Zu Besuch bei Thomas Knüwer
Heute sind wir zu Besuch bei Thomas Knüwer, den wir anlässlich seiner Nominierung für den Skoutz-Award interviewen wollen.
Ela und der Skoutz-Kauz sind daher unterwegs, um sich den Menschen hinter „Das kurze Leben einer immer wieder Sterbenden“, das auf der Midlist Science Fiction 2022 steht, näher anzusehen. Wenn wir einem Autoren zum ersten Mal begegnen, ist das ja immer besonders spannend …
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Zu Besuch bei Thomas Knüwer – der ein ganz besonderer Zugvogel wäre.
Hallo lieber Thomas, wie schön, dass es geklappt hat. Nachdem wir dein Buch jetzt schon vorgestellt haben, sind wir natürlich megagespannt auf den Menschen dahinter. Also lass uns doch gleich anfangen, ja?
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Wenn du ein Tier wärst, wärst du ein …?
… eine Streifengans. Oder eine Schwalbe. Die Streifengans fliegt am höchsten, die Schwalbe am weitesten.
Oh, das wusste ich gar nicht. Warum ist dir das wichtig?
Was für ein unbeschreibliches Gefühl muss es sein, als Streifengans über den Himalaya zu fliegen, am Gipfel des Mount Everest die Menschen anzuschnattern und in Katmandu einen Zwischenstopp für ein wenig Brot der Mönche einzulegen, ehe man den Sommer an einem chinesischen See verbringt.
Wow! Du hast ja einen richtigen Plan für deinen Vogel. Aber da wäre ich gern dabei. Fernweh inklusive. Aber bleiben wir mal bei dir als Person!
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Womit kann man dich im Alltag glücklich machen?
Ich liebe offenen und ehrlichen Austausch – gemeinsames Lachen, Ausdenken, Streiten, Diskutieren und Feiern. Ebenso liebe ich es, allein zu sein. Wenn die soziale Batterie leer ist, ziehe ich mich zurück. In Bücher, ins Schreiben, in meine Familie oder meinen Kopf.
Und was können andere Menschen zu deinem Glück beitragen?
Glücklich macht man mich damit, zu erkennen, wann ich Austausch und wann Alleinsein brauche.
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Wir alle haben Wünsche, für uns, für die Welt. Was sind deine und was tust du, damit deine Wünsche in Erfüllung gehen?
Mehr Zuhören. Ehrliches, interessiertes, offenes Zuhören.
Interessanter Ansatz. Erklär das mal genauer, bitte.
Wir sind alle in unseren Bubbles gefangen, egal, wie offen wir uns gerne geben. Unsere Sozialisation, Familie, Freunde, Bildung, und Privilegien prägen uns implizit wie explizit und schaffen eine Perspektive, die nie universell sein kann. Deswegen liebe ich Bücher. Sie ermöglichen es mir, in die Perspektiven fremder Menschen einzutauchen. Aus anderen Kulturen, Identitäten und Erfahrungen. Einander ernstgemeint zuzuhören, bedeutet einander besser verstehen zu wollen. Und wer andere besser versteht, sieht weniger Fremde.
Ja, zuhören sollten wir alle etwas mehr und vor allem besser. Das ist eine Übung, die wir mit dieser Interview-Reihe auch ganz ernsthaft betreiben. Mich faszinieren dabei die Ähnlichkeiten ebenso wie die Unterschiede. Speziell, weil ja alle Bücher schreiben und damit ein verbindendes Element haben. Und wie du sagst, mit deren Büchern kann man weiter verbinden, Facetten aufzeigen und menschliche Dynamiken quasi unter den Laborbedingungen des Plots untersuchen. Lass uns doch mal über dich und deine Beziehung zu Büchern sprechen.
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Welches Buch hat dich am meisten geprägt?
Kein einzelnes Buch, mehrere.
Auch recht! Schieß los!
Das erste Buch, das mich die Nacht durchlesen lassen hat, war Stephen Kings „Brennen muss Salem“. Das erste Buch, das mich in eine andere Welt mitgenommen hat, war Tolkiens „Herr der Ringe“. Das erste Buch, das mir die Kraft der Satire gezeigt hat, war Manns „Der Untertan“. Das erste Buch, das mich lauthals zum Lachen gebracht hat, war Christopher Moores „Die Bibel nach Biff“.
Das ist ja eine wuchtige Mischung. Brennen muss Salem liebt meine Kollegin Heike sehr. Ich selbst habe mich bei deiner Auswahl nur am Herrn der Ringe versucht, bin aber damit, ehrlich gesagt, nicht wirklich warm geworden. Das ist ein Buch für andere.
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Bleiben wir noch kurz beim Buchregal. Welcher Klassiker liegt allen Vorsätzen zum Trotz immer noch auf deinem SuB?
Ich habe nur wenige deutsche Klassiker gelesen.
Macht nichts! Wir sind da total flexibel. 🙂
Meine Liebe für fantastische, düstere und zeitgenössische Literatur ist lauter als die Rufe von Goethe und Brecht, endlich etwas Vernünftiges zu lesen. Melvilles „Moby Dick“, Defoes „Robinson Crusoe“ oder Jules Vernes „Reise um die Erde in 80 Tagen“ habe ich allerdings sehr geliebt.
Na, das sind alles Klassiker, würde ich sagen. Die haben wir auch alle, wirklich alle auf unseren Classics-Listen stehen. 🙂 Darf ich dir aber, falls du doch mal Klassiker lesen magst, mit diesen Vorlieben z.B. E.T.A. Hoffmann empfehlen. Der ist düster, fantastisch, ein Wegbereiter des Genres und tatsächlich ein deutscher Klassiker. Der Sandmann zum Beispiel ist wirklich großartig.
Und welches Buch hätte deiner Meinung nach deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient und warum?
Mehr Aufmerksamkeit hätte „Die Gabe“ von Naomi Alderman verdient.
Ein ungewöhnliches Buch – sowohl von der Idee als auch vom Aufbau her. Was macht es für dich zu so einem besonderen.
„Die Gabe“* war das letzte Buch, dessen Intensität sich in mein Gedächtnis gebrannt hat.
Ja, dieser Ansatz, worin letztlich Macht begründet wird, ist faszinierend. Und dass sie wortwörtlich Frauen in der Hand halten auch. Mit allen Konsequenzen.
Lass uns aber mal über deine Bücher und deine Schreiberei sprechen.
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Themen finden ist oft einfacher als aus den vielen Ideen, die richtige Auswahl zu treffen. Wie entscheidest du, welches Projekt du als nächstes verwirklichst?
Genau in diesem Prozess stecke ich gerade.
Wunderbar! Dann erzähl doch mal!
Ich habe ein Projekt „angeschrieben“, dessen Grundidee ich verlockend fand. Nun stehe ich bei ca. 140 Seiten Manuskript und überlege, ob das, was ich geschrieben habe, tatsächlich gut ist.
Nun, diesen perfektionistischen Anspruch und seine Schattenseiten kennen viele Kolleginnen und Kollegen. Wie gehst du damit um?
Jetzt lasse ich es ein paar Wochen liegen, um Abstand zu gewinnen, ehe ich die Seiten von Neuem lese. Wenn ich dann nicht vollends überzeugt bin, weiterzuschreiben, wandert das Manuskript an einen sehr dunklen Ort meiner Festplatte.
Solange du sie nicht löschst, sondern nur verbannst … Das wäre doch auch mal eine Geschichte: Die Heimat der verbannten Manuskripte! Aber vielleicht sind nicht schlecht, sondern nur zur falschen Zeit dran gewesen. Ich würde ihnen eine zweite Chance geben.
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Wo stehst du beim Schreiben einer Szene? Bist du eher der aufmerksame Beobachter und Dirigent oder mittendrin in allen Höhen und Tiefen mit Blut, Schweiß und Tränen?
Das ist abhängig von der Szene und der Phase des Schreibens.
Ja? Inwiefern?
Beim ersten Plotten oder Manuskriptentwurf fliege ich wie ein Regisseur durch die Handlung. Ich gebe grobe Anweisungen, wer wo zu stehen hat, wo der Konflikt entbrennen soll und wer wen gut oder schlecht finden muss. Danach kenne ich die Rahmenhandlung und kann in die Rolle der Figuren eintauchen. In ihre Perspektiven, Konflikte und Gefühle. Dann wird auch das Schreiben emotionaler.
Ein so strukturiertes Herangehen in mehreren Phasen hört sich echt spannend an und ich glaube, ich wäre dabei gerne mal Mäuschen. Wenn ich schreiben würde, wäre ich eher der spontane Typ, glaube ich.
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Welche Szenen fallen dir beim Schreiben am schwersten und wie meisterst du sie trotzdem?
Liebesszenen fallen mir nicht immer leicht. Düsteres, Fantastisches oder Morbides geht mir wesentlich leichter von der Hand, als bei Liebesszenen den richtigen Ton zwischen Aufrichtigkeit, Klischee und Kitsch zu treffen.
Nun, ich kenne im Moment nur das kurze Leben einer immer wieder Sterbenden. Morbide kannst du. Wobei mich diese Betrachtung des Nahtods sehr fasziniert hat. Wenn man wie ich in der Altenpflege arbeitet, ist man mit diesem Thema auf sehr verschiedene Weise immer wieder befasst.
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Was ist dir beim Schreiben deiner Geschichten am wichtigsten, worauf achtest du besonders?
Der Fokus aufs Wesentliche und das Löschen jeglicher Ablenkungen. Szenen und Figuren, die mir als Autor aus irgendeinem Grund gefallen, der Handlung aber nicht helfen, müssen gehen. Kill your Darlings!
Du ziehst das mit dem radikalen Schreiben wirklich durch. Respekt. Jetzt haben wir so viel über Disziplin und Plan beim Schreiben gesprochen …
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Es heißt, jeder Künstler muss auch ein bisschen wahnsinnig sein. Was ist dein Schuss „Wahnsinn“?
Ich weiß nicht, ob es Wahnsinn ist, der Kunstschaffende auszeichnet.
Nun, wir spielen hier mit einem Zitat, das sich speziell in der Romantik etabliert hat, wo man Kunst gezielt im Spannugsfeld zwischen Genie und Wahnsinn gesehen hat. Aber lass uns anders fragen: Was braucht man, um Kunst zu schaffen?
Empathie, Beobachtungsgabe und Vorstellungskraft halte ich für wichtiger. Und allen voran Mut. Mut zu Perspektiven und Geschichten. die sich andere nicht getraut haben, zu erzählen. Mut zum Scheitern unMut zum Laut sein. Mut zum Leise sein. Mut sich öffentlich zu machen. Mut sich verletzlich zu zeigen.
Ich glaube die Übergänge zwischen Mut und dem von uns gemeinten Wahnsinn sind fließend, das eine schiebt, das andere zieht, sozusagen. Aber du hast Recht – Mut braucht man, um sich den kreativen Kräften zu stellen und eben auch, um dann mit seinem Werk nach außen zu gehen. Das würde ich gern noch mal mit dir vertiefen. Sehr, sehr spannend …
Aber jetzt lass uns über deine Bücher sprechen …
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Beschreibe dein aktuelles Buch in 3 Sätzen
In die Welt und zurück. Auf die Bühne und zurück. In den Tod und zurück.
*grübel* Klingt sehr geheimnisvoll. Vergiss nicht, uns zu sagen, wenn es rauskommt, dann schauen wir es uns gern an und stellen es auch vor.
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Was würdest du noch gerne lernen und wozu?
Großes und Kleines, Nützliches und Unnützes, Gewolltes und Ungewolltes.
Alles mögliche und ein bisschen Unmägliches. Lernen um des Lernen willens, also?
Das Schöne am Lernen ist, dass es nie aufhört und auf nichts begrenzt ist.
Man muss noch nicht mal den Vorsatz fassen. Wie und woraus lernst du?
Am meisten lerne ich durch Fehler und Scheitern. Auch wenn es kurzfristig schmerzt, lernt man langfristig am meisten. Aber auch neue Menschen in meinem Leben, neue Technologien oder Lebensabschnitte stoßen neues Lernen an.
Und konkret? Hast du Vorsätze?
Ich würde wahnsinnig gern Coden lernen. Tennis spielen. Besser Fotografieren. Ich wüsste gern mehr über das Universum und die menschliche Geschichte. Über Psychologie und Tischtennis.
Schöne Mischung. Und Stoff für sicherlich viele Geschichten. Da schlägst du gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.
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Welcher Moment im Leben hat dich besonders geprägt?
Allen voran meine Kinder. Verantwortlich für neues Leben zu sein, ändert die Perspektive auf das eigene Leben dramatisch. Liebe bekommt einen noch größeren Stellenwert. Geduld wird zur täglichen Prüfung, an der man wächst und scheitert. Neue Verletzlichkeit, Offenheit und Ehrlichkeit brechen die harten Schalen auf, die man sich als Erwachsener über die Jahre zum eigenen Schutz aufgebaut hat.
Das hast du schön gesagt und es stimmt ja auch.
Irgendwie ist das Gespräch doch viel zu schnell vorbei, wir kommen zu unseren Schlussfragen!
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Was sollen deine letzten Worte sein?
Vergesst nicht, euch zu umarmen.
Das ist schön!
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Und mit welchen Worten soll dieses Interview enden?
Lest Seltsames, lest Fremdes, lest außerhalb eurer Komfortzone.
Genau das machen wir. Und dafür werben wir auch mit Skoutz und dem Award. Wir hoffen, dass wir viele Menschen dazu bekommen, Neugierig zu sein, auf buntes, auf wildes, auf Abwegiges, auf Dinge die berühren und bewegen.
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Wir danken dir, lieber Thomas, für das tolle, ungewöhnliche Interview und freuen uns schon jetzt darauf, neue Geschichten von dir zu lesen. Jetzt erst einmal noch viel Erfolg für den weiteren Wettbewerb!
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Mehr über Thomas Knüwer erfahrt ihr hier:
- Homepage* von Thomas Knüwer
- Thomas Knüwer auf Instagram*
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Skoutz-Lesetipp
„Ventadorn“ – Psychologisch brilliante Dystopie von Thomas Knüwer
2044.
Jede Form von Werbung ist verboten, bis auf eine: Brandhailer. Menschen, denen Werbebotschaften direkt ins Unterbewusstsein gesendet werden, damit sie anderen Produkte empfehlen. Dahinter steckt die geheimnisumwitterte Wirtschaftsorganisation Ventadorn, die im Gegenzug Heilung selbst schwerster Krankheiten verspricht.
Ein verhängnisvolles Angebot in Zeiten längst kollabierter Gesundheitssysteme. Während eine junge Frau entscheiden muss, ob sie an Krebs sterben oder ihr Unterbewusstsein verkaufen will, untersuchen zwei Hamburger Kommissare einen rätselhaften Selbstmord und eine Gruppe hoffnungsloser Idealisten stellt sich der Übermacht Ventadorns. Es ist beinahe zu spät, als sie merken, dass ihre Schicksale miteinander verbunden sind.
Skoutz meint: Dass Thomas Knwüer in seinem aktuellen Buch mit einer komplexen Geschichte aufwartet, die mit Horrorelementen aufwartet und einen mit Verschwörungselementen gespickten Wirtschaftsthriller erzählt, ist nicht überraschend. Es ist aufgrund der vielen Elemente, die alle für sich ein Buch füllen könnten, kein Buch zum Nebenherlesen. Aber es ist eines, das sich lohnt. Weil es spannend ist und die vielen Fäden logisch verbindet und ein überraschendes Muster präsentiert, das noch über die Lektüre hinaus nachwirkt (jf).
Wer das Buch jetzt gerne lesen möchte, der findet es über unseren Affiliate-Link bei Amazon*.
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Hinweis:
Auch in diesem Jahr wieder hatten wir viele sehr spannende Bücher in der Longlist Science Fiction. Alienzähmer, Chef-Ufologe und Vorjahressieger E.F. von Hainwald hat den Blick in die Zukunft gewagt und dann 9 Titel aus den über 160 Bewerbern für seine Midlist Science Fiction 2022 herausgesucht.
Das kurze Leben einer immer wieder Sterbenden von Autor Thomas Knüwer ist einer der Titel, die sofort neugierig machen. Nahtoderlebnisse sind für sich schon faszinierend. Die These, das so erhältliche Wissen dann wirtschaftlich oder gesellschaftlich zu nutzen, nicht minder. So faszinierend die Idee hinter diesem Buch bereits ist, so mitreißend ist die Umsetzung, wie Thomas Knüwer seine Geschichte erzählt …
Wir haben das Buch natürlich schon gelesen und euch ausführlich vorgestellt (weiterlesen).
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