Skoutz-Classics – Das Schloss von Otranto – die 1. Gothic Novel von Horace Walpole

Das Schloss von Otranto (The Castle of Otrato) ist ein Kurzroman aus dem Jahr 1764. Der englische Autor und Politiker Horace Walpole gilt damit als einer der Begründer der Gothic Novel oder des Schauerromans, die ihrerseits eine Frühform des Horrors war und auch den Kriminalroman maßgeblich beeinflusst hat.

In das Schloss von Otranto erzählt Walpole die Geschichte eines sich in dynastische Zuchtpläne verlierenden Patriarchen, der über der Sicherstellung des Fortbestands seiner Familie, die Menschen selbst vergisst. Als sein Sohn unter mysteriösen Umständen ums Leben kommt spinnt er einen ebenso raffinierten wie verderblichen Plan um mit dessen Braut ein Kind zu zeugen …
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Um was geht es in das Schloss von Otranto?

Apulien, Italien, irgendwann im 12. Jahrhundert, die Zeit der Kreuzzüge. Schlossherr Manfred ist besorgt, denn das Schloss von Otranto wird einer alten Prophezeiung nur dann im Besitz seiner Familie bleiben, wenn vor der Rückkehr des rechtmäßigen Besitzers des Schlosses ein männlicher Erbe geboren wird. Um der Strafe für eine Generationen zurückliegenden unrechtmäßigen Aneignung zu entgehen, wird die Zeit knapp.

Leider ist Manfreds Sohn, der kränkliche Conrad, nicht gerade das, was man heute einen Womanizer nennen würde. Also lässt er kurzerhand die aus einer strategisch geeigneten Familie entstammende Isabella anliefern, um sie mit Conrad zu vermählen. Doch am Tag der Hochzeit wird Conrad von einem aus ungeklärter Ursache herabstürzenden Eisenhelm erschlagen. Manfred beschließt kurzerhand, dann eben Isabella selbst zu heiraten, um mit ihr den benötigten Nachfolger zu zeugen.

Isabella ist von diesem Vorschlag, gelinde gesagt, entsetzt. Sie versucht, mit Hilfe eines jungen Bauern durch ein unterirdisches Labyrinth aus dem Schloss zu fliehen. Währenddessen überschlagen sich im Schloss die mysteriösen Ereignisse. Dinge fallen zu Boden, Rüstungen wandeln scheppernd durch die Gänge und ein geheimnisvoller Ritter erscheint mit seinem Gefolge auf der Zugbrücke. Doch Manfred hat längst einen perfiden Plan gefasst …
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Wie hat uns das Schloss von Otranto gefallen?

Auch wenn man kein Kenner des Horror-Genres ist, bemerkt man schnell, dass wirklicher Horror für den modernen Leser ausbleibt. Schlossherr Manfred ist zwar zweifellos ein schwieriger Charakter, ein Tyrann und Choleriker an der Grenze zum Wahnsinn – aber allzu oft sind die Szenen eher unbeabsichtigt komisch als wirklich schauerlich. Dadurch, dass auf knapp 150 Seiten schon sehr viel passiert, wirkt die ganze Geschichte etwas gehetzt. Gerne hätte man die trotzdem plastisch und großartig in Szene gesetzten Ereignisse mit etwas mehr Ruhe wirken lassen, statt schon im nächsten Absatz weitergehetzt zu werden wie eine japanische Reisegruppe durch die Münchner Innenstadt.

Man kann das Buch gut lesen, es ist unterhaltsam. Manfred ist ein Antiheld, der auch nach über 200 Jahren noch faszinieren kann. Natürlich will man wissen, ob Isabella die Flucht gelingt und wie es mit dem verfluchten Schloss, seinen Eigentümern und seinem derzeitigen Herrn weitergeht.

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Was macht das Schloss von Otranto zum Klassiker?

„Gut lesbar“ ist nun nicht unbedingt ein Attribut, das ein Buch auszeichnet, gleich auf zwei unserer Classics-Listen erscheint. Was also hat Walpole mit seinem Erstlingswerk so richtig gemacht, dass es zum Klassiker wurde, den Genre- und Buchfreunde auch heute noch zumindest dem Namen nach kennen?
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Handwerkliche Brillanz

Walpole schrieb ein für seine Zeit sehr ungewöhnliches Buch- Es bricht mit der klassischen Erzählstruktur und der damals modernen naturalistischen Beschreibung der Ereignisse. Um dies für seine Leser akzeptabel zu machen, verlagerte er die Geschichte, die zu jeder anderen Zeit auch funktioniert hätte, in das „finstere Mittelalter“. Um ihr zusätzliche Authentizität zu verleihen, gab er im Vorwort an, das Original dieser Erzählung des italienischen Mönchs Onuphrio Muralto von Otranto sei 1529 in Neapel gedruckt worden und erst kürzlich, eher zufällig, in der Bibliothek einer alten katholischen Familie in Nordengland wieder aufgetaucht. Dort habe der vorgeblichen Übersetzer, William Marshal, das Buch gelesen und beschlossen, es für seine Landsleute zu übersetzen.

Dies versuchte Walpole auch schon im Titel auszudrücken. Dieser lautet etwas sperrig im Original: The Castle of Otranto, A Story. Translated by William Marshal, Gent. From the Original Italian of Onuphrio Muralto, Canon of the Church of St. Nicholas at Otranto.

Kontroverse zur Aufgabe der Literatur

Die Literaturszene lobte das Werk für seine brillante Übersetzung eines alten italienischen Textes, auch wenn der Stoff „schwierig“ sei. Ob man in aufgeklärten Zeiten einen derart von mittelalterlichem Aberglauben geprägten Stoff veröffentlichen müsse, wurde heftig diskutiert. Das spätere Spannungsfeld zwischen Naturalismus und Romantik wurde hier sozusagen erstmals abgesteckt.

Da die Diskussion immer weitere Kreise zog, bekannte sich Walpole schon in der zweiten Auflage zu seinem Werk, um es nun selbst verteidigen zu können. Der neue Stil der Literatur, in der man alles so schreiben solle, wie es tatsächlich sei, brächte „große Quellen der Phantasie“ zum versiegen.

Nachdem der Schock, dass es sich nicht um eine geniale Überarbeitung, sondern „bloß“ um einen fiktiven historischen Roman handelt, verflogen war, konnte das Schloss von Otranto gleichwohl begeistern. Neben die Forderung nach strenger Beobachtung durch die Naturalisten wie Voltaire eroberte Walpole in der Literatur für die Fantasie und das Recht zur Fiktion einen angemessenen Platz zurück. Damit bereitete er die ungemein einflussreichen Romantik den Weg und prägte nachhaltig die Literatur der kommenden Jahrzehnte.

Initialzündung für zwei neue Genres

Trotz unserer Vorbehalte in Bezug auf echten „Horror“ entwickelte Walpole in diesem Buch alle Elemente des Genres. Sie benutzen heute auch moderne Meister wir z.B. Stephen King. Sogar die Bezeichnung dieser Frühform verdanken wir diesem Buch. Ab seiner dritten Auflage titelte es nur noch „The Castle of Otranto – a Gothic Novel“.  Es ist daher auf unserer Liste der Horror-Klassiker unverzichtbar.

Neben der Wegbereitung für das Genre Horror ist auch die Wirkung für das Fach Crime nicht zu unterschätzen. Beiläufig zeigte Walpole, welche erzählerische Faszination von Verbrechen wie Entführung, Mord und Verschwörung ausgehen. Durch die Bedrohung Isabellas, die versucht, irgendwie Manfred zu entkommen, wird auch die Grundzutat des Thrillers definiert, wie er bis heute geschrieben und gelesen wird.

Das Schloss von Otranto sorgte auch dafür, dass ein ganzer Schwung von Erzählungen im Mittelalter angesiedelt wurden. Ihnen verdanken wir unser bis heute verschobenes Bild von dieser Epoche.

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Wem verdanken wir das Schloss von Otranto?

Horace Walpole von Joshua Reynolds (c) Wikipedia

Horace Walpole war der Sohn des ersten Premierministers von Großbritannien. Da sein Vater ein notorischer Schürzenjäger war, wuchst Walpole bei seiner quasi alleinerziehenden Mutter auf. Der Reichtum und der Einfluss seiner Familie ermöglichten Walpole ein sorgenfreies Leben in der Upper Class. Auch wenn sich die Gerüchte über seine Homosexualität mehrten.

Walpole gönnte sich ein luxuriöses Leben, zu dem auch der Bau eines von ihm entworfenen Schlosses an der Themse gehörte. Mit den weitläufigen Parkanlangen von „Strawberry Hill“ wurde Walpole zum Gründervater des berühmten englischen Landschaftsgartens. Sein berühmtes Essay über diese Gartenform ist bis heute in Fachkreisen maßgeblich.  Das von der Gotik inspirierte Schloss selbst wurde zum klassischen Beispiel der modern werdenden „Neogotik“ und diente ihm dann auch als Vorbild für das Schloss von Otranto. Wer will, kann das Schloss in der Nähe von London besichtigen.

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Das Projekt Gutenberg bietet die englische Originalfassung „The Castle of Otranto kostenlos zum Download an.

Eine deutsche Übersetzung kann man über unseren Affiliate-Link bei Amazon oder überall sonst im Buchhandel kaufen.

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