Mehr Ruhm für Rumänien – Skoutz unterwegs
Liebe Skoutze,
Hand aufs Herz – was wisst ihr von Rumänien?
Fällt euch mehr dazu ein als Dracula? Nein? Gut, ein paar von euch dürften Silvia Hildebrandt und ihre „Stadt der Freiheit“ kennen, denn immerhin stand sie mit ihrem spannenden historischen Roman, der in Rumänien spielt, im Finale des Skoutz-Awards 2021.
Aber wir hoffen, das reicht euch noch nicht.
Dann lest den Artikel, denn am Schluss stellen wir die Frage nochmal! 🙂
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Mehr Ruhm für Rumänien – mit Skoutz durch ein unterschätztes Land.
In unserem Special unterhalten wir uns zunächst einmal mit Silvia Hildebrandt, die nicht über Rumänien schreibt, sondern selbst in Rumänien geboren ist und daher das Land bestens kennt. Dazu gibt es noch eine Buchliste mit Lesetipps aus und über Rumänien. Und – weil Liebe durch den Magen geht – noch ein Kochrezept.
Liebe Silvia, vielen Dank, dass du dir für unser Rumänien-Special Zeit nimmst, uns ein paar Fragen über Rumänien zu beantworten.
Das mache ich sogar ausgesprochen gerne, weil ich wirklich und wahrhaftig für mein Land brenne. Rumänien muss einfach viel bekannter werden.
Und darum sind wir ja heute hier!
Rumänien ist ein Land, das alle irgendwie kennen, wenn man mit Dracula ein Stichwort gibt. Ein paar wissen noch, dass da ein schwieriges Regime war, Ceausescu oder so, aber danach wird es mau. Jetzt haben wir mit dir eine Rumänin auf der Skoutz-Couch.
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Also: Was macht für dich Rumänien aus?
Rumänien hat erst einmal eine wunderschöne Landschaft und eine reichhaltige Geschichte. Es beinhaltet eigentlich alles, was man für einen Roman braucht, das pralle Leben. Besonders den ganz eigenen rumänischen Humor liebe ich sehr. Und das rumänische Temperament! Wobei man da aufpassen muss: Die Leute können extrem launisch werden.
Das habe ich auch schon gehört. Angeblich sind die Rumänen die Italiener des Ostens. Letztlich ist auch die Sprache sehr ähnlich. Ist da was dran?
Ja, das ist durchaus so. Die Sprache macht ja auch die Mentalität aus. Aber das ist natürlich zu kurz gegriffen. Es gibt Ähnlichkeiten. Wir reden zum Beispiel auch gerne viel und lang, nächtelang. Wir sind extrem gastfreundlich, sehr hilfsbereit, gesellig aber man kann es sich auch sehr schnell verscherzen. Da hast du dann auf einem gerade noch total ausgelassenen Grillfest plötzlich einen Temperatursturz.
Ist das historisch bedingt, da sind sehr viele dunkle Flecke, soweit ich das weiß, oder?
Oh ja! Rumänien ist ein Land, das es wirklich extrem hart erwischt hat. Immer wieder. Das geht auch an seinen Leuten nicht spurlos vorüber, gerade weil wir unser Land so lieben. Und daher wird das eine oder andere schon persönlich genommen, eben auch weil vieles noch nicht aufgearbeitet ist.
Aber daran arbeitest du ja zum Beispiel mit deinen Geschichten. Die Handlung selbst ist ja fiktiv, aber die Probleme deiner Figuren beruhen auf historischen Fakten und sind insofern schon auch eine Art Aufarbeitung, oder?
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Wie siehst du dich als Deutschrumänin, die in Deutschland lebt aber in Rumänien ihre Wurzeln hat?
Ambivalent. Ich teile ein Stück weit das Schicksal vieler Auswanderer, die in der Heimat jetzt eben die Deutsche ist und hier die Rumänin. Das war eine Weile sehr schwierig. Aber jetzt habe ich meinen Weg gefunden, sehe mich, weil ich da geboren bin, als Rumänin, die eben gern in Deutschland lebt.
Woran hängt deine rumänische Seele besonders?
Dass alles irgendwie zeitlos zu sein scheint. Nicht nur die grandiose Landschaft und die vielen historischen Bauten. Auch das Leben selbst. Ein Grillabend, eine Feier oder auch einfach nur geselliges Beisammensein – all kann sich bis zum Morgengrauen hinziehen. Ich liebe das!
Oh, lass uns hinfahren. Das klingt wundervoll. Wie aus einer anderen Zeit.
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Wie geht man in Rumänien mit Corona um?
Anfangs war man in Rumänien total streng, eines der ersten Länder mit richtig hartem Lockdown und hat auch früh mit dem Impfen begonnen. Dann kam der deutsche Skandal mit diesem Fleischfabrikanten und den dortigen Leiharbeitern, das war blöd. Denn da waren wir dann in aller Munde, obwohl es im Land nicht so schlimm war, wie an vielen anderen Orten.
Rumänien ist ja ein ziemlich großes Land. Und auch sehr vielseitig vom Schwarzen Meer über die Bergwälder der Karpaten bis zum rumänischen Teil des Puszta.
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Ist Rumänien für dich eher Stadt oder eher Land, eher Meer oder Berge?
Für mich persönlich ist Rumänien ganz untypisch das platte Land des Puszta, das sich im westlichen Zipfel erstreckt. Da bin ich geboren. Eine flache, gelbe Landschaft bis zum Horizont, kleine Flüsschen, in denen man badet, Bäume, deren Stämme zur Hälfte geweißelt sind, und eine einsame Landstraße, die irgendwann ins wunderschöne Temeswar führt – das ist für mich mein Rumänien.
Das ist jetzt eher exklusiv. Ich gebe zu, dass ich gar nicht wusste, dass Ungarn und Rumänien sich die Puszta teilen.
Rumänien ist wirklich groß. So wenig wie ein Hamburger und ein Müncher dasselbe Bild von Deutschland haben, gibt es nur ein Rumänien. Nicht nur die Natur, auch die Städte. Manche sind fast osmanisch im Osten, andere sind sehr deutsch. Das ist das Habsburger-Erbe. Und an vielen Orten schwingt auch spürbar Geschichte. Revolution, Drama! Das ist eben auch Rumänien.
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Und was nimmt man als Rumänien-Urlauber mit nach Hause?
Wenn du eingeladen wirst, bekommst du immer was zum Essen mit nach Hause. Da kocht man 5 Tonnen, damit ja alle satt werden und tatsächlich isst man eine, was echt sportlich ist, weil wir auch sehr viele Mehlspeisen haben, da merkt man wieder das K&K-Erbe. Den Rest bekommt man mit nach Hause. Aber dafür muss man beim Abwasch helfen, das gehört sich so.
Gut zu wissen! Und außer Mehlspeisen? Gibt es was wirklich typisch Rumänisches?
Unbedingt muss man die rumänischen Krautwickel, so eine Art Kohlroulade, probieren, Sarmale. Das wird mit fermentierten Kraut gemacht. Das Hackfleisch ist fein mit edelsüßem Paprika gewürzt. Und beides wird ganz zart dann. Man isst das mit einem Klecks Schmand auf der Soße. Es ist ein Weihnachts- oder Silvestergericht. Jede Familie hat ihr eigenes Rezept. Das kann dann Weihnachten schon zur Familienkrise führen, wenn sich die Zweige des Stammbaums treffen. Und wieder sind alle beleidigt. (Lacht),
Das kann ich mir vorstellen. Und was für Souvenirs kauft ein braver Tourist?
Natürlich alles mit dem Konterfei von Vlad Tepes, den historischen Vorbild von Graf Dracula. Schnaps ist auch ein typisches Mitbringsel und Holzteller. Für Insider eventuell Tischdecken mit dem rot-weißen Muster.
Ich kenne sonst nur noch diese prächtigen gewachsten Ostereier.
Das ist mehr östlich – eine orthodoxe Tradition. Aber sie sind wirklich schön.
Und lasst euch einen rumänischen Grillabend nicht entgehen. Das ist Rumänien, da fließen alle Einflüsse seiner verschiedenen Bewohner ineinander. Gutes Essen, wundervolle, laaange Abende, Musik und Folklore, in der man sich nach anfänglicher Fremdheit sofort heimisch fühlt, am besten mit ein paar Schnaps intus.
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Was ist denn nun typisch rumänisch?
Ein bisschen hin und her und hin und her … wie unsere Geschichte eben auch. Launisch. Unser Galgenhumor ist legendär. Das vermisse ich sehr in Deutschland.
Oh ja, wenn wir uns ein bisschen weniger ernst nähmen in Deutschland, das täte uns gut. Worüber lacht man denn in Rumänien? Was gibt es für Redensarten, welche Flüche? Ich finde das sagt sehr viel über ein Land.
Nici te fut nici te lasa. Das heißt wörtlich übersetzt „Weder fickt er dich noch lässt er dich in Ruhe.“ So was wie: Weder Fisch noch Fleisch. Typisch rumänische Witze sind meist sehr spezielle Wortwitze, die kann man nicht übersetzen. Da muss man schon die Sprache dafür lernen. Und das Gefluche – das ist definitiv nicht jugendfrei! 🙂
Ein schönes Sprichwort ist auch: Rumänien ist das schönste Land der Welt, nur schade, dass es bewohnt ist. Die Rumänen nehmen sich auch selbst gern aufs Korn. Aber wehe, jemand anderes macht das!
Ich habe mich in Vorbereitung auf dieses Rumänien-Special mal von Google etwas aufschlauen lassen und war schwer beeindruckt von der glorreichen Vergangenheit Rumäniens. Lass uns doch darüber ein bisschen sprechen.
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Was sollte man über Rumänien wissen … ?
Zunächst, dass es viele enge Verbindungen zur deutschen Geschichte gibt. Wir haben mit den Deutschrumänen auch eine große deutschsprachige Gruppe im Land, die man hierzulande kaum wahrnimmt. Was sehr schade ist.
Und ja, die Vergangenheit war glorreich. Anfang des 20. Jahrhunderts war es das sechstreichste Land der Welt, das erste in Europa mit elektrischer Straßenbeleuchtung. Tja, nach dem Faschismus und dem Kommunismus ist davon kaum mehr etwas geblieben.
Darum war ich so fasziniert von deinen Büchern, die genau das aufgreifen und mit so viel Liebe erinnern. Gerade, weil wir so wenig von unseren Partnerstaaten in der EU wissen, also Ländern, mit denen wir eine Gemeinschaft bilden wollen.
Ja, vom Prager Frühling, dem Kalten Krieg auf der anderen Seite des eisernen Vorhangs, der Hinwendung zu den USA unter Ceausescu, dem Zusammenbruch des Ostblocks – in Deutschland ist die Perspektive immer so amerikanisiert. Auch was die Aufarbeitung anbetrifft. Dabei läge der Blick nach Osten nicht nur in räumlicher Hinsicht näher.
Da ist die Literatur eine hervorragende Methode um ganz unaufdringlich Bildungsarbeit zu leisten. Und auch Verständnis. Weil man eine Romanfigur emotionaler viel näher an sich heranlässt und mit ihr mitfühlt und mitleidet, als wenn einem in einer Dokumentation sachlich die Fakten ausgebreitet werden. Das nützt du ja auch in deinen Büchern. Und du greifst auch kritische Themen auf. Homophobie zum Beispiel.
Ja. Das ist leider ein Thema. Nicht überall, nicht offen, aber unterschwellig. Speziell in den rumänisch-orthodox geprägten Gebieten, die sich mit diesem Lebensentwurf sehr schwer tun.
Bleiben wir noch bei der Literatur.
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Warum wirkt die Literaturszene so zerstritten?
Als die Deutschrumänin Hertha Müller 2009 den Literaturnobelpreis erhielt, war der Jubel in Rumänien eher verhalten. Warum?
Hier kommen die Ethniengrenzen und -streitereien zu tragen. Für die Rumänen ist Müller eine Deutsche und auch sie selbst will nicht als Rumänin gesehen werden. Deutschrumänen grenzen sich da bewusst ab. Ähnlich wie ich, schreibt auch sie über die sehr dunklen Zeiten Rumäniens. Die will man am liebsten vergessen. Und reagiert, ich erwähnte es schon, beleidigt, wenn man daran erinnert wird.
Moderne rumänische Literatur habe ich – Schande über mich – tatsächlich erstmals 2018 bewusst wahrgenommen, als die LBM das Land in den Fokus setzte.
Auch Iris Wolf hat für ihre „Unschärfe der Welt“ Ärger bekommen. Sie beschreibt so wunderbar poetisch die Schönheit Rumäniens, speziell der Landschaften. Und das wirft man ihr vor, denn wie kann man denn aus der kommunistischen Zeit etwas schön finden. Das sei nicht richtig, dunkle Zeiten mit schönen Worten zu schildern.
Ich fand dagegen gerade diesen Gegensatz sehr spannend. Durch die Schönheit des Landes wurde das Grauen der Menschen eher betont als verharmlost, finde ich.
Aber es ist schon eine starke Szene in Rumänien vorhanden. Mircea Cărtărescu wurde immerhin in diesem Jahr auch für den Nobelpreis gehandelt. Sein „Soleoid“ fand ich auch beeindruckend. Das aber ist ja die hehre, im Feuilleton gefeierte Literatur. Gibt es da auch einfachere Kost, die – das will ich deutlich sagen – nicht schlechter ist.
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Welche Bücher empfiehlst du da als Insider?
Rumänische Literatur habe ich tatsächlich erst kennenlernt, nachdem ich meine Romane geschrieben habe. Auf meiner Leseliste habe ich auch mal die etwas „leichteren“ und meine liebsten Bücher aufgeführt. Unseren Nationaldichter Eminescu kenne ich immer noch nur von der Banknote her. Da habe ich einiges aufzuholen.
Liebe Silvia, ich fand das unfassbar spannend und möchte nochmals allen auch deine Bücher ans Herz legen. Aber eine Frage hätte ich noch zum Schluss:
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Was würdest du dir von den Skoutzis für Rumänien wünschen?
Bitte, bitte lest mehr über dieses wundervolle und geschichtsträchtige Land! Das ist fast schon ein Muss – so sehr wie die deutsche und rumänische Geschichte miteinander verknüpft ist; in schlechten wie in noch schlechteren Zeiten 🙂
Dem schließen wir uns gerne an und ich hoffe, wir haben mit diesem Special einen guten Anfang gemacht.
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Hier erfahrt ihr mehr:
- Über Silvia Hildebrandt, mit der wir auch ein Autoren-Interview geführt haben, um mit ihr über ihre Nominierung für den Skoutz-Award zu plaudern.
- Über Silvia Hildebrandts Rumänien-Reihe, die mit „Stadt der Freiheit“ beginnt und die bei Skoutz-Award dann auch in der Kategorie History bis ins Finale gekommen ist.
- Über weitere Literatur von Rumänen und über Rumänien
(Leseliste Rumänien) - Silvias Rezept* für diese köstlichen Krautwickerl. Und ein paar weitere hat sie auch noch (hier*)
- und Wikipedia* für alle, die sich noch ein bisschen über die Eckdaten informieren wollen.
Und ganz gewiss fällt euch jetzt mehr ein, wenn wir fragen, was ihr über Rumänien wisst!
Hinweis:
Liebe Skoutze, weil die Buchwelt nicht nur bunt, sondern auch groß ist, möchten wir künftig mit euch immer wieder mal Ausflüge in Länder machen, deren Geschichte und Geschichten wir noch nicht so gut kennen.