Literaturausverkauf: Literatur muss sichtbar bleiben
Heute ist meine Timeline voll von einer traurigen Nachricht.
Es geht um Kürzungen in den Öffentlich-Rechtlichen, um Sendeplatz und Programmformate. Um Köpfe, um Arbeitsplätze, um Kunst und Kommerz und … sonst würden wir nicht davon erzählen … um Bücher.
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Literaturausverkauf?
Der WDR hat beschlossen, die erforderlichen Budgetkürzungen vor allem im kulturellen Bereich vorzunehmen und dort vor allem bei der Literatur. So wird Literatur künftig kein fester Bestandteil mehr bei „Mosaik“ sein und auch sonst wird der Bücherschrank kräftig ausgemistet. Wirklich überraschend ist es nicht, denn der NDR hat das Bücherjournal schließlich auch abgesetzt und der HR will künftig Kultur mehr über Musik als über Wort präsentieren. Auch andere Sender, wie beispielsweise der SWR, haben ähnliche Pläne.
Die Buchbranche zeigt sich dennoch so überrascht wie entsetzt, so etwa der Buchmarkt in einem aktuellen Artikel*. Es gibt einen offenen Brief der betroffenen Mitarbeiter, den die Süddeutsche veröffentlicht hat, und sogar eine Online-Petition auf Change. Hier* könnt ihr unterschreiben.
Aktionen und Gefühle, die ich gut nachvollziehen kann, denn auch ich bedaure, dass so wenig und nun auch noch weniger über Literatur berichtet wird.
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Was bedeutet das?
Zunächst werden wir vom WDR beruhigt. Von Literaturausverkauf könne keine Rede sein. Es soll auch nichts wegfallen (nur weniger werden) und das, was bleibt, wird eben anders. Moderner. Schneller. Hipper. Hui! Mit „erzählerischen Darstellungsformen und Gesprächen“ wird künftig Literatur „lebendiger und abwechslungsreicher gestaltet“.
Dagegen ist ja nichts einzuwenden. Aber die reduzierten Sendezeiten machen Sorge. Die von den Kürzungen betroffenen freien Mitarbeiter des WDR sprechen davon, dass künftig jährlich gut 250 Titel weniger besprochen werden. Also durchaus eine beachtliche Menge, auch für ambitionierte Vielleser.
Machen wir uns nichts vor – die schönen neuen abwechslungsreichen erzählerischen Darstellungsformen dürften dann jenen Büchern vorbehalten bleiben, die ohnehin schon in aller Munde sind und mit guten Werbeetats im Rücken ohnehin schon auf sich aufmerksam machen. Im Ergebnis wird die Vielfalt ausgeblendet und das kommt einem Totschweigen ziemlich nahe. Es wird mit anderen Worten für all diejenigen schwer, die nicht den „großen“ Markt bedienen, aber mit Leidenschaft und Kreativität für Vielfalt sorgen, Impulse geben, Diskussionen anstoßen und vielleicht sogar einmal einen neuen Trend setzen.
Doch, wenn man darüber nicht mehr sprechen kann, wird das mit der Vielfalt, den Impulsen, Diskussionen und auch den Trends schwierig. Die sozialen Netzwerke, die Blogger und Magazine wie Skoutz können ein bisschen Ersatz schaffen, aber keinesfalls in dieser Breite. Zudem stellt sich eine ganz andere Frage:
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Dürfen die das?
Das gern gehörte Argument, das würde das Publikum einfach nicht interessieren, ein sechs minütiger Beitrag sei schon zu viel für den modernen Konsumenten, provoziert Widerspruch in zweierlei Hinsicht.
Einmal, weil der WDR sich wie alle öffentlich-rechtlichen Sender über Gebühren finanziert, mit dem er einen Kulturauftrag erfüllen soll.
§ 11 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrag regelt das ziemlich eindeutig:(1) Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. (…) Sie haben Beiträge insbesondere zur Kultur anzubieten. Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.
Das trifft übrigens auf alle ö-r Rundfunkanstalten zu, die nun auch nicht übertrieben viel für die Volksbildung tun, meiner Meinung nach. Dabei sollte gerade das in den Öffentlichen gefunden werden, was die Privaten, die sich von Werbeeinnahmen finanzieren müssen, mit Blick auf die Quote vernachlässigen. Denn Vielfalt bedeutet eben auch, dass man nicht nur Krimis und Sportübertragungen oder billige Politmagazine mit immer denselben Gästen produziert.
Im Gegenteil, wäre es nicht vielmehr Aufgabe der Sender, sich etwas einfallen zu lassen, wie man Literatur spannend präsentiert? Wie man Menschen zum Lesen bringt? Und zum über Bücher reden. Zum sich Zeit nehmen, zum Wirken lassen. Denn auch das ist etwas, was in unserer ungeduldigen Zeit dringend erforderlich ist. Meinetwegen können sie Literatur wie Sommer mit Playmobil-Figuren nachstellen, was sehr unterhaltsam ist, nebenbei bemerkt (hier auf Youtube*). Möglichkeiten gibt es viele.
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Ist ein Literaturausverkauf schlimm?
Ich meine ja!
Ich möchte streitbare Formate, ich will Diskussionen sehen! Ein leidenschaftliches Für und Wider, das dazu anregt, selbst zu lesen. Ich will Literatur zurück in unserem Alltag. Innerhalb der Kultur ist Literatur ein wichtiges Element. Sprache ist es, die uns zu Menschen macht, die uns trennt und verbindet. Über die wir uns so sehr identifizieren, dass man sich über Gendersternchen und Denglisch auch mal die Köpfe einschlägt. Es sind die Geschichten, die uns prägen. Unser Moralempfinden formen, unser Rollenverhalten prägen, uns mitten ins Leben und zu fernen Welten, bis an die Grenzen des Denkbaren bringen.
Der Staat verliert die Literatur aus den Augen. Ein Büchner-Preis genügt nicht, wenn Bibliotheken geschlossen, Lehrpläne entschlackt und Kultur deliterat definiert wird. Literaturausverkauf eben. Ich finde es furchtbar, wie all die Künstler, die Verlage, die Buchhändler, die quirlige, bunte, sture, leidenschaftliche, unbelehrbare und doch so wandlungsfähige Buchwelt unter Corona leidet.
Daher ist dem Brief der WDR-Mitarbeiter zuzustimmen. Es gehören auch sperrige Bücher, anspruchsvolle Bücher, solche mit schwierigen Themen und komplexer Sprache zur Buchwelt. Auch sie müssen in Zeiten großer Buchhandelsketten und übermächtiger Online-Händler, ihren Platz behaupten, irgendwo zwischen dem alles verschlingenden Mainstream, und das nicht nur in ungesehenen (und ungelesenen) Nischen.
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Das ganze Panorama der Literatur
Und doch verstehe ich den Sender auch. Denn es geht bei der aktuellen Debatte nur um die Literatur des Feuilleton, um die Kunst der Literaten, die Höhen der Kunst, die eben auch viele Menschen abschreckt und vom Lesen abhält, weil sie sich in diesen Höhen, in der dünnen Luft nicht wohlfühlen. Von daher ist der Ansatz des WDR, auch „gefälligere“ Literatur aus den unteren und mittleren Lagen der Unterhaltung mitzunehmen gar nicht so schlecht.
Der Buchmarkt ist im Umbruch wie seit Guttenberg nicht mehr. Das ist doch spannend. Er ist so bunt geworden wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Neben den 50 Shades of Grey gibt es auch das neue Grau eines Salih Jemal und 100, ach was 1000 Farben des literarischen Erfolgs. Die Buchwelt ist wilder, freier und demokratischer geworden. Und chancenreicher. Noch nie haben Menschen so viel gelesen wie heute, auch wenn sie dabei viel zu wenig Bücher lesen.
Aber das zu ändern, wäre doch eigentlich das, was man mit einem Bildungsauftrag ändern müsste.
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Doch lasst uns doch einmal gemeinsam überlegen, wie ihr euch moderne, spannende und mitreißende Buchpräsentationen vorstellen würdet. Vorschläge?