Bella Bender

zu Besuch bei Bella Bender

Mit dem Skoutz-Kauz habe ich mich auf den Weg nach Heidelberg gemacht, wo wir Bella Bender treffen werden. Nachdem sie mit ihrer Anthologie „Die artgerechte Haltung von Gedanken“ unsere Jurorin überzeugen konnte, waren wir neugierig auf die junge Autorin, die Germanistik studiert und neben dem Schreiben eigener Werke zudem als Lektorin und Texterin tätig ist. Dabei befasst sie sich im Besonderen mit der komplexen Welt der Psyche und zwischenmenschlichen Machtverhältnissen. Mal sehen, was wir noch alles über die junge Autorin erfahren. Es wird sicher extrem interessant …

 

zu Besuch bei Bella Bender, die Teil der Jungautorengruppe sexyunderground im Literaturhaus Frankfurts ist …

 

Wie würdest du dich in einem Wort beschreiben?

Freiheitsliebend. 

 

Beruf oder Berufung – was macht dir an deinem Job als Autor am meisten Spaß?

Tatsächlich würde ich nicht zwischen Beruf und Berufung unterscheiden. Leidenschaft ist wichtig, ich glaube nicht, dass man ohne sie schreiben kann. Aber natürlich hat der Beruf auch eine pragmatische Seite, das gehört dazu. 

Eine interessante Sichtweise. Was ist für dich das Besondere am Schreiben?

Ich liebe am Schreiben, dass man so viel über Menschen lernen kann. Sowohl über sich selbst als auch über andere. Gewissermaßen bin ich zu stetiger Reflexion gezwungen und das tut mir gut. Außerdem ist diese Arbeit nicht an einen Ort oder bestimmte Rahmenbedingungen gebunden, weswegen ich mich sehr frei fühle. 

 

 

Wann hast du dein erstes Buch veröffentlicht und wie lange hast du daran geschrieben?

Mein erstes Buch schrieb ich während meines ersten Semesters an der Uni Heidelberg. Ich war eingeschrieben für Germanistik und blieb auch dabei. Doch ich glaube, schon damals war mir klar, dass der wissenschaftliche Betrieb nicht meine Welt ist. Ich habe mehr geschrieben, als ich gelernt habe: Im Hörsaal, auf Fensterbänken in der Neuen Uni …

Also gefühlt überall 🙂

Es war ein Gefühl, als wäre mein Kopf andauernd hungrig und nichts könnte meinen Appetit stillen. Eine verrückte Zeit war das.  

 

 

Wie läuft ein typischer Tag als Autor bei dir ab? Immer gleiche Routine oder musst du immer wieder improvisieren?

Improvisieren!

Könntest du mir das ein wenig näher ausführen?

Die letzten vier Jahre habe ich mit Schreiben, Studieren und dem Aufbau meiner Selbstständigkeit verbracht. Da spielt sich vieles im Dazwischen ab.

Das kann ich mir gut vorstellen. Da kam eine Menge gleichzeitig auf dich zu.

Manchmal war ich auch überfordert. Aber ich habe so gelernt, dass mein Wunsch zu Schreiben etwas ist, das stets da ist, egal wie viel mir noch im Kopf herumschwirrt. 

 

 

Das Jahr 2020 stellt uns alle vor neue Herausforderungen. Wie sehr beeinflusst Corona deinen Schreiballtag? Was hat sich für dich als Autor durch die verschiedensten Maßnahmen geändert?

Ans Home-Office bin ich als Freiberuflerin gewöhnt. Allerdings fallen sämtliche Autorenlesungen weg – und das vermisse ich sehr. Es war richtig, dass die Leipziger Buchmesse dieses Jahr ausfiel. Und dennoch hätte ich wirklich sehr gerne mit meinen Autorenkollegen von Periplaneta am Messestand gelesen.

Das habe ich jetzt schon von mehreren Seiten gehört. Welche Alternativen bieten sich Autoren?

Seitdem der Lockdown unser Sozialleben eingefroren hat, lese ich oft live auf Instagram. Es ist kein Ersatz für die Wirklichkeit – und dennoch kann ich so mit meinen Lesern und Leserinnen in Kontakt bleiben. Der Zuspruch, den ich von ihnen täglich bekomme, berührt mich sehr. Generell empfinde ich die Buchbranche gerade als sehr stark und solidarisch. Das macht mir viel Mut. 

 

 

Kreativ oder doch eher regeltreu? Wie flexibel bist du beim Schreiben?

Ich habe nur eine Regel: Es gibt keine Regeln.

Die Regellosigkeit als Regel 🙂 Sehr clever.

Ich schreibe, was und wann ich will. Manche brauchen eine feste Schreibroutine, doch mich hemmt das eher. Ich hoffe auch, ich kann mir dieses spontane Schreiben bewahren. 

 

 

Welches war dein erstes selbstgelesenes Buch? Und hast du es heute noch?

Haha, das ist eine lustige Geschichte. Es war ganz klischeehaft die Raupe Nimmersatt.

Das ist auch das Lieblingsbuch meines Sohnes 🙂

Als ich vier Jahre alt war, konnte ich das Buch auswendig. Im Kindergarten habe ich während des Stuhlkreises das Buch aufgeklappt und den Text aufgesagt, habe aber so getan, als würde ich es vorlesen. Und dann dachte ich: „Warum nicht wirklich lesen lernen?“ Das habe ich dann bald getan. Und kaum konnte ich lesen und schreiben, steckte ich ununterbrochen meine Nase in Bücher und schrieb eigene kleine Geschichten, die ich selbst illustrierte.

Du hast also schon früh die Liebe zu Büchern  entdeckt. Ein Bücherwurm Nimmersatt sozusagen 🙂 Hast du die Ausgabe von damals noch?

Mein Exemplar von der Raupe Nimmersatt ging leider verloren. Allerdings hatte ich ein paar Jahre später dann die unvermeidliche Harry-Potter-Phase, die ich wohl nie überwinden werde. Eventuell habe ich auch noch einen Slytherin-Kuschelanzug in meinem Kleiderschrank liegen. Wer weiß …

Potterhead forever … Ich versteh das soooooo gut 😉

 

 

Stell dir vor, du könntest eine beliebige Figur aus einem Buch zum Essen treffen. Wen würdest du treffen wollen (und warum) und über welche Themen würdet ihr sprechen?

Ich würde gerne Harry Haller aus Hermann Hesses „Steppenwolf“ treffen.

Nach der letzten Antwort muss ich gestehen, hätte ich einen anderen Harry erwartet. Was fasziniert dich an Hesses Harry?

Harry Haller wird im Roman dargestellt als unheimlich kluger, aber emotional etwas gehemmter Mann, der von anderen Menschen enttäuscht ist. Erst als er seine Seelenverwandte kennenlernt und eine Reise durch das „magische Theater“, also sein Unterbewusstsein antritt, lernt er, über sich selbst zu lachen und im Allgemeinen etwas gnädiger zu sein. Davon würde ich gerne etwas lernen. 

 

 

Auf welche Frage hattest du in letzter Zeit keine Antwort und hast du sie finden können?

Ich frage mich jeden Tag, wann wir alle in die Zeitlosigkeit geraten sind. Das ist nicht erst seit der Coronakrise so. Sehr viele von uns befinden sich stets in der eigenen Blase, drehen sich nur zwischen Aufstehen und ins Bettgehen im Kreis. Dazwischen verschwinden Monate, Jahre, viele Gedanken, Freundschaften und auf gewisse Weise auch das Selbst. Gibt es einen Ausweg aus diesem Hamsterrad?

Sehr philosophisch und reflektiert …

Ich wünsche mir, dass wir alle wieder mehr auf unsere Umgebung und unsere Mitmenschen achten. Aber eine Antwort auf die Frage habe ich nicht finden können. 

Ich bin da eigentlich zuversichtlich, dass man dadurch auch etwas bewegt außer dem Rad. So ein Riesenrad ist ja zum Beispiel was tolles. Wenn man also das Hamsterrad verlangsamt und die Aussicht genießt – dann wäre es doch wunderbar?

Aber wenn wir schon beim Getriebensein sind …

 

Wie oft schaust du täglich auf dein Handy?

So oft, wie es mit guttut.

Kannst du mir das ein wenig genauer ausführen?

Ich bin ein sehr interessierter Mensch, deswegen konsumiere ich gerne Medien. Und dennoch braucht der Kopf Pausen, die nehme ich mir auch. 

 

 

Was darf in deinem Kühlschrank niemals fehlen?

Hafermilch und Himbeeren

Lecker, wofür brauchst du sie?

Die sind toll, um Porridge zu machen.

Stimmt. Sonst noch etwas, das am besten immer da sein sollte?

Idealerweise Pasta vom Vortag. 

 

 

Für welche drei Dinge in deinem Leben bist du am dankbarsten?

Ich bin dankbar für meine Freiheit, meine Gesundheit und natürlich die Liebe.

 

 

Zeitreisen – ein spannendes Mysterium. Bei welchem historischen Ereignis wärst du gern dabei gewesen und warum?

Ich würde gerne durch die Zeit reisen, um mit meinen Lieblingsschriftstellern zu sprechen. Gerade moderne Klassiker haben mich als Mensch sehr geprägt.

Wen würdest du dabei gerne treffen?

Zum Beispiel würde ich unheimlich gerne Hermann Hesse und Franz Kafka treffen. Oder Anna Seghers, um sie zu fragen, ob sie immer noch an das „Unangreifbare“ im Menschen glaubt, wie sie es im Siebten Kreuz beschreibt.

 

 

Über welches Thema könntest du eine 30-minütige Präsentation halten, ohne jede Vorbereitung?

Über den Leistungszwang und wie er uns Menschen die Freude nimmt.

Ein sehr anspruchsvolles, aber durchaus zeitgemäßes Thema …

Alternativ könnte ich auch darüber sprechen, wie man im Discounter den besten günstigen Rotwein findet oder die perfekte Lasagne hinbekommt. Alles faszinierend. 

Und jetzt habe ich Hunger! Dürfen wir zum Essen bleiben?

 

Was würdest du rückwirkend ändern, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?

Ich würde mich nicht in das Leben anderer Menschen einmischen, nicht einmal rückwirkend. Man weiß nie, welch größeres Übel sich daraus ergeben könnte.

Und wenn wir das nur auf dich beziehen? Also wenn du in deinem Leben etwas ändern könntest?

Ich glaube, ich würde mich mit mir selbst treffen und meinem früheren Ich sagen, dass es nicht alles so verbissen sehen soll. Es ist gut, für die Sachen zu kämpfen, die man will, aber das Leben nimmt manchmal Umwege und das ist nicht schlimm. 

 

 

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Für die Gesellschaft wünsche ich mir, dass wir alle verstehen, dass Kultur kein All-you-can-eat-Buffet ist und wir die Dinge mehr wertschätzen müssen, die wir täglich konsumieren. Für mich persönlich wünsche ich mir weiterhin die Freiheit, ein Leben zu leben, wie ich es möchte und nicht wie irgendjemand es von mir erwartet.

Vielen Dank, liebe Bella Bender, dass du dir die Zeit genommen hast, mich zu treffen und mir all meine Fragen zu beantworten. Es war wirklich toll und ich hoffe, wir haben vielleicht mal wieder die Chance. Deiner Anthologie wünsche ich für den weiteren Wettbewerb viel Erfolg.

 

Mehr über Bella Bender und ihre Bücher erfahrt ihr auf:

 

Skoutz-Lesetipp:

Tinte in Wasser – Kurzgeschichtensammlung von Bella Bender

Sie lügen, sinnen auf Rache, sind nostalgisch oder ängstlich: Was sie verbindet, ist das Gefühl, sich selbst zu verlieren. „Tinte in Wasser“ porträtiert in fünf Erzählungen Hoffnung, Wahnsinn, sowie das menschliche Scheitern und hält die Suche seiner Protagonisten nach der eigenen Identität zwischen vielen Zerrbildern und Täuschungen fest.

Skoutz meint: Mit ihrer Geschichtensammlung ermöglicht Bella Bendern ihren Lesern einen spannenden Einblick in die Gedankenwelt ihrer Protagonisten. Zweifel, Ängste, Verletzlichkeiten, aber auch Liebe und Glück – all diese Aspekte werden in den unterschiedlichen Stories beleuchtet und hinterfragt. Mit ihrer dichten, teilweise poetisch anmutenden Sprache unterhält sie uns nicht nur, sondern lässt uns reflektieren und manches aus einer anderen Perspektive entdecken. Ein grandioses Debüt, das Lust auf mehr macht. 

 

 

Hinweis:

artgerechte Haltung von Gedanken - Bella BinderImmer wieder gibt es Titel, die allein schon eine Geschichte erzählen. Hier ist der Titel die Einleitung zu 14 weiteren Geschichten übers Träumen und Sinnieren, zum Nachdenken und über das Nachdenken und die unglaubliche Macht, die der Zufall hat …
Keineswegs zufällig also ist “Die artgerechte Haltung von Gedanken” von Bella Bender aus über 200 Titeln der Longlist Anthologie von unserer Vorjahresgewinnerin Miriam Schäfer auf die Midlist Anthologie 2020 gewählt worden. Und nun wollen wir sehen, ob sich das Mai 2019 bei periplaneta erschienene Buch im weiteren Wettbewerb gegen die starke Konkurrenz durchsetzen kann. Denkbar jedenfalls wäre es, dass Bella Benders Buch sich den Anthologie-Skoutz 2020 schnappt.

Mehr Informationen findet ihr wie immer in der ausführlichen Buchvorstellung. (Weiterlesen)

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