Schwarz-Weiß-Konflikt – Sprachbereinigung in der Literatur

Zur Zeit wird wieder einmal heftig diskutiert, ob man Bücher, speziell Kinderbücher, sprachbereinigen sollte, weil Ausdrücke verwendet werden, die aktuell verpönt sind. 

Ein schwieriges Thema, das irgendwo zwischen Zensur und Meinungsfreiheit einerseits und gebotener Rücksichtnahme andererseits anzusiedeln ist. Ein Thema, das von beiden Seiten Toleranz und Verständnis erfordert und nach Mittelwegen schreit – auch wenn das die auf beiden Seiten Empörten nicht hören wollen. Sprachbereinigung ist – nicht nur in Fragen der Pigmentierung – ein Schwarz-Weiß-Konflikt, der immer unerträglicher, immer kontraproduktiver wird. 

Versuchen wir mal, das heiße Eisen anzufassen, und wollen sehen, wie weit wir damit kommen, bevor wir uns die Finger verbrennen. 

Um was geht’s? 

Nachdem um unser Leseverhalten so verdiente Personen wie Ottfried Preussler und Astrid Lindgren für die unsensible Verwendung des N-Worts in ihren Texten schon abgewatscht wurden, hat es nun einen weiteren Prominenten aus dem Kinderbuchregal erwischt. 

Aktuell steht Michael Ende am Pranger. Er soll in seinem Debütroman mit „Jim Knopf“ eine von rassistischen Vorstellungen geprägte Figur geschaffen haben. Nämlich den kleinen, frechen schwarzen Jim Knopf, der mit krausem Haar und großer Klappe anfangs im verschlafenen Lummerland als exotisch bestaunt wird, dann aber das Leben vom behäbigen Lokomotivführer Lukas und seiner dampfenden Lokomotive Emma gehörig auf den Kopf stellt.   

Es ist ein Kinderbuch, das viele geliebt haben und mit dem vielen unaufdringlich und liebenswert nahe gebracht wurde, dass Jim bis auf seine Hautfarbe genauso ist wie wir, bzw. so wie wir gerne wären. Frech und frei und umgeben von guten Freunden, mit denen man durch dick und dünn geht und tolle Abenteuer erlebt. 

Nun, so gibt es zu lesen, sei das zu beanstanden,

  • dass Jim Knopf von den Lummerländern angestarrt würde, was schon zeige, dass man ihn im Vergleich zu den anderen abwerte;
  • dass Jim mit schwarzem, krausen Haar als Klischee-Schwarzer dargestellt würde; 
  • oder dass Jim frech sei, womit einer Minderheit die unattraktiven Attribute zugewiesen würden. 

Genauso geht es übrigens Karl May, der mit Winnetou nun wirklich eine bis zur satirischen Übertreibung überhöhten Helden geschaffen hat. Da besteht der Rassismus darin, dass May den sterbenden Winnetou zum Christentum konvertieren lässt. Das geht natürlich gar nicht, denn damit entzieht er diesen Helden ja seiner ethnischen Herkunft. Pfui! 

Sprachbereinigung sei vonnöten, damit sich moderne Leser nicht an Archaismen stören, die ihr emotionales Wohlbefinden beeinträchtigen. Damit nicht falsche Bilder mit Büchern immer weiter tradiert werden.

Und wo ist jetzt bei Sprachbereinigung der Schwarz-Weiß-Konflikt? 

Der liegt in der Deutungshoheit dieser Texte. Darin, dass von Sprachbereinigern nicht mehr intertextuell, im historischen, künstlerischen, logischen, pädagogischen Kontext diskutiert , sondern zunehmen nur noch nach „Pfui-Wörtern“ gesucht wird, über die man sich dann ereifern kann, um … ja warum eigentlich? Um sich moralisch sauber zu fühlen? Um eine einfache Lösung für ein sehr komplexes Problem zu präsentieren, die zwar nichts auflöst, aber den persönlichen Leidensdruck mildert. 

Dabei wird jedes noch so vorsichtig vorgebrachte Gegenargument kategorisch abgewehrt, weil der Zweifelnde entweder unsensibel und rücksichtslos der jeweiligen Minderheit gegenüber oder aber begriffsstutzig und ungebildet sei. So oder so befindet er sich danach in einer sinnvollen Diskussionen eher abträglichen Verteidigungsposition. Was Fronten noch nie aufgelöst hat.

Betrachten wir nochmals Jim Knopf: 

  • Sicherlich ist anstarren unhöflich, aber es ist nicht zwingend rassistisch, denn wer ist noch nie von einem wunderschönen Anblick auch eines Menschen eingefangen worden, den man einfach in dem Moment anschauen wollte? Diese Neugier ist menschlich. Sie ist erforderlich, um sich etwas Neuem annähern zu können. Es ist dieses urmenschliche, weltoffene Staunen, dass das E.T.-Filmplakat aus den 80ern mit dem berühmten „Finger-Motiv“ so unvergleichlich eingefangen hat. 
  • Ja, das schwarze Kraushaar ist ein Klischee. Ebenso wie das blonde Haar bei bestimmten Damen. Oder das fehlende bei bestimmten Herren. Oder Zöpfe bei Indianern und Galliern. Lederhosen bei Bayern … Ein Klischee ist ein Erfahrungswert, eine fleischgewordene statistische Wahrscheinlichkeit. Es hat meist hart gearbeitet, um zu einem Klischee zu werden. Aber ist das schlimm? Es bedarf also erst einer Wertung von außen, um als Aussage gut oder schlecht zu werden. Oft sagt also die Interpretation viel mehr über den Interpreten als über den Urheber aus.
  • Genauso ist es mit dem „frech“. Ist frech nicht positiv? Freche Mode, freche Sprüche, freche Frisuren? Und darf eine Minderheit nur noch positiv dargestellt werden? 

Aus heutiger Sicht wäre Ende besser beraten gewesen, hätte er eine Fantasiegestalt wie E.T. genommen, oder eben einen weißen Jungen. Da ist man weniger empfindlich. Aber dann hätten wir keinen schwarzen Helden gehabt! Wobei mir erst jetzt in der Diskussion aufgefallen ist, dass einer meiner ersten Helden schwarz war. 

 

Wie also mit Sprachbereinigung umgehen? 

Ich finde die Einlassung des neuen Übersetzers von „Vom Wind(e) verweht“ sehr gelungen. Er sagt, dass man tatsächlich ein Werk dort (in der Übersetzung) überarbeiten sollte, wo der damalige Wortlaut heute anders verstanden würde, als er damals gemeint war.

Wenn also der auktoriale Erzähler von „Negersklaven, die auf dem Feld arbeiten“ berichtet, verwende er „schwarze Sklaven …“. Er spräche auch nicht von „Wullstlippen“, sondern von „vollen Lippen“.

Allerdings sprach er sich klar dagegen aus „Nigger“ oder andere Worte in der wörtlichen Rede der Protagonisten zu verändern. Denn das sei ein Eingriff in die Handlung. Aussagen wie „Diesen verdammten Niggern kann man nicht vertrauen“, seien nicht angemessen zu umschreiben und wollten es auch gar nicht.

Auch wenn es anstrengend ist: Wir kommen also nicht darum herum, uns jede Passage einzeln anzuschauen und lieber mal die Finger vom Rotstift zu lassen. 

 

Und was heißt das konkret?

Dann ist es vermutlich sinnvoll, Pippi Langstrumpf nicht mehr zu ihrem Negerkönig reisen zu lassen, sondern – weil Lindgren es nicht rassistisch meinte – zu dem König in Afrika. Hier führt Sprachbereinigung zu mehr Verständnis des Textes und verändert ihn in Stimmungslage und Aussage nicht. 

Bei Jim Knopf hingegen wird die Figur Jim Knopf so beschrieben, wie ihn sich Ende vorgestellt hat. Und wenn er sich krauses Haar vorstellt, ist das sein gutes Recht. Das ist auch dann kein Rassismus, wenn das typisch oder typisierend ist. Und unterstellt, „frech“ sei schlecht, ist es dann rassistisch, wenn man PoC-Figuren auch womöglich weniger attraktive Attribute zuschreibt? Wie soll dann je eine „Gleichbehandlung“ funktionieren, wenn wir jetzt die Vorzeichen umdrehen und alle negativen Attribute, die eine Geschichte in Film und Bucheben braucht, weiß belegt werden müssen, um nicht rassistisch zu sein? Ist das dann nicht neuer Rassismus (und üble Zensur)?

 

Nehmen wir den Mittelweg

Hier ist wohl eine sehr behutsame differenzierende Herangehensweise erforderlich.

Huckleberry Finns Abenteuer (detebe) von [Mark Twain, Lore Krüger]Das funktioniert nur, wenn man wieder den Kontext betrachtet. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Huckleberry Finn* – Mark Twains erfolgreichstes Buch aus dem Jahre 1884/85. 

Huck Finns Reise mit dem entflohenen Sklaven Jim wird neuerdings auch als rassistisches Werk bezeichnet, was die Frage aufwirft, ob die Empörten das Buch wirklich gelesen haben.

Twain beschreibt die Geschichte in der Sprache eines Jungen, der seiner Zeit und seiner Umwelt verhaftet ist, sie aber auch in Frage stellt. Am Anfang ist Jim für Huck absolut sozialtypisch für die Zeit, ein dummer Sklave, den er verachtet. Und entsprechend geht er mit ihm um. Aber er lernt Jim zu schätzen und zu achten, findet in ihm einen Freund und eine Respektsperson. Diese Entwicklung ist ganz und gar antirassistisch. Der Leser, der dem Ich-Erzähler Huck über die Schulter schaut, erlebt unmittelbar diesen Gesinnungswandel mit, vollzieht ihn nach und idealerweise verändert ihn das auch. Show, don’t tell. 

Das aber kann Twain nur beschreiben, wenn er am Anfang seine Figur rassistisch denken lässt. Es gibt also keinen einfachen Schwarz-Weiß-Konflikt, kein entweder oder, sondern sehr viel Gemisch, sehr viele Zwischentöne. Viel zu überlegen. Und zu diskutieren. Und das ist schön. Einer Sprachbereinigung bedarf es gerade nicht. 

Diese Beispiele zeigen sehr gut, warum blindes Vokabeljagen nichts bringt. Im Gegenteil sogar schadet, denn als würde man ein Pflaster über eine schwärende Wunde kleben, verpasst man so die Gelegenheit, das Entzündete, Kranke zu behandeln. Umzudenken. 

Sollen wir auch Negativ-Beispiele einfach ertragen?

Vermutlich ja! Lest Henry Rider-Haggard. Ertragt das Bedürfnis, den zugegebenermaßen für heutige Maßstäbe unerträglich rassistischen Autor zu schütteln, wenn er seine Helden von einer Rotte wildgewordener Neger mit rollenden Augen und aufgerissenen Mäulern durch den Urwald jagen lässt. Positioniert euch beim Lesen emotional. Aber zensiert diese Bücher nicht, denn sie können durchaus wachrütteln.

Faszinierend ist hier Nippon Connection von Crichton. Wirklich meisterhaft hetzt er den Leser in diesem spannenden Thriller gegen Japaner auf. Selbst wenn man vor der Lektüre vorgewarnt wird, dass das passieren könnte. Das ist ein faszinierender Selbsttest. Es lehrt Medienkompetenz, Wachsamkeit und Meinungsbildung. Und es hilft nichts, den Schwarz-Weiß-Konflikt durch Sprachbereinigung – oder deutlicher: Zensur – zu leugnen. Wir müssen uns dem Grau stellen, denn es kommt auch bei anderen Themen vor. Bodyshaming, #Metoo, Arm/Reich, Bildung … 

 

Alles ist Grau, irgendwie

Es ist ein ewiger Schwarz-Weiß-Konflikt, den wir mit uns austragen. Weil es keine einfache Lösung wie eine pauschale Sprachbereinigung gibt. Weil Grau nämlich im „richtigen“ Licht wie Schwarz wirken kann. Oder eben fast Weiß, wenn genug Schwarz außen herum zu sehen ist. Doch eigentlich bleibt es grau.  Die Zwischentöne sind es, die es schwierig machen.

Darum wird man nur mit einer zugegebenermaßen bequemen Ächtung einzelner Vokabeln keine Gleichberechtigung herstellen können, aber sehr, sehr gute, sehr, sehr wertvolle Bücher der Vergessenheit übergeben oder komplett entstellen.

 

Und die Lösung des Schwarz-Weiß-Konflikts?

Um den Schwarz-Weiß-Konflikt kontroverser Meinungen zu überwinden, braucht es den guten Willen beider Seiten.

Die Diskriminierten (soweit sie sich überhaupt selbst zu Wort melden und von den Empörten mehrheitlich vertreten werden) sind sicher nicht schlecht beraten, wenn sie dort, wo keine böse Absicht anzunehmen ist, auch Milde walten lassen. Denn daraus kann oft Gutes, Echtes, Gemeinsames entstehen. Man muss, dass lehren uns sehr viele Geschichten wie auch die Geschichte selbst, Vergangenes überwinden, um zu neuen Ufern aufzubrechen. Ein umgekehrter Rassismus bringt hier keinem was. Jedenfalls nicht, wenn es um Gleichberechtigung und nicht um Rache geht. Doch das entbindet die potentiellen Täter nicht, sich zu prüfen, wo hinter der Feststellung von Unterschieden eine Wertung steckt, die womöglich nicht berechtigt ist. Wo man Vorurteile hegt, die dringend umgruppiert gehören, vielleicht sogar aufgegeben. Auch hier wird es Abstufungen geben, die man oft erst vorsichtig ertasten muss. Aber auch das kann zusammenführen.

Das aber ist ein Prozess, den jeder einzelne für sich individuell durchlaufen muss. Jeder ist an anderen Stellen von Vorurteilen geprägt. Das Gespräch, das „He! Sag doch sowas nicht!“ oder „Wie kommst du denn auf sowas?“ bringen viel mehr als ein Verbot, das man befolgt, oder albern wie durch Einführung von „N-Wort“ statt dem Original umgeht. Als würde die Vokabel, wenn sie erst im Kopf zusammengesetzt wird, weniger wirken? Im Gegenteil, erfährt sie so doch eine Sonderbehandlung. Von oben verordnete kategorische Sprachbereinigung ist daher vermutlich eher hinderlich, denn sie glättet dort, wo es unbequem sein sollte.    

Sprachbereinigung mit Maß und in Maßen

Lasst uns weniger auf die Worte als die Zusammenhänge achten. Lasst uns nicht nach Unterschieden suchen, nur um sie dann für gleichwertig und unerheblich zu deklarieren. Dass wir alle gleich wert sind, sollte doch eigentlich der Ausgangspunkt und nicht das Ergebnis sein. Und wenn das so ist, dann darf man Unterschiede auch hinweisen, auf Stärken und Schwächen, auf Schönes und weniger Schönes. Denn wo sonst bliebe die Individualität? 

Darum ist es ein Schwarz-Weiß-Konflikt jenseits der Pigmente. Es geht um mehr als Richtig und Falsch. Wir sollten wieder lernen, Konflikte zu lösen, statt sie zu vermeiden.  

Lassen wir bestimmte Worte einfach aus dem Alltag verschwinden. Ohne empörte oder verschämte „N-Wort“, „W-Wort“ oder „S-Wort“-Debatten. Ein schlichtes „Das sagt man nicht!“ hat in Kindertagen genügt und sollte es auch heute.  Lasst uns bei der literarischen Sprachbereinigung Worte, die heute falsche Bilder wecken, wie beim Neger-König von Takka-Tukka-Land, unaufgeregt austauschen, weil das im vermuteten Interesse des Autors liegt, dem es im Kontext um ganz andere Dinge ging. Aber verändert nicht die Aussagen von Büchern. Sie sind, das dürfen wir nicht vergessen, eben auch Zeitzeugen. 

Daher hat uns der Warner-Disclaimer sehr beeindruckt: 

„Diese Cartoons, die Sie sich gerade ansehen, sind Produkte ihrer Zeit. Sie mögen manche der damals in der amerikanischen Gesellschaft vorherrschenden ethnischen und rassistischen Vorurteile aufgreifen. Diese Darstellungen waren damals falsch und sind es heute. Obwohl das Nachfolgende nicht Warner Bros.‘ Vorstellung einer modernen Gesellschaft wiedergibt, werden die Cartoons so gezeigt wie sie damals geschaffen wurden, denn alles andere käme der Behauptung gleich, solche Vorurteile hätte es niemals gegeben.“   

 

Lese-Tipp

Wer sich für Rassismus und seine Behandlung in der Literatur interessiert, sollte sich einmal unsere Skoutz-Classics Liste zum Thema anschauen.  Dort haben wir ganz unterschiedliche Bücher zu diesem Thema gesammelt und kurz vorgestellt (weiterlesen). 

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