Skoutz-Classics: Die göttliche Komödie von Dante Alighieri
Wer hat noch nicht von der Göttlichen Komödie gehört, dem zentralen Werk der italienischen Literatur und einem der absoluten A-Promis in jedem Buchregal?
„Dieses Werk behält seinen Ruhm, weil niemand es liest, und niemand es jemals lesen wird.“
Voltaires Urteil ist nicht ganz unberechtigt. Tatsächlich sprechen viel mehr Menschen über dieses Werk, als es tatsächlich (ganz) gelesen haben. Und dennoch beeinflusst Dante Alighieris unfreiwillige Reise durch Hölle, Fegefeuer und Himmel seit sage und schreibe 700 Jahren unzählige Autoren und Literaten.
Bei Skoutz-Classics haben wir uns dieses Werk deshalb einmal genauer vorgenommen.
Um die göttliche Komödie zu verstehen, muss man sich vielleicht als erstes vor Augen führen, in welcher Situation Dante sie geschrieben hat. Nach einem langen Leben als geachteter Philosoph und Politiker befand er sich in unsicheren Zeiten im Exil und sah sein Lebensende näher rücken. Zeit für eine Besinnung und die Suche nach den großen Fragen des Lebens und eine Abrechnung mit seiner Zeit. Darum zählen wir die göttliche Komödie auch zu Contemporary, also (zu ihrer Zeit) zeitgenössischer Literatur.
Herausgekommen ist jedenfalls Weltliteratur.
Um was geht’s in der göttlichen Komödie?
Dante schreibt – in der damaligen Zeit unerhört – aus der Ich-Perspektive und schildert, wie in der Nacht vor dem Karfreitag des Jubeljahres 1300, verfolgt von wilden Tieren, durch einen dichten Wald irrt. Er nennt Leopard, Löwe und Wolf, die symbolisch für die menschlichen Schwächen Wollust, Hochmut und Habgier stehen, auch politisch für Gegner Dantes (als deren Wappentiere).
In höchster Not erscheint Dante im Auftrag seiner früh verstorbenen Geliebten der von Dante sehr verehrte römische Dichter Vergil. Der verspricht ihm – als Personifikation menschlicher Weisheit – Rettung. Um sich zu befreien, muss Dante Hölle, Fegefeuer und Paradies durchschreiten, die er uns dem damals üblichen Ptolemäischen Weltbild beschreibt.
Was wie als abgefahrener Drogenrausch beginnt, führt den Leser direkt zum Höllentor. Dessen Inschrift mit ihrem letzten Satz bis heute ein bekanntes Zitat ist:
Ich führe Dich zur Stadt der Qualerkornen,
x Ich führe dich zum wandellosen Leid,
Ich führe dich zum Volke der Verlorenen.Ihn, der mich schuf, bewog Gerechtigkeit,
Mich gründete die Macht des Unsichtbaren,
Die erste Liebe und Allwissenheit.Geschöpfe gibt es nicht, die vor mir waren,
Als ewige – und ewig daur‘ auch ich.
Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.
Die Reise durch die Hölle
Vergil begleitet Dante durch den Vorhof der Hölle und ihre neun, im Erdinneren trichterförmig nach unten führenden Kreise. Je tiefer man sinkt, desto kleiner ist die Hölle, und umso komprimierter die Qual. Im Vorhof drängt sich das Jammervolk, das nie recht lebend war und das in seiner Gleichgültigkeit gegen alles außer sich weder Himmel noch Hölle haben wollen.
Das klingt doch ziemlich modern, oder?
Jenseits des der griechischen Mythologie entlehnten Acheron beginnt die eigentliche Hölle. Dort drängen sich zuerst diejenigen, die sich nichts anderes zuschulden kommen ließen als ihr Heidentum. Danach kommen jene die aus Liebe zu Sündern wurden. Beide Bereiche sind prominent besetzt: Die Helden und Weisen des Altertums, Kleopatra, Tristan, Helena und Achill … Aber durchaus auch Prominenz aus Dantes eigener Zeit.
Weiter geht es durch die Bereiche für Habgier und Geiz bis zu einem großen Sumpf, in dem sich die zornigen gegenseitig zerfleischen. In der brennenden Stadt Dis dahinter leben die aktiv Bösen, die echten Antagonisten wie Ketzer, Mörder und Betrüger. Wenig verwunderlich ist dieser Bereich hochkarätig besetzt mit Kaiser Friedrich II oder Papst Anastasius II. Im siebten und achten Höllenkreis werden jene Seelen gequält, die es in ihren Schurkereien zu besonderer Profession gebracht haben. Die Art und Weise wie hier Dante wahnwitzige Strafen genau passend zum jeweiligen Laster ersinnt und mit großem Detailreichtum beschreibt, wird durchaus mit Berechtigung als Beginn des Horror-Romans angesehen.
Die Eishölle
Im neunten Kreis, der Eishölle, wo die Körper der blaugefrorenen Bruder- und Vatermörder liegen, findet die berühmte Ugolino-Szene statt. Sie ist definitiv auch unter heutigen Maßstäben noch Horrorliteratur für Hartgesottene:
Ugolino nimmt an dem verräterischen Erzbischof dei Abaldini, der ihn mit seinen Söhnen und Enkeln in einem Turm verhungern ließ, grausam Rache. Er beißt mit monströsen Zähnen in das Haupt des Priesters und zermalmt krachend den Schädel wie ein Hund einen Knochen. Doch auch die Geschichte vom Hungertod der Kinder ist minutiös geschildert. Wie der Sohn dem Vater die eigene Hand, das eigene Fleisch anbieten.
Dante beschwört einen monströsen Alptraum herauf, den Goethe selbst zum Höchsten der Dichtkunst gerechnet hat. Dann treffen Vergil und er im Zentrum der Hölle auf Satan. An dessen Zotteln klettern sie nach Überwindung des Erdmittelpunkts zum Fegefeuer (Purgatorium).
Dantes Reise durchs Purgatorium (Fegefeuer)
Der Begriff Fegefeuer ist unglücklich gewählt, denn Dante stellt sich das Purgatorium wie einen umgekehrten Trichter vor, einen ansteigenden Berg mit sieben Terrassen und einem Gipfel inmitten eines riesigen Sees. Am Fuß dieses Läuterungsbergs warten die Last-Minute-Reuigen, die erst in ihrer letzten Stunde Buße taten. Die Sünden, die Dante und Vergil auf den Terrassen begegnen ähneln denen der Hölle, doch die Stimmung ist dennoch heiter. Man erwartet schließlich Erlösung. Auch Dante begreift sich auf dem Weg nach oben als Mitbüßer. Mit dem Schweiß beim Aufstieg wäscht er seine Sünden fort, die ihm ein Engel an der Pforte auf die Stirn geschrieben hat. Unterwegs trifft er auch hier wieder auf Berühmtheiten. Mit ihnen spricht er über Italiens trauriges Schicksal als Schiff ohne Steuer oder die Vergänglichkeit des Ruhms.
Im strahlenden Licht des Morgens erreicht Dante schließlich geläutert das Paradies auf dem Gipfel des Läuterungsberges. Hieraus hatte Gott die Menschheit einst nach dem Sündenfall vertrieben. Hier verabschiedet sich Vergil, der als Heide nicht weiter gehen kann. Doch hier erwartet Dante schon seine Geliebte, die wunderschöne Beatrice, mit der Dante ein glückliches Wiedersehen feiert.
Das Paradies
Auch das Paradies ist in neun Sphären unterteilt. Durch diese schwebt Dante mit Beatrice und kommt damit Gott selbst immer näher. Über all dem befindet sich der Feuerhimmel, in dem in Unendlichkeit die Seelen flammen und alle völlig in Gott und dem All-Einen selig sind. Eine, wenn man überlegt, wann das geschrieben wird, erstaunlich moderne oder besser zeitlose Beobachtung.
Je höher sie steigen, desto mehr vergeistigt sich Beatrice, wird sphärischer als sie an den Sternen vorüber ziehen. Bis Dante schließlich geläutert an den Punkt gelangt, wo er mit Fürbitte der Himmelsbewohner ewige Klarheit und höchste Wonne erhalten soll. Dante sieht auf und erkennt frei von Sehnsucht und Wille, dass Liebe das Urkonzept Gottes ist.
Wie hat uns die göttliche Komödie gefallen?
Das ist eine schwierige Annäherung. „Gefallen“ trifft die Faszination des Werkes nicht. Dante selbst nannte sein Werk nur Komödie, weil es ein Gedicht ist, „in der Volkssprache abgefasst, das schlimm beginnt, aber gut endet“. Erst spätere Fans wie v.a. Giovanni Boccaccio fügten den Zusatz „göttlich“ hinzu, um das Werk zu loben.
Dantes Reise ist eine selbstkritische Abrechnung mit sich selbst und seiner Zeit. Die göttliche Komödie ist der Bericht eines Menschen in der Midlife Crisis, der mit anderen Metaphern bis heute von so ziemlich jedem die gleichen Themen behandeln würde. Und darin ist er ebenso gründlich wie Faust, der für Goethe ganz ähnliche Fragen zu bearbeiten hatte (vor allem im zweiten Teil).
Dante hat in seinem Reisebericht gekonnt das geballte Wissen aus Theologie, Philosophie und den anderen Wissenschaften seiner Zeit aufgegriffen. Er hat den Stoff adaptiert und zu einem eigenem, neuen, einzigartigen Werk verbunden. Das setzt ein Maß an Vorbildung voraus, bei dem sich die meisten strecken, und der Umstand, dass die Komödie gereimt ist, macht sie auch nicht leichter zu lesen.
Sprache und Aufbau
Seine Schilderung in der ersten Person ist nicht die eines Chronisten der eigenen Entwicklung, sondern erstmals (und auf lange Zeit einzig) eine echte Hauptfigur mit innerer und äußerer Empfindung und Reflexion. Er beschreibt, wie er sich kritisch mit Zeitgenossen und historischen Berühmtheiten auseinandersetzt und bietet dem Leser die Möglichkeit, jedenfalls gedanklich selbstbestimmt teilzunehmen und diese oder eben jene Position zu vertreten.
Dazu ist die göttliche Komödie in einer Sprache gefasst, die auch heute noch mit ihrer poetischen Schönheit überzeugt. Viel jüngere Texte klingen deutlich altmodischer.
Fazit
Die göttliche Komödie ist schwere Kost, keine Frage. Aber wer die Herausforderung annimmt und mit einem der klügsten und gelehrtesten Köpfe aller Zeiten in Dialog treten will, wird reich belohnt. Und zwar auch dann, wenn man sich auf den Anfang beschränkt und als armer Sünder Dante nicht bis ins hochvergeistigte Paradies folgt.
Wem verdanken wir die göttliche Komödie?
Über Dantes Leben wird viel geschrieben, aber sicher belegt ist herzlich wenig. Das meiste weiß man aus Erwähnungen in anderen Quellen oder eben aus den Werken Dantes selbst.
Dante wurde 1265 in Florenz geboren, wo man bis heute sein Geburtshaus besichtigen kann (sagen jedenfalls die Florentiner). Die Alighieris gehörten dem Stadtadel an und so war von vornherein klar, dass Dante zur Bildungselite gehörte und eine politische Laufbahn einschlagen würde. Die Amtszeit von Dante war geprägt von höchst kriegerisch ausgefochtenen Streitigkeiten zwischen den Anhängern von Papst und Kaiser. Als die Unruhen eskalierten und gegen Florenz im Sommer 1300 (dem Jahr, in dem auch die göttliche Komödie spielt) der Kirchenbann verhängt wurde, bekam auch Dante Schwierigkeiten, was dazu führte, dass er aller Ämter enthoben und 1302 aus Florenz verbannt wurde.
In der Folge zog Dante kreuz und quer durch Mittel- und Oberitalien, gastierte in Verona, Treviso und Ravenna. Da aus diesen Wanderjahren nur wenig bekannt ist, werben heute viele italienische Städte mit mehr oder weniger Berechtigung damit, von Dante besucht worden zu sein. Als 1312 der Streit zwischen König und Papst einigermaßen beigelegt wurde, hätte Dante nach Florenz zurückkehren können, wenn er eine Geldstrafe zahlen und öffentlich Abbitte leisten würde. Als Dante dies ablehnte, wurde er in Florenz zum Tode verurteilt, weshalb er nie in seine Heimatstadt zurückkehrte. Er erkrankte auf einer Reise nach Venedig im Jahr 1321, kurz nach Vollendung der göttlichen Komödie und verstarb kurz darauf in Ravenna, wo sich auch sein Grab befindet (das berühmte Grabmal in der Florentiner Kirche Santa Croce ist leer).
Was macht die göttliche Komödie zum Klassiker?
„Auf halbem Wege unseres Menschenlebens fand ich mich in einen finstern Wald verschlagen, weil ich vom rechten Weg mich abgewandt.“
Als Gesamtkunstwerk
Plastischer Horror
Überwältigend und bis dahin unbekannt war auch die krasse Realistik, mit der Dante seine Hölle beschreibt und die Qualen schildert, die den armen Sündern droht. Es ist, als hätte Hieronymos Bosch Dantes Inferno als Vorlage für seine verstörenden Gemälde genutzt. Für sich genommen sind die Schilderungen der inneren Hölle reinster Horror, der den Vergleich mit zeitgenössischen Folterfantasien nicht zu scheuen braucht.
Dante schuf unser bis heute geltendes Bild der Hölle.
Ätherische Liebe
Satire
Als Reiseroman
Weiterführende Informationen
Eine sehr ausführliche Beschreibung zu Dantes Leben bietet der entsprechende Wikipedia-Eintrag. Auch der göttlichen Komödie ist ein sehr umfassender Artikel gewidmet.
Interessante Details zur literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Dante und seinem Werk bietet die Dante-Gesellschaft auf ihrer Homepage.
Die Göttliche Komödie selbst findet man als gemeinfreies Werk kostenlos an verschiedenen Stellen im Netz.