Writers in Prison 2021 und das große Wort von Freiheit
Die mächtigste Waffe aber ist das Wort, so wird oft und gerne zitiert. Doch ist das wirklich noch so?
Heute, am 15.11.2021, ist der internationale „Writers in Prison Day“ oder auch der „Tag der inhaftierten und verfolgten Autoren“.
Seit 1980 wird am 15. November der Menschen gedacht, die für ihre schriftstellerische oder journalistische Arbeit verfolgt, inhaftiert oder gar ermordet wurden, die sich gegen Unrecht und Zensur auflehnen. Die Schrifstellervereinigung P.E.N.* veranstaltet hierzu eine Reihe von Gedenk- und Informationsveranstaltungen, um hierauf hinzuweisen und den Betroffenen Unterstützung zukommen zu lassen.
Gerade Buchmenschen sollten nicht wegschauen, wenn Rede-, Denk-, Meinungs- und letztlich auch Kunstfreiheit beschnitten werden. Allein 2020 hat man von über 50 Fällen erfahren, in denen Autoren oder Journalisten wegen ihrer Arbeit gewaltsam zu Tode kamen. Das bereits zeigt, wie brisant das Thema ist. Viele weitere Menschen verschwanden einfach spurlos.
Skoutz möchte nicht wegschauen, sondern im Gegenteil auch auf diesen traurigen und tiefschwarzen Aspekt der Buchwelt hinweisen:
Writers in Prison 2021
In Deutschland werden hierzu von den derzeit über 900 bekannten Fällen, in denen es zu Inhaftierungen und schweren Repressionen kam, stellvertretend gravierende 5 Fälle durch P.E.N. Deutschland vorgestellt:
- Eritrea: 12 Autorinnen und Autoren sind seit September 2001 spurlos verschwunden.
- Türkei: Der Schriftsteller Selahattin Demirtas ist seit 2016 in Haft, obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2018 seine Freilassung angeordnet hat.
- China: Die uigurische Wissenschafts-Autorin Rahile Dawut wurde nach ihren Recherchen zur uigurischen Minderheit mutmaßlich in ein Internierungslage verbracht. Die chinesische Regierung verweigert jedwede Auskunft zu Anklagepunkten und Haftumständen.
- VAE: Weil er die Petition für politische Reformen unterstützte wurde der Jurist und Autor Mohammed Al-Roken unter dem Vorwurf, er habe mit einer geheimen Organisation den Sturz der Regierung vorbereitet 2012 festgenommen, vermutlich gefoltert und schließlich 2013 zu 10 Jahren Haft verurteilt. 2021 verabschiedete das Europäische Parlament eine Resolution, die unter anderem Al-Rokens sofortige Freilassung forderte – bislang ergebnislos.
- Kuba: Der kubanische Rapper Maykel Osorbo geriet wegen eines Protestsongs („Patria y Vida“) wegen „öffentlicher Unruhe“ im Mai 2021 in Haft. Er trat aus Protest gegen seine Inhaftierung und die Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Hungerstreik. Ein ordentliches Verfahren bleibt ihm weiterhin verwehrt. (hier ist der Link zum Lied auf Youtube*)
Verfolgung und Literatur
Die Nazis haben regelrecht eine Gattung in der Literatur mit ihren Bücherverbrennungen und Autorenverfolgungen hervorgebracht, die Exilliteratur, zu der so prominente Vertreter wie Bert Brecht, Rosa Luxemburg, Lion Feuchtwanger, die Brüder Mann, Nelly Sachs, Georg Elsner oder Oscar Maria Graf gehören. Sie schufen Gedichte, Romane und Erzählungen, obwohl sie „öfter die Länder als die Schuhe wechseln mussten“ (Brecht). Sie berichten von Fremdsein, von Hoffen und Bangen, von Verlusten und Angst, die sie ertrugen, weil sie schrieben, was sie dachten.
Ist es heute besser?
Daran hat sich seither leider nur wenig geändert, auch wenn die Verfolgten heute aus anderen Ländern stammen. Schriftsteller, Blogger, Publizisten, die sich für die Ausübung ihres Berufs in Lebensgefahr begeben. Sie werden bespitzelt, überwacht, inhaftiert, verschleppt, gefoltert und ermordet, weil sie gegen Menschenrechtsverletzungen protestieren, Umweltskandale oder Korruption aufdecken oder ihre Regierungen kritisieren.
Die mit der Pandemie einhergehenden Grundrechtsbeschränkungen verschärfen die Situation noch, reduzieren sie doch den Handlungsspielraum der Betroffenen noch weiter und bieten einen Vorwand, zu Repressalien.
„Viele Regierungen haben die Pandemie genutzt, um strengere Kontrollen und Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten durchzusetzen, Kritiker wurden unterdrückt, Journalistinnen an ihrer Arbeit gehindert. Unter dem Deckmantel von COVID-19-Vorschriften nahmen die Restriktionen leider weltweit zu.“
Ralf Nestmeyer, Vizepräsident und Writers-in-Prison-Beauftragter des deutschen PEN im Vorfeld des Writers in Prison Day 2021
Beispiele:
- In der Türkei laufen Schauprozesse gegen Journalisten und Autoren, die sich regimekritisch geäußert haben. Zahllose Menschen sitzen seit Jahren in Haft. Ein Ende ist nicht abzusehen.
- In Eritrea fehlt von mehreren seit 2001 jedes Lebenszeichen.
- Dem saudi-arabischen Kronprinzen Mohammed bin Salman wird der international aufsehenerregende Mord an Jamal Khasoggi vorgeworfen.
- Die Vorwürfe sind meist Volksverhetzung, Terrorpropaganda, Unruhestiftung, Aufruf zur Gewalt gegen Staat und Widerstand gegen Polizeibeamte, aber auch angebliche Bestechung, Prostitution oder andere medial gut inszenierbare Straftaten.
- Auf der diesjährigen Liste der „Feinde der Pressefreiheit“ des Vereins Reporter ohne Grenzen stehen 37 Staats- und Regierungsoberhäupter, darunter mit Viktor Orbán erstmals auch ein EU-Ministerpräsident, in einer langen Reihe neben z.B. Chinas Xi Jinping, Baschar al-Assad (Syrien), Alexander Lukschenko (Belarus) oder Jair Bolsonaro (Brasilien).
- Mexiko und Afghanistan gehören zu weltweit gefährlichsten Ländern für Medienschaffende.
- Nur um die Präsidentschaftswahl 2020 verzeichnete man in den USA über 500 Übergriffe auf Medienschaffende. Sie eskalierten im Zuge der Black-life-matters- Berichterstattung weiter.
- Auch der Umgang der US-Regierung mit Julian Assange im derzeit in UK geführten Auslieferungsverfahren wirft Fragen auf (hierzu unten auch ein Veranstaltungshinweis)
- In ¾ aller Länder ist die Pressefreiheit eingeschränkt. Im Zuge der Pandemie-Regelungen hat sich vieles verschlechtert. Ungarn stellte gar die Verbreitung von „Falschmeldungen“ unter Strafe. Ägypten verbot die Veröffentlichung von nicht autorisierten Infektionszahlen und in Syrien wurden gleich alle Nachrichten außer jenen der staatlichen Nachrichtenagentur verboten. Allein in China befinden sich über 100 Menschen in Haft, weil sie über Corona berichtet hatten.
- Russland führt eine Vielzahl von Gesetzen ein, die Pressefreiheit beschränken und die Online-Überwachung stärken.
- In vielen Teilen der Welt hetzen Staats- und Regierungschefs gegen Presse als Institution und schaffen unter dem Deckmantel angeblicher „Fake News“ ein in allen Gesellschaftsschichten bemerkbares Klima von Aggressivität und Misstrauen mit fataler Zersetzungskraft auch außerhalb der Presselandschaft.
- Auch in Deutschland steigt die Gewaltbereitschaft gegen Berichterstattung am Rande von Demonstrationen in erschreckendem Maße. Gewalttätige Ausschreitungen haben sich 2020 im Vergleich zu den Vorjahren verfünffacht.
Statistik:
In 73 von 180 Ländern wird unabhängiger Journalismus massiv blockiert (rot und schwarz auf der Karte von Reporter ohne Grenzen*), in 59 weiteren ernsthaft behindert (orange). Demnach gibt es in 3/4 der Welt keine wirkliche Pressefreiheit. Auch Deutschland ist aus der Riege der „guten“ Länder in diesem Jahr ausgeschieden und rangiert nur noch auf Platz 13. Damit wird die Situation von Reporter ohne Grenzen auch in Deutschland als nur noch „zufriedenstellend“ bewertet.
P.E.N. Deutschland veröffentlichte bereits die internationale Case List für das letzte Jahr. Die Statistik verzeichnet 220 aktualisierte Übergriffe im Zusammenhang mit Presse- und Äußerungsfreiheit und wirft ein Schlaglicht auf die Schwierigkeiten, denen Autorinnen und Autoren ausgesetzt sind, wenn sie sich unvoreingenommen äußern wollen. Ein Umstand, der durch die Pandemie nochmals massiv verstärkt wurde.
Was kann man tun?
Writers in Prison setzt mit öffentlichen Kampagnen und über diplomatische Kanäle für Verfolgte ein und kämpfen für deren Freilassung. Sie korrespondieren mit Angehörigen und nach Möglichkeit auch mit den Betroffenen selbst. Zudem setzen sich die Committees dafür ein, dass die Betroffenen eine Stimme bekommen, dass ihre Werke übersetzt, bekanntgemacht und publiziert werden.
Über die Friedrich-Naumann-Stiftung veranstaltet PEN Deutschland unter Mitwirkung von namhaften Autoren wie Nina George und Günther Walraff eine Informationsveranstaltung über Julien Assange:
„Der Fall Julian Assange – wie der Wikileaks-Gründer zum Gegner der US-Behörden wurde“ –
Onlinediskussion der Friedrich-Naumann-Stiftung / Thomas-Dehler-Stiftung in Kooperation mit dem PEN-Zentrum Deutschland
am Tag des inhaftierten Schriftstellers (15.11.) um 19 Uhr (bis 20.30h)
Über diesen Link kann man sich für die kostenlose Online-Teilnahme* registrieren.
Weiterführende Links:
- PEN Deutschland stellt seine diesjährigen Aktionen unter diesem Link* vor.
- Die Case List 2020, mit Informationen zu aktuellen Fällen (englisch) gibt es hier*.
- Die Jahresbilanz von Reporter ohne Grenzen ist hier* online abrufbar.
- Eine Übersicht über die schlimmsten Gegner der Pressefreiheit gibt es hier*
- Weitere Informationen über „Gefangenes Wort e.V.“ gibt es hier*
- Wikipedia bietet zudem eine Liste der Autoren*, die während der NS-Zeit wegen ihrer publizistischen Tätigkeit Repressalien ausgesetzt waren