Skoutz-Classics: Das verräterische Herz – schaurige Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe
Das verräterische Herz (auch veröffentlicht unter „Das schwatzende Herz“, englischer Originaltitel: The Tell-Tale Heart) aus dem Jahr 1843 ist eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe und gilt als Klassiker der Schauerliteratur. Zugleich ist sie für alle „handwerklich“ Interessierten ein Paradebeispiel dafür, wie man technisch perfekt Spannung aufbaut und ein Prototyp der Suspense-Geschichte.
Um was geht’s in Das verräterische Herz?
Das verräterische Herz erzählt die Geschichte eines Mordes aus der Ich-Perspektive des Täters, der mit seinem Opfer, einem alten Mann, zusammen in einem Haus wohnt. An dem Alten stört den Erzähler dessen blassblaues Auge, das ihn irgendwie an einen Geier erinnert und vor dem er sich fürchtet, dessen (An)Blick er schlicht nicht ertragen kann und der unbändigen Hass in ihm auslöst. Allnächtlich schleicht der namenlos bleibende Erzähler sich schon fast zwanghaft um Mitternacht in das Schlafzimmer des Alten, leuchtet mit der Latern in sein Gesicht, um sicherzustellen, dass Auge geschlossen ist, um sich nicht vor dem „Bösen Blick“ fürchten zu müssen, um seinen Mordplan aufzuschieben.
Doch eines Nachts erwacht der Alte, noch bevor er angeleuchtet wird. Der Ich-Erzähler verhält sich still und rührt lange keinen Muskel. Durch die Dunkelheit des Schlafzimmers erklingt das Pochen des in seiner Angst wild schlagenden Herz des Alten und löst die erwartete Katastrophe aus …
Wie fanden wir Das verräterische Herz?
Wahnsinn! Und das im doppelten, ja dreifachen Wortsinn!
Die Art, in der E.A. Poe die an sich banale Kriminalgeschichte erzählt, beweist, warum er einer der ganzen Großen unter den Schriftstellern ist. Tatsächlich gelingt es ihm, uns in eine Geschichte zu ziehen, die mit dem elementarsten aller Spoiler beginnt. Wir erfahren, wer der Täter ist und auch, dass er gefasst wurde. Und trotzdem kann man sich der Faszination der Geschichte, die an dem kleinen Wort „warum“ aufgehängt ist, beim besten Willen nicht entziehen. Besser kann Suspense nicht sein.
Es beginnt mit der Beteuerung des Protagonisten, dass er zwar ein aufmerksamer Beobachter und leicht reizbar ist, aber auf gar keinen Fall wahnsinnig. Er berichtet, wie sehr er sein Opfer schätzte, ja liebte und dass er sich keinesfalls bereichern wollte. Die Schilderung, wie er in der Tatnacht im Dunkeln steht und völlig reglos wartet, wie sein verängstigtes Opfer, das sich seiner Anwesenheit bewusst ist, wohl reagieren wird, ist unfassbar intensiv. Das Spiel mit der Panik und die Macht über diese Angst habe ich so greifbar noch nie beschrieben bekommen. Bis der Protagonist bemerkt, wie das Herz des Alten immer lauter zu schlagen beginnt. Das wiederum versetzt ihn seinerseits in Panik, auch und gerade, als das Pochen auch nach dem Tod des Alten nicht endet.
Was macht das verräterische Herz zum Klassiker?
Das besondere an der Geschichte ist tatsächlich auch deren perfekte Technik. Da ist einmal die ständig wiederholte Beteuerung des Protagonisten, dass er nicht verrückt sei. Und zwar solange, bis ihn auch der gutmütigste Leser genau dafür hält. Dann der Umstand, dass Poe, ohne dass es einem bewusst wird, eigentlich nichts über den Protagonisten erzählt. Name, Alter, Geschlecht? Fehlanzeige! Auch in welcher Beziehung Täter und Opfer neben der Wohngemeinschaft zueinander stehen, bleibt völlig offen. Das aber erzeugt Spannung, denn man saugt geradezu ausgehungert jedes Detail auf, in der Hoffnung so wenigstens einen Hinweis zu bekommen, der die eigene Neugier bezähmt.
Das phantastische Element liegt wieder einmal an der Grenze zum Wahnsinn verborgen. Ist das Geierauge wirklich bedrohlich oder handelt es sich um eine harmlose Anomalie? Schlägt das Herz des Alten tatsächlich so laut und über den Tod hinaus oder ist es die Einbildung des überreizten und in sich zerrissenen Täters? Wird der Leser Zeuge eines paranormalen Ereignisses oder zieht ihn der Erzähler in seine psychotisch verwirrte Welt?
Es ist letztlich einerlei, denn fraglos hat Poe wie kaum ein anderer Autor nachfolgende Autoren – speziell Horrorautoren – inspiriert und beeinflusst. Deshalb ist sein Werk aus dem Stammbaum der Fantasy nicht wegzudenken.
Wem verdanken wir das verräterische Herz?
Edgar Allan Poe, 1809 in Boston geboren und 1849 nach einem Nervenzusammenbruch mit Suizidversuch gestorben, gilt als Großmeister und Vater der Kurzgeschichte. Sein Gesamtwerk lässt sich grob in Horror- und Detektivgeschichten sowie Lyri einteilen. Daneben erfuhr auch sein literaturtheortisches Werk über die Kurzgeschichte viel Beachtung. Typisch für Poe ist sein kompromissloser Fokus auf die unmittelbare Wirkung seiner Texte auf den Leser. Er benutzt ihn quasi wie eine Echowand benutzt und ihm all seine Aufmerksamkeit. Oft bis hin zu dem häufig von ihm eingesetzten Stilmittel, ihn aus der Erzählsperspektive der 1. Person unmittelbar anzusprechen. iele seiner Geschichten werden von einem sehr emphatischen Ton mit vielen Superlativen und Ausrufezeichen bestimmt, den manche Leser als sehr anstrengend empfinden. Meist ist dies aber die Sprache der überreizten, verrückten oder drogensüchtigen Ich-Erzähler.
Wie so oft galt auch hier der Prophet nichts im eigenen Land und so wurde Poe in den USA lange Zeit ignoriert. Dafür setzte sich in Frankreich unter anderem Baudelaire für ihn ein.
Hier gibt es das verräterische Herz:
Ganz legal und kostenlos könnt ihr den Text hier beziehen:
Englisches Original bei Literature.org
Deutscher Text bei webarchive.org
Weitere Klassiker der Fantasy (oder genauer der phantastischen Literatur) haben wir euch in unserer Fantasy-Classics-Liste vorgestellt.