Respektlose Werbung

Schlecht gebrüllt Loewe? Respektlose Werbung

Promis sind als Autoren bei den Verlagen beliebt, weil man sich mit der Buchwerbung an ebenjenen Promi-Bonus anhängen kann. Wenn sich nun nicht genug Promis finden oder die zu teuer sind, hilft es auch, wenn man Ehegatten oder Kinder von Promis nimmt und über die Familienbande deren Glanz recycelt.
Das kann man mögen oder nicht, aber das ist halt so. Und das ist im Grunde gar nicht schlimm. Oder eben schon. Denn das reduziert den Künstler auf eine von ihm nicht beeinflusste Verbindung und ist wenig respektvoll der Person gegenüber. Wenn ebenjene Verlage auf Teufel:in komm raus gendern, und Diversität in ihren Programmen fordern und überhaupt so funkelig politisch korrekt sind, dass man von den weißen Westen schon geblendet ist, offenbaren solche Kampagnen ein faules, ein hässliches und vor allem sehr, sehr zynisches Herz. Denn am Ende geht es nicht um Respekt und echte Empathie, sondern um Kommerz. Die Marketingabteilung vermutet eben bessere Umsatzzahlen mit einer gewissen Variantenbreite bei den Ethnien und strategisch geschickt verteilten Sternchen. Gelebt wird das aber nicht.
Ein besonders hässlicher Fall, den unser ehemaliger Blog-Juror Pierre Petermichl, aufgetan hat, zeigt anschaulich wie wenig die seit Jahren vehement geforderte Sprachkorrektur und Identitätspolitik mit echter Empathie und tätiger Hilfe für die Betroffenen zu tun hat:
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Wie Loewe ein Musterbeispiel für respektlose Werbung liefert

Um was geht’s?

Loewe, ein renommierter Kinder- und Jugendbuchverlag, hat das dystopisch angehauchte Jugendfantasy-Debüt einer US-amerikanischen Autorin verlegt. Obwohl das Buch in den USA erfolgreich verkauft wurde, warb Loewe nicht etwa mit dem Inhalt des Romans. Er warb auch nicht mit dem beeindruckenden sozialen Engagement der Autorin, sondern mit deren Stammbaum, in dem sich ein zugegebenermaßen ziemlich bekannter Hollywood-Regisseur findet.
„Ein Fantasyroman von der Adoptivtochter von …“ 
Warum ist das respektlose Werbung?
Fragt euch selbst: Was sagt das jetzt über das Buch aus? Eigentlich nichts. Hätte man also das Werbebudget nicht anders einsetzen können, als für so einen Slogan, der die Künstlerin auf ihre eher zufällige Beziehung zu einem Promi reduziert? Was soll ein Schlagwort, das nichts mit dem Inhalt des Buchs zu tun hat (bei einer Biografie mag das anders sein).  Als sei das Buch nicht gut genug, um allein Leser zu finden.
Den Künstler wertschätzend ist das jedenfalls nicht. Genau genommen ist das ziemlich respektlose Werbung. Geradezu menschenverachtend, nicht auf die Person oder das Werk hinzuweisen. Oder wenigstens deren persönliche Leistung, in anderen, idealerweise für das Buch relevanten Bereichen.
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Schlecht gebrüllt. Loewe!

In diesem Fall aber hat das eine besonders geschmacklose Komponente. Die Künstlerin, um die es geht, heißt Dylan Farrow und ist die Adoptivtochter von Woody Allen. Klingelt’s? Nein?
Dylan prangerte ihren berühmten Adoptivvater 2018 in einer weltweit aufsehenerregenden Kampagne des sexuellen Missbrauchs an. Ein jahrelanger Streit entbrannte, gerade weil Allen alle Vorwürfe abstritt.
Nach ihrem eigenen Bekunden in der US-Presse hat Dylan Farrow das Buch geschrieben, um sich die Erlebnisse ihrer Kindheit von der Seele zu schreiben, diese Geschichte war ihr Zufluchtsort. Doch dieser Slogan verkehrt das jetzt ins Gegenteil, denn er führt den Fluchtversuch an seinen Ursprung zurück.
Was veranlasst Loewe, der sich in seinem Außenauftritt ganz im Zeitgeist korrekt gendernd, empathisch und mitfühlend gibt, so respektlos zu werben? Wie kann man ein Opfer auf seine Beziehung zum Täter reduzieren? Daran ändert auch der Umstand nichts, dass der Vater weder angeklagt noch verurteilt wurde und daher Aussage gegen Aussage steht. Es bleibt geschmacklos.
Denn so ist der Rückzugsort der Autorin mit dem Namen jener Person verbunden, die ihn überhaupt erst erforderlich gemacht hat. Wenn man das Werk des Opfers mit dem Namen des Peinigers wirbt, weil er berühmt(er) ist, ist das dem Opfer gegenüber zynisch und verachtend. Das ist ein Schlag ins Gesicht jedes Opfers, das sich von seinen Erlebnissen lösen will. Es reduziert die Leistung einer bemerkenswerten, engagierten jungen Frau auf eine zufällige Beziehung zu einem Dritten.
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Respektlose Werbung ohne Einsehen

Leser und Autoren wandten sich auf verschiedenen Kanälen an den Verlag. Dieser reagierte auf Instagram erst mit einem Löschungswunsch eines Protestes und führte dann aus:
„Unser Anliegen als Verlag ist es, „Hush – Verbotene Worte“ zwischen tausenden von Neuerscheinungen auffindbar zu machen, damit Dylan Farrow auch im deutschsprachigen Raum mit ihrem aufsehenerregenden Debütroman möglichst viele Leser*innen begeistern kann. Um dies zu erreichen, haben wir den bekannten Adoptivvater in den Untertitel aufgenommen, da die Autorin außerhalb der USA kaum jemand kennt. Das bedeutet nicht, dass wir Gewalt in jedweder Form tolerieren oder eine Stellung beziehen. Es handelt sich lediglich um Suchmaschinenoptimierung, die für Verlage heutzutage unabdingbar ist.“
Das ist erfrischend ehrlich, denn frei übersetzt heißt das:. Was zwischen der Autorin und ihrem Vater lief, ist uns egal. Da ist ein berühmter Name, den wir benutzen können, um das Buch zu verkaufen, dessen Anliegen uns genauso egal ist.

Das verstößt nicht nur gegen die Werbe-Richtlinien von Amazon, sondern auch gegen allgemeines Persönlichkeits- und Markenrecht.

Woody Allen ist zwar eine Person des öffentlichen Lebens, über die presserechtlich auch ohne sein Einverständnis berichtet werden darf. Aber hier geht es nicht um Berichterstattung, sondern um Werbung, also die kommerzielle Ausschlachtung seines Namens. Und davor ist er geschützt, denn das steht rechtlich nur ihm zu. Anders wäre es nur, wenn Allen diese Werbung erlaubt hätte.
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Loewes zweites Statement

Vielleicht ist dieser etwas unglückliche Eindruck dann auch Loewe aufgefallen. Kurz darauf reagierte der Verlags nochmals mit einer offensichtlich mit Presse- und Rechtsabteilung abgestimmten Stellungnahme:
Bei dem fraglichen Buch handele es sich um einen hochspannenden und mit literarischer Finesse verfassten Fantasyroman, der darüber hinaus als Beitrag zur #MeToo-Debatte gelesen werden könne und zudem auch hochaktuelle Themen wie Fake News und Meinungsmache aufgreife. 
Das hat nun wenig mit dem Protest zu tun. Aber immerhin wissen wir jetzt, dass das Buch echt viel zu bieten hat und dass man es unbedingt lesen oder wenigstens kaufen sollte.
Obwohl gegen diesen Slogan gerade wegen der Missbrauchsaffäre protestiert wurde, erklärt der Verlag in seinem Statement in ermüdender Länge diesen Missbrauch und seine Verbindung zur #MeToo-Bewegung. Er leitet dann zu den schon im Klappentext enthaltenen Hinweis über, dass es der Autorin bei ihrem Buch ein Anliegen gewesen sei, die Notwendigkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden, darzustellen.
Auch das ist nicht nötig, denn dieser bereits selbständig gebildeten Meinung wegen wurde ja protestiert.
Sicherheitshalber betont der Verlag weiters, dass er keine Partei ergreifen wolle. Doch das hindert ihn nicht daran, das Thema gleichwohl auszuschlachten, um Auflage zu machen. Denn warum die Lektüre eines Fantasy-Romans dabei helfen soll, sich „im Zuge der #MeToo-Debatte um die Persönlichkeiten Dylan Farrow, Mia Farrow und Woody Allen eine eigene Meinung bilden zu können“, bleibt ungeklärt. 
Ginge es darum, hätte man den Klappentext anders gestalten müssen, auf diese Metaebene hinweisen zum Beispiel, aber das fehlt.
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Ein Statement, das keines ist, ist einfach nur ärgerlich

Im Ergebnis fasst Loewe mit dem Hinweis, in Hush ginge es irgendwie „auch“ um #MeToo, zusammen was die Leser empört, um rückwärts zu argumentieren. „Deshalb gerade“ sei der Hinweis angebracht worden. Das klingt erst mal schlau, doch es ist unlogisch. Die jugendliche Zielgruppe hätte mit „#MeToo“ wesentlich mehr anfangen können als mit dem angegrauten Adoptivvater, dessen Filme älter als die anzusprechenden Leser sind. Dies umso mehr, als die Autorin sehr aktiv in der Bewegung und allen Interessierten hieraus bekannt ist. Ein solcher Hinweis wäre auch eher Amazon-konform.
Der Hinweis auf die Beziehung zu Woody Allen hingegen funktioniert bei dieser Argumentation nur, wenn jeder bei dem Namen sofort sagen würde:. Richtig, das ist die Tochter, die dem berühmten Regisseur Missbrauch vorgeworfen hat, das hat sie bestimmt in dem Buch verarbeitet, dass ich deshalb lesen will.
Nein, das überzeugt nicht. Aber so hat Loewe das Buch, ohne seine respektlose Werbung zu ändern, nochmal interessanter gemacht. Bestimmt wird der eine oder andere jetzt überlegen, ob das Buch nicht vielleicht doch lesenswert ist, wenn es doch um MeToo, um Fake News und so spannende Sachen geht …
Loewe schließt mit der Erklärung:
„Insofern hielten wir den Hinweis auf den familiären Hintergrund der Autorin im Untertitel von HUSH für einen wichtigen Aspekt, der zum Werk Dylan Farrows dazu gehört und untrennbar damit verbunden ist.
Das ist unerträglich zynisch. Es geht hier um einen Menschen, der sich mit dem Buch nach eigenem Bekunden auch emotional von dem Erlebten (was immer es war) distanzieren wollte. Dieses Recht, sich zu lösen, torpediert der Verlag mit seiner Marketing-Kampagne.
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Treffender als Autoren-Kollegin Jenny Benkau auf Facebook kann man es nicht ausdrücken:
Das ist und bleibt ekelhaft.
Werbung und Marketing MUSS Grenzen haben.
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EDIT: Offenbar hat der Loewe-Verlag nun doch ein Einsehen gehabt und Stand 29.01.2021 zumindest auf seiner Homepage* den Verweis entfernt:

One Comment

  • Jörg Piesker

    Hervorragend analysiert und kommentiert. Leider werden die Zyniker und Narzissten gefühlt mehr in der Gesellschaft und sie gehen gnadenlos mit Menschen und deren Schicksalen um. Profit kann man aber auch unter Beachtung ethischer Grundsätze erzielen! Es ist schwer, gegen diese rücksichtslosen Menschen anzustinken. Um so bewundernswerter sind Analysen und Artikel wie diese. Mein Hochachtung!

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