Zu Besuch bei Aiki Mira
Heute sind der Skoutz und ich auf dem Weg zu Aiki Mira. Von Janna Ruth wurde der Titel „Neongrau – Game over im Neurosubstrat“ auf die Midlist Science Fiction gewählt.
Bisher haben wir Aiki noch nicht persönlich getroffen und umso mehr freuen wir uns heute, Aiki kennenzulernen. Ich werde richtig angetrieben von unserem kleinen Skoutz-Kauz, der hat gut reden, ich habe ja keine Flügel.
Aber an der Ecke, da sind wir richtig und wir sind da.
Zu Besuch bei Aiki Mira. Aiki betrachtet die Dinge gerne entschleunigt
Hallo liebe Aiki, wir freuen uns sehr, dass wir dich heute besuchen dürfen und du für uns Zeit hast.
Wir haben einige Fragen im Gepäck und sind auch sehr gespannt, was du uns zu erzählen hast. Gerne würden wir sofort anfangen aber unser neugieriger kleiner Skoutz schaut sich gerade erst mal bei dir um …
Wo sitzen wir denn, also wo willst du uns empfangen?
Wir sitzen auf meinem winzigen Balkon zwischen Tomaten- und Erdbeerpflanzen. Aus dem fünften Stock haben wir einen wunderbaren Ausblick auf zehn meterhohe Kastanienbäume und Hamburgs Dachlandschaft.
Der Ausblick ist wirklich fantastisch von hier aus, mir gefällt es hier sehr gut. Und mein Balkon ist auch ziemlich winzig, aber ein Platz zum sitzen findet sich immer.
Und hier habt ihr auch einen Tee, greift zu.
Danke sehr gerne. Du hast es echt toll hier!
Nach welchem Motto lebst du? Und wirkt sich das auch auf dein Schreiben aus?
Meist denke ich: das Leben ist kurz und am Ende werde ich vor allen die Dinge bereuen, die ich nicht getan habe. Auch beim Schreiben versuche ich, mutig und experimentierfreudig zu sein.
Das ist gut! Ich versuche auch immer mutig nach vorn zu preschen. Spaß, den wir hatten, kann uns schließlich keiner mehr nehmen! Und ist es nicht so, dass die meisten guten Geschichten erst mal mit einem fetten „Ups!“ beginnen?
Was ist dein erster Gedanke, wenn ich dich frage, was du GAR NICHT magst?
Mein erster Gedanke: das ist schwer zu beantworten!
Kein Problem, wir haben es nicht eilig. (Schenkt sich Tee nach). Warum?
Weil ich nicht in Absolutismen denke. Dinge, Menschen, die Welt erscheinen mir dafür zu komplex. Wenn mich Menschen verletzen, mag ich das vielleicht nicht, aber viel interessanter für mich ist: warum tun sie das? Ich will es verstehen. Das ist immer mein erster Reflex. Ich würde mich dann also erst recht mit diesen Menschen auseinandersetzen wollen.
OK, also das kann ich schon gut verstehen. Wenn ich Dinge nicht verstehe. setze ich auch alles daran, sie zu verstehen. Nur so können wir nebeneinander und besser noch miteinander leben.
Auch bezogen auf persönlichen Geschmack wie z.B. beim Essen finde ich so eine Frage schwierig, weil sich mein Geschmack ändert, hoffentlich immer weiterentwickelt, expandiert!
Genau, dann kommt es dazu, dass ich beispielsweise vor 10 Jahren keinen Spargel gegessen habe und den heute unglaublich gerne mag.
Als Klischee wird man nicht geboren, sondern muss sich den Titel erarbeiten. Klischees sind so praktisch wie lästig. Wie gehst du persönlich mit ihnen um? Beim Schreiben wie im Leben?
Ein Klischee ist für mich wie eine Verkürzung, ein Stummel. Ein Kürzel wird einer Sache oder einem Menschen nie gerecht. In der Auseinandersetzung mit meiner Umwelt, nehme ich mir gern Zeit und versuche offen zu bleiben – besonders für das Überraschende! Das führt dann dazu, dass ich Kürzel und Klischees nicht brauche oder nicht besonders nützlich finde.
Da sprichst du jetzt ein wahres Wort gelassen aus. Klischees sparen in Bereichen, wo es z.B. nur auf flüchtige Kontakte ankommt, Zeit. Gerade, weil sie mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit in der jeweiligen Facette zutreffen. Wenn man dann mehr Zeit mit dem Thema oder auch dem Menschen befasst ist, brechen die Klischees ja von allein auf.
Wenn ich ehrlich bin, mag ich daher Klischees beim Lesen gerne. Sie helfen, ein erstes Bild zu wecken. Besonders, wenn diese Klischees dann aufgebrochen und damit gespielt wird. Hängt aber natürlich auch ein bisschen vom Genre ab, wo die Leseerwartungen mehr oder minder ausgeprägt sind.
In welchen Genres schreibst du? Hast du dich bewusst dafür entschieden oder hast du nachher überlegt, wie du deine Geschichte einordnest?
Science Fiction ist mein Genre, besonders near future Geschichten, die fast heute spielen.
Ich mag Science Fiction generell und near future total. Das hat immer so eine besondere Spannung, weil es für mich greifbarer ist, als das, was irgendwann 2390 oder so spielt.
Auch New Weird finde ich spannend, da hier Unheimliches auf Rationales trifft.
Toll! Da schlägt SF dann eine Brücke zur Fantasy – auch das mag ich, wenn die „Genre-Klischees“ gemischt werden und so etwas neues entsteht. Bist du nur in der SF unterwegs?
Nein. Manchmal schreibe ich auch einfach nur gegenwärtig ohne Science Fiction Elemente. Am liebsten jedoch hyper-jetzt. Es reizt mich zu versuchen, die Beschleunigung, mit der wir gerade durch die Gegenwart rasen, einzufangen. Und ich bin überzeugt Near Future kann das!
Da sind wir wieder bei dem Feiern einer gelassenen Langsamkeit. Wieso eignet sich Near Future da besonders?
Statt einem statischen Abziehbild wie es aktuelle Gegenwartsliteratur anfertigt, möchte ich mithilfe von Near Future ein Bewegungsbild, vielleicht sogar ein Video schreiben – so zumindest der Versuch/ die Vision.
Das hört sich total spannend an! Gelingt es?
Klar, schaffe ich das nie, was perfekt ist, weil es mich antreibt damit weiterzumachen.
Ha, damit nimmst du mir die nächste Frage schon fast vorweg:
Von wem kommt deine strengste Kritik? Und wie gehst du mit ihr um?
Natürlich von mir selbst.
Ihr Autoren seid wirklich ziemlich perfektionistisch, das habe ich jetzt schon so oft gesagt bekommen. Das ist ja auch ein oft zitierter Grund für Schreib- oder präziser Abschlussblockaden. Ney Sceatcher meinte sogar, es fiele ihr schwer, Lob anzunehmen. Ziehst du dich mit zu viel Perfektionsanspruch nicht eher runter?
Ich bin sehr streng mit mir, aber ohne zu verletzen, sondern möglichst konstruktiv. Mir ist es wichtig, immer besser zu werden, daher brauche ich diese sehr strenge, sehr genau hinschauende Kritik, die weder persönlich beleidigend noch emotional ist, sondern einfach den Finger direkt in die Wunde/Schwachstelle legt.
Na, ein Finger in der Wunde tut jetzt aber schon weh. Aber ich weiß schon, wie du es meinst. Und das hilft dir dann?
Mir gibt das viel Sicherheit über meine Schwächen und Stärken möglichst genau Bescheid zu wissen.
Klingt logisch. Lass uns mal übers Lesen reden …
Ein Sprichwort sagt „Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt.“ – Wie findest Du diesen Satz?
Damit kann ich viel anfangen!
Ach, schön. Wir mögen den auch total gerne.
Neue Buchideen lasse ich gern über Jahre hinweg wachsen, lege also dauernd Gärten an. Bücher, die ich gelesen habe, trage ich im Kopf und im Herzen mit mir herum, denke über sie nach. Vor allem die Figuren, die ich dort getroffen habe, bleiben sehr nah bei mir.
Damit legst du dann sozusagen die Saat für künftige Entwicklungen – für dich, an dir und auch für eigene Geschichten. Das finde ich einen sehr schönen Ansatz, den wir so jetzt noch gar nicht hatten. Wenn du Bücher im Herzen trägst, stellst du sie gewiss auch ins Regal.
Mit welchem Buch wurde deine Liebe zu Büchern geweckt?
Ich lese, seit ich lesen kann und schreibe, seit ich schreiben kann. Und das quer durch alle Genres. Da gibt es nicht das eine Buch.
Ach so dann hast du auch schon sehr früh angefangen mit dem Lesen. Aber tasten wir uns an die Herzensbücher heran …
Es gibt immer wieder Bücher, die mich beeindrucken. Als ich in der Schule gerade lesen gelernt hatte, schenkte mir meine Tante L.M. Montgomerys Anne auf Green Gables. Das Buch kam mir damals unüberwindbar dick vor, aber ich las es und erinnere heute noch Details.
Das sind so die ersten Leseleistungen, gell? Ich fand das als Kind auch immer total schön, wenn ich einen für mich dicken Schmöker gelesen habe, da war ich total stolz. Da du ja Science Fiction-Autorin bist, wer hat dich da infiziert?
In der Science Fiction waren es insbesondere die Bücher von Ursula K. Le Guin, die mich geflasht haben.
Ja, die haben wir auch schon öfter vorgestellt mit ihren Klassikern. Wir waren sehr traurig, als sie gestorben ist. Was liest du aktuell?
Jetzt gerade lese ich Anna Burns „der Milchmann“ und bin hin und weg.
Klasse! Aber zurück zu deinen Buchregalen …
Wie sortierst du deine Buch-Regale?
Ich lese zu viel, um zu kaufen. Meist lese ich aus der Bibliothek – ich liebe Stadtbibliotheken!
Ja, die fand ich auch immer so toll. Leider habe ich in meiner Nähe keine Stadtbibliothek mehr. Und hast du Zuhause dann keine Bücher?
Die relativ wenigen Bücher, die ich besitze, bedeuten mir alle etwas und werden nach keinem bestimmten Kriterium geordnet, dafür nehme ich sie viel zu oft in die Hand.
Das hört sich wirklich nach einer innigen Beziehung an. Da du so überlegt und genau beobachtend bist, freue ich mich jetzt auf unsere nächsten eher aktuellen Fragen, bzw. deine Antworten.
Die gesellschaftliche Diskussion über das, was man in der Kunst tun und lassen darf, ist zur Zeit sehr hitzig. Wie stehst du dem gegenüber und wie beeinflusst das deine eigene Arbeit?
Ich denke die eigene Freiheit, geht so weit, bis sie andere verletzt. Wann das passiert, kann ich nicht immer vorhersehen. Beispielsweise könnte ich in einer Story kritisch über Religion schreiben und das kann eine Person, die religiös ist, eventuell verletzen.
Das stimmt schon. Und wie gehst du damit um?
Wichtig finde ich darüber miteinander im Gespräch zu bleiben. Offen füreinander zu bleiben.
Beim Reden kann man sich in die Augen sehen und darüber im Gespräch bleiben.
Schreiben und Lesen sind für mich Übungen in Empathie. Ein Einlassen auf andere, auch fremde Perspektiven.
Ja, das ist doch auch Buch-Magie, wenn man durch die Augen eines Protagonisten völlig neue Einblicke in oder auf eine Sache erhält. Aber solche Experimente sind aktuell schwierig, weil jeder jedem so schnell böse Absichten unterstellt.
In Bezug auf die hitzigen Debatten hilft vielleicht, sich gegenseitig zu zugestehen auch Fehler machen zu dürfen und voneinander lernen zu wollen.
Ja! Das unterschreibt bei uns das ganze Skoutz-Team! Das wäre natürlich total gut und ich denke, auch ein toller Weg miteinander im Gespräch zu bleiben. Wenn wir schon bei Empathie und menschlicher Nähe sind, passt die nächste Frage gut:
Chat GPT und andere KI-Apps sind gerade in aller Munde. Was hältst du davon, dass KI Geschichten, ja ganze Bücher alleine verfassen kann? Sind das für dich überhaupt richtige Werke?
Für mich sind solche Entwicklungen eine gesellschaftliche Herausforderung, eine Revolution, die jeden denkbaren Bereich verändern wird und das bereits tut.
Ich denke auch, wir sind mittendrin. Aber nähern wir uns eher einer Utopie oder einer Dystopie?
Geschichten zeichnen sich für mich dadurch aus, dass auch wenn sie erfunden sind, emotional wahr sind und ich von ihnen dadurch etwas über die menschliche Existenz erfahre.
Ja, da sind wir wieder bei deinen Studien in Empathie
KIs leben noch nicht wirklich in unserer Welt. Sie können mir daher nichts über die menschliche Existenz noch über ihr persönliches Erleben der Welt näherbringen.
So sehe ich das auch. Gerade in der aktuellen Entwicklung nutzt KI eben auch nur Versatzstücke anderer Texte, also bedient sich fremder Worte und Emotionen.
Genau. Momentan können sie nur imitieren oder einfache Aufgaben übernehmen. Dadurch dass Chat GPT immer das Wahrscheinlichste (re-)produziert, werden ganz automatisch Klischees und Stereotype (re-)produziert. Aber ich bin weder an Imitation noch an Klischees interessiert. Wenn ich eine Geschichte lese, will ich die Welt durch die Augen eines anderen Wesens sehen und dadurch anders sehen. Ich will nicht das Wahrscheinlichste lesen, sondern überrascht und ergriffen werden.
So wie du das gerade sagst, klingt das richtig gut. Ich stehe da ganz bei dir. Ein lieber Kollege meinte, dass so die Chance entsteht, dass sich das Publikum wieder bewusst macht, was Lesen eigentlich kann. Dass also diese Mainstream-Fließband-Texte, die bestimmten Mustern folgend, wahrscheinlich als erste von KI zufriedenstellend geschrieben werden können, weniger gefragt und diese „echten“ Lesemomente, die du beschreibst, wieder wichtiger werden. Das ist ein schöner Gedanke.
Tja, und jetzt sind wir auch schon fast am Ende des Besuchs – wobei wir natürlich gerne noch ein bisschen bleiben und über Bücher schwärmen. Aber eines muss ich noch wissen:
Welche Frage sollen wir dir nächstes Jahr im Interview stellen?
Es wäre doch langweilig, die Fragen für das nächste Jahr jetzt schon zu kennen 😉
Nö, die Fragen sind nur so spannend wie die Antworten, die wir darauf bekommen.
Eure Fragen waren alle interessant und ich bin überzeugt, nächstes Jahr fällt euch bestimmt wieder etwas ein.
Wir bemühen uns natürlich.
Dankeschön für das sehr angenehme Interview!
Liebe Aiki, ja leider ist unser Interview schon beendet. Wir möchten uns herzlich bei dir bedanken, dafür dass du für uns Zeit hattest und wir dich besuchen durften. Es hat uns sehr gut bei dir gefallen und für den weiteren Wettbewerb wünschen wir dir viel Erfolg.
Hier gibt es mehr über Aiki Mira:
Skoutz Lesetipp:
»Ist nicht jede Reise ein kleiner Selbstmord? Egal wohin wir gehen, wir kommen nie als dieselbe Person zurück.« (Titans Kinder)
Verbunden in Space-Symbiose bilden Marlon, Rain und Sunita das perfekte Team – im All und auf fremden Planeten.
Was als gewöhnliche Marsmission beginnt, wird für die drei zur Reise ins Ungewisse. Eine geheime Forschungsstation sendete vor Jahren ein Notsignal. Niemand weiß, was passiert ist. Nur eins ist sicher: Der betroffene Planet gilt als No-Go-Area. Eine Forschungsstation hätte es dort nie geben dürfen.
Statt zum Mars reist das perfekte Team in die No-Go-Area. Dort wartet das größte Abenteuer ihres Lebens, etwas, das nicht nur sie selbst, sondern die gesamte Menschheit verändern wird.
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