Wann ist ein Buch ein Literaturklassiker

Klassiker sind klasse! Oder wie wird man ein Literaturklassiker?

Literaturklassiker lösen sehr zwiespältige Gefühle aus. Die einen kommen mit glänzenden Augen ins Schwärmen, während den anderen mit Erinnerungen an traumatische Deutschstunden eher die Tränen kommen. Da sehr verschiedene Bücher als Klassiker gelten, können wir getrost behaupten, dass für jeden was dabei ist. Wir meinen daher, dass man Klassikern eine Chance geben sollte, schon weil sie, um mit Effi Briest einen besonders gefürchteten zu zitieren, ein weites Feld sind.

In diesem Artikel möchten wir erst einmal untersuchen, wann und warum man überhaupt von Literaturklassikern spricht. Oder mit anderen Worten:

Was macht ein Buch zum Klassiker?

Natürlich sind Bücher Geschmacksache. Aber es gibt trotzdem Bücher, die aus verschiedenen Gründen wichtiger als andere sind. Wer sich nicht nur für die Geschichte zwischen den Buchdeckeln interessiert, sondern darüber hinaus auch neugierig auf das woher und wohin ist, kommt an Klassikern nicht vorbei. Weil sie ihr Genre prägen, indem sie die Erwartungshaltung der Leser ebenso wie die Erzähltechnik der Autoren beeinflusst haben. Weil wir sehr oft diese Literaturklassiker im Kopf haben, obwohl wie sie nie gelesen haben, eben weil sie hundert-, tausendfach adaptiert, zitiert und kopiert wurden – oder einen bewussten Gegenentwurf provozierten.

Vieles, was in Klassikern ersonnen wurde, hat auch die Gesellschaft beeinflusst. So etwa Sir Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes-Romane, die wichtige Impulse für die moderne Kriminalistik setzten und ohne die TV-Serien wie die CSI-Familie gar nicht denkbar wären. Aber eben auch Robert Musils Törless dessen Verwirrungen zu einer breiten Debatte über das Schulsystem führten, das bis heute fortwirkt.

So, wie wir wissen wollen, woher wir kommen, wer unsere Vorfahren waren, so sollten wir uns auch Gedanken darüber machen, warum wir so denken, wie wir denken. Wo unsere Werte, Gewohnheiten, moralischen Grundsätze herkommen. Neben der Philosophie spielen hier die Geschichten, mit denen wir bzw. unsere Vorfahren leben und lebten, eine entscheidende Rolle. Ebenso erlaubt ein Blick in die Klassiker anderer Kulturen, der russischen oder chinesischen etwa, auch eine Annäherung an deren Weltsicht und erleichtert das, was wir alle zu allen Zeiten dringend brauch(t)en: Verständnis.

Verbreitung im relevanten Gebiet

Deutsche Literaturklassiker müssen in Deutschland eine gewisse Auflagenhöhe erreicht haben, ebenso französische in Frankreich oder englische in UK. Weltliteratur muss in verschiedene Sprachen übersetzt worden sein und dort auch tatsächlich Leser gefunden haben. Eine entsprechende Unterteilung empfiehlt sich auch mit Blick auf die verschiedenen Genres bzw. Sujets. Während Agatha Christie mit ihren Büchern sicherlich auch gesellschaftliche Relevanz durch ihren Einfluss auf unser Bild des Ermittlers erreicht hat, bleibt der Einfluss anderer Werke im Bereich ihres thematischen Zusammenhangs.

Erfolg beim Publikum

Ein weiteres Kriterium ist der Erfolg eines Werks beim Publikum. Man kann von J.K. Rowling halten was man will, aber sie hat weltweit mindestens zwei Generationen zum Lesen gebracht und ist für deren erste Leseabenteuer verantwortlich. Und so wie man von der ersten Liebe maßgeblich in seinem Beziehungsverhalten beeinflusst wird, prägt uns auch unsere erste literarische Liaison. Ein zeitgenössisches Publikum wird also in seiner Leseerwartung zu einem hohen Prozentsatz von Harry Potter geprägt und wer für diese Zielgruppe ein Buch schreiben möchte, ist gut beraten, die Präge-Werke auch zu lesen, um zu wissen, was von seinem Buch (unbewusst) erwartet wird.

Wann der Erfolg eintritt, ist hingegen unerheblich. Zahlreiche Werke ganz großer Autoren sind zu ihren Lebzeiten kaum beachtet worden, bei Franz Kafka und Edgar Allan Poe war es etwa so. Andere hatten zwar durchaus Erfolg, Johann Wolfgang von Goethe zum Beispiel, aber zum Dichterfürst wurde er erst später gekürt.

Relevanz

Glasses, Book, Education, Eyeglasses, ResearchWichtiger ist daher die Relevanz auf dem Weg zum Literaturklassiker. Gemeint ist der Einfluss des Werks auf die Kunst und die Gesellschaft. H.P. Lovecraft etwa hat bis heute keine Auflagenhöhe erreicht, die wirklich beeindruckt. Aber innerhalb seines Genres – Horror – kennen alle Autoren seine Werke. Direkt oder indirekt durch ihre Vorgänger, die seine Nachfolger sind. Er hat also nicht direkt den Klassikerstatus erworben, sondern nur mittelbar, als graue Eminenz im Hintergrund, während viele, viele andere Menschen ihre Geschichten unter dem Einfluss seiner Werke schrieben und schreiben. Oder Filmen. Denn ohne ihn sähen die Aliens aus Alien garantiert anders aus.

Insofern ist es auch nicht wichtig, ob die Aussagen eines Buches aus heutiger Sicht noch den moralischen oder handwerklichen Ansprüchen entspricht, die wir heute an unsere Lektüre stellen. Maßgeblich ist allein ihr Einfluss und ihre Lesewürdigkeit beziehen sie aus ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung der Erzählkultur. Die Allan Quatermain-Romane von H. Rider Haggard sind ein solches Beispiel. Unbestritten haben sie den Abenteuerroman, wie wir ihn heute lesen oder auch cineastisch aufbereitet auf der Leinwand präsentiert bekommen, nachhaltig geprägt. Doch das Welt- und Menschenbild der Romane ist aus heutiger Sicht tatsächlich schwer erträglich. Die Unbedarftheit des offen geschilderten Rassismus ist heute unvorstellbar. Aber umso wichtiger ist es, sich mit solchen Werken nicht nur unter dem Aspekt der Erzählweise von Abenteuergeschichten zu befassen, sondern auch mit ihrer Aussage, denn als solche sind sie Zeitzeugen. Erklärung, Beleg und Warnung in einem. Ein Negativ-Beispiel, das zeigt, von wo wir kommen und von wo wir uns wegentwickeln sollten. Hilfreich und verständnisbildend gerade, wenn man sich parallel auch mit Werken befasst, die Rassismus

Originalität

Viele Literaturklassiker haben sich den Titel mit einem radikalen Bruch der zu ihrer Zeit bestehenden Erzählgewohnheiten verdient. Mit Einzig- oder Andersartigkeit, die zu neuen Strömungen, frischen Impulsen oder radikalen Änderungen führten. Arno Schmidt mit seinem als Gedankenprotokoll geschriebenen Steinernen Herz wäre ein solches Beispiel. Dies trifft aber auch auf Tolkien zu, der mit seinem Herrn der Ringe die bis dahin im Pulp oder Groschenheftsegment beheimatete High Fantasy literarisch salonfähig machte. Andere Werke treffen mit ihrem Thema oder ihrer Machart auch den Nerv ihrer Zeit und entfalten so Wirkung, und zwar unabhängig von einer objektivierbaren handwerklichen Qualität. Ein bekanntes Beispiel ist  50 Shades of Gray, womit E.L. James  unbestreitbar sowohl den Liebesroman des letzten Jahrzehnts als auch die Gesellschaft beeinflusst hat.

 

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etwas bewirkt. Meilensteine irgendwie. Sie haben z.B.

  • die Sprache weiterentwickelt, sei es durch besondere handwerkliche Brillanz oder durch neue Stilmittel
  • die Erzähltechnik verändert, z.B. durch eine andere Perspektive, durch andere Ausdrucksformen
  • ein Zeitgefühl besonders treffend zusammengefasst oder eine Epoche geprägt
  • ein Thema neu in die Literatur eingeführt
  • die an ein Genre/Sujet gerichtete Erwartungshaltung definiert oder jedenfalls beeinflusst

Wie seht ihr das? Welche Kriterien muss ein Literaturklassiker eurer Meinung nach erfüllen?

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