Corona – spannende Zeiten für Buchhändler
Corona ist in aller Munde und neben virologischen und epidemiologischen Aspekten kommen inzwischen auch allergische hinzu.
Das hält uns jedoch nicht davon ab, mit den Buchmenschen da draußen Kontakt zu halten. Wie fühlt es sich an, in diesen coronischen Zeiten Buchhändler zu sein? Wie sieht das Leben derer aus, die für uns da sind? Einer ist Rebecca, die für das Skoutz-Team die Stimme der Buchhändler ist. Wir haben sie gefragt, wie es ihr so in diesen Tagen geht. Und sie hat uns ihr Tagebuch anvertraut.
Darüber haben wir uns sehr gefreut und nicht gezögert, es euch hier zu präsentieren …
Das etwas andere Tagebuch eines Buchhändlers
9. April 2020
„Haben Sie wieder auf?“ – fragt die Kundin und strahlt mich an.
Was soll man darauf antworten? Ja? Nein? Vielleicht? Ich mag Toastbrot?
Wenn ich diese Antwortmöglichkeiten auf einem Zettel vor mir liegen hätte, würde ich mein Kreuz zwischen Ja und Nein setzen. Seit wir wegen Corona schließen mussten – wie fast alle da draußen – sind zwei Wochen vergangen. Vierzehn Tage, seit wir morgens zur Arbeit kamen und mit den Worten „der Laden bleibt ab heute zu“ begrüßt wurden.
Die ersten Tage danach waren gruselig. Wir haben weitergearbeitet, denn Ware bekommen wir nach wie vor geliefert, jedoch mit sehr abgespecktem Personal und – vor allem – ganz ohne Kunden. Da merkt man mal wieder, wie sehr einen Hintergrundgeräusche prägen. Keine Unterhaltungen. Keine Kinder, die durch die halbe Etage nach ihren Eltern rufen. Keine Herren oder auch Damen, die nach diesem oder jenem Buch fragen. Nur deine Aufgabe und du. Und Totenstille.
Tage der Stille
Die Informationen änderten sich täglich.
Wann und wie das normale Leben weitergehen kann, wusste und weiß auch bisher niemand. Doch seit dieser Woche gibt es für Buchhändler einen kleinen Lichtblick, denn wir dürfen wieder Bestellungen herausgeben. Wenn auch ganz anders als gewohnt. Täglich stehe ich an einem Tisch, den wir jeden Morgen an die Eingangstür zum Laden stellen. Mit Plexiglas-Aufsteller, ganz wie früher, als es die alten Bankschalter noch gab. Doch in mir kommt keine Nostalgie auf. Bewaffnet mit Desinfektionsmittel und Handschuhen, darauf achtend, dass die wartenden Kunden Abstand zu mir und zueinander halten, gehe ich nun meiner Arbeit nach.
Manchmal komme ich vor wie im falschen Film, als wäre das alles nur ein schräger Traum, aus dem ich gleich ganz bestimmt erwache und dann darüber den Kopf schüttele, was mein Hirn sich wieder für Schosen ausdenkt. Aber spätestens dann, wenn ein neuer Kunde kommt und lächelnd nach seiner Bestellung fragt, ist dieser Eindruck mit einem Schlag verschwunden. Und Lächeln, das tun sie fast alle. Die Freude darüber, dass wieder ein Hauch von Normalität eintritt, ist überall spürbar.
„Das ist aber schön, dass ich meine Bücher wieder bei Ihnen bekomme!“
„Einfach eine geniale Idee, vielen Dank dafür!“
„Toll, dass Sie wieder für uns da sind!“
Das und noch so viel mehr erreicht uns an Rückmeldung. Dankbarkeit, positive Überraschung, Begeisterung, Verständnis darüber, dass momentan alles etwas länger dauert und noch nicht alles so rund läuft, wie man es sonst gewohnt ist. Die Worte gehen runter wie Öl.
Tage der Geschäftigkeit – Bestellungslogistik, Durchhalteparolen, Kreatives Überleben
Die ersten zwei Tage waren ruhig, immerhin braucht eine Nachricht eine Weile, um sich herum zu sprechen.
Doch nun haben ich und die anderen Buchhändler permanent zu tun. Bereits jetzt erwartet mich morgens ein Haufen neuer Bestellungen und um Punkt zehn Uhr, wenn ich aufmache, steht immer schon mindestens ein Kunde vor der Tür und wartet auf mich.
Keiner weiß, wie es nächste Woche aussehen wird oder gar morgen. Jeden Tag könnte auch diese Art von Auf-Sein vorbei sein. Wir können uns glücklich schätzen, diese Möglichkeit zu haben. Andere Buchläden dürfen gar nicht erst öffnen.
Doch das heißt nicht, dass sie nichts tun. Manche packen stundenlang Bestellungen für die Kunden ein und bringen sie dann zur Post – etwas, was meistens nicht direkt im Laden, sondern in der Logistik passiert –, andere fahren die Bestellungen sogar direkt selber aus.
Verstärkungen im Telefondienst, ermutigende Instagram Posts, tägliches Brainstorming über neue Ideen innerhalb der Buchhandlungen, aber auch von einer zur anderen. Jeder schaut, was er tun kann und keiner schmeißt einfach das Handtuch. Alle packen mit an.
Und gerade dieses Engagement, dieser Ehrgeiz, jetzt bloß nicht aufzugeben, und jedes einzelne Lächeln, jedes freundliche Wort in diesen schwierigen Tagen, verbannt düstere Gedanken und lässt es mir leichter ums Herz werden. Denn es zeigt mir ganz deutlich, dass nicht nur wir für euch, sondern auch ihr für uns da seid. Und genau deshalb kann ich sagen, dass ich gerne an diesem Tisch vor dem Plexiglas stehe, dass ich froh darüber bin, andere glücklich machen zu können, indem ich ihnen ihr vielleicht neues Lieblingsbuch mitgebe, anstatt zuhause zu sitzen und diese Situation einfach nur auszusitzen.
Und ich bin mir sicher, dass ich längst nicht die Einzige bin.
22. April 2020
Nachdem wir Ostern mehr oder weniger gut überstanden haben und ich mich frage, wo wir die Berge von Ostereiern, Plüschhasen und Eierbechern, die wir wie gewohnt bestellt, aber natürlich nicht so gut verkauft haben wie sonst, jetzt lagern sollen, kam letzte Woche dann die von vielen ersehnte erste Lockerungsankündigung.
Tage der Lockerung
Seit Montag haben wir wieder auf, auch wenn das nicht bedeutet, dass „alles so ist wie früher“. Alle Buchhändler tragen nach wie vor Masken. Plexiglaswände, sowohl an der Kasse als auch an unseren Infos, sorgen hin und wieder für kurzes Stutzen und in seltenen Fällen für eine Kollision – Scheibe trifft Einkaufskorb. Es ist zwar schon ein gutes Gefühl, wieder größtmöglich normal zu arbeiten, aber auch stressig, da jeder von uns die Hygiene- und Abstandsvorschriften mit im Blick haben muss, aber auch, weil wir nicht voll besetzt arbeiten, sondern mit weniger als der Hälfte unseres normalen Teams auskommen müssen.
Die Einzigen, die momentan voll arbeiten, sind wir Azubis.
Tage hinter Plexiglas
Da nicht zu viele Kunden auf einmal den Laden betreten dürfen, muss einer von uns stets den Eingang im Blick behalten und Körbe zur Zählung ausgeben. Da kommt schon beim Buchhändler ein bisschen Türsteher-Feeling auf, was irgendwie seltsam und ziemlich cool zugleich ist, weil es mir das schöne Bild eines angesagten Clubs in den Kopf setzt, in den jeder rein will. Nur dass der angesagte Club wir sind.
Schon sehr schmeichelnd, wie ich finde, auch wenn die Korbausgabe hin und wieder für kurze Verwirrung sorgt.
Die meisten Kunden haben für all dies Verständnis, bleiben ruhig und freundlich und betonen unermüdlich, dass sie einfach nur froh sind, uns wieder zu haben. Nur hin und wieder wird deutlich, dass der Lockdown uns alle beeinflusst und Spuren hinterlassen hat.
Das macht sich gerade an den Kassen bemerkbar, da unsere Kunden leider länger warten müssen, da wir momentan nur eine Kasse aufmachen können und dürfen.
„Ich brauche keinen Korb, ich möchte nur stöbern.“
„Müssen meine Kinder auch einen Korb nehmen? Ich habe doch schon einen für uns.“
„Ich wollte nur eben ein Buch abholen. Muss ich mich da jetzt wirklich ganz hinten anstellen?“
Tage des Miteinander
Gerade Montag und Dienstag waren schwer.
Aber wenn ich jetzt daran denke, wie bereits am Montagmorgen eine halbe Stunde vor Ladenöffnung eine Traube Menschen vor der Türe stand, wird mir warm ums Herz. An besagtem Montag war mir eher ein wenig mulmig zumute. Denn alle mussten sich erst an die neuen Regeln und Abläufe gewöhnen und wir einen Weg finden, wie wir trotz Kurzarbeit alle Aufgaben so aufteilen können, dass wenigstens ein bisschen Zeit für die Kundenberatung bleibt.
Mittlerweile hat sich die anfängliche Aufregung etwas gelegt, wir Buchhändler sind routinierter und ruhiger, die Kunden noch etwas entspannter geworden. Es ist nach wie vor viel zu tun – die nie enden wollenden To-Do-Listen erinnern mich etwas an den alljährlichen Weihnachtstrubel, weil man da auch zu gefühlt nichts kommt – doch es macht Spaß, unserer Leidenschaft wieder nachgehen zu können, auch wenn wir viele Abstriche machen müssen. Aber wer muss das nicht?
14. Mai 2020
Wieder alles anders.
Seit anderthalb Wochen heißt es Schule. Für Abschlussklassen wurden die Tore wieder geöffnet, zum Glück!, wie ich finde. Wir absolvieren unseren schulischen Teil der Ausbildung in zwei Blöcken, beide jeweils neun Wochen lang.
Unser Gastgeber, der Mediacampus Frankfurt, ist in diesen neun Wochen nicht nur Schule, sondern auch Zuhause für uns und nach einem doch sehr munteren, bunten und erlebnisreichen ersten Schulblock war das alternative Szenario, mit dem ich mich schon abgefunden hatte – nämlich jeden Tag besagter neun Wochen vor dem Computer im Online-Unterricht zu verbringen – keine allzu verlockende Vorstellung.
Die Freude war groß, doch auch hier hat sich so Einiges verändert, seit ich das letzte Mal da war.
Schultage mit Corona
Im letzten Block brummte es am Mediacampus vor Leben. Über hundert Schüler waren angereist, alle Klassenräume gut gefüllt und in der Mensa gab es nicht immer direkt einen Platz, obwohl wir alle bereits dicht an dicht saßen. Zum normalen Alltag gab es noch viele Abendveranstaltungen, bei denen es stets regen Austausch zwischen unseren Gästen und uns gab. Verlage und Autoren reisten aus allen Teilen Deutschlands an, stellten sich und ihr Programm vor und ließen gerne ein paar Leseexemplare für uns da.
Der Umgang war immer offen, ehrlich, freundlich, die Stimmung locker und ungezwungen. Dass wir uns alle stets auf Augenhöhe begegneten, hat mir dabei am besten gefallen. Die Libresso-AG kümmerte sich um die Versorgung des Campus‘ mit Koffein, die Wareneingangs-AG bestückte die Campusbibliothek regelmäßig mit neuen Schätzen und die Technikaffinen unter uns halfen bei der Gestaltung und Verbesserung der Campuswebsite mit.
Wo früher ein Bienenschwarm umherschwirrte, wirkt der Campus jetzt wie leergefegt, denn bisher durften nur die Abschlussklassen anreisen – aus sonst über hundert Schülern wurden vierzig. Der Rest der Buchhändler-Klassen sitzt jetzt täglich vor dem Bildschirm als ‚Hardcore Onliner‘, wie wir sie nennen.
Sie tun mir echt leid. Auch wenn ein weiterer Teil von ihnen kommende Woche hier eintreffen wird, so haben sie doch bereits eingebüßt. Und das werden sie auch weiterhin. Ich wünsche mir für sie, dass sie ihren zweiten Schulblock genauso ungebremst und uneingeschränkt werden genießen können wie wir unseren ersten.
Stell dir vor, es ist Maskenball
Im Zuge der neuen Regeln heißt es natürlich auch ‚die Maske ist dein neuer bester Freund‘, denn ohne diese darf sich niemand auf dem Campus aufhalten. Es passiert mir noch oft, dass ich schon halb aus der Tür meines Zimmers – dem einzigen Ort, wo wir keine Maske tragen müssen – raus bin, bevor mir einfällt, dass ich besagte Maske wieder einmal vergessen habe. Aber auch das wird noch werden, der Mensch ist ja schließlich ein Gewohnheitstier.
Ebenso wie im Laden gibt es auch hier Plexiglas im Sekretariat und auf den Lehrertischen aller Unterrichtsräume. Da sich nur maximal 15 Leute in einem Raum aufhalten dürfen, sind unsere Buchhändler-Klassen in zwei Gruppen geteilt, der Lehrer ist mal bei uns, mal bei der zweiten Hälfte und jeweils in den anderen Raum per Kamera und Mikrofon zugeschaltet.
Hybrider Unterricht nennt sich das. Insgesamt läuft das echt gut ab, obwohl es natürlich auch immer wieder mal kleinere technische Probleme gibt – von Klassikern wie ‚das System hat sich aufgehängt‘ oder ‚die Internetverbindung ist weg‘ bleiben wir natürlich nicht verschont.
Essen im Schichtbetrieb
In der Mensa behalten wir unsere Klassengruppen bei, um den Kontakt zueinander zu minimieren.
Ein Teil der Mensa wurde zudem ausgelagert. Von engem Aufeinander-Hocken, so wie es letztes Jahr noch der Fall war, fehlt jetzt jede Spur. Noch dazu müssen wir ab kommender Woche in Schichten essen, damit es sich nicht überfüllt. Heißt kurzum: Wo vorher eine Stunde Zeit war, bleibt jetzt nur noch eine halbe. Es ist alles sehr improvisiert, doch dafür funktioniert es echt gut. Schade ist nur, dass man sich nicht mehr gemütlich und spontan mit anderen hinhocken kann, doch wer jetzt glaubt, einen Buchhändler könnte das davon abschrecken, neue Kontakte zu knüpfen, der hat sich getäuscht.
Denn auch wenn wir Abstand halten müssen, auch wenn die Abendveranstaltungen nur noch online stattfinden und wir die Gesichter unserer Gegenüber nicht richtig sehen, finden sich immer Wege, wie man sich ein wenig näherkommen kann.
Zumal uns alle eine große Leidenschaft verbindet: Die Bücherliebe.