Skoutz-Classics: Der Schimmelreiter – eine Novelle von Theodor Storm
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Die Novelle Der Schimmelreiter ist ein Stück Weltliteratur, das dem deutschen Realismus zugerechnet wird. Auf mehreren Erzählebenen setzt sich der Autor Theodor Storm mit einer alten Sage auseinander, die er naturwissenschaftlich erklären lässt, auch wenn der endgültige Beweis letztlich scheitert. Es handelt sich um Werk, mit dem Storm sich viele Jahre lang immer wieder intensiv befasste, das er jedoch erst im Februar 1888 und damit wenige Monate vor seinem Tod beendete.
Doch eigentlich ist der Schimmelreiter eben auch mit seiner schaurigen Geschichte vom Deichgrafen auf seinem Geisterpferd ein frühes Beispiel dunkler Fantasy und deshalb auch auf unserer Liste der Fantasy-Classics.
Der Schimmelreiter – Fantasy als Musterexemplar des deutschen Realismus
Um was geht es in Der Schimmelreiter?
Die Geschichte beginnt im Prinzip damit, dass ein namenloser Reiter verstört in eine Dortwirtschaft stolpert und berichtet, dass er draußen auf dem Deich einen gespenstischen Reiter gesehen hat, der sich in die Fluten stürzte. Daraufhin erzählt ihm der Schulmeister des Dorfes die wahre Begebenheit, nämlich die tragische Geschichte des Deichgrafen Hauke Haien.
Hauke Haien ist sein Leben lang von den Deichen fasziniert. Auch deshalb schafft er es, mit Fleiß und Klugheit trotz seiner einfachen Herkunft, zur rechten Hand des Deichgrafens zu werden. Nach seiner Verlobung mit dessen Tochter kann er sogar seine Nachfolge antreten.
Doch durch den Neid und den Aberglauben der Dorfbewohner erfährt Hauke viel Ablehnung. So wird aus dem stillen und freundlichen jungen Mann ein harter und verbitterter Deichgraf. Rigoros setzt er seine Vorstellung eines modernen Deichs durch, den er hinter dem alten neu errichten lässt. Während man sich im Dorf über ihn das Maul zerreißt, reitet er unermüdlich mit seinem Schimmel die Deiche ab. Den Schimmel aber, den er einst halbverhungert von einem Händler gekauft hat, halten viele für eine Ausgeburt des Teufels. Denn angeblich verschwand mit seinem Auftauchen ein Pferdeskellett in einer nahen Hallig.
Nachdem es Hauke nicht gelingt, die Dorfbewohner zu motivieren, auch den alten, marode gewordenen Deich in notwendigem Umfang zu pflegen, einigt man sich auf einen faulen Kompromiss. Doch mit der Sturmflut kommt es zur Katastrophe …
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Wie fanden wir Der Schimmelreiter?
Wie so oft bei Schul-Pflichtlektüre ist auch die Erinnerung an den Schimmelreiter äußerst zwiespältig. Die Diskussion darüber, ob die Geschichte wirklich eine Novelle ist, ist ebenso anstrengend wie das Graben nach möglichen versteckten Symbolen. Denn auch die kann man so zwar deuten, aber muss es vielleicht nicht unbedingt. So etwa die berüchtigte Frage nach dem Gegensatz zwischen der männlich-naturwissenschaftlich geprägten Erzählstruktur und dem auch zwischen den Zeilen ausgedrückten weiblich-abergläubischen Symbolen. Eine Zuordnung, der man sich heutzutage ohnehin nur ungern anschließen mag.
Lässt man all das aber beiseite und liest den Schimmelreiter so, wie man eine Geschichte eben lesen sollte, nämlich mit Freude an der Erzählung, dann macht das richtig Spaß. Denn der Schimmelreiter ist sehr, sehr spannend. Die faszinierende Entwicklung von Hauke, seine harte Haltung gegenüber den Dorfbewohnern und die Liebe zu seiner Familie könnte in einem anderen Rahmen durchaus für einen modernen Bad Boy herhalten. Und auch die Art, wie er als eine Art Ingenieur an dem Aberglauben seiner Umwelt scheitert, ist sehr mitreißend beschrieben.
Am bemerkenswertesten ist aber die raffinierte Technik, mit der Theodor Storm seinen Erzähler versuchen lässt, den Hintergrund der Gespenstererscheinung des Schimmelreiters vernünftig zu erklären. Gerade weil er damit letztlich scheitert, denn die „wahre Geschichte“ könnte ebenso gut der Beweis für den Geist sein, wie dessen Wiederlegung. Und so bleibt es dem Leser selbst überlassen, ob er an Gespenster oder eine lebhafte Fantasie glauben will. Damit aber ist die Grenze zwischen Wahrheit und Wahrnehmung so geschickt durchbrochen, dass die Grundvoraussetzung für Fantasy – das „Für möglich halten können – geschaffen wird. Und deshalb ist für uns der Schimmelreiter nicht nur ein Meilenstein der Weltliteratur, sondern auch ein frühes Beispiel echter Fantasy. Auch wenn es dieses Genre damals noch nicht gab.
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Wem verdanken wir den Klassiker?
Hans Theodor Woldsen Storm wurde 1817 in Husum geboren. Der im bürgerlichen Leben als angesehener Richter tätige Schriftsteller gilt als einer der großen Namen des deutschen (poetischen bzw. bürgerlichen) Realismus und erlangte mit seinen Balladen und Novellen Weltruhm. Seine Geschichten spielen vielfach in seiner norddeutschen Heimat, zu der er sich in seinem Werk stolz bekennt. Neben seinem wohl bekanntesten Werk, „Der Schimmelreiter“, kennt man heute noch vor allem „Immensee“ und die Ballade „Die Stadt“.
Mehr über Theodor Storm erfährt man auf der Homepage der Theodor-Storm-Gesellschaft.
Hier kann man die Novelle beziehen:
- Ganz legal und kostenlos gibt es Der Schimmelreiter beim Projekt Gutenberg (DE)
- Und wer mag kann (gleichfalls kostenlos) das vollständige Hörbuch bei Librivox.org herunterladen.
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Weitere Klassiker der Fantasy (oder genauer der phantastischen Literatur) haben wir euch in unserer Fantasy-Classics-Liste vorgestellt.