Dark Romance – oder der seltsame Drang, Jack the Ripper zu lieben

 

Ein Blog-Artikel mit dem Titel „Gewaltverherrlichung“ sorgt gerade im digitalen Buchdorf für einige Aufregung. Konkret geht es darum, dass in aktuellen Dark Romance Bestsellern immer heftigere Sexszenen geschildert werden, und zwar auch mit expliziten, ggf. diese auch verherrlichenden Gewaltszenen. Der Untertitel „Die Buchwelt schockt uns“ wurde sofort aufgegriffen und die daran entbrannte Debatte zeigt nicht nur einen bedauerlichen Mangel an Diskussionskultur, den z.B. Blog-Juror Pierre Petermichl bei den Facebook-Zeilenspringern zurecht bemängelt hat, sondern auch ein unserer Meinung nach fatales Rosinen-Picken auf beiden Seiten.

Skoutz hat sich auf die Fahne geschrieben, die bunte Welt der Bücher zu präsentieren. So wie sie ist. Dazu gehört auch Dark Romance und wenn es in den Geschichten so ist, auch die Frage, ob (und wie) Vergewaltigung und Liebe zusammenpassen. Aber wir möchten uns doch dazu Gedanken machen und hinterfragen, woher der eine oder andere Hype eigentlich kommt. Weil wir die bunte Welt der Bücher eben auch verstehen wollen.

So wenig wie man Kunst verbieten kann und andere ihres Lesegeschmacks wegen unreflektiert disqualifizieren darf, so wenig ist mit „soll jeder schreiben/lesen was er mag“ jede gewaltverharmlosende Schilderung entschuldigt. Wir haben uns daher einmal die Mühe gemacht, das immer wieder aufkochende Thema etwas feinteiliger zu betrachten und die wesentlichen Argumente beider Seiten einander gegenüberzustellen:

Dark Romance oder: Der Bad Boy und die große Liebe

Es ist eine letztlich von keiner Seite bestrittene Tatsache, dass es in den in Frage stehenden Büchern bei Dark Romance sehr heftig zur Sache geht.

  • Da wird „Sie“ von dem ihr körperlich, wirtschaftlich und in seiner gesellschaftlichen Stellung in jeder Hinsicht überlegenen „Er“ systematisch in Abhängigkeit gebracht und tatsächlich „besessen“. Das wird auch offen ausgesprochen und als für ihn einzig akzeptable Basis der Beziehung deklariert.
  • Da wird die Herzenskönigin bedrängt, entführt, eingesperrt, herumgeschubst, aus erzieherischen Gründen gedemütigt, in ihre Privat- und Intimsphäre eingebrochen und vieles mehr. Das wird damit begründet, dass das Ausdruck der Liebe und des Wunsches sei, ihr nahe zu sein, „Sie“ zu besitzen.
  • Da wird in allen Details beschrieben, dass „Er“ sich über ihr „Nein“ hinwegsetzt und ihr aufgrund ihrer mehr oder minder aktiven Gegenwehr beim Sex auch noch weh tut. Üblicherweise ist der Sex dann aber so gut, der Typ so hübsch anzusehen, dass es am Ende dann doch Spaß macht. Oder auch nicht. Aber ist eben ein Beweis ihrer Liebe, dass sie das auf sich nimmt. Außerdem hat er sie ja vorher gewarnt, dass er schwierig ist, sie ist also freiwillig mitgekommen.

 

Verhärtete Fronten

Kritik ist natürlich naheliegend und reichlich im gesamten Feld der sogenannten Dark Romance zu finden. Es gibt dazu im Netz viele sehr gute, reflektierte und neutral gehaltene Beobachtungen. Doch meist wird es schnell persönlich, denn wer so etwas liest und gut findet, ist dann eben auch pervers, blöd oder mindestens unreflektiert und geschmacksverirrt – oder eben auch gerne rückständig.

Die einen sagen

  • „Die Story ist krank.“
  • „Diese Beziehung ist nicht romantisch, sondern brutal.“
  • „Er ist pervers.“
  • „Sie muss aus dem Mittelalter importiert worden sein.“
  • „Solche Bücher gehören verboten, zensiert oder mindestens mit einer Altersbeschränkung versehen.“

Wenig überraschend ziehen sich die Fans jetzt nicht betroffen und beschämt zurück und gehen in sich, um sodann öffentlich ihre Schundliteratur zu verbrennen.

Die anderen sagen

Sie schießen zurück:

  • „Das ist nur Fiktion und wer den Unterschied nicht versteht, ist selber doof.“
  • „Ich lese auch gerne Krimis und bin kein Mörder.“
  • „Das unterliegt der Kunstfreiheit und geht keinen was an.“
  • „Niemand wird gezwungen, das zu lesen.“
  • „Es ist mein gutes Recht zu lesen, was ich will.“
  • „Jeder darf doch seinen Sex so gestalten wie er es mag, jede Bewertung ist eine Bevormundung.“

Aber man hört dann schon auch, dass die betreffenden Bücher eben nur an ein erwachsenes Publikum gerichtet seien, die betreffenden Szenen komplett aus dem Zusammenhang gerissen worden wären und zudem Kritiker Dark Romance entweder nicht gelesen oder aber nicht verstanden hätten. Im übrigen wolle man sich nicht von prüden Moralaposteln bevormunden lassen.

Das ist für sich auch nicht zielführend.  🙂

Die von uns sehr geschätzte Bloggerin Kielfeder hat am Beispiel von Erin Watts Paper Princess sehr differenziert aufgezeigt, dass die Debatte dabei vielfach aus dem Ruder läuft und die sorgfältige Lektüre der Texte, zwar nicht Entwarnung brächte, wohl aber deutlich abgekühltere Diskussionen erlaubt.
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Wie steht es denn nun um den literarischen Sittenverfall?

Das Bundesverfassungsgericht meint dazu

Prinzipiell genießt auch Schund (und damit sind jetzt nicht die hier umstrittenen Bücher gemeint) den Schutz der Kunstfreiheit. Das bestätigte Bundesverfassungsgericht schon vor vielen Jahren keinesfalls zufällig ausgerechnet am Beispiel des Porno-Klassikers „Josefine Mutzenbacher“ ausdrücklich (Einzelheiten liefert Wikipedia). Damit ist es also richtig, dass es prinzipiell hinzunehmen ist, was wie beschrieben wird. Und auch explizite Gewalt genießt grundsätzlich den Schutz der Kunstfreiheit, wie die Rechtsprechung rund um „Tanz der Teufel“ zeigt.

Sind Romeo und Julia besser als Ella und Reed?

Wenn man denn genauer schaut, sind auch die großen Liebesbeziehungen der Weltliteratur wie etwa Romeo und Julia tatsächlich auf dem Prüfstand der harten Realität mal mindestens bedenklich, wenn nicht gar pathologisch. Da verlieben sich zwei halbe Kinder ineinander, steigern sich vom ersten Augenblick so in diese Beziehung, dass sie das skeptische Familienumfeld gar nicht erst versuchen umzustimmen, sondern sich zum Schluss beide umbringen – wobei dieser Schluss gerade mal 5 Tage nach dem ersten Kennenlernen ist. Da muss sich selbst die sprichwörtlich ungeduldige WhatsApp-Generation sputen. Gewiss fällt Psychiatern dazu auch einiges ein und Romantik dürfte nicht das erste Wort sein. „Kranke“ Beziehungen sind also nichts Neues.

Massenhysterie im Sturm und Drang

Auch was Hypes und Massenhysterie betrifft, musste man nicht auf die aktuellen Bestseller warten. Schon die von Goethe so trefflich beschriebenen Leiden des jungen Werther, einer verbotenen Liebe zur anderweitig liierten Lotte, endeten in Werthers Selbstmord. Ungeachtet seines großen, im Prinzip europaweiten Erfolges und einer Flut von Nachahmungsromanen („Wertheriaden“) wurde das Buch von Anfang an kontrovers diskutiert. Werther sei ein Sinnbild des Ehebrechers, ein moralischer Rebell und mit Blick auf seinen Selbstmord ein Irrer oder Todsünder. Die Art und Weise, wie Werther im Briefroman über seinen geplanten Selbstmord sinniert, würde zur Nachahmung verleiten. Das Buch selbst sei abartig und widerlich, ein Beweis für den drohenden Untergang des Abendlandes.

Die Argumente klingen angesichts der aktuellen Diskussion erstaunlich vertraut. Nun, tatsächlich sind über ein Dutzend Selbstmorde im Kielwasser dieses Buchs nachgewiesen, was dann doch beachtlich ist und dazu führt, dass das Kopieren medialer Vorbilder im realen Leben – von der Kleidung bis hin zum Selbstmord – bis heute von Psychologen als „Werther-Fieber“ beschrieben wird. Moderner Fankult lässt grüßen.

Also alles halb so wild?

Hm. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

Lasst uns doch noch einmal die Argumente der aktuellen Diskussion der Reihe nach durchgehen:

Über Geschmack lässt sich nicht streiten

Dieses Argument wird in den sozialen Medien trefflich und eindrucksvoll widerlegt. Über Geschmack kann man super streiten. Immer wieder. Halt nicht besonders sachlich, aber davon war auch keine Rede.

Okay, Spaß beiseite. Die aktuell angestoßene Diskussion will eigentlich gar nicht über Geschmack streiten, sondern über Inhalte und deren Auswirkung. Hier pauschal mit „Wer es nicht mag, muss es nicht lesen“ zu antworten, ist sicherlich zu kurz gegriffen. Das Gleiche könnte man ja bei rechtsextremistischen Texten oder Kinderpornografie ja auch sagen. Es gibt also Grenzen.

Vielerlei Maß bei Toleranzfragen

Man diskutiert – und zwar durchaus in weiten Teilen bejahend – dass Klassiker wie Lederstrumpf von F. Cooper und die Alan Quatermain-Romane von Henry Rider Haggard ihrer – im zeitgenössischen Kontext nicht überraschenden – explizit frauenfeindlichen und rassistischen Tendenzen wegen verboten oder „nachlektoriert“ werden sollten. So wie Ottfried Preussler und Selma Lagerlöff auch, weil deren Klassiker „schlimme Worte“ enthalten, die man unserer Gesellschaft nicht mehr zumuten kann. Liegt das nur daran, weil es Kinderbücher sind? Nein, denn natürlich darf man Worte wie „Neger“, „Weib“ oder „Zigeuner“ heute auch in der Erwachsenenliteratur nur noch in engen Grenzen verwenden. Auch Cooper und Rider Haggard sind ja definitiv keine Jugendbücher.

Helfen Trigger?

Warum genügt es dann bei Gewaltsex nach Ansicht vieler „Trigger“ darüberzuschreiben oder im Vorwort einen reißerisch formulierten Warnhinweis gibt, während man in die Werke toter Künstler, Künstler von Weltruhm, eingreift?

Daneben gibt es Schockerliteratur wie z.B. die Titel von Redrum, Festa oder auch Luzifer, die in diesem Zusammenhang oft genannt werden. Die loten bewusst Grenzen aus, kokettieren mit der Abartigkeit und führen damit die (Buch)Kunst an ihre Grenzen. Dennoch boykottiert der Buchhandel z.B. die Titel von Festa Extrem. Das ist bezeichnend, denn damit Kunst funktioniert, bedarf es gerade dieser Diskussion. Kunst will ja, dass man sich mit ihr auseinandersetzt – mit der Aussage ebenso wie mit ihren Mitteln, diese auszudrücken. Wer sich darauf einlassen will, seine Grenzen zu suchen, das vielleicht noch nicht mal grenzwertig findet, der möge es tun und sich der Freuden einer freiheitlichen Gesellschaft hingeben.

Boykott des Handels ist im Prinzip private Zensur.

Gilt das dann weniger für BadBoys und ihre devoten Geliebten? Die Frage ist berechtigt. Und trotzdem wird gegen Festa nicht halb so viel gewettert wie gegen diese Dark Romance-Titel. Wir unterstellen, das liegt nicht nur an den deutlich niedrigeren Auflagen. Umgekehrt – hätten die massakrierenden Teufel Auflagen wie die Dark Romance-Titel, so würde womöglich auch der Boykott nochmals überdacht werden.

Interessant war der Einwand einer Leserin, selbst Missbrauchs-Opfer, die solche Bücher gerne liest, weil sie sich dann mit ihrem Leid nicht allein fühlt. Weil sie das Gefühl hat, dass es zumindest im Buch auch gut ausgehen könnte und der Täter sich läutert. Aber sie sagte nicht, dass sie diese Buchtäter „heiß“ findet. Eine andere mit ähnlicher Vita, sagt sogar, das sei literarisch heiß. Aber sie machte deutlich, dass sie dann allerdings „strenger“ mit übergriffigen Protas umgehen wolle und zudem auch im echten Leben durchaus auf solche Typen stehe. Daher niemand, der bei #metoo schon Blicke verbieten will.

Auf die Identifikation kommt es an – Alles eine Frage der Perspektive

Bei der Diskussion, warum dann mit Waffen schießwütige Helden weniger angegriffen würden, hingegen übersieht man ähnlich wie bei Ego-Shooter Vergleichen, dass man dort – vielleicht zum Abbau eigener Aggression – sich mit dem Täter identifiziert. Nicht wie in der Romance mit dem Opfer. Wer wollte denn jemals Moorhuhn sein?

 

Darf wirklich jeder seinen Sex so gestalten wie er will?

Es ist Privatsache, wie man seine Sexualität auslebt. So wie man sich das Geschlecht seines Partners aussuchen darf, darf man auch seine Beziehung so dominant, devot oder eben partnerschaftlich gestalten, wie man es haben will. Und natürlich auch über die entsprechenden Geschichten lesen. Soweit dürfte Einigkeit bestehen.

Bei den kritisierten Büchern handelt es sich nun nicht direkt um „dominante Männer“, die daheim die Hosen anhaben wollen, und um Frauen, die gern die Verantwortung abgeben. Das ist eine gefährliche Verkürzung.
Es geht um Handlungen, die nach geltendem Strafrecht als Verbrechen zu verurteilende Taten sind und diese Liste ist ebenso lang wie prominent besetzt: Nötigung, Körperverletzung, Erpressung, Stalking (Nachstellung), Vergewaltigung, Freiheitsberaubung …

Nun gibt es Werke wie „Mit Papa war’s nur Blümchensex“, in dem (wie der Titel schon vermuten lässt) Dinge geschildert werden, bei denen auch die BadBoys noch üben müssen. Das Buch wurde natürlich auch kontrovers diskutiert, aber weniger als z.B. „Paper Princess“. Das ist erstaunlich und führt uns ein Stückchen näher an des Pudels Kern.

Illusion oder Fiktion?

Books are like air schreibt in dem Kontext, dass diese Bücher nur Fiktion seien und einem realen Vergleich nicht standhalten müssten und endet mit folgendem das für sich stark relativierendem Satz: „Aber wir wollen entfliehen in eine Welt, in der der Schrecken unserer Gesellschaft in den Hintergrund rückt und der Schrecken im Buch auf der allerletzten Seite ein Ende hat.
Das ist individuell ein starkes, ein unwiderlegbares Argument, warum es Spaß machen kann, das zu lesen. Aber es setzt voraus, dass der Schrecken als Schrecken empfunden wird. Und genau das ist oft in der Diskussion gerade nicht der Fall.

Gewalt als Nebenwirkung der großen Liebe

Das Problem ist, dass Dark Romance diese Handlungen im Gegensatz zu den Schockern oben als harmlose „Kollateralschäden“, als völlig normal oder gar erstrebenswert darstellt. Eine Vergewaltigung als Preis für die Liebe. Schmerzen als zwingender, selbstverständlicher Teil des Geschlechtsverkehrs, etc.

Beim „Blümchensex“ ist völlig klar, dass das nicht okay ist. Dass das Buch als Tatsachenroman verkauft wird, ändert da nur bedingt etwas daran, denn beim Lesen taucht man so oder so in die Geschichte und kein Mensch sagt sich beim Lesen

„Boah, das ist jetzt aber eine Vergewaltigung. Krass, dass sie das gar nicht spannt. Wie gut, dass der Typ nur fiktiv ist, weil ich ihn dann emotional gut, heiß und begehrenswert finden kann, auch wenn er, und das ist mir vollkommen bewusst, eigentlich ein wegzusperrendes psychopathisches Arschloch ist.“

Nein, man liest und ist im Plot und fiebert, leidet, vögelt willig mit. Seid ihr nicht während der Lektüre im Buch, in der Geschichte und erlebt sie genauso intensiv wie euer reales Leben? Auf der rationalen Ebene weiß man natürlich, dass es keinen royalen Drogendealer gibt und Christian Grey erfunden ist.

Aber auf der emotionalen nicht. Da sind eure Gefühle, eure Begeisterung, eure Verzweiflung echt. Es ist euer Körper im echten Leben, mit dem ihr lacht und weint, weil euer Held gestorben ist. Es ist euer echtes Herz, das schneller schlägt und euer echter Zorn, wenn ihr eure BadBoys verteidigt wie liebe Freunde und ihre schwere Kindheit ins Feld führt, um nicht eure Lektüre, sondern das Verhalten der Protas zu rechtfertigen.

Die 50 Shades des Sexualdelikts

Den Kritikern wird vorgeworfen, die angeprangerten Textpassagen seien aus dem Zusammenhang gerissen.

Der BadBoy habe ja Gründe. Eine schwere Kindheit (man kann sogar sagen, eine beschissene) etwa. Oder auch sein Verlangen nach seiner Holden – die Redensart „unter Druck stehen“ ist hier durchaus wörtlich zu verstehen. Ja, das mag stimmen. Irgendwie. Aber irgendwie auch nicht.

Wenn wir wüssten, wer Jack the Ripper war – und er gängigen Schönheitsidealen entspräche – würden wir ihn heute vermutlich auch als begehrenswerten BadBoy mit schwerer Vergangenheit verehren. Und nicht als Hurenschlächter fürchten.

Nein. Für manche Antworten braucht es keinen Zusammenhang. Eine Vergewaltigung bleibt ab „nein“ eine Vergewaltigung, völlig egal, wie da der Kontext ist. Sonst sind wir in Bälde wieder bei „selbst schuld, was zieht sie sich so an“. Und eine mehr oder minder explizit ausgesprochene Erpressung um vordergründig einverständlichen Sex zu bekommen, ist genauso garstig wie es jetzt rund um #metoo auf der berüchtigten Besetzungscouch einschlägiger, zwar reicher und mächtiger, aber eben nicht hübscher Hollywood-Produzenten auch dargestellt wird.

Diese Verteidigung der Texte mit dem Verweis auf Kontext belegt bereits, dass diese Bücher die Weltsicht ihrer Leser verändern. Es geht nämlich nicht um die Schilderung dieser Beziehungen an sich, sondern um das immer positivere Image solcher Beziehungsstraftaten. Darum, dass man so ein Verhalten entschuldigen darf. Oder man damit, dass man mit Ankündigung von Fehlverhalten, die Verantwortung für sein Verhalten abgeben darf. „Ich bin ein Arsch. My way or high way. So ist es halt. Selbst schuld, wenn du bleibst.“

Wirklich?

Verschiebt man damit nicht die Schuldfrage in Richtung des Opfers einer Straftat?

Inflation der Romantik

Bei „50 Shades of Grey“ war es noch krank, ja schockierend wie Christian mit Ana umspringt – und auch dafür würden die Bücher zerrissen. Bei „After“ war das schon kaum mehr Thema. In der aktuellen Debatte werden diese Bücher als „normal“ und „harmlos“ hingestellt, im Gegensatz zu aktuellen Bestsellern, die immer abartiger werden. Dabei – und wir sagen das absolut neutral gegenüber dem Buch selbst – begeht Christian Grey in dem Moment, in dem er ein Safeword missachtet und weitermacht, an Anastasia eine wasserdichte Vergewaltigung, die ihn in der echten Welt für viele Jahre hinter Gitter brächte. Seine schlimme Vorgeschichte ist da allenfalls ein Strafmilderungsgrund.

Und jeder, der so einen Menschen begehrenswert findet, schlägt damit den realen Opfern solcher Taten ins Gesicht. Es kann doch nicht sein, dass man in die (Literatur)Geschichte eingreift, und negativ belastete Begriffe („Neger“, etc…) aus Rücksicht auf die Gefühle einstmals verfolgter Minderheiten austauscht, gleichzeitig aber den mindestens genauso traumatisierten Opfern schwerer Straftaten jede Rücksichtnahme verweigert.

Die Kriminalstatistik belegt die Tatsache, dass wohl nicht durch ein einzelnes Buch, aber durch den Hype dieser „BadBoy-Literatur“, in der schwere Misshandlung, Freiheitsberaubung, Erpressung, Bedrohung, Nötigung und Vergewaltigung als normaler Bestandteil einer insgesamt als „süß“ und erstrebenswert empfundenen Beziehung dargestellt werden, etwas mit der Gesellschaft passiert. Es ist Selbstbetrug, anzunehmen, das hätte keine Wirkung auf die Realität, in der wir uns bewegen. Die Wahrnehmung beeinflusst unweigerlich die Wirklichkeit.

So wie Propaganda wirkt – gezielt, gesteuert, manipulativ – so wirken auch diese eben nicht harmlosen Geschichten. Es ist ein schleichender Verfall und das macht es so gefährlich. Darum verbietet § 131 StGB auch die Verherrlichung und Verharmlosung von Gewalttaten.

 

Gibt es ein Krimi-Privileg?

Der oft geführte Vergleich mit Krimis endet immer darin, dass Krimileser nicht so angefeindet werden wie die Leser harter düsterer Erotik-Bücher, Dark Romance Leser eben. Der Erfolg der zynischen US-Drama-Serie „Dexter“ wird gerne zitiert, um zu verdeutlichen, dass man trotzdem im realen Leben weder seinen Dexter wolle, noch selbst wie der Titelheld zum Massenmörder werde.

Das ist richtig. Das zeigt aber auch, dass es eben einen Unterscheid zwischen Dexter und z.B. dem „Dark Prince“ gibt, Weil man im Netz zahlreiche schwärmerische Posts findet, die sich auch einmal einen Dark Prince oder einen Mr. Grey wünschen, aber eben keinen Dexter.

Wer ist eigentlich Dexter?

Dexter schildert seine Taten aus seiner Sicht und nicht aus der eines jungen Mädchens, das ihn unreflektiert toll findet. Die Sympathie/Faszination kommt daher, dass er seine Gewalt nur gegenüber noch Böseren ausübt (Robin Hood-Effekt) und man ihn dabei kennen lernt und von seiner Andersartigkeit/Abartigkeit fasziniert ist. Mord ist kein Bedürfnis, das wir regelmäßig befriedigen wollen (Gewaltfantasien im Berufsverkehr mal ausgenommen). Mord ist verboten. Immer. Das ist jedem klar. Da gibt es keine Grauzone. Und das ist auch jedem Leser von Horror-Schockern und Hardcore-Thrillern bewusst.

Es geht also nicht um ein Verbrechen, die Schilderung eines Verbrechens oder Detailszenen. Es geht einzig und allein darum, dass man hinterfragen muss, ob Literatur, die ein Verbrechen nicht in den Kontext des Verbrechens stellt, oder wenigstes neutral von ihm berichtet, sondern es durch die Bewertung der Protagonisten im Buch normalisiert, bagatellisiert, ja glorifiziert, nicht letztlich gewaltverherrlichend ist.

Von Dark Romance zu Rape Romance
und der Weg zum Alltags-Horror

Bei Sex ist es anders als beim Mord. Da ist nicht schon das „Ob“ verboten, sondern nur bestimmte Formen des „Wie“. Das eröffnet Grauzonen, die sich gerade gehörig verschieben und Dinge normal werden/wirken lassen, die es nicht sein dürfen. So geraten literarische Fantasien in diese Welt. Und das betrifft – leider – nicht nur die Nachfrage an Kabelbindern, die „50 Shades of Grey“ auslöste. Aber das ist ein schöner Beweis dafür, dass hier eben schon Ideen aufgegriffen werden. Die Kriminalstatistik und die Erfahrungen der Sozialarbeiter (und mit beidem hantiere ich – Kay – von Berufs wegen) verschieben sich spürbar. Das kann man nicht wegdiskutieren, das ist trauriger Fakt, ein modernes Werther-Fieber.

  • Ein bisschen Hauen ist okay, wenn man sich insgesamt liebt.
  • Sex tut halt auch mal weh, wenn man in Fahrt ist.
  • Ein bisschen „Nein“ ist nicht so gemeint.
  • Manchmal muss man eben zu seinem Glück gezwungen werden
    (Sie erlebt dann ja nach anfänglichem Sich-Wehren doch noch ihren Orgasmus)
  • Man muss schon auch mal duldsam sein, wenn man wirklich liebt
    (wobei das eine in diesen Büchern ausschließlich an die Frau gestellte Forderung ist)
  • Wenn ich einen Fehler zugebe oder ein Fehlverhalten ankündige, muss ich es nicht mehr abstellen. Ich habe meine Umwelt ja gewarnt. Trigger inklusive

Wenn diese Bücher „Rape-Romance“ hießen und unter „Porno“, „Thriller“ oder „Horror“ eingeordnet wären, wäre das vielleicht gar kein Thema, dann wäre allein durchs Genre bereits eine Wertung getroffen (Lust, Spannung, Grenzerfahrung). Aber es heißt „Romance“. Und auch Dark Romance umfasst als Genre ja mehr als diese Bücher. Die Grenzen sind fließend, aber jedenfalls dort erreicht, wo Schwerverbrecher angeschmachtet werden, die eigentlich für Jahre hinter Gitter und danach in die Verwahrung gehören.

 

Die Rückseite der Dark Romance

Ist das wirklich Liebe und normaler Sex, und nicht eher eine nüchtern betrachtet pathologische Beziehung?
Das kann man nicht damit beantworten, dass es eben manchen Menschen so gefällt. Denn wenn die sexuellen Vorlieben darin bestehen, andere gegen ihren Willen, trotz eines Neins zu benutzen, dann wird eine ethische, eine moralische und auch eine strafrechtliche Grenze überschritten.

Es geht nicht um die Haltung der fiktiven Figur! Kunst darf und soll Grenzen ausloten, die Anatomie unserer dunklen Seiten erkunden. Wir möchten großartige Werke wie etwa „American Psycho“ oder „Das Parfüm“ nicht in unserem Buchregal missen. Es geht allein um den unkritischen und verharmlosenden Kontext, in dem diese Taten stehen, darum, dass das Opfer diese Taten billigt und das im Buch nicht auch nur um Ansatz kritisch hinterfragt wird. Und vor allem geht es darum, dass das damit entschuldigt wird, dass auch solche Vorlieben ihre Berechtigung hätten. Literarisch wie im realen Leben, weil es eben dominante und devote Sexneigungen gäbe. Und dieser Pseudoliberalismus ist gefährlich.

Wo ist die kritische Stimme im Buch?

Unser Störgefühl würde ja schon deutlich schrumpfen, wenn die Prota wenigstens eine Freundin hat, die das kritisch sieht, oder Er von irgendwem zur Mäßigung aufgefordert würde. Irgendeine Stimme der Vernunft, die kritische Töne einlegt, die die Message des Buchs relativiert. Damit man beim Lesen nicht das Gefühl hat, das sei völlig normal.

Dass Gewaltverbrechen ernsthaft „romantisch“, „unterhaltsam“ und „heiß“ gefunden werden, das ist in unseren Augen besorgniserregend – gerade weil es verdammt nah an der alltäglichen Realität dran ist. Wenn 90% der Frauen angeben, dass sie in dunklen Parkhäusern Angst haben, dass sie nervös werden, wenn Männer nachts hinter ihnen gehen, dann fürchten sie nicht so sehr Räuber, sondern Sittenstrolche. Wie zentral dieses Problem ist, und zwar überall in der westlichen Welt, hat ja die #meetoo-Kampagne im Herbst 2017 schreckend deutlich gezeigt, wo unter dem Hashtag Millionen Frauen davon berichteten, dass auch sie schon Sex-Opfer waren. Das ist normal, weil es allgegenwärtig ist. Aber das sollte es nicht sein. Aber Bücher, die aus Frauensicht genau dieses Verhalten geradezu fordern (weil es erregend ist, weil es sich verkauft, weil ich es spannend finde), zementieren die Normalität und das „So soll es sein“.

Das wirft psychologisch hochinteressante Fragen auf, der man sich bei der Lektüre stellen sollte – wie auch immer sie jeder Einzelne für sich beantwortet.

Dark Romance – Der Reiz der eigenen dunklen Seite?

Unterstellt nicht vorschnell, dass ihr das supertoll abstrahiert und die Fiktion keine Wirkung auf das reale Leben hat. Doyle hat mit Sherlock Holmes die moderne Forensik, wie sie heute bei CSI einem breiten Publikum vorgestellt werden, maßgeblich beeinflusst und viele Errungenschaften in Technik und Raumfahrt wurden von Science Fiction-Autoren wie Asimov und ihren Geschichten inspiriert. Und auf der emotionalen Ebene ist es, wie oben schon einmal dargestellt, nicht anders.  So funktionieren Erinnerungen nicht. Wenn man liest, taucht man in das Buch und erlebt die Geschichte, leidet, liebt und hofft mit.

Jede Emotion, die ihr beim Lesen erlebt, ist echt.

Und euer emotionales Gedächtnis speichert diese Information ohne darüber zu reflektieren, dass die Emotion womöglich nur so war wie sie war, weil der „Trigger“ nicht real war. Man muss sich also selbstkritisch fragen, woher das Interesse überhaupt kommt, was erregend daran ist, eine nette Figur so leiden zu sehen.

Ist dieses Interesse ganz sicher nicht ein Stück weit

  • Freude darüber, dass eine rücksichtslose Behandlung der Liebe nicht im Weg stehen muss?
  • Erleichterung darüber, dass schlechte Erfahrungen mit Liebe belohnt werden?
  • die Hoffnung, dass man dann, wenn man was aufgibt, am Ende viel mehr bekommt? So ein bisschen die erotische Sterntaler-Variante?
  • bewundernder Neid, wenn sich mal jemand in unserer überregulierten Welt, Freiräume schafft (auch wenn er sie dann sehr bedenklich nutzt)
  • die Sehnsucht danach, so sein zu dürfen, wie man ist und sich weigern kann, sich ständig anzupassen und zu verbieten, um geliebt zu werden (selbst wenn man sehr extremer Mensch ist)?

Das wäre traurig, denn man sollte Probleme lösen, statt sie sich schön zu lesen. Doch dann sieht man all die Herzchen in den Posts und liest auf die Umfragen, welchen Prota man denn gerne mal live treffen würde, verdächtig oft diese BadBoys liest (und nicht, um ihnen mal gehörig zwischen die Beine zu treten).  Das lässt befürchten, dass eine große Zahl von Mitmenschen, Schmerz beim Sex als ebenso normal empfinden (und dulden, um nicht ein prüdes Weichei zu sein) wie eben auch ein bisschen Gewalt, solange man geliebt wird.

Darum ist ja auch häusliche Gewalt so ein reales Thema, darum antworten Menschen auf die Frage, warum sie bei Partnern bleiben, die sie misshandeln: Weil er/sie mich liebt. Und an dieser Stelle müssen wir uns fragen, ob wir mit unseren Geschichten, die ja Spiegel unserer Gesellschaft sind, diese Haltung verstärken oder hinterfragen wollen. Soll unsere reale Welt so sein? #metoo im Sinne von das ist normal.

Fiktion wird Wirklichkeit

Wenn man im Netz öffentlich um die Dark Princes Herzchen malt und alle anfeindet, die nicht verstehen, dass „man sich als Frau auch mal fallen lassen will“ (so gelesen!), dann ist die Debatte außerhalb der literarischen Fiktion endgültig in der Wirklichkeit angekommen. Denn ein Strafverteidiger wird natürlich darauf zurückgreifen und die Taten seines Mandanten mindestens als Irrtum und maximal als Erfüllung eines explizit und öffentlich geäußerten Wunsches darstellen. Da kann es dann schon zu einem Freispruch kommen. Und zwar allein aus dem Grund, dass sich das Opfer selbst (!) nicht sicher war, ob so ein „Nein“ wirklich unmissverständlich beim Sex ein „Hör auf“ bedeutet.

Wie gesagt, der Focus verschiebt sich. Das lässt sich nicht leugnen.

Und während wir alle glücklicherweise nur zu einem seeeehr geringen Prozentsatz tatsächlich aktiv/passiv mit „Mord“ in Berührung kommen und unsere Auseinandersetzung damit tatsächlich auf einer theoretischen Ebene bleibt, ist das beim Sex eben nicht so. Und da werden Grenzen verschoben. Das, was „normal“ ist, etwa,…

Ein wunderbar kritischer aktueller Beitrag zu diesem Thema ist hier von Elea Brandt zu lesen. Danke hierfür.

Freiheit kostet Verantwortung

Dieses etwas verkürzte Lichtenberg-Zitat gilt unserer Meinung nach auch im Bereich der Kunstfreiheit. Den niemand will Dark Romance ihren Lesern madig machen. Aber SEID KRITISCH. Euch selbst und anderen gegenüber. Hinterfragt einmal, warum euch diese Gewalt gefällt, was an solchen Arschlöchern sexy ist. Warum es uns erregt, wenn – anders als bei Dexter – nette Menschen erniedrigt und misshandelt werden?

Der Ruf nach Verboten oder einer FSK-Freigabe für Dark Romance ebenso wie für alle anderen Bücher auch ist Augenwischerei. Bevor wir immer lauter eine FSK für Bücher fordern, müssen wir doch begreifen, dass die FSK das Moral- und Anstandsempfinden der Gesellschaft spiegeln will (daher auch das F im FSK) und die muss nun einmal beim Autor und beim Leser beginnen. Das heißt, es muss bewusst sein, dass man hier krassen Stoff liefert oder verlangt und eben keinen „normalen“ – und genau da geht der aktuelle Diskurs in den Urwald.

Missbrauch und Gewalt in einer Beziehung sind ein altersunabhängiges Problem in unserer Gesellschaft und dieser Tatsache müssen wir uns stellen. Jeder, der solche Handlungen im Grundsatz, also auch in ihrer fiktiven Form, gutheißt und positiv bewertet, macht sich auf einer moralischen Ebene mitschuldig. Wir sind Teil dieser Gesellschaft und mit unserer Einstellung unweigerlich auch Teil ihrer Probleme – oder deren Lösung.

 

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