Schreibstube: Empathie – Wir alle wollen Gefühle!

Die Antwort ist einfach und schwierig zugleich: Empathie. Und ihr widmen wir diesen Beitrag aus der Skoutz-Schreibstube.

Empathie: Mehr als Blut, Schweiß und Tränen

Empathie ist ein vornehmes Wort für Mitgefühl. Es geht darum, sich in die Lage anderer Menschen hineinzuversetzen und nachzuempfinden, wie sich das für sie anfühlt.

Es geht dabei zunächst um äußere Vorgänge (Wie ist es, wenn man von einem verärgerten Drachen durch einen Wald verfolgt wird? Wie verhält sich, wer durch eine fremde Stadt irrt, deren Sprache man nicht spricht?). Aber es geht auch um innere Konflikte (Was geht einem durch den Kopf, wenn man erfährt, dass man auserkoren ist, die Welt zu retten? Wie fühlt es sich an, wenn man am nächsten Tag vermutlich sterben wird?).

Das genügt aber nicht. Denn man muss sich im nächsten Schritt vorstellen können, wie sich ein anderer in dieser Situation verhalten und fühlen würde. Da kann man nur bedingt von sich auf andere schließen. Weil ein kleiner, verängstigter Junge anders reagieren würde, als eine lebenserfahrene Professorin. Alter, Ausbildung, Vorgeschichte, Geschlecht, Kultur – tausend Faktoren spielen hier eine Rolle und machen das so ungemein spannend.

Must have für Autoren

Ähnliches FotoDas ist also das, was man von einem mitfühlenden Menschen erwartet. Von einem Autor verlangt man nun noch zusätzlich, dass er diese Erkenntnisse so plastisch beschreibt, dass er den Leser, die ja genauso unterschiedlich ticken, zunächst einmal abholt und dann in die Geschichte mitnimmt. Daher ist es natürlich sinnvoll, die Leser- oder Zielgruppe etwas einzugrenzen, nach Alter, nach Vorlieben … Darum werden Bücher gerne bestimmten Genres zugeordnet und altersklassifiziert.

Ein guter Autor nimmt seinem Leser das Hineinfühlen ab und präsentiert es ihm zwischen den Zeilen. Er arbeitet die wichtigen Eindrücke, Gedanken und Empfindungen so heraus, dass sie der Leser adaptieren und sie sich beim Lesen zu eigen machen kann. Oder – wenn es um den Antagonisten geht – eben davon distanziert.

Grundkurs Empathie

Für ein Buch sind lebensechte Figuren genauso wichtig wie ein spannender Plot. Als Autor hat man den großen Vorteil, dass man die Figur frei erfinden kann (History-Autoren mal ausgenommen). Der große Nachteil ist, dass man sich zu Charakterzügen, Weltansichten, Eigenheiten etc. Gedanken machen muss (History-Autoren mal ausgenommen). Nur wer seine Figuren „fühlt“, ist in der Lage, sie in der jeweiligen Situation passend reagieren zu lassen. Eine stringente Charakterentwicklung ist erstaunlich schwierig. Wenn eine Figur sich in der Situation unlogisch verhält – oder jedenfalls anders als der Leser erwartet – dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder der Autor liefert einen Grund dafür, oder der Leser ist enttäuscht. Und das darf nie passieren.

Empathie – aber wie?

Meist ist es so, dass der Autor eine ungefähre Idee hat, wie seine Figur sein soll. Ein erster Eindruck. Wie es jetzt weitergeht, hängt davon ab, wie der jeweilige Schreibstil ist. Wie im echten Leben auch, gibt es Menschen, die sich erst gründlich beschnuppern und gut kennenlernen wollen, bevor sie sich einem anderen öffnen. Andere hingegen regeln das unterwegs. Beim Schreiben führt letzteres dazu, dass die Figuren meist eine Entwicklung durchmachen, die der Leser so erlebt, wie sie auch der Autor empfunden hat. Das ist für viele Arten von Geschichten aber nicht wirklich gut, weil die Entwicklung linear erfolgt und wenig Raum für Geheimnisse, Wendungen und Überraschungen lässt.

Auf welchem Weg auch immer man zu dem Gefühl kommt, seine Figuren so gut wie einen besten Freund zu kennen, folgende Fragen solltet ihr dann (wenigstens euch) beantworten können:

  • Ist deine Figur intro- oder extrovertiert? Wie geht sie mit Begegnungen um?
  • Wie löst deine Figur ihre Probleme: Greift sie an, weicht sie aus, wartet sie ab?
  • Was bewegt deine Figur?
  • Wofür tritt sie ein?
  • Wofür hat sie Angst? Warum?
  • Welche Menschen mag deine Figur? Mit welchen kann sie gar nicht.
  • Was hält sie von den Themen, die in eurer gemeinsamen Geschichte vorkommen?
  • Wie klug, wie gebildet ist deine Figur, wie ist ihr kultureller Hintergrund?
  • Was kann sie, was nicht? Wie nützt und behindert sie das in der Geschichte?

Normalerweise solltet ihr jetzt ein einigermaßen scharfes Bild von der Figur haben, wie sie sozusagen im leeren Raum steht und euch erwartungsvoll anschaut. Ihr wisst, wie sie reagiert, welche Weltanschauung sie hat und was sie antreibt oder zurückhält. Je nach Autorentyp muss man das nicht gleich wissen, aber zu irgendeinem Zeitpunkt in der Geschichte, solltet ihr das (großteils) beantworten können, denn sonst können es eure Leser auch nicht. Und dann bleibt ihnen die Figur fremd. Wenn ihr das nicht ganz bewusst wollt, weil sie sehr geheimnisvoll sein soll, ist das schlecht. Und der geheimnisvolle Fremde ist keine Figur für Empathie, sollte also  nur bewusst und vorsichtig eingesetzt werden.

In einer Szene mitfühlen.

Wenn ihr sie nun in einem zweiten Schritt in die Szenen einsetzt, in denen ihr sie braucht, kommt die zweite Komponente hinzu: Interaktion. Es geht bei einer gelungenen Szene nicht nur darum, das äußere Geschehen gut zu beschreiben (natürlich auch!), sondern eben auch darum, dass das mit und – je nach Perspektivwahl – durch die Figuren stimmig dargestellt wird.

In einer Szene treffen sich zwei Figuren, die ihr beide einigermaßen kennt und müsst überlegen, wie sie miteinander umgehen. Oder mit der Situation, in die ihr sie werft. Das heißt beim Schreiben, dass ihr euch auf den Beobachterposten zurückziehen sollt, um den Figuren Raum zu geben. Das ist wichtig, denn eure Leser sollen die Figuren ja nicht in einer Vorstellungsrunde kennenlernen, sondern anhand ihres Verhaltens in der Geschichte.

  • Wie fühlt sich die Figur in dieser Situation?
    Warum? Wie äußert sich das? Was geht ihr durch den Kopf?
  • Wie reagiert die Figur auf die anderen Figuren?
  • Was sagt sie warum, zu wem, in welcher Weise?

Überlegt euch, was ihr von euren Freunden wisst, und dann, ob ihr dazu über eure Figuren auch Auskunft gegen könntet.

Die Figur und der Leser

Was sind die Informationen, die eure Leser brauchen, um mit euren Figuren mitfühlen zu können, und sie dann entsprechend auch zu mögen oder zu hassen?

Eine Figur, die nichts zu bieten hat, als ein paar Klischeesprüche, wird vom Leser nicht ins Herz geschlossen. Wir alle wollen von Einzelschicksalen und Persönlichkeiten erfahren. Das treibt unsere Neugierde an. Warum macht jemand etwas? Wie? Wo sind seine Stärken und wie nutzt er sie? Wie überwindet er seine Schwächen? Hat er Eigenarten, die typisch sind? Nur dann haben die Figuren einen Wiedererkennungswert, an dem Gefühle andocken können, nur dann lohnt es sich für den Leser, Emotionen in die Figur zu investieren.

Selbst beim Antagonisten ist es so, dass jene am faszinierendsten sind, die unsere „dunkle Seite“ versteht. Deren Gründen wir – auch wenn sie falsch sind – irgendwie nachvollziehen können.

Empathie-Training für Unsichere

Grundsätzlich ist jeder Mensch mehr oder minder empathiefähig. Anders funktioniert unser Zusammenleben nicht. Wir lernen früh aus Körperhaltung, Mimik, Tonlage, Gestik … einzuschätzen, welcher Gesinnung ein uns entgegenkommender Mensch ist. Wir lernen mit gefühlsüberladenen Situationen wie kollektivem Jubel, heulenden Kindern, liebesbekümmerten Freunden, besorgten Eltern, verärgerten Chefs … umzugehen. Außer im Straßenverkehr vielleicht, aber das ist eine andere Geschichte.

Das Unbewusste bewusst machen

Das tun wir unbewusst. Der Autor nicht. Er muss sich diese Prozesse bewusst vor Augen führen, um den Leser die Signale geben zu können, die er braucht, um diese Informationen über die Figuren zu erhalten. Das ist zum einen Teil natürlich Technik, die wir hier in der Schreibstube auch noch trainieren werden. Zum anderen Teil kann man sich aber auch das bewusste Mitfühlen angewöhnen.

Stufe 1:
Schaut euch bei der Bildersuche Portraitfotos an und versucht euch, in die Figur hineinzuversetzen. Überlegt, wie sie fühlt und denkt, wo sie wohl herkommt. Und dann, wie ihr darauf kommt, woran ihr eure Eindrücke festmacht. Denn das sind die Dinge, die ihr dann in euren Geschichten den Lesern erzählen müsst, damit sie das Innenleben eurer Figuren verstehen lernen.

Stufe 2:
Seht euch die Menschen in der U-Bahn an. Überlegt, was sie wohl gerade bewegt. Und wie ihr darauf kommt. Wie sie reagieren würden und wie ihr euch an ihrer Stelle verhalten könntet. Es ist wichtig, dass ihr bei dieser Übung immer auch über die Gründe für eure Einschätzung nachdenkt.

Stufe 3:
Spannender ist, wenn ihr Menschen im Gespräch beobachtet. Wie ihr an der Körperhaltung und an anderen Hinweisen erschließen könnt, wie das Verhältnis der Menschen zueinander ist. Wer wem vertraut, was sie füreinander fühlen, wer gerade „die Hosen anhat“.

Das ist gar nicht so leicht und wird mal besser, mal schlechter und mal gar nicht gehen. Aber mit etwas Übung gelingt es, auch für völlig fremde Menschen ein gewisses Gespür zu entwickeln (auch wenn man sich natürlich immer täuschen kann). Je öfter man trainiert, desto besser ist das für unseren Empathiefaktor. Ihr sollt ja auch keine Profiler werden, sondern ein Gespür für eure eigenen, fiktiven Figuren entwickeln. Und auch, wie ihr das mit welchen Worten und Prämissen darstellt. 

Mit welchen Techniken ihr richtig tolle Protagonisten für alle Lebenslagen entwerft, erzählen wir euch in einem unserer nächsten Beiträge!

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