zu Besuch bei: Elin Hirvi
Nach einer kleinen EM-Pause war es höchste Zeit, mal wieder einen unserer Nominierten für den Skoutz-Award zu besuchen. Meine Wahl fiel auf Elin Hirvi, die mit „Am Nil“ eine so zauberhafte Geschichte geschrieben hat, dass sie von B.C. Bolt prompt in der Kategorie History für den Skoutz-Award nominiert wurde.
Da mich persönlich die alten Hochkulturen schon als Kind sehr fasziniert haben, freue ich mich auf dieses Gespräch, denn vielleicht erfahre ich noch etwas mehr über das alte Ägypten, als Elin in ihr Buch gepackt hat. Ich nähere mich ihrem Haus mit ordnungsgemäß ägyptisch abgewinkelten Armen und bin sehr gespannt …
Zu Besuch bei Elin Hirvi, historisch korrekt auf dem Weg zum Klassiker?
Was ist dein „Sprit“, was inspiriert dich zu Schreiben?
Ich habe mir immer Geschichten ausgedacht, schon als Kind Fantasiewelten gesponnen. Ich bin in diesen Welten aufgegangen, ganz wie bei einem Rollenspiel. Beim Schreiben ist es ähnlich, und doch ganz anders.
Als passionierter Rollenspieler stimme ich dir da zu. Aber deine Begründung würde mich natürlich trotzdem interessieren.
Denn es geht auch darum, die Leserinnen und Leser in diese Welt mitzunehmen. Dazu kommt mein Interesse für Geschichte, weil ich verstehen möchte, wie die Menschen früher lebten und dachten. Die menschliche Psyche beschäftigt mich sehr und es ist eine Triebfeder für mich, die Charaktere in einem Roman fortzuentwickeln. Das ist ein psychologisches Experiment, in dem ich meine Versuchskaninchen Extremsituationen aussetze – ein Experiment, dessen Ausgang ich selbst bestimme: was will man mehr?
Das ist sehr interessant, denn tatsächlich schreibe ich aus ganz ähnlichem Antrieb heraus. Ich vertrete nämlich die These, dass dann, wenn in in verschiedenen Extremsituationen von Charakter und Erziehung unterschiedliche Menschen zu ähnlichen logischen Reaktionen kommen, das typisch menschliche Verhalten herausgearbeitet worden ist. Also das, was wir auch im Alltag von unseren Mitmenschen erwarten dürfen. Nur in einem würde ich widersprechen: Dass man als Autor den Ausgang selbst bestimmen kann. Da halte ich es mit Dürenmatt: Schreiben ist wie Schachspielen. In der Eröffnung ist man frei, der Rest folgt logischen Zwängen.
Was würdest du tun, wenn du nicht mehr schreiben könntest?
Das Schreiben ist ein wichtiger Teil meines Lebens und es ist wunderbar, dass ich diese Möglichkeit habe. Ich brauche meine Fantasie.
Ja, schon … Aber was wäre, wenn es nicht mehr ginge?
Trotzdem habe ich etliche Jahre ganz gut ohne Schreiben gelebt und andere Wege gefunden, mit den vielen Geschichten in mir umzugehen. Natürlich geht das, ich habe leider auch nicht immer die Zeit zum Schreiben, weil Stress tödlich für Kreativität ist, aber es fehlt dann etwas, ganz klar.
Gab es Gelegenheiten, bei denen du das Schreiben aufgeben wolltest?
Ich hatte immer längere wieder Schreibpausen, denn es gibt Lebensphasen, da denkt man auch mal an andere Dinge, aber nein – es war für mich immer klar, dass ich schreiben werde, solange ich Leser für meine Geschichten finde.
Also ist für dich Schreiben eine Kommunikationsform? Kein Schreiben ohne Leser? Ich frage, weil viele das auch verwenden, um ihre Gedanken zu sortieren … Von daher passt die nächste Frage vielleicht ganz gut.
Was war dein emotionalstes Erlebnis beim Schreiben?
Ich habe beim Schreiben öfter das Gefühl, jetzt gerade einen Schreibrausch zu haben – einen Flow, wie man so schön sagt, wenn man völlig vertieft ist und alles um sich herum vergisst. Aber man kann sogar ganz ohne Drogen nur durch Schreiben high werden – ich habe das einmal erlebt, dermaßen voller Euphorie und wie besessen zu schreiben, viele, viele Seiten und am Ende war ich völlig fertig, habe richtig gezittert. Das hat nichts mit dem „normalen“ Schreiben zu tun, wie ich es sonst kenne – auch wenn das natürlich immer mal wieder sehr aufwühlend ist.
Also ich habe schon mit einigen Kollegen über „Schreibräusche“ geplaudert, aber dieses Phänomen, wie du es schilderst, das hatte ich jetzt noch nicht. Weder selbst, noch in Berichten. Faszinierend….
Wie viel Autobiografie steckt in deinen Geschichten?
Autobiographisch würde ich das nicht nennen, im Gegenteil, in einem fiktiven Roman schlüpfe ich als Autorin ja mit Absicht in andere Rollen, sonst wären die Figuren nicht eigenständig. Selbst bei den Nebenfiguren ist mir wichtig, dass sie nicht nur Steigbügelhalter für die Protagonisten sind – sie sollen ein eigenes Leben haben.
Wenn man einer fiktiven Figur das Leben schenkt, besteht das ja aus mehr als einer äußeren Geschichte, die sich mehr oder minder detailreich, mehr oder minder eigenständig in den vom Plot vorgegebenen Rahmen eingliedern lassen muss. Aber das allein ist ja noch keine greifbare Persönlichkeit. Dazu gehört ein Innenleben, Vorlieben, Charaktereigenschaften, Wertungen, Erfahrungen. Und welche Erfahrungen soll eine Figur haben, wenn nicht die vom Autor vorgedachten, ihm selbst verfügbaren?
Dass ich für das Schreiben eigene Erfahrungen, Beobachtungen und Gedanken einbringen muss, versteht sich von selbst. Aber meine Leser sollen nicht mich – oder noch schlimmer, wie ich vielleicht gerne wäre – in meinen Figuren sehen, sondern lebendige Geschöpfe.
Ja, da sind wir beisammen. Für mich ist es das größte Kompliment, wenn meine Leser meine Figuren gerne als Freunde hätten. Und auch wenn es seltsam klingt, ich freue mich, wenn manche sie lieben, manche nicht warm mit ihnen werden und wieder andere sie doof finden. Denn das zeigt, dass sie „echt“ sind.
Aber wenn wir hier schon von Lesern und die von uns an sie gestellten Ansprüche reden…
Was ist das größte Kompliment, das man dir als Autor machen kann?
Ich will mehr von dir lesen! Und in hundert Jahren (vermutlich nicht mehr: Ich will mehr von dir lesen), sondern: Ach, die Hirvi, die will ich auch noch lesen. So von wegen Klassiker und so.
Da erkennt man den geschichtsaffinen Autor.
Den Weg zum Klassiker hatten wir bisher in dieser Interview-Reihe noch nicht besprochen.
Wer ist für dich dein perfekter Leser?
Perfekt ist ein Wort, das ich nicht mag.
Musst du nicht. Erklär’s mir aber bitte.
Perfekt ist langweilig, zumal ich das nicht gesund finde, wenn man immer nur gesagt bekäme, wie wunderbar und toll man doch ist. Das wäre nicht mehr echt und damit nichts wert.
Perfekt hat ja in der Konstellation nicht zwingend mit „100% wunderbar und toll“ zu tun. Manchmal können ja gerade die Ecken und Kanten perfekt sein. Wie oben bei den Figuren. Der satirisch überhöhte Held, der einfach alles sofort und am besten kann, reich, schlau, schön, unwiderstehlich ist, der langweilt mich. Also ist er nicht perfekt, weil er perfekt ist. Das kann ja bei Lesern ganz genauso sein. Also….???
Ich freue mich dagegen sehr, wenn mir meine Leser auf eben ganz unterschiedliche Art ihre Begeisterung mitteilen – manchmal ist das eben nur dadurch bemerkbar, dass sie dann auch die anderen Romane kaufen.
Das ist ein gerade in Zeiten von Piratenbörsen und anderen „Geiz ist geil“-Aktionen stets lobenswerter Ansatz, den jeder Autor sehr begrüßt.
Bei welchem deiner Protagonisten würdest du den Beziehungsstatus als “schwierig“ bezeichnen?
Würden meine Charaktere von mir wissen, würden sie mich hassen. Ich weiß es.
*Prust* Ja, das ist mir letztens auch beim Schreiben aufgefallen, dass all meine Figuren eigentlich der Geschichte zuliebe, ein ziemlich elendes Leben führen. Aber so deutlich hat das noch kein Kollege vor dir zugegeben.
Und zuletzt: Auf welche Frage möchtest du einfach nur mit “Ja” antworten?
Liebe Elin, ist dein zweiter Band der Nil-Trilogie jetzt endlich veröffentlicht?
Ja, das würde ich im Namen deiner Leser auch gerne hören!
Liebe Elin, ich danke für das wunderbare Interview und wünsche dir auf dem Weg zum Klassiker erst einmal viel Erfolg im weiteren Wettbewerb.
Hier könnt ihr Elin Hirvi treffen:
Autorenhomepage von Elin Hirvi.
Elin Hirvi auf Facebook
Skoutz Lesetipp: „Dunkle Häfen“ – Historischer Roman von Elin Hirvi
England, 1690. Ein Jahrhundert der Pestepidemien und Religionskriege neigt sich dem Ende zu. Die Welt ist im Wandel, eine neue Zeit hat begonnen.
Ein junges Mädchen ohne Namen und Vergangenheit gelangt auf einem Heukarren in den alten Moloch London, einer Stadt, die zwischen Pracht, Macht und Elend schwankt. Noch regiert der Absolutismus in Europa, doch das Bürgertum erstreitet sich in einigen Ländern bereits Rechte.
Das Mädchen kommt als Dienstmädchen im Haus eines Adligen unter und erhält den Namen Ramis. Dort ergeht es ihr schlecht. Ihr verzweifelter Befreiungsschlag endet mit einer Flucht, die sie nach Bristol und schließlich auf die Weltmeere führt. Sie erkämpft sich eine Existenz zwischen rauen Piraten, immer mit dem Tod im Nacken. Auf der Suche nach ihrem Platz im Leben stößt sie an ihre Grenzen, aufgerieben zwischen dunklen Leidenschaften und einer unmöglichen Liebe. Und sie hat sich Feinde gemacht, die ihren Untergang wollen.
Skoutz meint:Ein schonungsloses Buch über eine brutale Zeit zu schreiben ohne dabei in Effekthascherei zu verfallen, ist schon eine Kunst. Eine Heldin zu erschaffen, die nicht nur von sich, sondern auch von dem ihr folgenden Leser viel fordert, ist gewagt. Historische Fakten so diskret zu präsentieren, dass man jederzeit informiert, aber nie belehrt ist, ist ein echter Bonus. Alles in allem ist dies eine jener seltenen Geschichten, in die man nicht eintaucht um der Realität zu entfliehen, sondern um eine andere Realität, ein anderes, verdammt plastisches Leben zu erleben, das so schrecklich und schön, so bunt und verrückt, so zart und brutal ist … wie es eben ist.
Hinweis:
Elin Hirvis historischer Liebesroman Roman aus dem alten Ägypten „Am Nil 1 – der Traum der Sonne“ hat Skoutz-Juror B.C. Boltso gut gefallen, dass sie das Buch für die Midlist History des Skoutz Award nominiert hat.
Grund genug für unser Team, die Zeitreise zu wagen und das Buch genauer unter die Lupe zu nehmen (weiterlesen).
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