zu Besuch bei: Karsten Kruschel (Skoutz Juror Science Fiction 2016)
Karsten Kruschel kenne ich noch nicht persönlich, leider (aber das holen wir auf der Messe nach). So gesehen, gab es ausnahmsweise keinen Besuch, sondern nur ein ausführliches Telefonat, auch wenn es dabei gelegentlich krachte. Nicht so sehr zwischen uns (Karsten ist ein sehr, sehr liebenswürdiger Mensch mit interessanten, klugen, hörenswerten Ansichten, die sich mit meinen zufällig decken), sondern in der Leitung. Mein Haus wurde gebaut, als man beim Mauern an Bomben und nicht an WLAN dachte. Ich führte das Gespräch dann im Nieselregen in der Dunkelheit auf der Terrasse. Geht auch.
Literarisch ist Karsten Kruschel eine Größe der deutschen Science Fiction, wobei ihm das Kunststück gelingt, nicht nur Preisträger sehr angesehener Szene-Awards zu sein (z.B. 2x den Deutschen Science-Fiction-Preis oder 2016 den angesehenen Kurt-Laßnitz-Preis), sondern etwa auch die Listen bei Lovelybooks anzuführen – einer Plattform, wo man jetzt eher andere Genre-Schwerpunkte pflegt. Soll heißen, Karsten Kruschel deckt das Genre in seiner Breite ab und schafft es vor allem, auch Leser mit anderen Vorlieben für SciFi-Themen zu begeistern.
Karsten Kruschel in der Jury des Skoutz-Awards
Entsprechend glücklich waren wir bei Skoutz, als Karsten nach anfänglichem Zögern doch zugesagt hat. Auch, weil er vom Konzept des Skoutz-Awards mit seiner Mischung aus Jury- und Publikumsabstimmung, sowie der liberalen Auswahlkriterien überzeugt ist. Zur Leserparty der Leipziger Buchmesse stellen wir seine Auswahl für die Midlist vor – ihr dürft gespannt sein, denn Karsten legt Wert auf eine bunte Mischung. Am Ende werden es 9 Titel sein, die mit ihren Geschichten Karstens Inspektion überstanden haben und das Potential besitzen, den „Science Fiction-Skoutz“ zu gewinnen. Und ganz egal, ob das Buch aus einem großen Verlag oder vom Autor selbst veröffentlicht wurde, ob es von einem alten Hasen geschrieben wurde oder ein Debüt ist – nur die Geschichte zählt.
Karsten Kruschel – ein Team im Team der Jury zum Skoutz-Award.
Was ist dein »Sprit« beim Schreiben, woher nimmst du deine Ideen?
Aus dem täglichen Leben, wenn ich etwa Leute beobachte oder ihnen zuhöre – dank diesen angeblich smarten Telefonen kriegt man ja heutzutage die intimsten Angelegenheiten mit.
Ja, zum Beispiel, wenn sich der Interviewpartner einen Meter bewegt und prompt die Funkzone verlassen hat. Totalüberwachung mit Gegenwartsbezug.
Außerdem aus irgendwelchen Büchern, viel auch aus Songtexten, sogar aus Musik, oder wenn ich beim Recherchieren vom Hütchen aufs Stöckchen komme und plötzlich über die merkwürdigsten Informationen und Bilder verfüge. Die köcheln dann in irgendeinem Hirnwinkel vor sich hin und eines schönen Tages rutschen sie zu einer Idee zusammen, die den Namen auch verdient.
Und dann gibt es ja auch noch diese Stimmen, die mir Dinge zuflüstern. ?
Das Phänomen nennt man Telefon und ist für einen SciFi-Autor doch eher retro.
Was würdest du tun, wenn du nicht mehr schreiben könntest?
Musik machen. Elektronisch vor sich hin blubberndes Sequencer-Zeugs wahrscheinlich, in der Tradition der Berliner Schule. Für Heavy Metal ist mein Gitarrenspiel wirklich zu schlecht, und für richtigen Progrock bin ich zu ahnungslos im Dschungel der Tonarten.
Das könntest du doch am Skoutz-Stand auf der Messe vorführen …, fänd ich spannend.
Zu welchen Anlässen hast du schon überlegt, mit dem Schreiben aufzuhören?
Noch nie. Tatsächlich.
Das werden deine Leser erfreut zur Kenntnis nehmen, dass ohne Alien-Entführung keine Gefahr besteht, dass ihnen der nächste Kruschel vorenthalten bleibt.
Was war dein emotionalstes Erlebnis beim Schreiben?
Als ich nach einer fast durchgeschriebenen Nacht entsetzt feststellen mußte, daß ich auf den zweiundzwanzig Seiten, die ich in ebenjener Nacht getippt hatte, einen meiner liebsten Charaktere in dem Roman „Vilm. Die Eingeborenen“ umgebracht hatte. Das war, als hätte ich eine Leiche im Flur gefunden. Mit Blutpfütze drumherum.
Okay, das ist mal ein ganz neuer Aspekt des Schreibens. Also en passant und fast versehentlich einen Prota meucheln – das ist mir jetzt noch nicht passiert. War da dein Alter ego am Werke, der Mr. Hyde in der Kruschel-Psyche?
Aber im Gesamtbild des Buches war es die richtige Entscheidung, und es blieb so. Meine Lektorin hasst dieses Kapitel heute noch.
Wie viel Autobiografie steckt in deinen Geschichten?
Ein kleines bisschen immer.
Ah?
Aber, ehe jetzt jemand suchen geht: Da ist auch Autobiographisches dabei, was niemals geschehen ist, weil es aus einem Leben stammt, das nur in meiner Phantasie so abgelaufen ist.
Ah?!
Man wollte mich beispielsweise nach dem Abitur zum Medizinstudium überreden, als ich als Pfleger in einer Nervenklinik arbeitete. Das wäre dann ein komplett anderer Lebenslauf geworden, aber auch diesen habe ich heute (neben dem tatsächlichen) im Kopf. Da bin ich heute ein frustrierter Fußknöchelchirurg, der sich einbildet, er hätte in einem anderen Leben Bücher schreiben können. Und noch ein paar andere schräge Lebensläufe (ich bin viele).
Was, wie man in Vilm sieht, speziell für deine Protas gefährlich ist… und du warst als Pfleger in der Nervenklinik, ja?
Wie sich das anfühlt, kann jeder nachvollziehen, der meinen Roman „Galdäa“ gelesen hat.
Was wäre das größte Kompliment, das man dir als Autor machen kann?
„Ich bin total abgetaucht in diese Geschichte.“
„Ich hab mich furchtbar darüber aufgeregt.“
Oder “Ich hab’s jetzt noch einmal gelesen und dabei so viel Neues entdeckt!”
„Wo ist das nächste Buch, das genauso ist?!“
Ach je, die Leser sind da schon ziemlich kreativ.
Und dafür lieben wir Autoren sie ja auch. Ich bin gespannt, wie sie sich dann in den Abstimmungsrunden zu unserer Buchauswahl äußern werden.
Wer ist für dich dein idealer Leser?
Ein aufmerksamer Leser, der neuen Ideen offen gegenübersteht.
Bei welchem deiner Protagonisten würdest du den Beziehungsstatus mit dir als »schwierig« bezeichnen?
Bei all denen, denen ich gerade ein Schicksal auf den Leib schreibe. Wenn die Bücher fertig und in der Welt sind, hab ich meinen Frieden mit den Leuten ja längst gemacht …
… bis sie in einem neuen Buch wieder auftauchen, was auch passieren kann. Momentan schreibe ich gerade an einem Roman, in dem einige Charaktere aus früheren Büchern wieder auftreten, und sie haben sich inzwischen auf verblüffende Weise weiterentwickelt. Da ist „schwierig“ gar kein Ausdruck. Eher schon “widerborstig”, “brisant” oder “anstrengend”.
Also versuch dich, in sie hineinzuversetzen, wenn man da so einfach vorwarnungslos in einem Schreibflash mal im Vorbeigehen gemeuchelt wird, wärst du gewiss auch misstrauisch dir und deinen anderen ichs gegenüber.
Und zum Schluss: auf welche Frage in einem Autoreninterview möchtest du einfach nur mit »Ja« antworten?
Hast du den Filmvertrag mit James Cameron (hier auch ersatzweise J. J. Abrams, Joss Whedon oder Steven Spielberg einsetzen) schon unterschrieben?
Hahaha! Da kannst du dich dann mit deinem Co-Juror Andreas Adlon zusammentun, der plant auch die Verfilmung seiner Bücher. Ich wäre auf alle Fälle gern Premierengast!
Mehr über Karsten Kruschel:
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Buchtipp: „Das Universum nach Landau“ von Karsten Kruschel
Als unerwartet eine biologische Katastrophe losbricht, bei der die Pflanzenwelt auf der Erde völlig durchdreht, scheint das Ende der Menschheit gekommen. Aber sie überlebt.
Als eine geheimnisvolle Macht eine Welt nach dem anderen übernimmt oder auslöscht, gibt niemand mehr einen Pfifferling auf den Homo sapiens. Aber er macht weiter.
Auch wenn er von unbegreiflichen Lebensformen absorbiert wird, zum alles beherrschenden Raubtier umgewandelt oder von einer übermächtigen Zivilisation zur Ausrottung vorgesehen wird, es gibt ihn immer noch.
Selbst als die Kälte in ihrer reinsten Form ihn umzubringen versucht, widersteht er. Und auch, als sich das Universum selbst sich gegen ihn auflehnt, findet der Mensch einen Weg, ihm ein Schnippchen zu schlagen.
Hinweis: Das Buch wurde von André Skora, dem Skoutz-Juror für den Award 2017, für die Midlist Science Fiction ausgewählt und deshalb hier ausführlich besprochen.
Ihr werdet 2016 viel von Karsten Kruschel lesen, denn als Science Fiction-Experte in der Skoutz-Jury wird er aus euren Vorschlägen zur Longlist die 9 Titel benennen, die es auf die Midlist schaffen und jene 3 genauer vorstellen, die wir dann in die Shortlist wählen. Und auf der Gala in Frankfurt im Oktober hält er dann hoffentlich die Laudatio zum SF-Skoutz 2016.