Feuer frei auf die Buchpreisbindung?
Es gibt Themen, die gehen einfach immer. In der Buchwelt zumindest gehört die Buchpreisbindung eindeutig dazu.
Die Buchpreisbindung ist ein Gesetz, das festlegt, dass „verbindliche Preise beim Verkauf an Letztabnehmer“ für Bücher gelten. Das bedeutet, dass Bücher (und seit 2016 auch E-Books) überall gleich teuer sind.
Sagen wir es kurz: Es gibt Gründe dafür und Gründe dagegen. Unbefriedigend ist hier vor allem das Hin und Her, mit dem man einfach nicht planen kann und schon gar nicht zur Ruhe kommt.
Gerade erst hatte sich die Bundesregierung anlässlich der Debatte um die diversen Freihandelsabkommen erst noch vehement für die Buchpreisbindung als letzter Garant der Kultur in Zeiten drohenden Analphabetentums eingesetzt, ohne die das Kulturgut Buch nicht überleben könne.
Jetzt hat sich aber die Monopolkommission, die die Bundesregierung in wettbewerbs- und kartellrechtlichen Fragen berät, für die Abschaffung der Buchpreisbindung ausgesprochen. Schließlich behindere sie den Wettbewerb und damit die Weiterentwicklung des Buchhandels.
Mit einem Proteststurm vom Watzmann bis zur Waterkant, aus Kulturministerien und Verbandsvertretungen. Der Börsenverein als Verband des deutschen Buchhandels hat ein eigenes Gutachten in Auftrag gegeben, das im kommenden Jahr vorliegen und die Bedeutung der Preisbindung hervorheben soll.
Um was geht es?
Der Stein des Anstoßes oder vielmehr das Gutachten der Monopolkommission mit dem Titel „Die Buchpreisbindung in einem sich ändernden Marktumfeld“ regt die Abschaffung der Buchpreisbindung an (Hier der PDF-Download).
Der Grund für diese Untersuchung war ein Urteil des EuGH, der die deutsche Arzneimittelpreisbindung als europarechtswidrig einstufte, wei sie mit der Warenverkehrsfreiheit nicht in Einklang stehe. Da liegt der Verdacht nahe, wenn der zur Begründung dieser Regelung bemühte Schutz der Volksgesundheit schon nicht zieht, es um den Schutz eines andernorts auch ohne solche Regelungen gedeihenden Kulturguts nicht besser läuft. So steht dann auch im Bericht:
„Zumindest in dem Umfang, in dem die Buchpreisbindung sich auf den grenzüberschreitenden Buchhandel auswirken kann, ist nicht auszuschließen – und in Hinblick auf E-Books sogar wahrscheinlich –, dass der EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren auch die Buchpreisbindung für mit dem EU-Recht unvereinbar erklären wird.“
Schwer widerlegbar kommt die Kommission neben diesen europarechtichen Bedenken zu dem Ergebnis, die Buchpreisbindung sei ein schwerwiegender Markteingriff. Wobei ihre Untersuchungen zu keinem klaren Ergebnis kommt. Und zwar sowohl in Bezug auf den Schutzzweck (bringt das was?) als auch in Bezug auf die sonstigen (Neben-)Wirkungen. Letztlich seien die kulturpolitischen Effekte nicht so stark, dass sie einen derart massiven Eingriff in den Wettbewerb innerhalb der EU rechtfertigen könnten. Gerade für E-Books, die erst 2016 in den Schutz einbezogen wurden, sei der internationale Warenverkehr massiv betroffen.
Befürworter der Buchpreisbindung verstehen nicht, wie die kulturpolitische Bedeutung der Preisbindung verkannt werden könne (Börsenverein), die den nabhängigen Buchhandel und die Verlage als Garanten der literarischen Vielfalt zu schütze (Kulturstaatsministerin Grütters).
Und was hat das für Folgen?
Ähnlich wie bei den Apotheken fürchtet man nun auch ein Sterben von Buchhandlungen in infrastrukturschwachen Gebieten. Eine Entwicklung, die allerdings auch mit der Buchpreisbindung längst begonnen hat. Ohne Preisschutz besteht die Gefahr, dass sich der Markt noch mehr auf einige weniger Anbieter reduziere. Dabei – so die Kritiker der Buchpreisbindung – wird allerdings unterstellt, dass das „Kulturgut Buch“ gerade durch den Erhalt der bestehenden Vertriebsstruktur zu schützen sei.
Die aber ist nach Ansicht des Börsenvereins der Grund, warum der „deutsche Buchmarkt, mit gut 9 Milliarden Euro Umsatz der zweitgrößte der Welt, ein Vorbild für Qualität und Vielfalt“ ist. „Die Preisbindung garantiert ein breites und vielfältiges Buchangebot“, schreibt der Börsenverein in seiner Stellungnahme zum Sondergutachten der Monopolkommission.
Wem nützt die Buchpreisbindung? Dem Buch oder Buchhandlung?
Genau diese Behauptung bezweifelt die Kommission. Zwar ist das Buch an sich fraglos ein schützenswertes Kulturgut und dieser Schutz auch grundsätzlich zulässig. Aber auf EU-Ebene eben nur dann, wenn dieses Ziel eindeutig definiert sei. Und da hapert es schon bei dem Ziel des Schutzes. „Kulturgut Buch“ sei zu allgemein ohne eine nähere Definition, was nun wann und unter welchen Voraussetzungen darunter falle. Das ist insofern spannend, weil die Regelungen zum Schutz des Buches dann eigentlich nur dem Schutz dessen bestehender Vertriebsstruktur über Verlag – Distributor – Buchgroß- und Einzelhandel dienen. Das zeigt sich schließlich auch darin, dass nur neue Bücher in den erstern 18 Monaten ihres Erscheines der Buchpreisbindung unterliegen. Dabei wären doch gerade ältere Bücher, im Verschwinden begriffene Titel, schützenswert. Dafür garantiert die Buchpreisbindung hohe Margen. Das führe aber dazu, dass der Handel satt und bequem geworden, den längst unaufhaltsam gewordenen Strukturwandel verpasse. Die Buchpreisbindung verlangsame ihn allenfalls.
Davon unabhängig müsste sicher sein, dass das Buch als solches überhaupt schutzbedürftig ist. Und schließlich auch, dass der Eingriff in den freien Handel ein geeignetes Mittel ist, das Buch zu schützen. Und zwar besser als jedes weniger massiv einwirkende Mittel.
Was passiert, wenn der EuGH die Buchpreisbindung verwirft?
Dann droht dem Buchhandel dasselbe fatale Schicksal wie den Apotheken. Denn während sich die ausländische Konkurrenz an das europarechtswidrige Gesetz und damit die Buchpreisbindung nicht mehr halten müssen, gilt deutsches Recht für Inländer fort. Das heißt, Amazon wird frei, nicht aber der deutsche Verleger, Buchhändler oder Selfpublisher. Das hätte also genau das Gegenteil dessen zur Folge, was erreicht werden sollte. So würde der Handel nicht geschützt, sondern die notwendigen Strukturanpassungen der Branche geradezu behindert.
Bei den Apotheken hat die Bundesregierung auch versäumt, notwendige Anpassungen in den einschlägigen Gesetzen vorzumnehmen, um die hohen Ansprüche an die Qualitätssicherung (zB Kühlkette und Lagerpflichten) auch für die importierende Konkurrenz wie DocMorris zu regeln. Während also eine Apotheke nachweisen muss, dass ein Medikament zum Schutz seiner Wirksamkeit nicht über einer bestimmten Temperatur gelagert wurde, darf aus dem Ausland mit DHL in eine Packstation in der prallen Sonne geliefert werden. Das ist bei Büchern jetzt nicht so gefährlich, aber auch hier dürfte die Entwicklung für die deutschen Buchmenschen unschön werden.
Wie sähe es ohne Buchpreisbindung aus?
Eine schwierige Frage, zumal die Buchmärkte in den verschiedenen Ländern ebenso wie die hiesigen Lesegewohnheiten sehr unterschiedlich sind.
Umsatzeinbußen und fallende Preise?
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass die Zahl verlegter Bücher und der Umsatz mit Literatur von der Preisbindung nicht abhängt. Es gibt in Europa Länder mit Preisbindung, in denen wenig verlegt wird (Frankreich), und Länder ohne Preisbindung, die eine hohe Zahl jährlich neuer Titel haben (Estland, Island). Das ist zwar richtig, aber es stellt sich schon die Frage, ob die Situation vergleichsweise kleiner Länder wie Estland und Island tatsächlich mit dem deutschen Buchmarkt vergleichbar ist.
Wirklich gravierende Auswirkungen hätte ein Fall der Preisbindung aus Sicht der Kommission allerdings wohl nur für den stationären Buchhandel. Gerade im Digital-Bereich agierten Autoren, Leser und Verlage schon heute höchst preisflexibel. Daher könne die Abschaffung der Buchpreisbindung sogar positive Auswirkungen für den “Schutzgegenstand Buch” haben (Erschließung neuer Zielgruppen durch effizienteren Vertrieb).
So einfach dürfte es nicht sein, denn wenn der Preiskampf um die Titel für alle offen ist, dürfte er auch auf allen Ebenen entbrennen. Bislang konnten SP-Autoren gut damit leben, dass sie mit ihren aufgrund der bestehenden starr auf Verlagstitel ausgelegten Marktstruktur ohnehin nur bei Amazon nennenswerte Verkäufe erzielen. Dort konnten sie eine sehr flexible Preispolitik verfolgen, bei der kein Verlag mithalten kann. Das wäre Geschichte und es steht zu erwarten, dass speziell in den absatzstarken Mainstreambereichen nunmehr auch Verlage – mit einer völlig anderen Finanzmacht – in den Preiskampf eingreifen und sich verlorenes Terrain zurückerobern. Wie Amazon, Thalia und Co. reagieren, bliebe zudem abzuwarten, denn deren Flatrate-Modelle werden hiervon natürlich gefährdet. Wer so billig kaufen wie leihen kann, wird im Zweifel lieber kaufen, speziell, wenn ein E-Book keinen Platz wegnimmt. Amazon Publishing, die massiv auf die längst monopolgleich ausgebaute Online-Plattform des Konzerns einwirken, wäre hier der große Gewinner.
Das Ende des kleinen Buchhändlers?
Diese Sorge bestätigt auch der Börsenverein. Ohne Buchpreisbindung werde das heute bestehende filigrane Buchhandelsnetz, für das Deutschland weltweit vorbildlich ist, zerstört. Immerhin seien 90% der Buchhändler in Deutschland Einzelunternehmen und diese können mit den Billigpreisen großer Anbieter – nicht nur große Buchhändler oder Online-Plattformen, sondern etwa auch Supermärkte, Tankstellen nicht mithalten. Tatsächlich ist stationär die Galeria Kaufhof, ein Unternehmen der METRO-Gruppe, einer der größten deutschen Buchhändler.
Dagegen kann man trefflich argumentieren, ob diese Unternehmer mit einer sämtliche Marktentwicklungen und Kundenwünsche vehement ignorierenden Haltung wirklich schützenswert sind. Ist der Buchhändler an der Ecke noch „mein Buchladen“? Will er mich als Kunden, wenn er mir kategorisch Self-Publisher verweigert, nicht vorrätige Titel nur widerwillig bestellt, E-Books für Teufelswerk hält und allenfalls widerwillig über das von Libri, einem der großen Distributoren, mainstreamtauglich aufbereitete Portal zur Verfügung stellt? Kaufen nicht längst die meisten Händler umsatz- und aufwandoptimiert die Distributionsempfehlungen nach laufendem Regalmeter für ihr Genre? Dumm ist das ja nicht, denn das sind die Titel, die von den Verlagen budgetstark beworben werden. Sonst wären sie nicht in diesen Sortimenten, wo man für einen Platz bezahlen muss. Denn das sind die Bücher, die nachgefragt werden.
Das Ende literarischen Lebes?
Der Verband befürchtet das. Die Folgen für die kulturelle Vielfalt wären in Deutschland katastrophal:
„Viele kleine und mittlere Verlage müssten aufgegeben, weil sie ohne den traditionellen Buchhandel keinen Vertriebskanal mehr für ihre Bücher haben. So würden nicht nur Buchhandlungen als essentielle Orte der Literaturvermittlung und des kulturellen Lebens wegbrechen, sondern auch zahlreiche kleine und mittelgroße Verlage, die das Rückgrat unserer Branche sind.“
Es wird eine reine Bestseller-Kultur, die Monokultur des Buchregals und Entmündigung des Lesers prophezeit. Nun, wenn man die Verkaufslisten und die Programme der Verlage ansieht, haben wir das doch längst.
Erst durch das Self-Publishing, das nicht durch, sondern trotz der Buchpreisbindung gewachsen ist, kam Bewegung in den bis dahin seid Gutenberg von oben diktierten Buchmarkt. Erst mit Autoren wie Amanda Hawkins oder E.L. James kamen Titel, die die Leser wollten, in den Fokus. Self-Publisher, die am Buchmarkt vorbei Leser direkt angesprochen haben, gaben Titel abseits der Verlagsprogramme überhaupt eine Chance. Auch wenn sie heute natürlich gerne von allen Verlagen verlegt werden. Frischer Wind, innovative Ideen, modernes endkundenorientiertes Marketing – das sind Impulse, die das Buch lebendig halten. Und viele sagen, hier ist die Buchpreisbindung nur hinderlich. Sie stütze das alte System eines reinen Angebotsmarktes, wo der Leser eben kauft, was ihm im Laden angeboten wird. Auch wenn es so längst nicht mehr realistisch ist, weil sich immer mehr Leser online selbst informieren. So verhindere die Buchpreisbindung nicht nur eine Öffnung des Marktes nach außen, sondern auch hin zum Kunden.
Allerdings hat dies letztlich notgedrungen auch wesentlich zu der monopolartigen Online-Bedeutung von Amazon im Buchmarkt beigetragen. Amazon war der einzige Shop, der Selfpublishing wirklich gleichberechtigt zugelassen hat. Das ist schade, denn wie leicht könnten sich die Davids im Laden mit den Davids am Schreibtisch verbünden?