Das Parfum – Historischer Horror von Patrick Süskind

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Mit Patrick Süskinds Roman „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“ aus dem Jahr 1985 tritt sicherlich einer der faszinierendsten Bösewichte der Literaturgeschichte in die Bibliothek.

Die Geschichte des im Jahr 1738 geborenen Jean-Baptiste Grenouille, der als genialsten Parfümeur aller Zeiten auf der Suche nach dem perfekten Parfum zum erbarmungslosen Mörder wird, ist ebenso abgründig wie tragisch. Es wird heute bereits als ein Schlüsselwerk der Postmoderne gelobt.

Wir fragten uns, was an dem Buch so besonders und außergewöhnlich ist, und sahen es uns an:

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Das Parfum – Patrick Süskinds vielschichtiger Historienhorror

Selten hat mich ein Buch auch Jahre nach der Lektüre so nachhaltig beschäftigt wie dieses. Das allein ist für mich schon ein Zeichen für ein zumindest ungewöhnliches Buch, das in meinem völlig überfüllten Buchregal eine Sonderstellung einnimmt.
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Um was geht’s in das Parfum?

Grenouille wird im Jahr 1738 mitten am Pariser Schlachthof als unerwünschtes Kind geboren. Bei dem Versuch, den Säugling zusammen mit den Schlachtabfällen zu entsorgen, wird seine Mutter ertappt, festgenommen, als Kindsmörderin verurteilt und hingerichtet.

Der kleine Grenouille kommt zu verschiedenen Ammen, die sich alle vor dem seltsam geruchlosen Kind gruseln und von sich weisen. So wächst er als absoluter Außenseiter in einer lieblosen und gleichgültigen Welt auf. Der Umstand, dass er keinerlei Eigengeruch hat, beschert Grenouille eine unvergleichbar feine Nase. Als er den besonderen Duft bemerkt, der von jungen Mädchen ausgeht, beschließt er, diesen für ihn vollkommenen Duft für sich besitzen zu wollen. Er hofft, dass er mit diesem Geruch endlich auch geliebt wird. Tatsächlich gelingt es ihm, bei einem Parfümeur als Lehrling unterzukommen und macht diesen schon bald weit über die Grenzen der Stadt hinaus berühmt.  Doch das genügt Grenouille nicht. Er ist besessen von dem Wunsch, mit dem perfekten Parfum Macht über seine Menschen zu erlangen und macht sich auf die Suche nach dem vollkommenen Duft – und dafür ist ihm jedes Mittel recht.
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Wie fanden wir das Parfum?

Süskinds Roman beschreibt, wie ein Mensch deshalb zum Mörder wird, weil er keinen Platz in der Gesellschaft findet. Ungeliebt und einsam, ist er bereit, einfach alles zu tun, um dazuzugehören. Die Beschreibung der Städte Mitte des 18. Jahrhunderts als stinkende Kloake, in der sich der Abfall nicht nur auf der Straße, sondern auch in den Herzen der Menschen türmt, ist bisweilen schmerzlich einprägsam. Allein deshalb kann man „das Parfum“ auch als Horrorroman bezeichnen. Die Entwicklung des Außenseiters zum skrupellosen Mörder und schließlich Liebling der Massen ist erschreckend plausibel und das Ende so tragisch wie konsequent. Wie es sich für einen guten Thriller gehört, liest man atemlos mit und genießt den kunstvoll aufgezogenen Suspense. Das wird natürlich auch durch die unbestrittene sprachliche Brillanz von Süskind verstärkt und macht das Buch unter jedem denkbaren Aspekt zu dem, was es ist: zu einem modernen Klassiker, einem Must-read.

Kay meint: Das Parfum ist – und ich meine das positiv! – ein Buch wie ein Verkehrsunfall. Man kann nicht hinsehen und man kann nicht wegsehen. Ich kann mich an keinen Protagonisten erinnern, den ich so verabscheut habe, wie Grenouille, den ich genauso unangenehm empfand wie die Menschen, denen er im Buch begegnet. Und zugleich kenne ich nicht viele, die mich vergleichbar fasziniert hätten.

Das Parfum ist ein Buch, das man mehrmals lesen kann und soll. Es ist ein spannender Horrorthriller von großer historischer Dichte. Es ist aber auch die spannende Frage, ob wir nicht die Monster, die wir fürchten, selbst schaffen, indem wir fliehen, statt auszuhalten, ausweichen statt zu ändern? Durch die Perspektive aus der Sicht Grenouilles wirft Süskind die unbequeme Frage auf, wie eine Gesellschaft mit ihren Randfiguren umgehen will, gerade mit jenen die unleugbar unbequem sind? Ja, ich muss das Buch auch mal wieder lesen.
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Was macht das Parfum zum Klassiker?

Das ist zunächst einmal der Erfolg. Ein Buch, das in 48 Sprachen und bislang über 20 Millionen mal verkauft wurde, gehört allein deshalb erwähnt. Das Parfum hielt sich gut 9 Jahre lang in der Spiegel-Bestsellerliste. Doch hat das Parfum noch mehr zu bieten?

Für sich genommen ist nichts am Parfum wirklich neu. Vom Elend der Unterschicht wurde schon viel früher und keineswegs weniger plastisch berichtet und auch die Schilderung einer Mordserie aus Sicht des Täters ist nicht neu. Das Besondere am Parfum sind nicht seine Zutaten, sondern deren Wirkung als Gesamtwerk.

Sprache

Süskind führt die in der „gehobenen Literatur“ bewusst und kunstvoll aufgebrochene und mit Symbolen überfrachtete Sprache wieder zurück auf ihre Ursprünge, und rückt mit neu entdeckter Begeisterung am Erzählen die eigentliche Geschichte wieder in den Vordergrund. Eine Leistung, für die ihm viele Leser danken werden. Ja, auch eine gut lesbare Sprache ist große Kunst und so bestätigt Reich-Ranicki Süskind „einen ausgeprägten Sinn für den Rhythmus der Sprache“.

Dem Aufbau des Buchs sieht man an, dass Süskind jahrelang sehr erfolgreich Drehbücher geschrieben hat. Er weiß, wie Kopfkino funktioniert und liefert punktgenau, den Reiz, den der Leser braucht, um immer tiefer in die Geschichte einzutauchen. Süskinds Schilderung der Welt der Düfte ist wunderbar. Es gelingt ihm, mit Sprache eine völlig andere Sinneswelt heraufzubeschwören. Das erschöpft sich nicht in gekonnten Formulierungen von Gerüchen, ihrer Wahrnehmung und den durch sie hervorgerufenen Gefühlen, sondern auch in der Beschreibung ihrer Herstellung. Akribisch detailliert, aber nie langweilig, schildert Süskind, wie Düfte konserviert und zu Parfums komponiert werden. Ebenso sorgfältig sind die Schauplätze und gesellschaftlichen Zusammenhänge des 18. Jahrhunderts recherchiert. Fantastisches und Faktisches verbinden sich zu einer Einheit, die nicht miteinander konkurriert, sondern sich gegenseitig verstärkt.

Bezüge

Die Handlung wird von der psychologisch interessanten Frage angetrieben, wie die Chemie unser Zusammenleben bestimmt. Tatsächlich belegt Süskind ziemlich schlüssig, dass achtlos dahingesagte Redensarten wie „Ich kann dich nicht riechen“ oder „die Chemie stimmt einfach“ erstaunlich präzise naturwissenschaftlich begründet werden können. Die Geschichte selbst bedient so viele Genres, dass sie sich am Ende jeden auch wieder entzieht. Das Parfum findet man als

  • Entwicklungs- und Bildungsroman (angesichts der Entwicklung von Grenouille)
  • Künstlerroman (angesichts des Anspruchs, der größte aller Parfümeure zu werden)
  • Historienroman (dessen Handlung im 18. Jahrhundert spielt)
  • Thriller oder Kriminalroman (angesichts der Mordserie)
  • Horrorroman (angesichts dessen, was – und wie – sich die Figuren einander antun)
  • Parabel (bei der das Ende der Geschichte ihrem Anfang begegnet)
  • Parodie (aufgrund der Übertreibung klassischer Komponenten der vorgenannten Genres)

Darüber hinaus ist – wenn man den Rezensenten glauben will – das Parfum ein Quell von Bezugnahmen und Zitaten auf große literarische Werke und zeigt, dass in der Kunst die Regeln des Zitierens völlig anders als in der Wissenschaft sind.

Postmodernes Werk?

Immer wieder liest man, das Parfum sei ein Schlüsselwerk der Postmoderne. Die Postmoderne ist wieder einmal ein Begriff, der nicht definiert ist und daher auch nicht einheitlich verwendet wird. Vereinfacht gesagt kann man sagen, dass die Postmoderne versucht, den Entwicklungen der Modernen in der Gesellschaft und insbesondere in der Kunst, ein Korrektiv entgegenzusetzen. Die kämpferisch eingestellte Moderne benötigt aber das Alte, um sich daran zu reiben. Ein Rebell braucht einen Gegner. Dadurch sind moderne Werke meist nur im Kontext zu anderen Werken voll zu erfassen. Intertextualität ist ein wesentliches Gestaltungsmittel. Auch hiervon befreit sich die Postmoderne wieder.

Dort, wo die Moderne geradezu fanatisch gegen alles alte als veraltet, gegen alles bewährte als ausgelutscht und gegen alles institutionalisierte als diktatorisch rebelliert, lenkt die Postmoderne ein. Es war ja nicht alles schlecht. Vieles wurde aus gutem Grund eine Tradition, weil es sich bewährt hat. Hauptsache anders sei als Forderung so verfehlt wie das Diktat des Althergebrachten.

Von daher sind Süskinds Bezugnahmen auf klassische Erzählstrukturen und eine altmodische Sprache nicht nur dem historischen Rahmen seiner Geschichte geschuldet.

Gleichwohl ist die Postmoderne weniger versöhnlich als desillusioniert. Sie kokettiert mit der Sinnlosigkeit der Welt und gibt sich pessimistisch. Da sie anders als die Moderne eine realistische Erzählstruktur nicht nur nicht fordert, sondern von vornherein als unmöglich ausschließt, kann sich der fröhliche Leser damit trösten, dass das postmoderne Weltbild die persönliche Meinung ihrer jeweiligen Vertreter ist.

Die Figur des Grenouille

Durchaus modern ist Süskind hingegen im Entwurf seines Protagonisten, der dem althergebrachten Menschenbild mit dem ganzen Zynismus der Moderne ein Ungeheuer entgegenstellt, das den Berühmtheiten des Horror-Fachs Demut lehren kann. Grenouille ist von Natur aus bösartig. An dieser Figur ist nichts Liebenswertes. Er überlebt und wächst aus reinem Trotz heraus auf. Seine Entwicklung und sein Lebensweg schlägt jeder humanistischen Erziehungsidee offen ins Gesicht. Doch er ist dabei niemals Opfer – und darin liegt die Faszination. Er bekommt, was er verdient und rechtfertigt alle Zurückhaltung mindestens im Nachhinein. Obwohl er weder Zuwendung noch Zärtlichkeit benötigt, sehnt sich er, der nur seinen Instinkten folgt, doch nach Geborgenheit, nach Gemeinschaft als Teil der menschlichen Natur. Die Idee, das die Natur mit der Vernunft überwunden werden kann, konterkariert Grenouille, der mit erfrischender Geradlinigkeit sehr erfolgreich darin ist, die Vernunft zum Handlanger seiner Natur zu machen, die damit letztlich auch siegt.
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Wem verdanken wir das Parfum?

Patrick Süskind entstammt einer literarisch vielseitigen Familie, sein Bruder arbeitet als Journalist, sein Vater war Schriftsteller, Übersetzer und Redakteur. Süskind studierte in München und Aix-en-Provence Geschichte. Danach arbeitete er als Drehbuchautor für verschiedene sehr erfolgreiche deutsche Serien und Filme. 

Geradezu legendär ist Süskinds Öffentlichkeitsphobie. Er gab insgesamt nur vier autorisierte Interviews und so gut wie keine Fotos. Süskind tritt nicht in der Öffentlichkeit auf und verweigert daher auch Preise und Auszeichnungen. Er erschien nicht einmal zur Weltpremiere der Verfilmung von das Parfum. Auf die Schwierigkeiten, überhaupt die Filmrechte zu bekommen, nimmt Süskind selbstironisch in seinem Drehbuch zu Rossini Bezug, wenn er einen scheuen Autor schildert, der sein Buch nicht einem ihn bedrängenden Produzenten geben will. Ähnlichkeiten des Produzenten mit Bernd Eichinger sind nicht zufällig.

Süskind lebt heute zurückgezogen in München und Seeheim am Starnberger See.
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Weiterlesen (externe Links):

  • Ein interessantes Essay zu Das Parfüm von Martina Maibaum gibt es beim Bücher-Wiki.
  • Wer sich für Grenouille interessiert, findet hier einen ausführlichen Artikel zum Geniebegriff und seiner Verwendung im Parfum bei „frustfrei lernen„.
  • Sehr ausführlich und mit vielen weiteren Quellen wird das Parfum auch auf der deutschen Wikipedia besprochen (Der Artikel wird in der Liste der hervorragenden Wiki-Artikel geführt).

Wir führen das Buch bei den Skoutz-Classics auf der Horrorliste, der Crime-Liste und der History-Liste.

 

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