Skoutz-Wiki: Erzählung

Erstaunt haben wir letztens festgestellt, dass der vermeintlich so einfache Begriff „Erzählung“ bei genauerer Betrachtung doch sehr tiefgründig und deutungsflexibel ist. Grund genug für uns, das im Skoutz-Wiki einmal genauer zu untersuchen.

Die Erzählung in Kürze:

Der Begriff wird von Buchmenschen wieder einmal nicht einheitlich verwendet, was natürlich insofern gut ist, weil es diesen Wiki-Eintrag nötig macht.

Einerseits meint man damit im Prinzip jede epische Form, mit der eine „Geschichte“ erzählt werden kann – also Roman, Novelle, Anekdote, Kurzgeschichte … – auch wenn das jetzt nicht die ganz große Erkenntnis ist, dass was Erzähltes eine Erzählung sein könnte. 🙂

Andererseits (und deutlich spannender) ist aber eben auch ein eigenes Literaturgenre im technischen Sinne gemeint:

Als Genre ist die Erzählung – grob vereinfacht ausgedrückt – ein Text ungefähr von der Länge einer Novelle, ohne aber deren literaturtheoretisch hohe Anforderungen zu erfüllen. Das heißt, die meisten „Novellen“, die bei Amazon oder anderen Buchhändlern zu finden sind, wären unter enger literaturtheoretischer Betrachtung eigentlich Erzählungen – auch wenn das natürlich nicht so schön klingt.

 

Die Erzählung etwas ausführlicher:

Im erweiterten Sinne ist jeder Text gemeint, der sich – insoweit eigentlich logisch – durch einen Erzähler auszeichnet (also eine oder mehrere Erzählperspektiven besitzt). Dadurch lässt sich die Erzählung von einem Drama (im weiteren, theatertechnischen Sinne) oder der Lyrik abgrenzen. Insoweit ist die Erzählung daher ein Oberbegriff für Roman, Novelle, Kurzgeschichte etc. Und man kann sich damit retten, wenn man nicht so genau weiß, was für eine Art Text man eigentlich genau vor sich hat.

Spricht man dagegen von einer Erzählung im Speziellen, stellt sie ein wenig präzise definiertes Genre (im technischen Sinne) dar. Dabei wird die Erzählung im Wesentlichen dadurch beschrieben, was sie alles nicht ist.

So ist sie von „mittlerer Länge“ und damit nicht so lang und verschachtelt wie ein Roman, von einem klaren, aber weniger strengen Aufbau als Novelle oder Kurzgeschichte. Meist wird in der Erzählung von dem Geschehen in chronologischer (linearer) Form berichtet (also ohne Vorgriffe und Rückblenden), was in anderen Genres durchaus üblich wäre. Typischerweise lässt sie sich in drei Teile untergliedern (Einleitung, Hauptteil und Schluss), durch die der Leser/Hörer anhand eines Spannungsbogens meist über eine einzelne durchgängig beibehaltene Erzählperspektive geführt wird.

Zumeist zeichnet sich die Erzählung durch hohe Verständlichkeit aus, da sie sich in der Regel (es gibt natürlich Ausnahmen) an ein breites Publikum zu dessen Unterhaltung richtet und damit zur Belletristik oder Unterhaltungsliteratur zählt. Die Folge ist eine gewünscht verständliche Sprache, eine einfache Handung (was ein Stück weit natürlich auch der Länge des Textes geschuldet ist) und eine übersichtliche Figurenkonstellation. Auch wenn einer Erzählung natürlich wahre Begebenheiten zugrundeliegen können, ist sie in Abgrenzung zum Sachtext eher fiktional und erlaubt in mehr oder weniger großer Detailtiefe dichterische Freiheiten.

Berühmte Beispiele:

Die Erzählung gehört wohl zu den ältesten Textgattungen in der Literatur. Im heutigen Verständnis verdeutlicht sie dem Leser das Thema von Anfang an und stellt ihm die Hauptfigur(en) unmittelbar vor. Durch ihre relative Formfreiheit erlaubt sie Autoren, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen und so ist es kein Wunder, dass viele Werke der Weltliteratur zu diesem Genre zählen.

 

Zu den ersten überlieferten Erzählungen gehören die Fabeln von Äsop (ca. 600 v.Chr.), wie etwa der Fuchs und die Trauben (Daher kommt der Spruch, dass Trauben, die zu hoch hängen, sauer sind). Weiter geht es in Frühzeit und Mittelalter mit meist religiös geprägten Themen aus dem Bereich der Märchen und Sagen.

Moderne Erzählungen im engeren Sinne sind zum Beispiel

  • Herr und Hund  – Thomas Mann
  • Der Tod in Venedig – Thomas Mann
  • Ein schlichtes Herz – Gustave Flaubert
  • Pique-Dame – Alexander Puschkin
  • Der Untergang des Hauses Usher – Edgar Allan Poe
  • Geschichten vom lieben Gott – Rainer Maria Rilke
  • Lenz – Georg Büchner
  • Die Verwandlung  – Franz Kafka
  • Die Taube – Patrick Süskind

 

Bonuswissen (Klugscheiß-Modus)

Nähere Analysen zum Aufbau von Erzählungen sind Gegenstand der Erzähltheorie (Narratologie), die sich über Erzählerperspektive und Erzählzeit durchaus wissenswerte Gedanken macht.

Ferner wird zunehmend auch zwischen verschiedenen länderspezifischen und regionalen Erzählungen unterschieden.

 

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