zu Besuch bei Tad Williams
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Heute bin ich aufgeregter als je zuvor bei einem meiner Besuche, denn ich werde gleich mit einem der größten lebenden Fantasten sprechen, einem Idol meiner Lesejugend, das mich nachhaltig geprägt hat. Die Berührung mit seinen großen Schwertern hat mich für immer verändert und jetzt darf ich ihn gleich treffen … Oh mein Gott! Nein, den nicht. Ich meine Tad Williams.
Zu Besuch bei Tad Williams, der mit seinen Geschichten umgeht, wie mit edlem Wein.
Bitte beschreibe dich in einem Wort!
Storyteller
Ja, wer will da widersprechen? Habe ich schon erwähnt, dass ich deine Geschichten liebe? Ja? Ohh … okay. Ich ent-fangirle mich ein bisschen.
Strukturierter Planschreiber, Bandenmitglied oder kreativer Chaot – was ist dein Schreib-Erfolgs-Konzept?
Ich bin ein großer Planer, geradezu ein Architekt meiner Geschichten.
Und wie machst du das? Allein oder wie ein Architekt mit vielen Helfern am Bau?
Ich arbeite grundsätzlich allein, weil ich es liebe, die Szenen und Charaktere wie Schachfiguren solange herumzuschieben, bis ich die richtige Balance zwischen dramatischer Übertreibung und Realismus gefunden habe.
Das klingt nach stapelweise Notizen …
Nein, gar nicht! Das behalte ich alles in meinem Kopf, denn so bin ich am flexibelsten. Ich kann ein Dutzend verschiedene Möglichkeiten gedanklich durchspielen und muss nachher nichts mehr umschreiben, wenn ich mich erst entschieden habe, was am besten funkionieren wird.
Kaum überarbeiten … Wow. Ich kenne hunderte von Kollegen, die dich da gerade glühend beneiden. Wobei es natürlich auch solche gibt, die gerne an ihren Texten feilen, mich zum Beispiel. Wie gehst du denn mit all diesen Ideen um, wird das nicht sehr unübersichtlich? Deine Geschichten sind ja nicht gerade einfach.
Meine Ideen lagern meist schon eine Weile in meinem Kopf. Und oft stoßen kleine Details unterwegs dazu und dann, wenn sich das alles zusammenfügt, dann fange ich mit dem Weltenbau an, ersinne mir die Geografie und Geschichte, die letztlich die Geschichte vervollständigen.
Der Ansatz, die Geschichten erst einmal im Kopf reifen zu lassen, hat irgendwie was Schönes. Ich stelle mir das gerade wie in einem Weinkeller vor, wo hunderte von Fässern mit wundervollen Geschichten lagern und nur darauf warten, eines Tages erzählt zu werden.
Welche Taste ist die am meisten abgenutzte auf deinem PC?
Das Komma.
Echt jetzt? Das hatten wir noch nie. Wie kommt’s?
Ich muss gestehen, dass ich mit der Kommasetzung die meiste Arbeit beim Überarbeiten habe. Ich neige dazu, bei jeder Pause beim Tippen ein Komma zu setzen, aber wenn ich dann den Text noch einmal Satz für Satz durchgehe, schaut das aus wie ein Schleppnetz eines Fischerboots, voller Haken … und ich muss Tonnen von ihnen wieder entfernen, damit die Worte fließen können.
Das finde ich sehr sympathisch. Kommas sind schon störrische Biester. Nie dort, wo sie hingehören.
Wenn eine Fee dir einen perfekten Autorentag anböte, wie sähe der aus?
Zu wissen, was ich schreiben will, wenn ich mich hinsitze, und dazu Chance, das mit mehr als einfachen Plotpunkten auszutüfteln.
Wie meinst du das?
Oh, ich liebe es genauso sehr, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich die Geschichte erzählen will, als über die Geschichte selbst. Und dann würde ich gern am Stück zehn Seiten schaffen (guter Tag) oder vielleicht auch zwanzig (sauguter Tag!), um anschließend die restliche Zeit ganz ohne schlechtes Gewissen genießen zu dürfen, weil ich ja mein Soll schon gut geschafft habe. Ach, und gegen ein tolles Belohnungssystem am Schluss hätte auch ich auch nichts.
Nun, ganz am Ende hast du jedenfalls sehr viele glückliche Fans. Aber ich gebe dir Recht, für zwanzig Seiten Manuskript hat man sich definitiv eine Belohnung verdient.
Wie viel Autobiografie steckt in deinen Geschichten?
Wenig, jedenfalls nicht eins zu eins.
Klar, das ist bei deiner Art von Geschichten auch schwierig. Schon das mit dem Wolfreiten dürfte schwierig sein und auch Drachenbeine sind eher schwer aufzutreiben, hierzulande. Aber im übertragenen Sinne?
Da natürlich schon. Es gibt schon Teile von mir in „War of Flowers“ oder in den „Bobby Dollar“-Büchern. Aber ich vermute, dass der Großteil davon eher unbewusst passiert und einfach so hochploppt … Natürlich beeinflussen mein Hintergrund und meine Erfahrungen – und auch die Zillionen von Büchern, die ich gelesen habe – einfach alles, was ich tue.
Das ist auch meine These. Man kann gar nicht schreiben, ohne sich selbst einzubringen, allein in der Wahl was und wie man schreibt. Und ich denke auch, dass unser Wissen nicht wirklich entscheidet, was gelebt und was gelesen ist, gerade, weil lesen genauso emotional sein kann. Das ist die Macht der Geschichte.
Was ist dein Geheimrezept, um die Muse anzulocken und Schreibblockaden (große und kleine) zu überwinden?
Ich habe ja die Theorie, dass die meisten Schreibblockaden eigentlich gar keine sind. Sie sind eher eine Zwangspause, weil der Autor gerade nicht bereit dafür ist, die Geschichte aufzuschreiben. Aber viele Kollegen sehen darin einen Fehler oder in dem Zustand eine Schwäche und geraten dann in Panik. Und das führt dann zu Problemen.
Das klingt wieder nach dem Winzer, der seinen Wein auch einfach mal reifen lassen muss.
Manchmal spüre ich, dass ich der Geschichte ein bisschen Ruhe gönnen muss. Sie wird sich schon wieder melden, wenn sie bereit ist und dabei mit dem Schwanz wedeln. Darum ist es auch gut, wenn man immer noch andere Projekte hat, egal, ob die jetzt schreibbezogen sind oder nicht. Dann habe ich was zu tun, wenn ich in einer Geschichte feststecke. So ist das eben. Manchmal ist einfach noch nicht die Zeit dafür, nur keine Panik.
Da du gerade die nicht schreibbezogenen Projekte erwähnt hast …
Welchen Anteil hat das reine Schreiben im Autorenjob und was gehört noch dazu?
Ich persönlich unterscheide ja zwischen meiner täglichen Denkzeit und der Schreibzeit. Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass ich produktiver bin, wenn ich erst einmal denke, ohne den ungeduldig auf das leere Papier trommelnden Finger oder einen deprimierend leeren Bildschirm. Deshalb setze ich mich wirklich erst hin, wenn ich weiß, was ich schreiben will.
Gehört für dich da Weltenbau auch zur Denkzeit? Ich meine, eine Welt wie Osten Ard entsteht ja nicht so nebenbei.
Ja, ich verwende viel Zeit auf den Weltenbau, sodass ein guter Teil meiner Denkzeit mich auch weit von meinem Schreibtisch wegführt, um sicher zu sein, dass meine Ideen auch von der Welt, die ich baue, unterstützt werden und alles zusammepasst. Wenn ich nicht sicher bin, versuce ich mich noch mehr in die Welt hineinzudenken, was weiß ich von ihr? Nein, Weltenbau endet nicht, wenn ich zu schreiben beginne, bei weitem nicht.
Und sonst? Der ganze Rest, der dazugehört, bis das Buch fertig ist, was ist mit dem?
Überarbeitung, Marketing und all diese fraglos wichtigen Sachen begleiten letztlich den Schreibprozess nur. Da bin ich auf mein Team angewiesen/beschränkt/unterstützt.
Und wie ist das mit den Covern, du hast ja durchaus auch mit dem Gedanken gespielt, Maler zu werden …?
Was meine Cover anbetrifft, hatte ich bisher Glück. Meine amerikanischen Verleger kannen meinen künstlerischen Hintergrund und mich bisher immer in die Überlegungen zum Cover einbezogen. Und wenn man dann Bilder von Michael Whelan oder vergleichbar exzellenten Künstlern bekommt, muss man in der Regeln nicht mehr allzu viel beitragen.
Was macht für dich ein gutes Buch aus?
Da bin ich strenger geworden, seit ich selbst schreibe. Der innere Lektor ist immer fleißig. aber das führt auch dazu, dass ich wirklich gute Autoren umso mehr schätze, denn ich bin immer wirklich dankbar, wenn ich diese kritische Stimme mal zum Schweigen bringen und einfach nur die Arbeit eines anderen genießen kann.
Und was sind dann die Kriterien des inneren Lektors?
Meine Ansprüchepassen sich der Art des Buchs an. Ist es hohe Kunst oder eher Unterhaltung? Aber natürlich muss auch Unterhaltungslektüre einen gewissen Grad an Handwerk und Cleverness mitbringen, den ich bewundern kann, sonst langweilt es mich.
Welche Gefahren lauern im Alltag auf deine Manuskripte, was kann dich von deiner Geschichte trennen?
Nichts außer den Dingen, die eine Geschichte besser machen könnten.
Wie meinst du das? Klingt nach der Perfektionismus-Falle?
Es ist gefährlich, anzunehmen, dass jede Idee auch eine gute ist, und das ist auch einer der Gründe, warum ich soviel Zeit darauf verwende, vorher über eine Idee nachzudenken, bis ich wirklich zu schreiben beginne. Aber selbst dann kommt es vor, dass ich auf das, was ich da fabriziert habe, schaue und festelle, dass es nicht so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt habe. Da bin ich dann sehr stur und verfolge meine Geschichte. Und das führt dann dazu, dass noch bei jedem Buch, an dem ich geschrieben habe, die Dinge sich stetig ändern, brodeln, wechseln …
Und wenn du mal den Kopf freibekommen willst, womit beschäftigst du dich dann am Liebsten?
In der Regel schaue ich fern oder lese etwas ganz anderes als das, woran ich gerade arbeite. Gerne auch Comedy. Ich finde, dass Rifftrax und Mystery Science Theater 3000 außerordentlich gut geeignet sind, um sich zu entspannen. Das sind Sendungen, die sich über schlechte Filme lustig machen.
Das gibt es bei uns auch. Oliver Kalkofes Schlefaz – Die schlechtesten Filme aller Zeiten – sind … großes Kino!
Oder ich schaue mir Sport an – das ist auch eine gute Art, die mentale Festplatte frei zu bekommen.
Oh, das würde normalerweise im WM-Jahr gut passen, aber im Augenblick wird das für viele eher eine Schmerztherapie.
Ich würde dich ja um deinen Tipp bitten, aber nachdem wir schon ausgeschieden sind, interessiert das niemanden mehr. 🙂
Bei welchem deiner Protagonisten würdest du den Beziehungsstatus mit dir als »schwierig« bezeichnen?
Nur mit den Bösewichten. Wie im echten Leben versuche ich, in jedem, dem ich begegne, etwas Positives zu sehen. Aber manchmal ist es schwierig, mit soziopathischen Mördern Gemeinsamkeiten zu entdenken. Und das ist ja vielleicht auch ganz gut so. Und mit den weniger furchtbaren Protagonisten habe ich sehr viel Geduld, spziell mit den jungen.
Wie groß ist dein SUM (Stapel ungeschriebener Manuskripte) und wie gehst du mit ihm um?
Schwierig. Ich habe immer verschiedene Bücher, die ich gerne schreiben würde.
Und wie gehst du mit denen dann um?
Die, die den Zeittest bestehen – mit anderen Worten, die in meinem Kopf überleben, während ich andere Bücher schreibe – haben gute Chancen, auch einmal geschrieben zu werden. Andere hingegen werden zu Kurzgeschichten umgebaut oder in anderen Romanen verwurstet.
Und wieviele potentielle Bücher warten ungeduldig im Hintergrund?
Üblicherweise lauern so etwa drei oder vier Rohideen in den Tiefen meines Gehirns, bereit, ihre Chance zu ergreifen.
Was war dein emotionalstes Erlebnis beim Schreiben?
Der erste und bis heute bewegendste Moment war, als ich meinen ersten Roman, „Tailchaser’s Song“ (dt „Traumjäger und Goldpfote“) verlegt bekommen habe. Ich erfuhr das per Post und ging dann mit meinem Hund spazieren und spürte, dass gerade etwas sehr Wichtiges in meinem Leben passiert ist. Und so war es auch.
Oh ja, das glaube ich. Und direkt mit der Geschichte, beim eigentlichen Schreib-Job?
Wenn man bedenkt, wie schräg die Geschichten sind, die ich gerne erzähle, habe ich erstaunlich wenig schräge Sachen während meiner Karriere erlebt. Viele schöne Dinge, ein paar frustrierende (natürlich), aber nichts wirklich außergewöhnliches. Ich mache das jetzt lang genug, um so ziemlich alles gesehen, zu haben, was ein normaler Mensch mit einer normalen Karriere erleben kann, und das könnte das vielleicht schrägste von allem sein.
Da gebe ich dir sofort recht. Dass ein Autor wie Tad Williams (TAD WILLIAMS!) sich als normaler Mensch mit einer normalen Karriere bezeichnet, ist tatsächlich schräg. Ebenso könnte Marradonna sagen, er sei ein normaler Fußballer.
Wie definierst du Erfolg?
Meist definiert man Erfolg über offensichtliche Kriterien – Geld oder Bestseller. Aber ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass einfach nur das tun zu dürfen, was man liebt, und davon leben zu können, ein viel größeres Geschenk ist als alles, was ich in meiner Karriere sonst erreichen könnte.
Wow. Das hast du schön gesagt. Gibt es noch etwas, das du an deinem Job liebst, außer dem Schreiben und Geschichten erzählen?
Ich habe eine Menge richtig cooler Leute kennengelernt, berühmte und nicht berühmte. Das war auch toll. So habe ich letztlich auch mein Frau Deborah getroffen, die meine englische Verlegerin war. Und das war ein Hauptgewinn.
Und zum Schluss: auf welche Frage in einem Autoreninterview möchtest du einfach nur mit »Ja« antworten?
Willst du für immer leben und niemals sterben und dabei bis in alle Ewigkeit Eis und salzige Snacks futtern zu dürfen?
Lieber Tad, es war mir wirklich eine große Ehre, dass du dir soviel Zeit für mich genommen hast und auch wenn ich dir diesen Wunsch nicht erfüllen kann, wünsche ich dir ganz viel Erfolg mit der Hexenholzkrone im weiteren Verlauf des Wettbewerb und für den Fall, dass du zur Messe nach Frankfurt kommst, bist du natürlich auf der Gala zum Skoutz-Award sehr willkommen!
Hier könnt ihr Tad Williams erreichen:
- Tad Williams auf Facebook
- Autorenwebseite von Tad Williams
Skoutz-Lesetipp:
Traumjäger und Goldpfote – wunderschöne Tier-Fantasy von Tad Williams
Fritti Traumjäger ist ein rötlich-grauer, tapferer, kluger und treuer Kater, voller Freiheitsliebe und tiefer Träume. Er lebt mit seinem Volk in einer Welt, die von mächtigen Katzengöttern und den „Großen“ beherrscht wird, jenen sonderbaren, pelzlosen Wesen, die man Menschen nennt. Die Welt indes ist nach dem Mythos der Katzen von der Urmutter Tiefklar geschaffen, die das Dunkel verbannte und Die Zwei erschuf: Harar Goldauge und Fela Himmeltanz. Von ihren drei Erstgeborenen hat sich der heimtückische Griraz Kaltherz nach einer Übeltat in das Innere der Erde geflüchtet, wo er auf Rache sinnt und seine Rückkehr ans Licht plant. Furcht und Zorn herrschen in Fritti Traumjägers Volk, denn immer mehr Katzen verschwinden auf geheimnisvolle Weise und werden nicht mehr gesehen. Als schließlich auch noch Frittis Freundin Goldpfote verschwindet, beschließt Fritti zu handeln. Zusammen mit seinem Gefährten Raschkralle und dem exzentrischen, alten Kater Grillenfänger verläßt er seine Heimat und begibt sich auf die Suche nach Goldpfote. Es wird eine Fahrt voller Gefahren und Verzauberungen. Sie bringt ihn und seine Gefährten an den Rand des Todes und führt sie bis in die Katzenhölle. Als er seine Freundin schließlich findet, glaubt er sich am Ziel seiner Wünsche …
Skoutz meint: Wir hätten eigentlich ein aktuelleres Buch vorgestellt, aber dieser Titel war Tads ausdrücklicher Wunsch. Ein wunderbar fantasievoller Roman um Freundschaft und Mut. Spannend und unterhaltsam schildert er nicht nur die Reise der Gefährten, sondern klärt auch höchst kreativ viele große Fragen auf: Warum können sich Hund und Katz nicht leiden, weshalb sind Katzen wasserscheu und warum sind Katzen die besseren Menschen? Wenn man es sich recht bedenkt, hat Tad recht! Dieses Buch ist wirklich eine Empfehlung wert und darf nicht vergessen werden.
Wer mehr über dieses Buch erfahren möchte, kann sich hier über unseren Affiliate-Link bei Amazon oder auch im Buchhandel informieren.
1. Hinweis:
Tad Williams erster Osten-Ard-Zyklus „Das Geheimsnis der großen Schwerter“ steht auf unserer Skoutz-Classic Liste Fantasy. Diese vierbändige Reihe um die Abenteuer des jungen Simeon zählt zu den absoluten Meilensteinen der High Fantasy.
2. Hinweis:
„Das Herz der verlorenen Dinge“ – Tad Williams epische Rückkehr nach Osten Ard erschien bei Klett-Cotta und begeisterte unsere Jurorin Jennifer Alice Jager sofort. Aus über 300 Titeln der Fantasy-Longlist gab sie diesem wunderbaren High Fantasy Roman einen der begehrten Midlist-Plätze und damit vielleicht die Chance auf den Skoutz Award 2018. Natürlich haben wir uns das Buch genauer angesehen und ausführlich vorgestellt (weiterlesen)