Skoutz-Sprachlabor: Leichte Sprache – für wen?

Immer wieder wird gerade in buchaffinen Foren über Mindeststandards bei Texten diskutiert.Und das führt irgendwie auch zu den an einen Leser zu stellenden Ansprüchen. Klar, Lesen und Schreiben bedingen einander. Irgendwie.
Und irgendwie auch nicht.

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  • Wie lang darf ein Text (Post, Blogbeitrag oder auch Buch) sein?
  • Wie lang dürfen die dort enthaltenen Sätze sein?
  • Und wie steht es mit Fremdworten, seltenen Worten, alten Begriffen?

Dabei geht es jenseits der T9-Sprachfaulheit immer öfter um die sogenannte „Leichte Sprache“. Nein, damit ist nicht gefragt, ob z. B. Deutsch oder Englisch einfacher sind. Gemeint ist, welchen Anspruch ein Autor heute noch an seine Leser stellen darf. Aber eigentlich ist es ein Fachbegriff, der hier unreflektiert aufgegriffen wird und eigentlich etwas ganz anderes meint.

Wir haben uns das mal genauer angesehen:

 

Was ist Leichte Sprache eigentlich wirklich?

Leichte Sprache ist eine sehr leicht verständliche Sprache.
Man kann sie sprechen und schreiben.
Leichte Sprache ist vor allem für Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.
Aber auch für andere Menschen.
Zum Beispiel für Menschen, die nur wenig Deutsch können.
Oder schlecht lesen können.

Das Ziel von Leichter Sprache ist:
Alle Menschen sollen alles verstehen!
Alle Menschen sollen überall mitmachen können.

So erklärt es das Netzwerk Leichte Sprache e. V.  In diesem 2006 gegründeten Verein arbeiten Prüfer, Übersetzer und andere Interessierte daran, eine möglichst einfache Sprache zu entwickeln. Für diese „Leichte Sprache“ (mit großem „L“ weil es ein feststehender Begriff ist), gibt es feste Regeln, die unter Einbeziehung von Menschen mit Lern-Schwierigkeiten entwickelt wurden. Auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eigens einen Ratgeber herausgegeben, der es Behördenmitarbeitern leichter machen soll, Texte in Leichter Sprache zu schreiben. Dies wird inzwischen zumindest für Behörden auch gesetzlich gefordert, § 11 BGG (Behindertengleichstellungsgesetz).

Leichte Sprache folgt exakten Regeln, die für eine Auszeichnung mit dem Logo, diesen genau entsprechen müssen und danach auch geprüft werden. Wir haben die Regeln auszugsweise zusammengefasst (weiterlesen).

Leichte Sprache ist schwer zu schreiben:

Wir haben von Leichter Sprache gehört.
Das wollten wir genauer wissen.
Darum haben wir nachgeforscht.
Und etwas herausgefunden.
Davon erzählen wir euch jetzt.
Dann könnt ihr etwas lernen.

Leichte Sprache ist ganz leicht zu lesen.
Das ist gut. So können ihn auch Menschen mit Lern-Schwierigkeiten lesen.
Oder Menschen mit Lese-Schwierigkeiten.
Oder Menschen, die schlecht Deutsch sprechen.
Aber andere Menschen natürlich auch.

 

Wollen wir Leichte Sprache?

Ja und nein.

Wir haben gesehen, Leichte Sprache ist ein schriftliches Kommunikationssystem mit eigenen Regeln, eigenen Übersetzern, eigenem Schrifttum. Eine ganz eigene Sprachwelt, die sich gerade mit beachtlichem Tempo neben der bekannten Welt der „schweren Sprache“ etabliert. Als Spezialsprache verlässt sie inzwischen die Sphäre der Barrierefreiheit, und gelegentlich wünschen sie auch schon Leute ohne erkennbare Sprach- oder Leseprobleme.

Ja!

Wir sind eine Nation von Lesern. Es ist wichtig, hier auch die Leseschwachen nicht auszugrenzen. Tatsächlich ist der Gedanke, dass man endlich seine Steuererklärungsgebrauchsanleitung auch versteht, sehr charmant. Oder ein Regelwerk, das endlich nachvollziehbar erläutert, wie die Abseitsregel funktioniert. Oder eine Bedienungsanleitung, die man beim ersten Lesen versteht. Für Gebrauchstexte, die nicht schön, sondern zuallererst verständlich sein sollen, ist das also tatsächlich eine Überlegung wert.

Für Texteschreiber ist es in jedem Fall eine gute Übung, denn tatsächlich muss man beim Schreiben plötzlich viel präziser sein, weil man sich nicht in Wortmalereien und grammatikalische Ausflüchte retten kann. Weil man sich festlegen muss, was eigentlich der zentrale Punkt der Aussage ist. Fragen, wie

  • Was ist die Kernaussage des Textes oder auch eines einzelnen Satzes?
  • Gibt es ein leichteres Wort?
  • Kann ich den Satz kürzer schreiben?
  • Wie kann ich Fremdwörter vermeiden?
  • Wo kann ich Verben benutzen?

sind durchaus geeignet, jeden Text zu verbessern. Es ist eine echte Herausforderung, bei Wörtern ihre eigentliche Bedeutung freizulegen und mit Satzstrukturen auf der Suche nach Klarheit und einfacher Strukur zu ringen. Aber ist es nicht das, was eigentlich den sportlichen Reiz am Texten ausmacht?

Dennoch wird Leichte Sprache oft für primitiv oder manipulativ gehalten.Das ist so nicht richtig. Primitiv ist sie sicher nicht. Denn es erfordert viel mehr Überlegung, sich auf eine so einfache Grundaussage festzulegen, als einfach in Fachchinesisch herunterzuschreiben, was man selbst nur so halb verstanden hat. Oder gar nicht genau überlegt, was man eigentlich gerade sagen will. Leichte Sprache führt also zu überlegterer Sprache. Auch der Manipulationsvorwurf ist zu entkräften. Denn wenn man präzise sagt, was man selbst meint, oder worauf es im Kontext gerade ankommt, ist man zwar vielleicht einseitig in der Darstellung. Aber man kann unter diesem konkreten Aspekt unmittelbar beim Lesen sofort zustimmen oder widersprechen. Leichte Sprache ist bei genauerer Betrachtung der natürliche Feind politisch korrekter Gesinnungsneutralisierungsvokabeln.

Nein!

Allerdings – und da kommt jetzt das Nein – ist Leichte Sprache in ihrer Reduziertheit eher brachial. Sie ist brutal einfach. Eine Axt, wo ein Skalpell mehr Freude macht. Sie hat keinen Platz für Zwischentöne, Wortspiele, Ironie und Satire. Redewendungen und eine bildhafte Sprache sind nicht vorgesehen. Die Leseeule und der Bücherwurm würden allzu leicht für Papier verdauende Tierarten gehalten werden und darum schreibt man dann eben gleich „Leser“. Tatsächlich ist Humor, noch dazu feiner, in Leichter Sprache nur sehr schwer auszudrücken.

Im Kontext wertvolle und im normalen Sprachgebrauch auch zwingend verlangte grammatikalische Figuren wie Konkuntiv, Passiv oder Genitiv sind in Leichter Sprache mindestens zu vermeiden, wenn nicht gar verboten. Auf sie zu verzichten, wäre aber sehr schade. Der Einsatz von Sprache stimuliert in erheblichem Maße unsere Denkleistung, prägt unser emotionales Erleben und ermöglicht ein feinabgestuftes Miteinander. Denn auch wenn Leichte Sprache und politicall correctness sich nicht wirklich vertragen, hat natürlich auch eine rücksichtsvolle, bewusst nicht konfrontative Wortwahl ihre Berechtigung.

Oder besser „nur“ einfache Sprache?

Einfache Sprache ist das, was meist gemeint wird, wenn man in Autoren- und Leserkreisen von leichter Sprache spricht. Unter einfacher Sprache versteht man im Gegensatz zur Standardsprache oder Fachsprache einen betont klaren und deutlichen Sprachstil. Hier geht es anders als bei der Leichten Sprache nicht darum, Leseschwierigkeiten zu umgehen oder bildungsferne Gruppen nicht auszugrenzen. Es geht vielmehr um Frage, die Verlage natürlich mit Blick auf die Verkaufszahlen beschäftigt, wie Texte an die Lesekompetenz breiter Bevölkerungsschichten anzupassen sind.

Es gibt bei der einfachen Sprache noch keine klaren Regeln (wohl aber entsprechende Bemühungen, zumindest im Bereich der Wissenschaft). Die Anforderungen sind aber schon ziemlich konkret (weiterlesen).

Mit kurzen Sätzen, einfachen Satzkonstruktionen, vereinfachter Grammatik und schlichten Wörtern soll Deutsch einfacher werden. Das soll die Freude am Lesen erhöhen, indem ein einfacher Zugang zu literarischen Texten und Gebrauchsliteratur eröffnet werden. Den Zahlen zufolge, die im Netz zu finden sind, ist das tatsächlich dringend nötig.

Lesefähigkeiten und einfache Sprache

Nach den Ergebnissen der PISA-Studien für Deutschland haben 18,5 % der 15-jährigen keine ausreichenden Lesefähigkeiten und nur 7,6 % der Schülerinnen und Schüler können sehr gut lesen. Bei den Erwachsenen sieht es auch nicht besser aus: „Fehlerhaftes Schreiben trotz gebräuchlichen Wortschatzes zeigt sich bei […] fünfundzwanzig Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung.“ (Quelle: Level One Studie von 2011).

Allerdings stellt man sich bei solchen Forderungen unweigerlich die Frage, ob es wirklich sinnvoll ist, diesen Bildungsdefiziten nachzugeben. Es wurde noch nie soviel gelesen wie in dieser Zeit (Facebook und Whatsapp sei Dank!). Sollten wir dann nicht die Fähigkeit, auch schwierige(re) Texte zu verstehen, besonders üben? Wenn wir dem Bedürfnis nach Vereinfachung nachgehen, wie lange dauert es, bis die neue Generation eine neue „einfache Sprache“ benötigt? Leichter vielleicht als heute die Leichte Sprache?

Der Gedanke ist … nicht schön. Und darum …

 Ja und Nein!

Wir wollen alles. Nebeneinander. Je nach Bedarf. Es ist wie mit der Artenvielfalt und den Segnungen von Standards. Beides mit Verstand. Wir wollen in sensiblen Bereichen vorsichtige Formulierungen und dort, wo es um die Übermittlung von – noch dazu komplizierten Dingen geht – Leichte Sprache.  Wir wünschen uns, dass Sprache in ihrer Artenvielfalt erhalten, geschätzt und gefördert wird. Zum Beispiel, dass wir uns – und möglichst vielen anderen – die Freude an der Vokabelvielfalt erhalten, an Bedeutungsnuancen, facettenreichen Wortspielen, feinsinnige Doppelbödigkeiten und kreative Wortneuschöpfungen. Dass man in ihrer Komplexität auch manchmal noch Mühe auf Futur II oder verschränkte Konjunktive verwendet und die dahinter stehende sprachliche Eleganz zu schätzen lernt. Dass man daneben aber auch Gebrauchstexte des Alltags so bereitstellt, dass man sie möglichst einfach verstehen kann. In Leichter Sprache etwa, frei von Fachchinesisch und Beamtensprech.

 

Weitere Links zum Thema Leichte Sprache

  • Zum Beispiel Fußball-Regeln*.
  • Hier gibt es eine kurze Geschichte* in leichter Sprache.
  • Auf der Suche nach einfachen Wörtern wird man bei Hurraki* – Wörterbuch für Leichte Sprache fündig.

 

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