Veröffentlichungsdruck – Wie lange ist ein Buch neu?
Auf Facebook wurde bei der Frage nach Buchempfehlungen letztens ein zehn Monate altes Buch als alt bezeichnet. Das fand ich bei allem Verständnis für das Interesse für Neuerscheinungen nun doch etwas übertrieben. Aber es erklärt vielleicht, warum es jedes Jahr schwieriger wird, beim Skoutz-Award die Erstveröffentlichungen des letzten Jahres von den Neuerscheinungen zu unterscheiden, weil gefühlt jedes 3. Buch jedes 2. Jahr neu erscheint.
Das wirft die Frage auf, ab wann ein Buch alt ist. Oder eben nicht mehr neu.
Eine kurze Recherche hat ergeben: Es hängt stark davon ab, wen man fragt. Und es ist Anlass dieses Artikels. Denn die Folge ist ein enormer Veröffentlichungsdruck, der letztlich niemanden nützt.
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Woher kommt der Veröffentlichungsdruck und warum ist das überhaupt wichtig?
Bereits darüber können wir nun trefflich streiten. Friedliebende Menschen werden sagen, dass die Grenze doch jeder nach eigenem Geschmack ziehen darf, aber so leicht ist das jedenfalls für jene nicht, die Bücher verkaufen wollen, sollen oder müssen.
1. Sichtbarkeit
Zu den wichtigen Buttons für das Cover oder den Thumbnail im Online-Shop zählt natürlich auch der „Neuerscheinungs“-Knopf. Doch der wird bei Amazon 30 Tage lang gewährt und auch „gemütlichere“ Handelsplätze bewerben damit ein Produkt selten länger als ein Quartal („Die Neuerscheinungen des Frühlings“). Und danach ist dieser wertvolle Blickfang weg und das Buch muss sehen, wo es bleibt, bzw. wie es gefunden werden will.
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2. Vertrieb
Doch es geht um mehr als „nur“ Sichtbarkeit, denn das stetig wachsende Angebot bei stagnierenden Leserzahlen führt eben auch andernorts zu schnellerem Durchsatz. Natürlich reagieren auf diese Mechanik auch die Bar-Sortimente. Und so stellen auch die Verlage und Autoren, die ihre Bücher im traditionelle eher beschaulichen stationären Buchhandel unters Volk bringen, erstaunt fest, dass auch hier die Zeitfenster, die der Nachfrage durch den Einzelhandel (und dessen Kundschaft) gelassen werden, stetig weiter schrumpfen. Ein Buch, dass sich in den ersten Wochen nicht verkauft, wird aus dem Angebot genommen.
Das hat drei Gründe:
- der Druck durch nachrückende Bücher, weil eben immer mehr Neuerscheinungen und Neuauflagen auf den Markt drängen;
- die Reduzierung von Lagerflächen infolge deutlich erhöhter Lagerkosten;
- zumindest in bestimmten Genres die immer hektischere Nachfrage seitens des Publikums.
Wenig überraschend müssen da auch die Verlage reagieren und so entscheiden auch dort die ersten Monate nach der Veröffentlichung darüber, ob das Buch ein Erfolg ist oder eben nicht. Auch inhouse gibt es keine zweite Chance. Nicht für das Buch und nicht für den Autor.
Was bedeutet das aber für diejenigen, die doch eigentlich schreiben wollen? Tja, wer eine Verlagskarriere plant, muss sehen, dass sein Buch gleich zieht, und damit im Rahmen seiner Möglichkeiten den Release so gut wie möglich vorbereiten und unterstützen. Ohne Marketing in eigener Sache kommt man längst auch im Besitz eines Verlagsvertrags nicht mehr aus.
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3. Backlist
Der Umstand, dass nur die neuen Bücher Interesse wecken, verändert daher auch das Schreiben. Speziell im online-orientierten Selfpublishing, wo ein Buch mangels Druck und Logistik dichter am Markt ist, wird veröffentlicht, was das Zeug hält. In manchen, besonders gierigen Genres wie Romance produzieren die erfolgreichsten Autoren Titel am Fließband und halten so den Strom lebendig.
Denn die Sichtbarkeit der Spitzentitel nährt auch die Nachfrage nach den Vorgängern. Der Erfolg des aktuellen Buches potenziert sich so. Diese Beobachtung gilt übrigens auch in gemütlicheren Kategorien. Ein neues Buch weckt fast immer auch das Interesse an den alten (älteren).
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Und was heißt das nun konkret?
Wie oben schon gezeigt, ist diese Entwicklung nicht wegzureden und hat Auswirkungen auf alle Menschen im Buchmarkt, völlig egal, auf welchem Stuhl sie sitzen.
Beim Lesen
Der SuB, der berüchtigte Stapel ungelesener Bücher, ist ein Stück weit auch ein Kind dieser Zeit. Denn wer ein Buch haben will, muss schnell sein. Wenn ihr nicht bereit seid, sehr schnell über den stationären Handel zu kaufen, wird es schwierig. Weil ihr euren Wunschtitel sonst hier nicht mehr bekommt und es womöglich vom Autor auch keine weiteren Bücher im Verlag geben wird (besonders ärgerlich bei Serien, die dann unvollendet bleiben). Also kauft man gleich und liest später.
Alternativ dürfte es zwar die meisten Titel weiterhin als E-Book geben – aber viele mögen so nicht lesen. Und auch wenn theoretisch auch andere Shops E-Books anbieten, am Ende profitiert hiervon vor allem Amazon, wo es auch das aktuell beste (schnellste) Print on Demand-Angebot gibt.
Im Handel
Natürlich wollen Distributoren ihre Listen aus Kostengründen klein halten. Mit Blick auf die Preissteigerungen bei Lagerhaltung und Transport müssen sie das wohl auch. Aber das verknappt das Angebot spürbar. Noch vor den Corona-Verwerfungen hat mit Libri einer der großen Distributoren begonnen, seine Kataloge gnadenlos auszulichten und damit die Auswahl für den Buchhandel empfindlich einzuschränken (Buchreport-Artikel 2019*). Denn jeder weiß es aus eigener Erfahrung, was man nicht sieht, wird viel weniger gekauft, auch wenn es auf Nachfrage erhältlich wäre. Damit steigt der Veröffentlichungsdruck. Das wurde durch die Corona-Lockdowns nicht besser.
Es ist absolut verständlich, dass Buchhandlungen nur ungern direkt beim Autor/Verlag ordern, weil das für sie einen erheblichen Zusatzaufwand bedeutet, beim Ordern ebenso wie bei der Abrechnung. Genauso ist es nachvollziehbar, dass auch die Shopflächen immer kleiner werden, ober eben Waren angeboten werden, die einfacher zu verkaufen und zu lagern sind. Schreibwaren etwa, zumal Buchmenschen sehr Notizbuch-affin sind (aber das ist ein anderes Thema).
Doch bei allem Verständnis – das führt eben nicht direkt dazu, dass der stationäre Buchhandel für die Kundschaft attraktiver wird. Amazon freut sich.
Beim Schreiben:
Der Veröffentlichungsdruck, speziell in einigen Genres (Romance, Erotik), ist – wie oben schon gesagt – enorm. Lange Zeit sollte man ein Buch pro Jahr veröffentlichen, um dem Publikum in Erinnerung zu bleiben. Vor ein paar Jahren hieß es dann, alle 6 Monate müsse schon sein, besser alle 3. Inzwischen höre ich aus Autorenkreisen lautes Stöhnen, dass 6 Bücher im Jahr schon fast zu wenig sei.
Sinnlos darüber zu spekulieren, wieviel Zeit man für ein gutes Buch braucht. Goethe bastelte am „Faust“ Jahrzehnte, Hemingway schrieb „Der alte Mann und das Meer“ in wenigen Tagen. Beide sind unbestritten Weltliteratur. Aber Menschen sind verschieden. Die einen brauchen die immer schneller piepende Countdown-Uhr, um in Fahrt zu kommen. Anderen ist allein das Wissen um einen Termin schon zu viel. Und damit ist noch nichts über die Kreativität gesagt. Hunderte von Autoreninterviews haben uns in der Skoutz-Redaktion gezeigt, wie verschieden die Situationen sind, die Orte und Anlässe, zu denen Geschichten ihren Weg in das Autorenhirn und von dort in die Feder finden.
Dass also so viele, teils namhafte erfolgsverwöhnte Namen aus den Charts verschwinden, weil sie ausbrennen, weil sie eine Schreibblockade haben, weil sie nicht mehr gut sind, liegt sicherlich auch an diesem Veröffentlichungsdruck.
Das macht es den Buchprofis zunehmend schwer, vom Schreiben, Veröffentlichen, vom Buch zu leben. Zumal, um den Erfolg sofort mit der Veröffentlichung zu erzielen, Marketing genauestens geplant, terminiert und vorbereitet sein will. Ein enormer Aufwand, der zusätzlich bewältigt werden will.
Denn negativ wirkt sich auch der Zweitmarkt aus. In Zeiten, wo das Geld knapper sitzt, kann man gut und ohne Einbuße sparen, wenn man statt zum Buchhändler ins Antiquariat geht. Medimpos und Rebuy liefern sogar bequem nach Hause. Das ist für Verlage und Autoren doppelt schlecht, weil sie an dieser Zweitverwertung nichts verdienen, womit der (Neu-) Veröffentlichungsdruck weiter steigt.
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Und nu? Turbo einschalten?
Das unerfreuliche Fazit dieses Artikel ist, dass es keines gibt.
Ich würde gerne berichten, dass man dem irre gewordenen Veröffentlichungsdruck entgegenwirken kann. Oder wenigstens, wie man dem entgegenwirken könnte. Aber im Augenblick verstärkt sich dieser Tempo-Teufelskreis immer weiter, so als sei ein Ventil gebrochen, ohne entsprechende Drosselklappe.
Wie seht ihr das? Ist das alles, dieser Veröffentlichungsdruck, eben hinzunehmen, als Wandel der Zeit oder habt ihr Ideen, wie ihr dem entgegenwirkt?
One Comment
Aleshanee
Schönen guten Morgen!
Ein sehr interessantes Thema!
Und auch schade, denn ich finde nicht dass Bücher so schnell altern. Das Problem ist einfach die Masse, die jeden Monat neu rauskommt und beworben werden möchte, da bleibt nicht viel Zeit … aber ältere Bücher werden ja nicht schlecht und die Geschichten darin sind immer noch lesenswert.
Vor allem, dass manche Bücher nach 3-4 Jahren schon gar nicht mehr zu kaufen sind finde ich sehr ärgerlich, zumindest als Ebook sollten sie angeboten werden.
Ich hab euren Beitrag heute in meiner Stöberrunde verlinkt 🙂
Liebste Grüße, Aleshanee