacht, schafft eine spürbare, fast magische Atmosphäre, die auch noch auf Menschen wirkt, die über 200 Jahre später das Gedicht lesen.

Es gibt nun reichlich Quellen, die analysieren, was und wie das lyrische Ich nun Liebe beschreibt und sie in Beziehung zu der Nacht setzt. Hier zum Beispiel, bei Abi pur*. Wie das durch Rhythmus, Wortwahl und Stilmittel gekonnt verstärkt wird. Aber ist es mit Gedichten nicht wie mit einer Puppe? Natürlich kann man die Puppe zerlegen, in Stoff und Sägemehl, Perlen und Wolle. Aber den Zauber, den das Püppchen mit und auf unsere Kinder wirkt, den werden wir so nicht erfassen.

Und das ist auch genau das, was Tieck in seinem Gedicht ausdrückt. Liebe lässt sich nicht beschreiben, nicht fassen. Man kann sie nur mit Hingabe annehmen. Und wenn wir das auch mit den Gedichten so halten würden, hätten sie auch mehr Freunde. Gerade Lyrik wirkt nicht über den Verstand. Also nehmt sie über das Herz war und behaltet sie dort.

Wir haben mit Ludwig Tieck ein Mitternacht-Interview geführt, das euch vielleicht interessiert. Wenn ja, könnt ihr hier weiterlesen.

Wenn ihr Lust auf mehr Gedichte habt, dann schaut doch bei unseren Skoutz-Lyrics vorbei.

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