zu Besuch bei: Martin S. Burkhardt
Selten hat mich die Lektüre eines Buchs so verstört wie die von „Auf Leben und Tod“, das mir von einem Anwaltskollegen empfohlen wurde. Da geht vielleicht ein kleines bisschen der Strafverteidiger mit mir durch, der mit Bestien, wie sie dort beschrieben werden, von Berufs wegen zu tun hat. Vielleicht ist es auch meine mehrfach erwähnte blühende Fantasie, die von Horrorbüchern höchst unerwünscht regelmäßig besonders motiviert wird, selbst zur Höchstform aufzulaufen. Oder der Zwiespalt, zwischen Fiktion und Wirklichkeit, in dem ich mich grfangen habe.
Ich bin deshalb sehr gespannt darauf, den geistigen Vater dieses Buchs, Martin S. Burkhardt, zu besuchen, den Demetria Cornfield jedenfalls völlig zu Recht für die Midlist Horror des Skoutz-Awards 2016 nominiert hat.
Doch lest selbst.
Zu Besuch bei Martin S. Burkhardt, bei dem abgründiger Horror einen Echolot benötigt
Was ist dein »Sprit« beim Schreiben, woher nimmst du deine Ideen?
Das ist es ja gerade. Da ich so massig „Spirits“ habe, kann ich so viele Geistergeschichten schreiben.
Wenn die vielen Spirits dein Sprit sind, solltest du einen Sprint einlegen, um sie alle unterzubringen. Okay, Kalaueralarm. Wie gehst du mit dem „massig“ um?
Nein, ernsthaft: Ideen kommen mir bei jeder Gelegenheit, wichtig ist nur, dass ich sie sofort stichwortartig notiere, sonst sind sie auch ebenso schnell wieder verschwunden.
Spirits eben. Geister…
Was würdest du tun, wenn du nicht mehr schreiben könntest?
Ich würde Schreiben unterrichten.
Cool. Das ist eine bisher noch nicht da gewesene Antwort. Und setzt damit irgendwie auch gleich auf Vervielfältigung der Burkhardt’schen Schreibe. Wie kommst du darauf?
Es macht unglaublich viel Spaß, ambitionierten Anfängern das „Handwerk Schreiben“ näherzubringen.
Zu welchen Anlässen hast du schon überlegt, mit dem Schreiben aufzuhören?
Da das Schreiben Teil meiner Persönlichkeit ist, habe ich noch nie überlegt, damit aufzuhören. Ich kann mir auch keinen Anlass vorstellen, der mich dazu bewegen könnte.
Ich weiß nicht, warum da bei einem Interview mit einem Horror-Autor sofort meine allerschwärzesten Plotbunnys loshoppeln wollen … Aber deine Leser (und deinen Verleger) wird es freuen.
Was war dein emotionalstes Erlebnis beim Schreiben?
Eindeutig, als mein Kater die Kaffeetasse auf dem Schreibtisch umschmiss, ich aus meinem Schreibfluss gerissen wurde, wie ein Wilder das Notebook hochriss und die externe Tastatur samt Maus auf meine Hündin fielen, die friedlich neben dem Tisch schlief …
Und wie ging das für Hund und Katz aus?
Die Hündin hat zum Glück ein dickes Fell. Und sie schlich danach eine halbe Stunde dem Kater hinterher, da sein Wuschel so spannend nach Milchkaffee roch.
Ah, dem entnehme ich, dass der Text und die Technik gerettet wurden. Sonst wäre es für den Kater wohl übel ausgegangen. Es sei denn, du bist deutlich friedfertiger als ich es in dieser Situation wäre.
Wie viel Autobiografie steckt in deinen Geschichten?
Gar keine. Zum Glück. Sonst wäre ich gemeingefährlich!
Das beruhigt mich zu hören. Wobei ich mir bei euch so harmlos wirkenden Horror-Autoren schon immer die Frage stelle, wie ihr auf den kranken Scheiß kommt (wie Fred Ink es ausdrückt), den ihr so niederschreibt. Da Fantasien auf Erfahrungen basieren und Erfahrungen auch abstrakt irgendwo, irgendwie, irgendwann gemacht werden müssen … *räusper*
Was wäre das größte Kompliment, das man dir als Autor machen kann?
„Ich habe Dein Buch innerhalb weniger Tage durchgelesen und es hat mich prima unterhalten!“
Ich würde deine Bücher sehr schnell lesen und mich danach sehr lange prima darüber unterhalten. Wahrscheinlich mit meinem Therapeuten. Hab ich schon gesagt, dass ich sehr leicht zu beeindrucken bin? Speziell bei Horror? Im Ernst, deine Bücher würde ich mich allein nicht lesen trauen – obwohl ich tierisch neugierig wäre…
Wer ist für dich dein idealer Leser?
Alle Leute, die Freude daran haben, sich zu gruseln.
Grusel? Grusel ist doch die kleine Schwester vom Horror. Ich finde „Ausradiert“ oder auch dein Neues, „Auf Leben und Tod“ sind Bücher, die mit Panik und Existenzängsten spielen, mit psychologischen Abgründen, bei denen du erst aufzeigst, wie sautief es da runter geht. Quasi als Horror-Echolot.
Bei welchem deiner Protagonisten würdest du den Beziehungsstatus mit dir als »schwierig« bezeichnen?
Die Monster in meinen Romanen sind auf alle Fälle leichter zu kontrollieren als die menschlichen Protagonisten …
Interessanter Ansatz, den ich so nicht erwartet hätte. Liegt das daran, dass die Monster komplett erschaffen und daher der Plotlogik leichter zuzuordnen sind oder daran, dass du dich in sie besser hineinversetzen kannst???
Und zum Schluss: auf welche Frage in einem Autoreninterview möchtest du einfach nur mit »Ja« antworten?
„Findest Du nicht auch, dass Deine Horrorkreaturen wieder verdammt blutrünstig geworden sind?“
Wenn es nur blutrünstig wäre… die psychologische Tiefe schafft mich. Aber ich werde dir nicht widersprechen. Lieber Martin, vielen Dank für das Interview und viel Glück für den weiteren Wettbewerb. In Sachen Schlafraub wärst du mein absoluter Favorit.
Hier könnt ihr Martin S. Burkhardt treffen:
Martin S. Burkhardt auf Facebook
Autorenhomepage von Martin S. Burkhardt
Skoutz Lesetipp: Auf Leben und Tod – Psychohorror von Martin S. Burkhardt
In einem der spektakulärsten Entführungsfälle der USA hielt Phillip Garrido ein Mädchen 18 Jahre lang gefangen. Während dieser Zeit missbrauchte der Entführer Jaycee Lee Dugard und zeugte mit ihr zwei Kinder. Natascha Kampusch war das Opfer der längsten Freiheitsentziehungen der neueren Geschichte Österreichs. Die damals zehnjährige Österreicherin wurde 1998 vom Nachrichtentechniker Wolfgang Priklopil in Wien entführt und länger als acht Jahre in seinem Haus gefangen gehalten.
Wenn man eine Person ohne Probleme über viele Jahre gefangen halten kann, dann muss das auch für mehrere Personen gelten. Vorausgesetzt, man hat entsprechende Räumlichkeiten zur Verfügung und ist besessen von diesem Gedanken.
Henry, ein gewalttätiger, kaputter Mann, besitzt geeignete Räume. Er fängt Frauen und Männer ein und zwingt sie in seinen unterirdischen Katakomben zum Sex.
Eine neue Generation wächst heran, die das Tageslicht niemals gesehen hat. Bereits von klein auf müssen die Kinder lernen, sich zu behaupten. Henry ist ein Fan von brutalen Ultimate-Kämpfen und möchte diese Kämpfe zum Mittelpunkt seines unterirdischen Reiches machen.
Aus den Kindern werden im Laufe der Jahre Jugendliche. »Einfache« Kämpfe reichen Henry nicht mehr aus. Von nun an geht es auf Leben und Tod.
Skoutz meint: Das Buch ist nichts für übermüdete Leser, schwache Mägen oder angegriffene Nerven. Neben den furios beschriebenen aber sehr brutalen Kampfszenen steckt das eigentliche Grauen in der Schilderung, wie aus einem klassischen Verliererkind ein Monster werden konnte, das seinesgleichen in Historie und Literatur sucht – und dabei irgendwie nachvollziehbar bleibt. Die Faszination des Abstoßenden haben wir zuletzt so bei Grenoille aus Süßkinds Parfüm erlebt – und das toppt Henry mühelos. Ein verstörendes, aber psychologisch sehr kluges Buch. Auch und gerade, weil es die Dynamik des Wahnsinns und die Wurzeln des Sadismus‘ untersucht und den Leser mit einem sehr zwiespältigen Gefühl der „Jederzeitigkeit“ zurücklässt.
Hinweis:
Aus über 100 vorgeschlagenen Titeln hat unsere Jurorin Demetria Cornfield Martins „Ausradiert“ in die Midlist Horror des Skoutz-Awards 2016 gewählt.
Dieser, im Luzifer Verlag erschienene Horrorroman, der genreverbindend mit den Themen Identitätsverlust und Wahnsinn spielt wurde von unserer unerschrockenen Redaktion in einem hellbeleuchteten Raum genau untersucht und ausführlich besprochen (weiterlesen).
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