Skoutz-Wiki: Trivialliteratur
Erstaunlich, dass man sich über etwas so einfaches, bewusst seichtes, so intensiv austauschen kann. Aber tatsächlich ist die Trivialliteratur trotz ihres oft belächelten Schund- oder Schmuddeloutfits, diejenige, die im Buchmarkt das Geld heranschafft. Auch der moderne E-Book-Markt ist stark von Geschichten geprägt, die vor Kindle und Tolino als Groschenheft verlegt worden wären. Aber der Reihe nach:
Der Begriff selbst leitet sich von lat. trivialis = allgemein bekannt, einfach, gewöhnlich ab.
Der Begriff, der von echten Literaten bevorzugt mit leicht gerümpfter Nase ausgesprochen wird, dient der Abgrenzung des unteren Endes der allmählich hoffähigen Belletristik von den Ansprüchen der gehobenen Literatur. Wo die Belletristik Karriere gemacht hat und heute für die gesamte fiktionale Literatur in Abgrenzung zu Sach- und Fachbuch herangezogen wird, ist die Trivialliteratur in der Gosse geblieben und teilt sich dort sozusagen den Platz mit Burger-Ketten und Döner-Ständen. Ein Vergleich, der passt, denn nicht anders als Junk Food auch steht Trivialliteratur für Masse statt Klasse. Sie wird massenhaft geschrieben, massenhaft verkauft und massenhaft gelesen. 🙂
Ganz falsch kann sie also nicht sein.
Um den Begriff selbst wird im Prinzip spätestens seit 1920 in Literatenkreisen gestritten. Ausgangslage ist damals wie heute, das gleichfalls wegen seiner geringen Trennungsschärfe kontrovers diskutierte Dreischichtenmodell das zwischen
- hoher Literatur (obere Schicht)
- Belletristik oder Unterhaltungsliteratur (mittlerer Schicht)
- und eben Trivialliteratur (untere Schicht)
unterscheidet.
Merkmale der Trivialliteratur
Wissenschaftlich spricht man von trivialer Literatur, wenn folgende Merkmale zumindest mehrheitlich erfüllt sind:
- einfache Sprache,
- simple inhaltliche Strukturen,
- Unterhaltung statt Bildung,
- emotionale Ansprache des Lesers
- klischeehafter Aufbau mit typischen Abläufen (Schemata) und ähnlichen Figuren (naives Mädchen, arroganter Millionär, einsamer Detektiv …),
- typische Genres: Liebe, Erotik, Abenteuer, Kriminalfall, Grusel.
Die Geschichte des Trivialen
Die Trivialliteratur ist im 18. Jahrhundert während der Aufklärung entstanden und wurde zunächst in Form billiger Heftchen vertrieben, Vorläufern des Taschenbuchs. Allerdings hat auch das Entstehen von Leihbüchereien ihren Siegeszug enorm begünstigt. Thematisch ging es, gar nicht so anders als heute, um Liebesgeschichten, Historienromane, Krimis, und Gruselgeschichten. Daneben gab es auch noch Kriegsgeschichten, die heute aber keine große Rolle mehr spielen.
Der Aufbau dieser Geschichten ist im Prinzip immer derselbe. Ein positiver Held stellt sich seinem bösen Gegenspieler, den er am Ende besiegt. Es ging um schnell für einen gierigen Markt produzierte Bücher, deren besonders erfolgreiche Muster gewinnoptimiert kopiert wurden. Nicht zufällig löste Goethes Briefroman, „Die Leiden des jungen Werthers“ (1744) erst einen großen Publikumserfolg aus und danach eine Flut von weiteren Werther-Geschichten. Man sprach von einem regelrechten „Werther-Fieber“. Nicht anders verhält es sich ja auch heute mit dem erstaunlichen Gesinnungswandel urbaner Vampire, die im Kielwasser von Stefanie Meyers zwielichtiger Biss-Reihe plötzlich alle schillernder… pardon … glitzernde, von Identitätskrisen gebeutelte Gestalten waren.
Auch die Adaption bewährter Stoffe in leseleichter Form ist keine Erfindung der Neuzeit und des Self-Publishing. Christian A. Vulpius, immerhin ein Schwager von Goethe, veröffentlichte bereits 1799 den damals sehr erfolgreichen Roman „Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann“, in dem er sich sehr ungeniert, nicht nur bei Goethes „Götz von Berlichingen“, sondern auch bei Schillers „Räubern“ bediente. Und nicht anders als heute, versuchte Vulpius seinen Verkaufserfolg zu wiederholen und legte „Orlando Orlandini“ und „Ferrando Ferrandino“ nach. Diese Geschichten wurden in Heften, in Kalendern, in Zeitungen als Fortsetzungsgeschichten und in den damals beliebten Almanachen veröffentlicht.
Trivialliteratur und Urheberschutz
Wie bereits gesagt, musste es schnell gehen. Der Markt schrie nach neuem Lesefutter und bereitwillig griff man da damals wie heute auf Bekanntes und Bewährtes zurück. Mit anderen Worten – man schrieb gnadenlos ab und das ganz ohne schlechtes Gewissen.
Damals war die Arbeit des Autors ziemlich schlecht bezahlt (manche Dinge ändern sich nie) und zudem urheberrechtlich nicht geschützt (manche Dinge ändern sich zum Glück doch). Erst am 11. Juni 1837 wurde mit dem „Gesetz zum Schutze des Eigenthums an Werken der Wissenschaft und Kunst in Nachdruck und Nachbildung“ ein modernes Urheberrecht in Kraft gesetzt. Damit wurden sogenannte Raubdrucke verboten, und der Autor bekam endlich ein gerechtes … nun ja, gerechteres … Honorar für seine Arbeit.
Bekannte Vertreter der Trivialliteratur
Der Siegeszug der Groschenhefte
Es geht immer um Sehnsüchte – um das große Abenteuer oder die große Liebe, die irgendwie ja auch ein Abenteuer ist. Da jede Woche eine neue Folge veröffentlicht wird, teilen sich Autorenteams diese Marken und beliefern abwechselnd unter der Marke ihre gemeinsamen Leser. An Perry Rhodan sind Verlagsauskünften zufolge derzeit über 10 Autoren beteiligt.
Die Namen der Reihen haben alle schon gehört – Buffalo Bill, dessen Geschichten seit 1905 in Deutschland zu lesen waren, der coole Jerry Cotton, Lassiter als einsamer Rächer oder John Sinclair und seine Geister begleiteten uns in der U-Bahn, in den Wartezimmern und natürlich auch bei Magendarmgrippen aufs stille Örtchen. Perry Rhodan ist eine Kultfigur der Science-Fiction-Literatur, deren Einfluss weit über die Trivialliteratur hinausreicht. Chefarzt Dr. Holl oder Der Bergdoktor bedienen die berüchtigten Artzheftchen und Rebecca oder Cora bringen Frauen zum Seufzen.
Der Erfolg der Trivialliteratur
Herausragendes Merkmal des Trivialen ist seine einfache Ideologie. Die einfachen Wahrheiten, die überschaubaren Aufgaben und die angenehm einfache Trennung von Gut und Böse. Damit entstehen Mythen im Alltags-Outfit, die den Wunsch des Lesers nach Einfachheit in einer komplizierten Welt bedienen, seine Sehnsüchte simplifizieren und so gerade ihn von seinem realen Glück ausschließen, weil sie das real Unerreichbare als (Er)Lösungsansatz anbieten. Kein Wunder, dass sich auch Kulturwissenschaftler auf diese Geschichten stürzen.
Trivialliteratur beschreibt unsere Sehnsüchte, nach Ordnung, nach Liebe, nach Abenteuer und ist dabei soziologisch naturgemäß einem Wandel unterworfen. Dabei ist tatsächlich auch der künstlerische Anspruch und seine Beurteilung einem gewissen Wandel unterworfen, wie man bei Karl May, Edgar Allan Poe oder auch Johanna Spyri sieht, die auf die eine oder andere Weise alle literaturhistorisch beachtenswert sind.
Auch das zeigt, dass der Begriff Trivialliteratur mehr oder minder willkürlich ist.
Trivial muss nicht banal sein. Wie oben gesehen, steht der Begriff für einfach und zugänglich. Ist es verwerflich, so zu kommunizieren, dass man verstanden wird? Hoffentlich nicht. Trivialliteratur muss sich also nicht schämen. Doch sie sollte nicht banal sein, also einseitig, formelhaft und oberflächlich. Dies trifft sicherlich gelegentlich zu, aber auch hier sind Verallgemeinerungen nicht hilfreich.
Die Übergänge zwischen Hoch-, Unterhaltungs- und Trivialliteratur sind einfach zu fließend. Einfache Sprache kann handwerklich sehr schwer sein und da war von Satire und Parodie noch gar nicht die Rede. Also grämt euch nicht um Etiketten, seid skoutzig. Nur die Geschichte zählt.
Bonus-Wissen: Kolportageliteratur (Klugscheiß-Modus)
Der Ausdruck Kolportage bezeichnet vereinfacht den Buchverkauf auf der Straße oder an der Haustür, durch fliegende Händler und Hausierer. Heute spricht man von kolportieren, wenn man von der Verbreitung von Gerüchten, Klatsch und (ungesichertem) Tratsch spricht, z.B. durch Boulevardmedien, Internet oder soziale Netzwerke. Früher waren diese Kolporteure mit ihren Heften, aus denen sie in der Wirtschaft auch vorlasen, wichtige Nachrichtenlieferanten, speziell auf dem Land.
Seit dem 15. Jahrhundert wurden so schon v.a. Kalender mir religiösen Motiven auf Jahrmärkten angeboten. Zu ihnen gesellten sich Ritter- und Schauerromane und mit der Aufklärung und dem Erstarken der Trivialliteratur insgesamt der Bedarf an Berichten aus der Welt (Reiseromanen) sowie Abenteuer- und Liebesgeschichten. Nach französischem Vorbild veröffentlichten Drucker aus Reutlingen meist als Fortsetzungsgeschichten ausgelegte, billig produzierte Kolportageromane, die auf dem Land fernab einer Infrastruktur mit Leihbibliotheken reißenden Absatz fanden. Dabei ging es bald auch um politische oder christliche Missionierung, indem gezielt Geschichten geeigneten Inhalts verkauft wurden.
Karl May hat übrigens mit dem epochalen Werk „Das Waldröschen“, einen Fortsetzungsroman, den er für den Verlach Münchmeyer schrieb, lange vor Winnetou den erfolgreichsten Kolportage-Roman des 19. Jahrhunderts verfasst.