Serienkiller! Verlage schämt euch!
Die Entscheidung des Heyne-Verlags, die erfolgreiche Fantasy-Reihe Iskari von Kristen Ciccarelli, nicht fortzusetzen, führt bei den Fans zu Unmut. Doch deren Proteste wiegelt der Verlag mit dem Hinweis darauf ab, dass das Buch die Verkaufserwartungen enttäuscht hat und daher die Folgebände nicht mehr erscheinen. Bedauerlicherweise. Natürlich!
Und obwohl es viele, viele brave Verlage gibt, die so ein Verhalten so unerträglich wie ihre Leser finden, ist das leider kein Einzelfall. Im Gegenteil, es gehört in gewissen Kreisen schon fast zum guten Ton, an sich erfolgreiche Reihen spontan abzusetzen. Russisches Roulette für Leser sozusagen. Nervenkitzel der anderen Art. Diese Einstellung zur Serieneinstellung ist für viele Leser aber sehr ärgerlich und Anlass dieses Artikels.
[bctt tweet=“Serienkiller sind buchmarktschädlich!“ username=““]
Wir von Skoutz sind gegen Serienkiller und sehr dafür, dass Geschichten auch zu Ende erzählt werden.
Der Skoutz-Serienfriedhof ist jedenfalls deprimierend groß. Eine Hall of Shame für viele Verlage!
Darum haben wir uns dazu ein paar Gedanken gemacht. Wir gehen im folgenden vor allem auf Serien ein. Das sind Bücher, die eine Geschichte (ggf. mit Cliffhangern) über mehrere Bände hinweg erzählen und in einer bestimmten Reihenfolge gelesen werden müssen. Bei Reihen, die nur lose miteinander verbunden sind und deren Bände auch in falscher Reihenfolge oder einzeln gelesen werden können, ist das nicht ganz so tragisch.
Serienkiller – warum werden so viele Reihen eigentlich abgebrochen?
Wenn man nachbohrt und recherchiert, gibt es dafür natürlich viele Gründe. Aber wie gut sind die wirklich?
Wirtschaftliche Betrachtungsweise
Ein Verlag ist ein Unternehmen, das wirtschaftlich arbeiten muss, wenn es überleben will. Dazu gehört selbstverständlich auch, unwirtschaftliche Projekte zu beenden, obwohl das im Einzelfall schmerzlich ist. Die Kosten für einen internationalen Titel sind beträchtlich, bevor der erste Euro in die Kasse fließt:
- Lizenz. Speziell im angloamerikanischen Markt werden Lizenzen, als die Rechte an einem Buch über Agenten versteigert. Wieviel diese Lizenzen kosten, hängt ganz vom Bekanntheitsgrad des Autors und des Werkes ab.
- Übersetzung. Wenn ein Buch übersetzt werden soll, entstehen bei seriöser Fertigung zwei zusätzliche Arbeitsgänge, nämlich die Übersetzung und das Übersetzungslektorat, das nicht mit dem eigentlichen inhaltsbezogenen Lektorat zu verwechseln ist. Dabei kostet eine Seite ungefähr zwischen 10,00 und 30,00 €, wobei die 10,00 € schon Dumping sind.
- Lektorat und Korrektorat kosten ebenfalls, unter 3,50 – 5,00 € Seite bekommt man keine seriöse Leistung, tendenziell eher teurer, wenn der Abgleich mit einem fremdsprachigen Original zu erfolgen hat.
- Weiter geht es mit Buchsatz (Formatierung in verschiedene Ausgabeformate, E-Books, Prints, etc.) und dem Cover.
- Druckkosten. Große Verlage drucken nicht „on Demand“, also auf Abruf, sondern entscheiden sich für eine Vorab-Auflage. Das hat den Vorteil, dass die Gewinnmarge pro Buch höher und die Druckqualität in der Regel deutlich besser sind. Damit steigt aber auch das Risiko. So entstehen Zusatzkosten wie Lagerung, Auslieferung und Händlergebühren.
- Marketing. Sichtbarkeit ist das A und O für den Bucherfolg. Also investiert der Verlag zusätzlich in Promotions, Gewinnspiele, Anzeigen oder auch für Product Placement in den Buchhandlungen.
Das bedeutet, dass ein Buch durchaus einige Male über den Ladentisch gehen muss, bevor es für den Verlag Gewinn abwirft. Hinzu kommt, dass der florierende Gebrauchtbuchmarkt und leider auch die Piraten-Börsen für E-Books die Margen spürbar mindern.
Es ist verständlich, wenn ein Verlag dann entscheidet, eine Serie nicht fortzusetzen, weil das finanzielle Risiko zu hoch wird. Dies liegt auch daran, weil in der Regel Band 1 am besten läuft, während die Fortsetzungsbände meist nicht dessen Verkaufszahlen erreichen. Andererseits ist zum Beispiel bei Harry Potter der Hype erst mit Band 4 so richtig losgebrochen.
Public Relations
Nun kann man das auch anders sehen, denn Werbung und Image kosten Geld. Dazu gehören nicht nur funkelnde Stände, die halbe Hallen auf den großen Buchmessen belegen, oder Hochglanzbroschüren, die in den Buchhandlungen ausliegen und auf Neuerscheinungen hinweisen, während sich der Großteil eh längst übers Internet informiert.
Dazu gehört auch und vor allem ein respektvoller Umgang mit den Kunden, die den ganzen Pomp finanzieren. Denn was genau passiert, wenn ein großer Verlag eine Serie einstellt, nicht weil sie Verlust macht, sondern weil sie nicht genug Gewinn abwirft? Er sagt seinen Lesern etwas verklausuliert, damit man es nicht gleich spannt:
Selbst schuld, hättet ihr mal mehr und schneller kaufen sollen.
Ein Unternehmen sollte in der Öffentlichkeit auf zwei Dinge achten (das ist jetzt wirklich unterste PR-Schublade, Grundschulwissen sozusagen): auf Qualität und Zuverlässigkeit.
Dazu gehört, dass man, wenn man etwas anfängt, es auch zu Ende bringt, und zwar auch, wenn es für einen persönlich schlechter als erwartet läuft. Wem Serien zu riskant sind, weil man dann evtl. mit den Fortsetzungen in den Verlust läuft, muss ja keine auflegen. So einfach ist das.
Aaaaaaber, wenn so eine Serie läuft, ist sie natürlich leicht verdientes Geld, weil man auf eine am Markt eingeführte Marke setzen kann. Darum versucht man es halt doch. Das nennt man unternehmerisches Risiko – dem höheren Gewinnpotential steht ein höheres Risiko gegenüber.
Schieflage bekommt es, wenn man anfängt, auf Kosten der Leser mal Band 1 der Serie rauszugeben. Der kostet für sich nicht mehr als ein Einzelband und dann mal entspannt weitersieht. Das ist frech. Das ist nicht seriös.
Wer einem Leser Band 1 von 3 verkaufen will, garantiert implizit, dass die Serie veröffentlicht wird. Das ist eine „Conditio sine qua non“, eine Bedingung, ohne die der Leser das Buch nicht gekauft hätte. Lassen wir mal an dieser Stelle beiseite, ob ein solcher Art ge- oder jedenfalls enttäuschter Leser dann vom Kauf von Band 1 zurücktreten und sein Geld zurückverlangen könnte. Es ist jedenfalls keine vertrauensbildende Maßnahme, so mit seinen Kunden und den selbst geschürten Erwartungen und Begehrlichkeiten umzugehen.
Warum sind die Verlage Serienkiller?
Tatsächlich gibt es im Marketing wenig Ungeschickteres, als Kundenerwartungen gezielt zu enttäuschen. Dass die Buchwelt das anders sieht, hat verschiedene Gründe.
Historische Gründe:
Verlage mussten sich seit Gutenberg nicht mit dem lästigen Endkunden auseinandersetzen, sondern umgarnten stattdessen die Buchhändler. Denn der Leser am Ende der Buchnahrungskette, musste ja vor Internet und Amazon buchstäblich an Lesefutter nehmen, was auf den (Laden)Tisch kam. Von anderen Büchern erfuhr man gar nicht.
Obwohl das Internet ja nun nicht mehr wirklich Neuland ist, ist das die einzige Erklärung, warum sich die Buchwelt so aufführt und Verhaltensweisen zeigt, die sich keine andere Branche leisten könnte. Außer die Politik vielleicht, aber das ist ein anderes Thema.
Fokussierung auf den Zwischenhandel:
Tatsächlich sind vielen Verlagen die Leser egal. Die Hochglanzstände sind auch dazu da, dass sich Businesskontakte wohl fühlen. Die Leser an den Publikumstagen werden eher als lästig empfunden. Auf den reinen Lesermessen sind die großen Verlage dagegen eher nicht und wenn nur zaghaft vertreten.
Dass Amazon so gern verteufelt wird, liegt ja auch nicht daran, dass der Riese aus Seattle den Buchhandel verdrängt, das haben zuvor Thalia und Hugendubel gemacht, ohne dass es die Verlage störte. Ein auf drei Unternehmen aufgeteilter Zwischenhandel (Libri, KNV und Umbreit) ist auch kein Problem. Nein – die Frechheit des großen A besteht darin, dass es direkt mit Autoren spricht, Self-Publishing ermöglicht, und Autoren und Kunden ungefiltert zusammenbringt.
Auch die modernen Marketing-Aktionen und Bloggerprogramme sind letztlich nicht „nett“. Die Verlage holen sich von den Bloggern für ein paar Schnittchen und Getränke auf der Messe hochwertige, zielgruppengenaue Marketingleistungen und vermeiden damit wieder die direkte Ansprache der Leser.
Das Kostenargument noch einmal:
Daher ist auch das Kosten-Argument der Serienkiller nicht überzeugend.
- Wer sich für den Kauf einer Serie entscheidet, sollte sie als Gesamtprojekt und nicht als Einzelprojekt mit Fortsetzungsoption kalkulieren.
- Das Interesse an Folgebänden ist umso höher, je kürzer die Veröffentlichungsintervalle sind. Etwas, das etwa SP-Autoren längst begriffen haben und entsprechend vorarbeiten, bevor sie veröffentlichen.
- Da immer mehr Leser sich vor derartigen Enttäuschungen dadurch schützen, dass sie nur noch dann in eine Serie einsteigen, wenn sie auserzählt und veröffentlicht ist, führt dazu, dass das Geschäft für Verlage und Autoren noch riskanter wird, damit schädigen Serienkiller also auch diejenigen, die von Serien doch eigentlich gut leben.
- Die anderen steigen auf die englische Ausgabe um. Das führt dazu, dass ich selbst heute englische Bücher nur im Original lese. Mit anderen Worten: Die Verlage verlieren mich als viellesenden, selbst bezahlenden Premiumleser. So ein dummer, dummer Fehler, denn ich bin da gewiss nicht allein.
- Solche Leseerfahrungen verleiden den Lesern den Spaß am Lesen. In Zeiten, in denen man sich Sorgen um den bibliophilen Nachwuchs macht, ist das also besonders kurzsichtig und verantwortungslos. Wo bleibt da der so oft beschworene Bildungsauftrag?
Missmanagement?
So erzählt die Autorin der erfolgreichen Buchserie „Hummelhörnchen“, Jenny Benkau, dass sie selbst von der Absetzung des 3. Bands überrascht wurde, weil der Verlag zunächst auf einer Trilogie bestanden hatte. Der Serienfimmel ist also durchaus nicht immer auf dem Mist der Autoren gewachsen:
„Und ich hatte vor Band zwei extra noch gefragt – da hätte nämlich noch die Möglichkeit bestanden, ein abschließendes Ende zu schreiben. Aber nein, es sollte „in jedem Fall bei mindestens drei Teilen bleiben“.
Ausblick
Wir glauben nicht, dass wir die Verlage zum Umdenken bewegen. Es wird weiterhin massenhaft Serienkiller geben. Und je beliebter Reihen und Serien beim Leser werden, desto mehr werden auf den Markt gespült und desto größer ist das damit verbundene Risiko.
Wir hoffen aber, dass bei einem immer besser werdenden Angebot für Self-Publisher auch in Deutschland, auch fremdsprachige Autoren umdenken und ihre Erfolgstitel auch international selbst vermarkten. Oder kritischer mit der Rechtevergabe umgehen und sich die Veröffentlichung garantieren lassen.
Die Skoutz-Agentur etwa bietet hierzu verschiedene Pakete an und erfreut sich insoweit auch stetig steigender Nachfrage.
Und natürlich hoffen wir, dass Verlage endlich beginnen, etwas mehr auf die Leser einzugehen.
4 Comments
Mar
Vielen Dank für den sehr informativen Artikel!
Was mich, als fachfremden Leser, auch immer sehr ärgert ist, dass die Verlage, wie oben beschrieben, die Reihen nicht fortführen, aber ältere Reihen immer wieder neu auflegen (gerade Random House wechselt (im Bereich Fantasy) dann gerne mal intern den Verlag und bringt eine Reihe ganz groß „neu“ raus) dafür scheint dann Geld (neues Cover, Marketing zum Teil überarbeitete Übersetzung etc.) da zu sein?
Das lässt den Leser mit einem ungläubigen Kopfschütteln zurück.
Kay
Ja, das ist auch so ein Punkt, der das ganze Thema noch mehr in Schieflage bringt. Den hatten wir beim Brainstorming noch gar nicht beachtet. Danke für die Ergänzung.
Angelika Dyllong
Das ein Verlag als Unternehmen gewinnorientiert arbeiten muss, ist verständlich. Aber ich finde, das Problem ist in mehrfacher Hinsicht hausgemacht.
Zum einen versucht man mit gezielter Werbung selbst einen Hype zu schaffen und läuft dann jahrelang anderen hinterher. Es ist noch nicht so lange her, da quollen die Buchhandlungen über von Vampiergeschichten. Jetzt sind es die skandinavischen Krimis. Wo bleibt die Vielfalt? Wo das Besondere? Stöbern ist bei der Einseitigkeit eigentlich garnicht mehr drin. Der Leser wird als Geldquelle wahrgenommen, nicht als Kunde.
Das grosse A, ja, die haben vieles richtig gemacht, am Anfang. Und doch läuft es wieder falsch. Seien wir ehrlich, es ist mühsam qualitativ Gutes aus dem SP- Markt zu filtern. Ich weiss, das es das hat. Aber in der Menge geht es unter. Und dazu kommt die Piraterie. Jedes neue Buch, egal ob Verlag oder SP ist ziemlich zügig irgendwo umsonst zu haben. Das tut beiden weh, aber dem SPler, der auf jede Kleinsteinnahme angewiesen ist, sicher mehr. Und er wird sich überlegen, ob er weiter macht.
Ich würde mir ein besseres Miteinander wünschen. Von Verlagen und Autoren, von Bloggern und auch der Polizei. Internetkriminalität ist kein Kleinverbrechen mehr. Aber solange ohne Know- How und Fachkräfte versucht wird, dagegen vorzugehen, passiert nichts.
Kay
Angelika, gewiss ist das Serienabbrechen nur die Spitze des Eisbergs. Du sprichst da viele andere Fehlentwicklungen an. Der Buchmarkt ist im Umbruch und es wird sicher noch dauern, bis sich auf veränderten Positionen Leser, Autoren, Verlage und Buchhändler neu begegnen. Es bleibt spannend.