Skoutz-Autoreninterview Lea Hermann

Zu Besuch bei Lea Hermann

Wir sind heute unterwegs, um die Autorin Lea Hermann zu treffen. Mit ihrem Titel „Hirnweh“, einer sarkastischen Gesellschaftskritik, steht sie auf der Midlist Contemporary von Annemarie Bruhns.

Weil wir Lea noch nicht persönlich kennen, freuen wir uns schon sehr auf dieses Treffen. Natürlich sind wir auch sehr neugierig und gespannt, was sie uns alles erzählen kann. Das ist ja das Schöne an Autoreninterviews – es wird nie langweilig!

Der Skoutzi wedelt mir auch schon zu, er hat die richtige Adresse gefunden.

Zu Besuch bei Lea Hermann, die auch mit Ernstem unterhalten will

Hallo liebe Lea, wir freuen uns sehr, dass wir heute bei dir sein dich interviewen dürfen. Dank deiner Wegbeschreibung haben wir alles gut gefunden. Vielmehr der Skoutz-Kauz hat mich hergeführt. Jetzt schaut er sich gerade bei dir um, das neugierige kleine Ungeheuer …

Wo sitzen wir denn, also wo willst du uns empfangen?

Ich empfange euch auf meinem Balkon, an meinem runden Balkontisch. Viel Platz ist da allerdings nicht, da ich sehr viele blühenden Blumenkästen habe und noch dazu in Kübeln Tomaten anbaue. Beinfreiheit ist also quasi nicht vorhanden 😉

Ach das macht nichts, mit kleinen Balkonen kenne ich mich gut aus und deiner ist wirklich schön. Wir falten uns einfach zusammen. Uns gefällt dein Balkon, gell Skoutzi?

 

Nach welchem Motto lebst du? Und wirkt sich das auch auf dein Schreiben aus?

Früher war es definitiv mal „work hard, party hard“ 😀

Früher? 

Diese Zeiten sind aber vorbei. Jetzt ist es wahrscheinlich eine wilde Mischung aus „Ohne Fleiß kein Preis“ und „Egal was ist, das Leben geht immer weiter“.

Ich sehe schon – du hast in jeder Situation die passende Mischung. Diese Sprüche sind jedenfalls praxiserprobt. Wie setzt du die in deinem Schreiballtag um?

Ich bin sehr diszipliniert was das Schreiben angeht, sollte mir aber wahrscheinlich nicht immer so viel Druck machen. Immerhin kann ich mittlerweile ganz gut mit Rückschlägen umgehen.

Sich selber Druck zu machen, ist immer gefährlich, finde ich. Vielleicht findest du einen Ausgleich, um dich ein wenig zu entschleunigen. Dann wären Rückschläge vielleicht auch vermeidbar. Fragen wir mal anders … 

Was ist dein erster Gedanke, wenn ich dich frage, was du GAR NICHT magst?

Puh, da muss ich tatsächlich kurz überlegen. Ich hasse es auf jeden Fall wichtige Entscheidungen treffen zu müssen.

Oh, wirklich? 

Das ist wirklich das Allerschlimmste für mich und stürzt mich jedes mal wieder in eine mittelschwere Existenzkrise.

Ach, da ist er der ewig unentschlossene Autor mit dem zerrauften Haar! Ein herrliches Klischee und eine perfekte Überleitung zur nächsten Frage: 

Als Klischee wird man nicht geboren, sondern muss sich den Titel erarbeiten. Klischees sind so praktisch wie lästig. Wie gehst du persönlich mit ihnen um? Beim Schreiben wie im Leben?

Beim Schreiben bin ich zwiegespalten, was Klischees angeht.

Das klingt jetzt spannend! Eine handwerklich perfekte Einleitung, also. 🙂 Erzähl!

Einerseits will ich keine Stereotypen reproduzieren, anderseits hat es mir bei „Hirnweh“ wahnsinnig Spaß gemacht, den Reha-Arzt „Dr. Carstensen“ mit seinen gebleichten Zähnen und dem festen Händedruck zu beschreiben. Eine gute Freundin fand diese Szene super! Man darf also auch mal mit Klischees spielen.

Auf jeden Fall. Ich mag es sehr, wenn mit Klischees gespielt wird. Jeder trifft vermutlich in vielen Punkten ein Klischee, bleibt aber in seiner ganzen Person trotzdem individuell. Das ist ja im Realen auch nicht anders.

Im echten Leben bin auch ich leider nicht von Schubladendecken gefeit. Zum Glück stelle ich dann doch immer relativ schnell fest, dass diese Vorurteile oder Klischees Quatsch sind. Und dann ärgere ich mich über mich selbst – wie es wahrscheinlich jeder tut.

Ich bin überzeugt, dass sich jeder mal in seinen Einschätzungen korrigieren muss. Das ist auch gleich das richtige Wort. Ein Klischee ist ein statistischer Wert, eine Schätzung auf Erfahrungsbasis. Wenn man dann nachrechnet, oder eben hier den Menschen näher betrachtet, kennenlernt, wird man mit Sicherheit kleinere oder auch größere Korrekturen vornehmen müssen. Das ist aber nicht schlimm, sondern aus meiner Sicht spannend. Wie langweilig wäre es, wenn jedes Kennenlernen in den ersten 3 Minuten oder eben 3 Seiten schon abgeschlossen wäre. Was mich zu Schreibklischees bzw. -Erwartungen führt.

In welchen Genres schreibst du? Hast du dich bewusst dafür entschieden oder hast du nachher überlegt, wie du deine Geschichte einordnest?

Ich bin beim Schreiben definitiv Team „coming-of-age“ und „zeitgenössische Literatur“ – das sind auch die Genres, die ich am liebsten lese.

Das sind ja auch sehr facettenreiche Genres – wobei coming-of-age in jedem Set funktioniert, auch wenn es oft als Subgenre der Zeitgenössischen gelistet wird. Wie kam es zu der Wahl?

Vor allem zu „coming-of-age“ kann ich nie nein sagen und auch „Hirnweh“ lässt sich darunter einordnen. Ich habe mich eigentlich nicht bewusst für diese Genres entschieden, das war einfach das, was ich immer schreiben wollte und ist automatisch passiert. Egal ob beim Schreiben oder Lesen: Ich will auch bei ernsten Themen gut unterhalten werden und mal schmunzeln.

Das finde ich, ist die große Kunst. Die bitteren Früchte vom Baum der Erkenntnis, die wir schlucken müssen, gekonnt zu kandieren, damit sie uns schmecken. Die Moralkeule kann jeder schwingen, aber uns lächelnd zu besseren, einsichtsvolleren Menschen zu machen – das ist großartig. Das ist dir, meiner Meinung nach, auch bei Hirnweh auf wunderbare Weise gelungen. Bestimmt war das nicht leicht, diese Balance zu finden. 

Von wem kommt deine strengste Kritik? Und wie gehst du mit ihr um?

Definitiv von mir.

Ich habe das Gefühl, ihr Autoren seid alle immer sehr streng mit euch. Das habe ich jetzt oft so gesagt bekommen, dass ich mir schon Sorgen mache. Nervt das nicht ab und an, wenn man immer gegen ein inneres Kopfschütteln anschreibt?

Ich bin sehr streng zu mir und eigentlich auch nie so ganz zufrieden – vor allem, wenn ich an längeren Texten arbeite. Anderseits ist das super nervig, aber es pusht mich auch zuverlässig. Ich habe dazu noch drei gute Freundinnen, die quasi meine Test-Leserinnen sind und die manchmal auch echt kritisch sind. Zum Glück!

Für die nachfolgenden Leser auf jeden Fall. Und wenn es gute Freundinnen sind, dann finden sie gewiss auch die passende Verpackung für ihre Kritik. Freundinnen können das. 🙂 

Ein Sprichwort sagt „Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt.“ – Wie findest Du diesen Satz?

Ich finde den Satz sehr schön!

Das dachte ich mir schon, als ich deinen Balkon gesehen habe.  

Als Teenager bin ich mal wochenlang mit dem Wälzer „Anna Karenina“ in der Umhängetasche rumgelaufen. Meine Schulter hat ganz schön gelitten. Aber ich wollte das Buch auf gar keinen Fall daheim lassen, sondern in jeder freien Minute weiterlesen.

Das kenne ich auch, immer mit dem Buch unterwegs sein. Ist dann eben Fitness und Unterhaltung in einem.  

Wahrscheinlich so, wie Gartenbesitzer den Sommer im eigenen Grün voll und ganz auskosten möchten …

… und dort jede freie Minute verbringen. Genau! Und wenn sie dabei Unkraut jäten und Blumen nachziehen, halten sie sich auch fit dabei. Jetzt hast du schon von Anna Karenina und dein entschlossenes Lesen erwähnt. Da liegt die nächste Frage nahe:

Mit welchem Buch wurde deine Liebe zu Büchern geweckt?

Das war die „Bello Bond“-Reihe von Thomas Brezina! Es ging um einen West Highland Terrier, der zum Spionage-Hund ausgebildet wurde, ausgebüxt ist und von drei Kindern heimlich in ihrem Internat versteckt wird. Gemeinsam haben die vier dann Abenteuer erlebt und sich für Tierschutz eingesetzt. Ich habe diese Reihe geliebt! „Bello Bond“ war das erste Buch, dass ich ganz alleine gelesen habe. Da muss ich ungefähr in der dritten Klasse gewesen sein.

Wundervoll, das klingt wirklich toll. Ich muss gestehen, die kenne ich gar nicht, aber ich habe gerade mal nachgeschaut. Da hast du ja einige Abenteuer mit erleben können. Und wie ging es dann weiter? 

Danach ist der Knoten geplatzt und ich habe nie wieder aufgehört zu lesen. Ich gehöre auch voll zur „Harry Potter“-Generation und habe als Kind und Jugendliche die Veröffentlichungen und den Hype um die neuesten Bände miterlebt – das hat mich sehr geprägt.

Wie viele von uns. Ich würde sagen: Ganz egal, was Frau Rowling sonst denkt und macht, tut und lässt – dass sie buchstäblich Millionen von Menschen in die Welt der Literatur eingeführt hat, zum Weiterlesen gebracht und ihnen Buchmagie gezeigt hat, ist ein Verdienst, das ihr niemand nehmen kann. 

Wie sortierst du deine Buch-Regale?

Bitte nicht verurteilen, ich weiß, dass das etwas verpönt ist: Ich sortiere tatsächlich nach Farben.

Ich kann das aus ästhetischen Gründen sehr gut nachvollziehen. Bei mir klappt das leider nicht, ich würde NIE WIEDER was finden! Aber so ganz hältst du das auch nicht durch, oder? 

Nein. Aufgrund von Platzmangel ist es in letzter Zeit ziemlich chaotisch geworden.

Das wiederum vereint alle Booknerds. Auch ich scheitere regelmäßig mit meinen Sortierversuchen.  Hast du einen Tipp, wie wir das besser hinbekommen?

Nein. Das ist auch der Grund warum ich mir ein neues Konzept überlege. Mein Bücherregal wird von einem kleinen Dackel aus Stoff bewacht, den mir eine Freundin von ihrem Backpacker-Trip aus Vietnam mitbrachte.

Der ist ja süß. Und was sehe ich da noch? 

Als weitere Deko habe ich zwei Teddybären in Mini-Format. Als meine Oma noch etwas fitter war, hat sie wahnsinnig gern für Plüschtiere Anziehsachen gehäkelt beziehungsweise gestrickt. Die Bären sind von ihr. Da meine Oma auch eine Vielleserin ist, passen die gut dahin.

Finde ich wunderbar, wenn du da solche Verbindungen dazu hast und nicht einfach „nur“ hübsche Sachen da stehen. Wenn ich Zeit hätte, würde ich aus der Betrachtung von Bücherregalen eine Psychologie-Sparte entwickeln. Ich finde, das sagt so viel über Menschen aus, welche Bücher da stehen, wie sie sortieren, was sie an Deko dazu geben… Das ist ja sehr persönlich. 

Aber lass uns von allgemeinen Themen sprechen. 

Die gesellschaftliche Diskussion über das, was man in der Kunst tun und lassen darf, ist zur Zeit sehr hitzig. Wie stehst du dem gegenüber und wie beeinflusst das deine eigene Arbeit?

Da möchte ich den ganz tollen Rapper Danger Dan zitieren: „Zeig mich an und ich öffne einen Sekt. Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt!“

Okay, das ist jetzt eine Maximalposition. 

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Wenn Persönlichkeitsrechte verletzt werden, wird es natürlich schwierig.

 Da würde ich jetzt auf Eigenverantwortung des freien Künstlers setzen. Klar, darf Kunst kontrovers sein, wenn sie damit was ausdrücken will. Aber nicht immer muss das sein. Vielleicht ist das so ein bisschen wie der Unterschied zwischen therapeutischem Schmerz und Körperverletzung. Wenn es erforderlich oder unvermeidbar ist, um eine Aussage zu treffen, ist es was anderes, als wenn es einfach rücksichtslos oder gleichgültig ist. Aber das muss eben der Künstler für sich entscheiden. Wie gehst du als Autorin damit um? 

Bei „Hirnweh“ hatte ich teilweise echt Angst, dass meine Figuren an reale Personen erinnern, deswegen habe ich an machen Stellen nochmal nachjustiert. Ansonsten halte ich es aber tatsächlich mit Danger Dan. Ich finde, Kunst darf vieles. Vor allem der Gesellschaft den Spiegel vorhalten und auf Missstände aufmerksam machen.

Auf jeden Fall. Und eben auch mit jedem möglichen Mittel. Ob das jetzt ein Anprangern, ein Überzeichnen, ein kommentiertes oder auch bewusst neutral gehaltenes Vorstellen ist. Es soll ja was auslösen, wie du sagst. Das ist eben auch immer ein Spiel mit Emotionen, die für mich zwingend zu einer guten Geschichte dazugehören. Deshalb stehe ich auch dem nächsten Thema eher skeptisch gegenüber:   

Chat GPT und andere KI-Apps sind gerade in aller Munde. Was hältst du davon, dass KI Geschichten, ja ganze Bücher alleine verfassen kann? Sind das für dich überhaupt richtige Werke?

Ich finde das sehr, sehr gruselig und besorgniserregend. KIs werden generell den Arbeitsmarkt verändern und viele Berufe werden wegfallen.

Vielleicht werden sich die Beruf nur ändern? Die Arbeitswelt wird sicher sehr verändert und es fallen auch ganz bestimmt einige Berufe „hinten runter“. Aber es kann ja auch eine Chance sein? Aber ich persönlich habe auch eher Angst. Auch auf die Kunst bezogen.

Auch, wie sich KI auf Kunst auswirken wird, beschäftigt mich. KI kann ja nicht nur schreiben, sondern auch Bilder erstellen und Musik komponieren. Für mich persönlich ist ein von einer KI erstelltes Buch kein richtiges Werk.

Das sehe ich auch so, zumal die KI sich an Texten oder Bildmaterial bedient, die sie im Netz findet und die ihr oft vom Urheber nicht freigegeben wurden. Aber das sind ja jetzt technische Aspekte. Auch wenn man mit Legosteinen baut, kann man ja kreativ sein. Wie siehst du das unter dem Kreativ-Aspekt? 

Da würde mir wahrscheinlich der „human touch“ fehlen. Eigentlich möchte ich nicht in einer Welt leben, in der Maschinen Kunst machen und die kreative Arbeit von Menschen ersetzen oder verdrängen. Das erinnert mich sehr an die „Matrix“-Filme. Ich bin gespannt, wie sich das alles auf die Buchbranche auswirken wird. Ich hoffe, KI wird tatsächlich nur ein Hilfs-Tool sein und nicht die Arbeit von Autoren, Textern und Lektoren ersetzen.

Da kann ich dir nur zustimmen. Ich habe auch schon von einigen gehört, dass manche die KI zur Recherche nehmen. Da bin ich skeptisch, weil ja nicht stimmen muss, wie die KI die zusammengesuchten Fakten zusammenpuzzelt. Diese Wertung nehme ich lieber selbst vor, indem ich mir von Google die Puzzleteile liefern lassen (da stimmen ja auch längst nicht alle). Aber wir müssen uns auf jeden Fall noch gedulden, um zu wissen, wohin es geht. Mit der Leistungsfähigkeit der KI ebenso wie mit unserer Medienkompetenz, die schon wieder vor große Herausforderungen gestellt wird und völlig neu gedacht werden muss. Davor graust mir am meisten: Dieser Verlust des Grundvertrauens, weil durch die KI alles, wirklich alles Fake sein könnte. Matrix eben. Du hast schon recht.

Ach je, es ist spät geworden. Aber eine Frage habe ich noch zum Abschluss: 

Welche Frage sollen wir dir nächstes Jahr im Interview stellen?

Wie sieht es mit einem zweiten Roman aus?

Das habe ich mir notiert und ich hoffe, du kannst uns beim nächsten Mal deinen zweiten Roman präsentieren. Dafür würden wir auch gerne kommen! Sag uns also unbedingt Bescheid, wenn es soweit ist!

Liebe Lea, leider ist unser Gespräch schon zu Ende. Wir möchten uns ganz herzlich bei dir bedanken, für deine Zeit und dass du uns hier aufgenommen hast. Wir haben uns bei dir sehr wohl gefühlt. Und für den weiteren Wettbewerb wünschen wir dir viel Erfolg. 

Hier gibt es mehr über Lea Hermann:

 

Hirnweh - Lea Hermann - Skoutz-BuchfieberkurveHinweis:

Mit Hirnweh, steht Lea Hermann auf der Midlist Contemporary von Annemarie Bruhns, die das Potential des starken Debüts mit sicherem Blick erkannt hat. Damit hat die  Geschichte gute Chancen auf den Skoutz-Award in diesem Jahr.

Wir haben das Buch für den Wettbewerb schon vorgestellt und hier besprochen. Schaut gerne vorbei, es lohnt sich.

 

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Und wenn ihr uns, dem Autor und vielen anderen Lesern einen Gefallen tun wollt, rezensiert die Bücher doch anschließend bei unserer Skoutz-Buchsuche. Mit 5 Klicks statt 5 Sternen entsteht eine Buchbeschreibung, die anderen hilft, das für sie richtige Buch zu finden. Also sei dabei!

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