Schreibstube: Plotten oder losschreiben?

Man lernt früh, dass man auf Partys, dass man im Interesse eines entspannten Abends besser nicht auf Politik, Glaube – oder in eher atheistischen Zeiten als Ersatz desselben – auf Ernährungsstile zu sprechen kommen sollte. In Autorenkreise kommt noch eine Frage dazu, die unbedingt zu vermeiden ist:

„Plottest du?“

Das ist ein ganz heikles Thema, an dem auch schon Autorenfreundschaften zerbrochen sind.  Es gibt sehr viele Ansichten dazu, ob man eine Geschichte vor ihrer Niederschrift vorplanen sollte oder nicht. Es gibt sehr viele Techniken, wie man das gegebenenfalls mehr oder minder detailliert tun kann. Aber die damit einhergehenden Emotionen sind offenbar schier unzählbar und reichen von blankem Entsetzen bis hin zu missionarischem Bekehreifer. Da kann es passieren, dass die Feder zum Schwert (oder Dolch) mutiert.

Wenn wir unsere Autoren besuchen und mit ihnen übers Schreiben reden, sind auf keine Frage die Antworten so kontrovers wie auf die der Schreibtechnik. Kopf oder Bauch, Planung oder Spontanität, Plotten oder Nicht-Plotten. Es gibt da nach fünf Jahren intensiver Recherchen für uns immer noch keine Regel außer der, dass es keine gibt.

Was ist Plotten?

Der Plot ist die sequenzielle Aneinanderreihung der Ereignisse innerhalb deiner Geschichte. Wir haben hierzu einen eigenen Wiki-Eintrag.

„Plotten“ ist also ganz simpel, die Vorüberlegung, was in einer Geschichte genau passieren soll:

  • Welche Aussage will ich treffen
  • Welche Figuren kommen vor
  • Wie geht es aus?
  • Und wie kommen die Figuren (ungefähr) dorthin?

Beim Plotten skizziert man also wie ein Architekt, wie das Endprodukt ungefähr aussehen soll. Es geht also um eine Grobplanung oder auch eine Art Montageanleitung.

Vieles kann und wird sich noch verändern, aber wenn man vorher grob durchdenkt, was man schreiben will, steigt die Chance, dass man nicht seitenweise mühsam formulierten Text wieder löschen muss, weil der Plot sonst nicht aufgeht.

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Muss man plotten?

Die Frage, ob ein Autor plottet oder nicht ist absolut individuell und kann weder an Genres, Erfahrung oder Alter und schon gar nicht am Erfolg festgemacht werden. Das aber macht es so spannend.

Sehr viele Autoren beginnen einfach zu schreiben, ohne sich groß mit der Theorie auseinanderzusetzen. Das kann, muss aber nicht gut gehen. Viele Autoren, speziell jüngere meinen daher auch, Plotten sei der Killer der Kreativität und enge sie nur ein. Eine Aussage, die ungefähr so richtig ist wie die Behauptung eine gute Ausrüstung schmälere die Freude am Bergsteigen.

Ich persönlich glaube, dass das stark davon abhängt, ob der Autor ein natürliches Gespür für die Gesetzmäßigkeiten hat, nach denen ein Text funktioniert. Auch wenn keine Schreibregel in Stein gemeißelt ist, gibt es sehr wohl Grundprinzipien, wie etwa die Erzähllogik und auch die Lesererwartung. Vieles ist selbstverständlich, aber es hilft, wenn man sich damit bewusst befasst.

Der Umstand, dass wir uns an dieser Stelle immer noch unterhalten, deutet darauf hin, dass zumindest ein Grundinteresse an Schreibtechniken besteht. Wenn wir nun das Thema aus der Sicht eines Coachs betrachten, dem daran gelegen ist, seinem Autor zu einem bestmöglichen Buch zu verhelfen, gibt es daher nur einen Rat: Ausprobieren. Man sollte die Regeln wenigstens kennen, bevor man sie bricht. Das jedenfalls hat der Qualität nie geschadet, aber manches mal geholfen.

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Man sollte es also zumindest mal versuchen

Bleistift, Notizen, Zerkaut, Papierknäuel, Schreiben

Zunächst einmal hilft so ein Plot-Experiment mindestens dabei, etwas über sich selbst und seine Arbeitsweise zu erfahren. Das ist immer dann hilfreich, wenn es mal nicht so flutscht und man weiß, wie man sich selbst helfen kann, aus einer Schreibflaute wieder rauszukommen und die gefürchteten Schreibblockaden weiträumig zu vermeiden.

Außerdem bemerken wir einen gewissen Trend, dass die Wahrscheinlichkeit, wenn wenigstens grob vorgeplottet wird, mit der Zahl der veröffentlichten Titel tendenziell steigt. Aber auch hier ist das keineswegs die Regel. Stephen King zum Beispiel ist ein prominentes Beispiel derer, die sich eher mit ihrer Geschichte treiben lassen (so in seinem Buch „On writing“).

Egal, sehen wir uns doch einfach mal die verschiedenen Techniken an, mit denen man die Geschichte, die man erzählen will, mehr oder minder detailliert und mit dem Fokus auf ganz unterschiedlichen Aspekten erzählen kann.

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Plotten – Pro und Contra

Was spricht dagegen?

„Warum sollte ich?

Und wenn man darauf keine Antwort weiß, ist das schon mal ein Grund, es zu lassen. Ich selbst bin auch kein Plotti. Die Geschichten wachsen eher organisch. Entwickeln sich aus dem Bauch heraus. Ich muss eine Geschichte fühlen, um sie erzählen zu können. Tatsächlich aber folgen auch meine Bauchgeschichten den klassischen Strukturen. Das dürfte weniger daran liegen, dass ich so ein Genie bin, sondern eher daran, dass ich wirklich tausende von Büchern gelesen habe, vermutlich also die Grundstruktur einer Geschichte so selbstverständlich erspüre wie die Schwerkraft.

Aber wenn ich mal hänge – dann helfen mir diese Plottechniken tatsächlich über Lücken und Haken hinweg. Und das bestätigen auch andere Plot-Verweigerer.

„So ein Korsett erstickt meine Geschichte“

Eine Gehhilfe kann auch zur Unselbständigkeit verleiten. Ein echter Kreativitätskiller. Speziell Menschen, die ohnehin in Bezug auf dein eingeschlagenen Weg konsequenter als in Bezug auf das Ziel sind, laufen da Gefahr, ihre Geschichte an ein Regelwerk zu verraten. Wenn also nach dem Plan die Tragödie „jetzt“ passieren soll, aber die Figuren noch nicht so weit sind .. dann schreibt man eben noch eine Zwischenszene, die hinleitet. Nichts ist so doof wie ein Leser, der auf die Frage „Warum macht der Held das?“ nur die Antwort erhält: „Weil es der Plot so vorsieht“.

Aber das ist meiner Meinung nach keine Frage, „ob“ man plotten sollte, sondern eher, „wie (detailliert)“ man das machen will. Ich predige daher auch immer das Charakterbildung der Figuren wichtiger als Plottreue ist.

„Ich will doch keine 0/8/15-Story schreiben“

Wer das sagt, spricht ein wahres Wort gelassen aus. Leser wollen nämlich auch keine 0/8/15-Storys lesen. Andererseits haben sie (meist unbewusst) durchaus Erwartungen an eine Geschichte, die mit den gängigen Plottheorien berücksichtigt werden.Dass es einen erfolgreichen Reißbrett-Roman geben kann, beweisen moderne Schreibprogramme, die tatsächlich eine Geschichte mit Bestsellerpotenzial aus ein paar Stichworten zaubern können. Hier sprechen wir aber von Massenprodukten für den Sofortkonsum und weniger von zeitlosen Werken der Erzählkunst. Und davon wie ein Autor für sich „Erfolg“ definiert.

Man darf solche Aussagen auch nicht überbewerten. Die statistische Erwartung von Teenie-Lesern ist eine andere als die von Ü-40-Lesern. Männer wollen manches anders als Frauen und die asiatische Erzählstruktur weicht teils erheblich von der europäischen ab. Auch hier also kann man sagen: Man darf sich nicht vom Plot tyrannisieren lassen.

 

Plädoyer fürs Plotten

„Ein Plan hilft Fehler vermeiden“

Es hilft schon sehr, wenn man unterwegs eine Landkarte oder ein Navi dabei hat. Ohne, dass deshalb gleich die Spontanität der Reise dahin wäre. Und auch wenn man schon weiß, wo man mittags essen könnte und abends schlafen will, kann man untertags noch eine Menge erleben. Und auch spontan einen Snack zwischendrin genießen.

Die Struktur hilft auch, dass man sich nicht verzettelt, Wie leicht kommt der Plot ins Stocken, weil man eben nicht weiß, wohin man muss, weil man nicht weiß, wie man die falsch positionierten Figuren dorthin bekommt, wo es weitergeht. So entstehen Längen, die dem Lesefluss schaden und nachher nur mühsam auszubessern sind.

Ein grober (oder auch detaillierterer) Plan helfen auch, nicht an der Größe der Aufgabe zu scheitern, sondern sich Schritt für Schritt und Szene für Szene vorzutasten.

„Das Schreiben wird leichter“

Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wer in einer Stunde einen Baum fällen will, sollte eine dreiviertel Stunde seine Axt schärfen.“ Vorbereitung ist auch beim Schreiben die halbe Miete und verhindert viel Schreibfrust unterwegs. Neben der strukturellen Unterstützung hat Plotten auch fürs Schreiben neben Familie und Beruf den großen Vorteil, dass man durch den Fahrplan deutlich leichter zurück in den Text findet und weiterschreiben kann. Weil es auf dieses „Wo war ich stehengeblieben?“ eine präzise Antwort im Plan gibt. Man kann auch mal eine Szene, auf die man absolut keine Lust hat, auslassen und erst mal weiterschreiben, weil man ja weiß, wo man hinwill. Man ist also nicht an den Leseablauf gebunden, sondern kann auch Fragmente schreiben und zusammenpuzzeln.

„Fehler fallen früher auf“

Logikbrüche, Plotlöcher oder auch größere dramaturgische Probleme fallen dir schon beim Plotten auf. Das heißt, wo man sonst mehrere Seiten löschen müsste, streicht man hier nur ein paar Zeilen im Fahrplan. Der Vorteil liegt auf der Hand. Informationen, die hinten benötigt werden, müsste man vorne einführen. Das aber geht manchmal nicht, ohne größeres Gebastel … Was zu Schreibfrust führt, speziell wenn man jetzt niemand ist, der gerne tüftelt, sondern lieber vorwärts denken, erzählen und schreiben will.

 

Bekannte Plot-Techniken

  • Plotten in Akten
    • 3-Akt-Methode
      Für Minimalisten. Wo beginnt man (Einleitung), was passiert dann (Hauptteil), wo soll es enden (Schluss)?
    • 5-Akt-Methode
    • 7-Akt-Methode
  • Skizzieren
    Für Ungeduldige. So wie man einem Autorenkollegen von seinem Schreibprojekt erzählen würde, schreibt man sich eine Skizze nieder. Also: Es geht um zwei Teenies, die sich auf den ersten Blick ineinanderverlieben. In Kapitel 2 stellen sie fest, dass das die Familien doof finden. Doch das stört sie nicht. Um zusammensein zu können, beschließt sie, irgendwie ihren Tod zu fingieren. Doch es endet tragisch. Das ist die Skizze für Romeo und Julia, ließe aber Herrn Shakespeare noch viel Platz für Details
  • Freytag-Pyramide
    Für Flexible. Eine etwas wissenschaftlichere Variante der 5-Akte. Sie unterteilt den Handlungsbogen in Exposition, Höhepunkt, fallender Handlung und Auflösung, wo spätestens die losen Enden der Geschichte miteinander verwoben werden.
  • Stufendiagramm
    Für Ordentliche. Ich weiß nicht, woher der Name kommt, denn man hat hier weder Stufen noch Diagramme. Aber man plant mit einer Art Blocksystem die wesentlichen Punkte der Geschichte. Also, in welcher Reihenfolge die Dinge passieren sollen, wer was macht, und was voraus folgt.
  • Schematisches Plotten
    Für Unsichere. Ob man nun die bewährte Heldenreise als Fahrplan nimmt, oder etwas detaillierter mit dem Masterplots von Tobias oder den dramatischen Situationen von Polti arbeitet – man befindet sich damit in garantiert allerbester, wortwörtlich weltliterarischer Gesellschaft und hat mindestens viel über allgemeine Erzählstrukturen gelernt.
  • Schneeflockenmethode
    Für Pedanten! 🙂 In zehn Schritten fängt man mit einem Satz an und verästelt dann wie bei einer Schneeflocke in jeder Runde weiter nach außen, bis zum Schluss eigentlich nur noch das Ausformulieren steht.

 

Die Entscheidung, ob und gegebenenfalls wie ihr plotten wollt, kann ich euch nicht abnehmen. Aber wenn wir euch mit diesem Beitrag die Entscheidung ein bisschen erleichtern konnten, bin ich schon zufrieden. Wenn ihr selbst Tipps, Tricks, Erfahrungsberichte, Anregungen oder sonstigen Redebedarf habt, nutzt einfach die Kommentare. Wir freuen uns!

 

 

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