Literaturnobelpreis 2019: Peter Handke und Olga Tokarczuk

Es ist soweit! Die Akademie hat sich entscheiden.

Nachdem es im letzten Jahr im Sog einiger Skandale, die durch die #metoo-Bewegung aufgedeckt wurden, keinen Literaturnobelpreis gab, ist auch die diesjährige Entscheidung zumindest umstritten.

Literaturnobelpreis 2019 für Peter Handke

Die Wahl der Jury fiel auf den in Frankreich lebenden Österreicher Peter Handke. Die Akademie begründete dies mit seiner Kritik an gedankenlosen Sprachschablonen und seiner analytischen Betrachtung der Entfremdung zwischen Mensch und Umwelt, nicht zuletzt durch die mediale Bildüberflutung, die den Menschen von sich selbst entfremde.

Politisch ist er jedoch seiner proserbischen Position während der Jugoslawienkriegen sehr umstritten. So zitiert der „Guardian“ den slowenischen Philosophen Slavoj Zizek, zu Handkes früherer Aussage, der Literaturnobelpreis gehöre abgeschafft, sagt, dass die Entscheidung beweise, „dass Handke recht hatte“. Auch die Washington Post reagierte kritisch: „Handkes Sieg kommt nicht ohne Kontroverse. Das Komitee, das so darauf bedacht war, die jüngsten Skandale hinter sich zu lassen, könnte gerade in einen neuen gestolpert sein“, heißt es.

Handke selbst gibt sich überrascht. Er berichtet in einem ersten Interview, er sei nach dem Anruf aus Stockholm ersteinmal „vier Stunden durch den Wald geeiert“. Der Hype um seine Person sei seltsam. Die meisten Fragen machten ihm „keinen Spaß“ und so versuche er halt, gute Miene zum nachlässigen Spiel zu machen. Seine frühere Skepsis relativiert er heute gegenüber der APA. „Es ist schon so, als ob das, was man gemacht hat, nun Licht bekommt. Auch wenn alles trügerisch ist: Es ist doch eine Art von Zusatz-Licht, das einem nur willkommen sein kann und für das man dankbar sein muss.“

Wir gratulieren ihm jedenfalls zu der Auszeichnung, die sein Werk wie „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter oder „Der Bildverlust“ auszeichnet. Auch wenn der Mensch hinter den Geschichten vielleicht ein schwieriger ist.

Besser spät als nie: Literaturnobelpreis 2018

Eher unbemerkt wurde nun nachträglich auch der Literaturnobelpreis 2018 an die polnische Autorin Olga Tokarczuk verliehen.
Wir hätten uns ja gewünscht, dass sie den aktuellen und Handtke den nachgereichten bekommt …
Die studierte Psychologien lässt ihr Wissen auch in ihre literarische Arbeit einfließen. Nun erhielt sie für ihre bildgewaltigen Erzählungen, die eine enzyklopädische Detailgenauigkeit aufweisen, die höchste Auszeichnung für Literatur. Weil ihr Werk das „Überschreiten von Grenzen als eine neue Form von Leben beschreibt“.
Ihr 1993 erschienener Debütroman „Reise der Buchmenschen“, beschreibt die Suche eines Liebespaars nach dem Geheimnis des Buches und damit letztlich dem Sinn des Lebens im Frankreich des 17. Jahrhunderts. Von der Kritik und dem Publikum gleichermaßen gelobt, hat sie seither zahlreiche weitere Romane und vor allem Novellen und Kurzgeschichen veröffentlicht, die allesamt kunstvoll eine äußere und eine davon nur augenscheinlich unabhängige innere Handlung verbinden.
Wir kannten bislang nur „Der Gesang der Fledermäuse“ (muss ich nur erst im Regal finden). Leider können wir sonst nur wenig mehr zu diesen Büchern sagen, da Bücher von Tokarczuk aktuell nur in polnischer Sprache erhältlich sind.
NACHTRAG: Inzwischen sind ihre Bücher auch deutschsprachig über den schweizerischen KAMPA-Verlag (wieder) zu beziehen. Das freut uns sehr und empfehlen allen Einsteigern „Der Gesang der Fledermäuse“
Hier geht es zu unserer Buchvorstellung.

Literaturnobelpreis 2019 und 2018?
Beide Preise im gemeinsamen Kontext

Wieso die Schweden beurteilen können, ob das Werk nobelpreisverdächtig ist, ist eine spannende Frage. Eine mögliche Antwort gibt Fiammetta Rocco, Kopf des „Booker International Prize“ gleichfalls im „Guardian“. Seiner Meinung nach sind die Preisträger 2018 und 2019 nur miteinander zu verstehen. Denn so unterschiedlich sie beide schreiben, so würden sie beide über umstrittene Länder berichten und darüber, wem Erinnerungen gehören und das Recht und das Bedürfnis, Geschichten zu erzählen. Und auch wenn aus verschiedenen Gründen die beiden Autoren sperrig seien, so würden sie letztlich für ihr formales Werk, ihre Imagination und ihren Gebrauch der Sprache geehrt.

Was zeigt, dass auch für den Nobelpreis gilt, was Skoutz schon immer sagt: Nur die Geschichte zählt.

Tokarczuk und die Gleichberechtigung

Im Nachgang gab es böses Blut um die Entscheidungen. Einerseits, weil viele, sehr viele Leute erstaunt waren, dass Handke geehrt wurde, andererseits aber auch, wie wenig beachtet Tokarczuk wurde. Es sei bezeichnend, dass der Fokus auf dem Mann läge, und ein Zeichen, dass Frauen in der Literatur unbedingt gestärkt werden müssten.

Nun, das unterstützt Skoutz gerne, auch wenn unsere Erfahrung in 5 Jahren Skoutz-Award nicht bestätigen kann, dass Autoren weiblichen oder jedenfalls nicht männlichen Geschlechts es bei den Lesern schwerer hätten. Im Buchmarkt, in den Agenturen und Verlagen sieht es nämlich anders aus.

Trotzdem denke ich (Kay) persönlich nicht, dass die mediale Nichtbeachtung von Olga Tokarczuk mehr als ein flüchtiges Indiz für Diskriminierung ist.

Meine Gründe:

  • Olga Tokarczuk hat einen Namen, den man sich sehr schwer merken kann. Ich persönlich habe bis zum Ende dieses Artikels und der Rezension gebraucht, um ihn aufs erste Mal richtig zu schreiben. Das hindert natürlich auch die Berichterstattung.
  • Dann ist ein nachträglich verliehener, hinterhergeschobener Preis nicht so spannend wie der aktuelle Literaturnobelpreis 2019. Darum wären wir auch froh gewesen, hätte die Akademie die Preise andersherum verliehen.
  • Schließlich ist zumindest im deutschsprachigen Raum Handke ein bekannter Autor. Von ihm haben auch weniger belesene Menschen zumindest schon mal gehört, wenngleich oft in anderem, politischen Kontext.
    Bei Tokarczuk hieß es dagegen auch in Buchrunden eher „Olga, wer?“.
  • Was auch daran lag, dass ihre Bücher in deutscher Sprache gar nicht erhältlich waren und sie daher nur wenige Menschen kannten.
  • Handke hingegen hatte sich schon vor seiner Nominierung mit der Aussage ins Gespräch gebracht, für ihn gehöre der Nobelpreis abgeschafft. Durch die Verleihung war nun natürlich das Interesse an seiner Reaktion enorm. Jedenfalls höher als bei anderen „braven“ Literaturnobelpreisträgern wie Tokarczuk eben.

Ich finde absolut, dass Olga Tokarczuk den Literaturnobelpreis 2019 verdient hätte, dass sie einen Nobelpreis verdient hat, und ich hoffe, dass jetzt hoffentlich mehr Menschen ihre Bücher lesen. Aber ich glaube, dass ihre mediale Nichtbeachtung andere Ursachen als das Geschlecht hat.

#Olgalesen

Karla Paul hat für mehr Aufmerksamkeit für Olga Tokarczuk eine Kampagne gestartet, von der wir gern berichten.

Wer sich für diese wirklich großartige und kluge Frau und sehr angenehm zu lesende Autorin interessiert, kann mit Karla Paul und anderen Lesern zusammen  über ihre Bücher diskutieren. Unter dem Hashtag in den sozialen Netzwerken, auf Blogs und gern auch im echten Leben. 🙂
Auf Facebook findet die Diskussion in Karlas Gruppe:
Buchkolumne: Literaturgruppe – alles rund ums Buch! statt. Dazu gibt es noch bei Mojoreads einen Leseraum: https://mojoreads.com/group/324

 

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