Skoutz-Wiki: Spoiler
Was lieben Büchermenschen (fast) so sehr wie Geschichten zu lesen? Klar, über Geschichten zu reden. Allgegenwärtige Spaßbremse ist dabei der Spoiler, mit dem wir nicht die mehr oder minder geschmackvollen Luftwiderstandoptimierer an Fahrzeugen meinen, sondern unerwünschte Informationen über Geschichten. Und diesem heimtückischen Ungetüm haben wir diesen Eintrag im Skoutz-Wiki gewidmet.
Der Spoiler in Kürze:
Der Begriff Spoiler kommt aus dem Englischen (to spoil: verderben). Gemeint sind Informationen über die Handlung bzw. meist Handlungswendungen oder -ausgang von Büchern (oder Filmen, Serien, Sportereignissen), die geeignet sind, den Genuss am vollständigen Werk durch Zerstörung des Überraschungs- oder Spannungselements zu verderben.
Die Menschen, die andere Menschen spoilern, können daher emotional ohne Weiteres als gelungene Mischung aus Verräter und Folterknecht bezeichnet werden und sind in extremen Fällen auch Hochverrätern gleichzusetzen. Aus literarischer Sicht ist es daher schwer zu verstehen, warum Spoilern kein gesetzlich normierter Straftatbestand ist
Der Spoiler aus der Nähe betrachtet:
Grundsätzlich ist ein erheblicher Teil des Lesespaßes dem Mitfiebern geschuldet. Diese freudige (oder auch sorgenvolle) Erregung durch die Ungewissheit leidet naturgemäß darunter, wenn man schon weiß, für welchen ihrer Liebhaber sich die Protagonistin entscheidet oder wer der Mörder ist. Deshalb gilt es als absolute Rücksichtslosigkeit, unerbeten zu spoilern. Dabei gilt ein Spoiler als umso heimtückischer je kürzer er ist, weil dann oft ein einziger argloser Blick bereits genügt, um „gespoilert“ zu werden (z.B. „Peter war’s!“ oder „Lisa ist tot!“).
Der Umgang mit Spoilern ist knifflig
Sagen wir es schlicht vorweg: Spoiler sind heimtückische Biester, die irgendwie immer gewinnen! Immer, jedes Mal, wie man es auch anstellt – mindestens einer wird leiden. Uns bleibt daher nur, Trost und Zuspruch zu spenden. Und Betroffenen zur Verarbeitung ihrer literatur-traumatischen Erlebnisse Selbsthilfegruppen anzubieten (z.B. in unserer Skoutz-Facebook-Gruppe). Gleichwohl wollen wir hier durch Aufklärungsarbeit zumindest das Problembewusstsein zu erhöhen. Unerschrocken haben wir uns im Interesse einer lückenlosen Aufklärung an die systematische Erfassung der Niedertracht versucht:
Spielarten von Spoilern:
Der vorsätzliche Spoiler:
Relativ einfach kann man dem Vorsatz-Spoiler begegnen, also solchen aufgedrängten Informationen, die von egomanischen und rücksichtslosen Zeitgenossen mit Freude am Verrat in die Welt getrötet werden, ohne jedes Gespür für die Wünsche und Bedürfnisse ihrer potentiellen Zuhörer/Mitleser. Speziell in Social-Media-Foren ist es wirklich unfein, in Gruppen zu posten „Ist XY jetzt echt tot? Ich bin so fertig!“ Natürlich ist das schlimm! Aber wr mit solchen Äußerungen nicht einen diskreten Aufruf zur Tötung auf Verlangen posten wollte, weil angesichts dieser Tatsache, die eigene Existenz sinnlos geworden ist, sollte sich gut überlegen, ob der emotionale Hilferuf um psychosoziale Betreuung nicht etwas diskreter und weniger detailreich abzusetzen ist. Sonst riskiert man, dass man sehr schnell nicht nur den Verlust seiner Lieblingsfigur, sondern auch seiner Freunde zu verarbeiten hat.
Der fahrlässige Spoiler:
Schwieriger ist der fahrlässige Spoiler zu greifen. Also jene, die in ihrer Begeisterung das (Mit)Erlebte in die Welt hinauszwitschern. Und das, ohne auch nur im Geringsten daran zu denken, was für grauenhafte Folgen das für ihr Umfeld hat. Das Gefährliche daran ist, dass ein solches Unglück mit einem „Ups“ nicht wieder auszugleichen ist. Und auch, dass noch so drastische Abschreckungsmaßnahmen nicht zielführend sind, ist dem Täter in seiner redseligen Dämlichkeit ja zunächst selbst gar nicht das Ausmaß des von ihm angerichteten Unheils bewusst. Da sind unter Umständen über Jahre hinweg aufgebaute und liebevoll im Fangirl-Modus gepflegte Erwartungshaltungen mit einem schnöden Einzeiler, mit drei Worten gar („Sie sagt nein“) zerstört. Aus, vorbei, bye bye Happiness.
Solches fahrlässige Spoilern lässt sich umso schwerer verhindern, je cleverer das Umfeld ist, je detektivisch versierter, je vertrauter mit dem Setting rund um den Spoiler. Und je schneller es – oft auch automatisch – eins und eins zusammenzählen kann. Das betrifft die umschreibende Äußerung, die vermeintlich neutrale Andeutung oder auch das Zusammenspiel mehrerer solcher (ggf. auch von mehreren verschiedenen Leuten geposteten) Fast-Spoiler, die den „schwarzen Fleck“ irgendwie so verdichten, dass man dann doch weiß, was er verbergen muss. Hier wäre allerdings nur dann von einer „Spoiler-Bande“ zu sprechen, wenn man die Täter beim bewussten Zusammenwirken erwischen würde … Also lasst die Mistgabeln und Fackeln zu Hause. 🙂
Gegen fahrlässiges Verletzungen seiner Informationsunschuld bzw. kann sich der spoilersensible Literaturfan nur durch strenge Isolation und dem Aufenthalt in erwiesenermaßen illiteraten Gruppen schützen – wir empfehlen in diesem Kontext burundisische Tanzgruppen oder Krabbelclubs (sofern die sonstigen Teilnehmer max. 1 Jahr alt sind). Ansonsten sollte man auf Textnachrichten allgemein verzichten und sich nur mit Kopfhörern und lauter Speed Metal-Musik in die Öffentlichkeit wagen.
Der auto-aggressive Spoiler:
Die logische Konsequenz wäre es dann, einfach die Klappe zu halten. Das heißt, nichts über ein Buch zu sagen, außer, dass es einem gut, weniger gut oder so lala gefallen hat. Aber das gleicht für viele Leser geradezu einer Folter, weil das einzige therapeutisch nachweislich wirksame Mittel gegen einen Bookhangover eben die Wiederholung des Leseerlebnisses durch seine Beschreibung ist. Unabhängig davon ist es für viele Buchmenschen offenbar schier unmöglich, NICHT sofort über ein Buch zu sprechen, sobald sie das magische Wort „Ende“ gelesen haben.
Es gibt allerdings auch solche Leser, die sofort nach jedem Kapitel darüber sprechen wollen. Die riskieren auf freier Wildbahn, außerhalb des geschützten und ritualisierten Rahmens einer Leserunde, allerdings selbst gespoilert zu werden. Auch durchaus gründliche Leser, haben es oft nicht parat, ob die relevante Information jetzt Kapitel 13 oder 14 enthält. Es handelt sich also um fahrlässiges Spoilern unter strafmildernden Umständen der Tatprovokation durch das Opfer …
Bleibt also tatsächlich nur die Leserunde oder ein selbst auferlegtes Schweigegelübde. Wer sich solcher Folter aussetzt, um seine Mit-Buchmenschen nicht zu spoilern, entzieht dem Spoiler damit nicht seine Macht. Nein, so leicht ist es nicht, sondern richtet sie lediglich gegen sich. Man entscheidet sich für den Heldentod zum Wohle der Allgemeinheit. Das ist sehr löblich und hat viel Anerkennung verdient.
Der systembedingt unvermeidliche Spoiler:
Wer einen zu großen SUB pflegt, läuft gelegentlich Gefahr, die Nachfolgebände zu kaufen, bevor man den ersten gelesen hat (speziell, weil es halt oft so verführerische Release-Angebote gibt). Wer spoilersensibel ist, sollte darauf verzichten, die Klappentexte der Fortsetzungen zu lesen. Es ist fast unmöglich, die Brücke zwischen zwei Bänden zu schlagen, ohne zu erzählen, was im Wesentlichen (!) im ersten Band passierte.
Der legitimierte Spoiler
Echte Rezensionen sollten – im Gegensatz zu Kaufhilfen und Kundenmeinungen – informativ ausgerichtet sein und daher sogar explizit Spoiler enthalten. Man kann z.B. Hamlet nicht ernsthaft besprechen, ohne zu sagen, wie er ausgeht. (Und wer weiß, wie er ausgeht, versteht, warum ein entsprechender Spoiler an dieser Stelle durchaus die Identifikation mit der Hauptfigur erleichtert.) Gerade die Bewertung des Konflikts, der in einer Geschichte beschrieben wird, trägt wesentlich dazu bei, welche Leseerfahrung das Buch verspricht und wie es qualitativ einzustufen ist. Natürlich gibt es da Raum für Kompromisse, die immer ein wenig vom Einzelfall abhängen.
Hinweis: Kein Grund für böse Spoiler-Trolle triumphierend aufzuschreien und sich unter dem Deckmantel der Rezension mit literarischen Weihen in ihrer Gemeinheit auzustoben. Auf Verkaufsportalen sucht man Kaufhilfen oder Kundenmeinungen, da sollten Spoiler tabu sein und im Social-Media muss man zumindest damit rechnen, dass man ziemlich schnell generell ignoriert und blockiert wird, wenn man sich so benimmt.
Die dynamische Entwicklung des Spoiler-Risikos
Im Fernsehen ist das Spoilerrisiko durch die veränderten Sehgewohnheiten förmlich explodiert. Mediatheken, Streaming und Staffel-Marathons führen dazu, dass es massive Wissensvorsprünge bei den Hardcore-Fans gibt, was für den Rest das Spoilerrisiko steigen lässt. Denn naturgemäß entwickelt sich das Äußerungsbedürfnis direkt proportional zum Fan-Level.
Dabei lässt sich generell sagen, die Gefahr des Spoilers wird immer höher, je älter das Buch schon ist, je mehr es gelesen haben, je mehr Fortsetzungen es gibt. Speziell solche Leser, die – aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – dazu neigen, ihre Buchreihen am Stück zu lesen und daher erst nach Erscheinen des letzten Bandes anzufangen, müssen entweder Spoilerresistenzen aufbauen, extrem reaktionsschnell beim Weghören oder weiterscrollen sein – oder ein sehr einsames Leben führen.
Spoilerwarnungen
Ein praktikables Mittel ist es, unverzichtbare Spoiler zu kennzeichnen. So können spoilersensible Mitmenschen mit dem Lesen des Beitrags abbrechen oder sich in einer Unterhaltung die Ohren zuhalten können. Die Internet Movie Database (IMDb) verpflichtet die Verfasser sämtlicher Beiträge zu Spoilerwarnungen.
Wer sich hierzu informieren will, sollte den Eintrag im Skoutz-Wiki zu Spoiler-Alarm lesen.
Bonuswissen Spoiler (Klugscheiß-Modus)
Der erwünschte Spoiler:
Einer der berühmtesten Spoiler der Literaturgeschichte war übrigens vom Autor selbst gewollt. So stellt sich die Frage, warum einem Drama, dessen Ende ja durchaus Spannungspotential enthalten hätte, der Ausgang bereits im Titel „Dantons Tod“ von Georg Büchner 1835 selbst vorangestellt wird. Auch im Film gibt es das, wie etwa bei Quentin Tarantinos „Kill Bill“, der immerhin 2 Filme mit diesem Wissen für seine Zuschauer durchaus unterhaltsam gestalten konnte. Solche Beispiele gibt es aber oft („Warten auf Godot“, „Der Untergang des Hauses Usher“) und letztlich verlagert sich damit die Spannung nur auf eine andere Ebene. Unter Spoiler-Alarm kann man hierzu im Skoutz-Wiko noch mehr lesen.
Einer der lästigsten steckt übrigens auch im Titel. So wurde „Monstrous Regiment“ von Terry Prattchet aus uns nicht nachvollziehbaren Gründen vom deutschen Goldmann-Verlag mit „Weiberregiment“ übersetzt. Und damit hoffentlich ungewollt (?) gespoilert. Warum genau, sagen wir euch aber nicht.