Ende gut, alles gut? Drei Dinge, die ein gutes Ende braucht
Gefühlt ist es ja ewig her, seit dem letzten Beitrag aus der Schreibstube. Darum fangen wir heute mal hinten an. Beim Ende. So, wie das Cover der wichtige erste Eindruck eines Buchs ist und der erste Satz uns in die Geschichte ziehen sollte, so wichtig ist auch der letzte Eindruck. Was direkt vor „Ende“ passiert, trägt maßgeblich dazu bei, wie wir ein Buch in Erinnerung behalten. Es ist wie beim Fußball – egal, wie schlecht das Spiel war, ein Herzschlagfinale mit Elfmeterschießen hinterlässt das Gefühl der Spannung. Was nicht heißen soll, wir wollen im Mittelteil langweilige Bücher. 🙂
Gründe, warum ein gutes Ende wichtig ist
Eine Geschichte überzeugt, wenn sie logisch von Anfang bis Ende erzählt wird und sich anfühlt wie aus einem Guss. Stellt der Anfang eine Frage, die der Mittelteil entwickelt und der Schluss auflöst? So gesehen ist ganz klar, dass alle drei Teile gleich wichtig sind. Und doch ist der Schluss das, was bleibt. Überzeugt er, ist man zufrieden, überzeugt er nicht, hilft auch ein noch so toller Weg dorthin nicht – der Gesamteindruck ist schlecht.
Das Pferd von hinten aufzäumen?
Gerade, wenn ihr beim Schreiben dazu neigt, euch im Plot zu verlieren, kann es sehr hilfreich sein, den Schluss klar vor Augen zu haben. Natürlich kann man auch bei einer Reise einfach losfahren und sehen, wo man landet – die meisten werden dennoch vorher ihr Ziel festlegen. Genauso kann es helfen, sich das Finale zu überlegen, um einen möglichst interessanten Weg dorthin zu planen. Speziell der Wendepunkt, wo alle Fäden zusammenlaufen und der Konflikt entschieden wird, benötigt regelmäßig Hinweise, Gegenstände, etc., die ihr dann gleich an passenden Stellen diskret für Plottwists oder weniger diskret für eine spannungserhöhende Vorahnung einflechten könnt.
Mit dem Schluss entscheidet sich letztlich in den meisten Fällen:
- Worum es in eurer Geschichte (eigentlich) geht.
- Wer der wahre Held der Geschichte ist.
- Ob die Geschichte eine zusammenhängende Handlung und ein stimmiges Thema hat, das vorn mit einer Frage begonnen und hinten beantwortet wird.
Warum hängt das alles am Schluss?
Natürlich könntet ihr die Thementhese auch in der Mitte beweisen und dann den Figuren noch eine Verschnaufpause gönnen. Aber dann ist der Schluss der Geschichte eben in der Mitte und alles, was danach kommt, ist eine Art Epilog. Das Ende allein bestimmt, ob eine Geschichte als tragisch, komisch, heroisch, ironisch oder offen empfunden wird. Romeo und Julia etwa hat reichlich komische Momente – und dennoch ist die Geschichte ihres Endes wegen traurig. Denn das ist das Gefühl, mit dem sich das Buch schließt. Wenn sich das richtig anfühlt, ist euer Ende ein gutes Ende.
Drüber oder drin
Für eine gute Geschichte müsst ihr den Überblick haben. Für eine gut erzählte Geschichte müsst ihr mit den Augen eines Lesers sehen. Wenn wir also hier von oben auf die Geschichte schauen und uns überlegen, welchen Weg sie zwischen Anfang und Ende einschlagen soll, dann ist das nicht das Bild, das man beim Lesen haben wird, wo die immer nur das offenbart, was diese Zeile, jener eine Absatz gerade hergibt. Für eure Figuren und eure Leser ist das Ende weniger ein Ziel, auf das sie zusteuern, sondern eher ein Ergebnis der vielen Abenteuer und Mühen, die sie in der Geschichte erleben (dürfen).
Wenn euch das bewusst ist, könnt ihr formelhafte Mainstream-Storys mit vorhersehbaren Enden leicht vermeiden. Dann birgt eine Geschichte so viel Potential wie das Leben selbst, denn auch, wenn sich die meisten Biografien ja doch von oben ziemlich ähneln, fühlen sie sich, während man sie lebt, sehr aufregend und grundverschieden an. Es ist eben ein Unterschied, ob man drüber schwebt oder mitten drin steckt.
Was ein gutes Ende ausmacht
Das unausweichliche Ende
So komisch es klingt, ein gutes Ende ist ein unausweichliches Ende. Klassik-Fans sehen das am Aufbau der griechischen Tragödien oder auch der Werke von Shakespeare – das Ende ist bereits im Anfang verankert, auch wenn man das bei einem richtig gutem Ende erst rückblickend erkennt. Ein gutes Ende (oder vielmehr der unmittelbar davor liegende dramatische Höhepunkt ist daher weniger das Ergebnis einer Kette von Ereignissen (so nimmt man das aber beim Lesen war), als vielmehr ein logischer Teil des Systems, das eurer Geschichte zugrunde liegt.
1. Das Ende zeigt die Wirkung
Am Ende wird die Entwicklung, die eure Geschichte und mit ihr die Figuren erlebt haben, sichtbar, aber sie ist nicht dafür verantwortlich. Vorher war euer Protagonist ein Verlierer, jetzt ist er ein Held (vielleicht ein tragischer). Zu Beginn hatte eure Heldin nichts, doch jetzt ist sie eine Prinzessin. Vorher war eure Welt ein trüber, vom Bösen beherrschter Ort, jetzt sieht sie einer strahlenden Zukunft entgegen.
Eine gute Geschichte erzählt immer von Veränderung. Ein gutes Ende belegt das und zeigt das Ergebnis dieser Veränderung. Beim Lesen erkennt man die Notwendigkeit, folgt dann der Entwicklung, die in einem Erreichen oder einem Vermeiden bestehen kann, und steuert dann Schritt für Schritt, Absatz für Absatz, auf den Punkt zu, an dem die Veränderung (zunächst) abgeschlossen ist. Das ist wie bei Dominosteinen, wo eine Kette einmal ausgelöst, immer ein Stein, den nächsten erreicht und die Ursache für den Fall des nächsten setzt. Oder auch an einer Gabelung für zwei oder drei …
Aber ihr steht schreibend über der Geschichte und für euch stellt sich das wie ein ausgeklügeltes Muster dar, das zeigt, wo diese Ketten beginnen und enden oder auch wieder zusammenlaufen. Ein gutes Ende ist dabei der letzte Stein, der fällt.
Wenn eure Figur also am Schluss den mächtigen Bösewicht besiegen soll, dann könnt ihr das nicht einfach zwei Seiten vorher bestimmen. Das ist unglaubwürdig. Wenn ihr aber unterwegs eure Figur lernen lasst, ihr hilfreiche Dinge an die Hand gebt, sie mit Beratern und Freunden verstärkt, dann ist das Ende die logische Konsequenz eurer Geschichte. Und damit ist es ein gutes Ende. Wenn ein an sich unscheinbares Detail vom Anfang am Schluss den Ausschlag gibt, ist das Ende ein überraschendes.
2. Der Weg bestimmt ein gutes Ende
Spontan sollte man meinen, das Ziel sei der beste Ort für euer Ende. Aber so einfach ist es nicht. Natürlich. 🙂
Fragt euch vielmehr, ob eure Figur zu Beginn eurer Geschichte dem Ende schon gewachsen ist. Könnte Frodo den Ring ins Feuer werfen? Könnte Elizabeth Mr. Darcy nicht gleich sagen, dass sie ihn heiraten will? Tatsächlich dürfte die Figur das in vielen Fällen bereits können. Warum also erzählen wir das dann über ein paar hundert Seiten? Weil der Weg das Ziel ist, an dem der Lesespaß hängt. Um wieder ein Bild zu bemühen: Damit eine Wäscheleine taugt, benötigt sie einen festen Anfang und ein festes Ende. Das ist die Schreibsicht. Aber vom Anfang aus betrachtet ist bei der Lesesicht die Leine das Mittel, mit dem man überhaupt das Ende erst erkennen kann. So, wie also das Ende die Geschichte beim Schreiben definiert, definiert die Geschichte beim Lesen dann das Ende.
Eure Figur wird nicht zum Helden, weil sie das Ende erreicht. Das setzt man ja oft voraus (bei Büchern mit Happyend-Garantie). Sie wird euer Held, weil sie alles, wirklich alles getan hat, um zu diesem Ende zu gelangen. Die Veränderungen auf dem Weg dorthin schaffen die Verbindung zwischen Figur und Publikum, die das Gemeinschaftserlebnis, die Buchmagie begründen.
3. Ende gut, alles gut?
Jeder von uns dürfte schon einmal ein Buch oder auch die Fernbedienung durch den Raum geschleudert haben, weil ein schlechtes Ende die ganze Geschichte verdorben hat und einen mit dem Gefühl zurückließ, gute Zeit mit einer miesen Geschichte vergeudet zu haben.
Das erste Kapitel verkauft das Buch; das letzte Kapitel verkauft das nächste Buch – Mickey Spillane.
Dieser Gedanke impliziert nicht so sehr die Vorstellung, dass euer Ende ein Knaller sein muss, sondern vielmehr, dass es beweist, ob die Geschichte als Ganzes funktioniert oder nicht. Ein gutes Ende ist nicht gut, weil es uns überrascht, sondern weil es uns zufrieden stellt. Darum stört es uns auch nicht, bekannte Erzählmuster immer wieder in Variation zu hören, oder Bücher mit „Garantie“ zu lesen. Ein tolles Gefühl am Schluss kann auch ein guter Grund für eine Wiederholung, ein Re-Read sein.
Das Ende eurer Geschichte zeigt euren Lesern im Idealfall auf, dass es nicht reicht, einfach nur herauszufinden, was man will oder braucht, sondern auch, dass und was man dafür tun muss. Das ist die Lesesicht. Für die Schreibsicht folgt daraus, dass die Geschichte so gut wie ihr Ende und das Ende so gut wie seine Geschichte ist. Es ist ein Geben und Nehmen, ein gegenseitiges Beobachten. Ein gutes Ende lohnt für die Reise dorthin. Eine gute Geschichte hält uns auf dem Weg bei der Stange. Und diesen Wechsel haben Lizzie und Frodo verstanden.
Skoutz-Schreiberlinge, sagt uns eure Meinung! Wisst ihr, wie eine Geschichte, an der ihr gerade schreibt, enden wird?