Skoutz-Classics: Erdsee – philosophische High Fantasy von Ursula K. Le Guin
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Erdsee, ein insgesamt sechsbändiger Zyklus, dessen erstes Buch von Ursula K. Le Guin 1968 veröffentlicht wurde, ist ein gelungener Gegenentwurf zu Tolkiens Herr der Ringe. Sei es der Entwurf der Welt selbst, die Probleme der Protagonisten oder der deutlich philosophischere, stets um Gleichgewicht bemühte Ansatz, der (für diese Zeit keineswegs eher unüblich!) antirassistische wie auch feministische Tendenzen aufweist. Die besondere Leistung dabei ist, dass es Ursula Le Guin stets gelingt, ihre Anliegen durch die Handlung an den Leser heranzutragen und ohne moralisierende Dialoge auskommt. So ist Erdsee auch als reine Entspannungslektüre geeignet, die mit poetischer Sprache in eine der wundersamsten Welten der High Fantasy entführt.
Um was geht’s in Erdsee?
Wichtiges Element in Erdsee ist die Magie. Auch wenn man mit magischem Talent geboren werden muss, bedarf es zum Magier einer langen Ausbildung, der sich jedoch nur Jungen unterziehen dürfen. Um Magie auszuüben, muss man den wahren Namen eines Objektes kennen, der in der Sprache der Drachen formuliert ist, die keine Lüge zulässt. Der wahre Name wird daher von Jedem nach Möglichkeit geheim gehalten, denn er gibt dem Wissenden ultimative Macht über einen. Erdsee selbst besteht aus unzähligen kleinen und großen Inseln inmitten der Erdsee. Damit ähnelt die Welt eher einem östlich angehauchten Ozeanien als dem sonst üblichen europäischen Mittelalter.
In „Der Magier von Erdsee“ verschlägt es zunächst Ged, Sohn eines einfachen Bronzeschmieds, an die Zauberschule von Rok. Dort wird der „Bauernjunge“ von seinen Mitschülern nicht gerade herzlich empfangen. Trotzig übt sich Ged in verbotenen Künsten und stellt sogar eine Verbindung zum Totenreich her. Damit hat er aber Mächte entfesselt, die zu beherrschen niemand in der Lage ist und die nicht nur ihn, sondern ganz Erdsee bedrohen…
Gemeinsam mit der Hohepriesterin Tenar und dem jungen Prinzen Arren stellt sich Ged einem schier aussichtslosen Kampf, um seine Welt und alles, was ihm teuer ist, zu retten.
Wie hat uns Erdsee gefallen?
Der Zyklus ist geprägt von der Frage, wie eine ideale Welt aussehen könnte, und trägt damit eindeutig utopische Züge. Der nicht nur für philosophische Betrachtungen faszinierende Punkt an Erdsee ist aber der, dass es letztlich bei dem Streben bleibt. Die Welt von Erdsee kann niemals Perfektion erreichen, ohne zu erstarren. Zentrales Thema von Erdsee ist die Magie, die ihr innewohnende Macht und der – mehr oder minder – verantwortungsvolle Umgang mit ihr. Die spannende Handlung in den einzelnen, in sich abgeschlossenen Bänden entsteht dadurch, dass die Ausübung von Macht – gleich aus welchem Grund – immer auch den Verwender verändert.
Der Umgang mit den Drachen wirft die Frage auf, warum der Mensch ablehnt, was er nicht versteht, und was entstehen kann, wenn man Vertrauen wagt. Ein Thema, das von zeitloser Brisanz ist und auch unsere aktuelle Gegenwart beeinflusst.
Die Protagonisten von Erdsee, Ged, Tenar und viele andere, haben sich ihrem Schicksal zu stellen. Aber sie sind frei darin, was sie daraus machen. Und das zu verfolgen ist sehr, sehr spannend. Es geht hier weniger um die epischen Schlachten und die unaussprechlichen Gefahren, obwohl sie durchaus vorhanden sind. Spannend ist die Entwicklung der Figuren, die an ihren Schwächen scheitern oder wachsen können. Man muss einfach wissen, wie es mit ihnen weitergeht.
Erdsee hat dabei mit seinem Magie-Entwurf auch so namhafte Autoren wie Glenn Scott mit seiner Dark Fantasy rund um die Black Company ebenso beeinflusst wie Marion Zimmer Bradley in ihrem Darkover-Zyklus oder Christopher Paolinis Eragon (nicht nur in Bezug auf die Drachen). Letztlich hat Ged auch Harry Potter vorgelebt, wie man seinen inneren Dämonen begegnet.
Wem verdanken wir Erdsee?
Ursula K. Le Guin ist 1929 in Berkeley, Kalifornien, geboren und 2018 in Portland, Oregon, gestorben. Die Literaturprofessorin hat sich mit über 20 Romanen, zahlreichen Kinderbüchern, Gedichten und Kurzgeschichten zu Recht einen Platz in der Science Fiction Hall of Fame erschrieben. Wir haben anlässlich ihres Todes einen ausführlichen Nachruf verfasst, der diese großartige Autorin und ihr Werk würdigt (weiterlesen).
Weiterführende Informationen
Hier ist ein wunderbarer und sehr empfehlenswerter Artikel über den Weltenbau von Erdsee.
Dann haben wir hier den Link zur Gesamtausgabe auf Amazon.
Und schließlich die Englische Website von Ursula K. Le Guin